Z E I T U NG F Ü R D E U T S C H LA N D HERAUSGEGEBEN VON WERNER D’INKA, BERTHOLD KOHLER, GÜNTHER NONNENMACHER, FRANK SCHIRRMACHER, HOLGER STELTZNER Donnerstag, 21. März 2013 · Nr. 68 / 12 D 2 Renten in Ostdeutschland steigen deutlich Leicht zypressiv Heute Von Berthold Kohler in paar Monate lang schien sich E das große Rad der Krise nur noch zentimeterweise zu drehen. Doch Schaumgeboren – Dass es bei der Geburt der Schönheit zu- ging wie in einem Splatter-Film von Tarantino mag man kaum glauben. Aber der leise melancholische Mund, der matte Glanz der Augen und die bis zur Durchsichtigkeit zarte Haut lassen das Grauen ahnen, dem Aphrodite/Venus ent- stammt. Die Zyprer, auf deren Insel die Göttin zu Hause war, haben mit diesem Erbe, für das sie nichts können, und mit aphrodisisch niedrigen Steuern ausländisches Geld ins Land gelockt. Ob am Ende ihre Schönheit tröstet, selbst wenn sie aus dem Pinsel eines Italieners stammt? Foto Archiv Medwedjew: EU verhält sich wie der Elefant im Porzellanladen Suhrkamp angezählt? Der Verlag muss an seinen Mitgesellschafter Hans Barlach zwei Millionen Euro zahlen. Das könnte der Anfang vom Ende sein. Was bezweckt Barlach? Feuilleton, Seite 25 Ringen um einen Auftrag Pier Luigi Bersani möchte vom italienischen Staatspräsidenten mit der Regierungsbildung betraut werden, aber die Bewegung des Komikers Grillo will ihn nicht stützen. Wo bleibt Silvio Berlusconi? Politik, Seite 5 Die Hand bleibt ausgestreckt Trotz der Kriegsrhetorik Pjöngjangs hofft Südkoreas neue Präsidentin Park Geun-hye auf einen politischen Dialog zwischen Nord und Süd in dem geteilten Land. Peking will vermitteln. Politik, Seite 6 Russischer Ministerpräsident kritisiert Zypern-Politik / Nikosia verhandelt mit Moskau rve./wmu. MOSKAU/BRÜSSEL, 20. März. Der russische Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew hat der EU vorgeworfen, sich in der Zypern-Krise „wie der Elefant im Porzellanladen“ verhalten zu haben. In einem Gespräch mit dieser Zeitung und Zeitungen aus mehreren EULändern sagte er am Mittwoch in Moskau: „Alle Fehler, die gemacht werden konnten, wurden gemacht, einschließlich der Untergrabung des Vertrauens in die Finanzinstitute als Ganzes, nicht nur die zyprischen.“ Die Verhandlungen über die Rettung Zyperns hätten „mit allen interessierten Seiten“ geführt werden müssen, sagte Medwedjew, statt sich hinter der Formulierung zu verstecken, „dass Zypern diese Gespräche mit der EU und nicht mit jemand anders“ führen solle. Auf die Frage, ob das die Beziehungen zwischen Russland und der EU belasten werde, antwortete Medwedjew, dazu müsse man sehen, welche Lösung nun gefunden werde. Medwedjew verglich den Plan einer Zwangsabgabe auf Sparguthaben mit Enteignungen in der Sowjetunion. Die derzeitige Situation könne „mehrere neue lokale Finanzkrisen“ verursachen. Er hoffe, dass eine Lösung gefunden werde, die Zypern hilft „und unsere Beziehungen zur EU nicht zerstört“. Die Entscheidung der EU werde auf jeden Fall negative Folgen haben, sagte Medwedjew, „jetzt geht es nur noch darum, sie zu minimieren“. Am Mittwoch verhandelte Zyperns Finanzminister Michalis Sarris in Moskau unter anderem mit dem stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten Igor Schu- walow über eine mögliche russische Beteiligung an der Rettung Zyperns. An diesem Donnerstag und am Freitag finden in Moskau seit langem geplante Gespräche zwischen der russischen Regierung und der Europäischen Kommission statt; Präsident José Manual Barroso führt die Delegation aus Brüssel an. In Nikosia teilte die zyprische Zentralbank am Mittwochabend mit, dass die Banken des Landes nicht vor Dienstag öffnen werden. Damit wären sie mindestens eine Woche lang geschlossen geblieben. Unklar blieb, ob das zyprische Parlament vorhat, den von der Eurogruppe als Beitrag der Sparer geforderten Betrag von 5,8 Milliarden Euro aufzubringen. (Fortsetzung und weitere Berichte Seite 2; siehe Seiten 3 und 8 sowie Wirtschaft, Seiten 9 und 11.) Wohl auch kein NPD-Verbotsantrag des Bundestags Brüderle: Fraktion unterstützt Haltung der Minister / Regierung verzichtet auf Antrag Wenn Streiks weh tun Die amtliche Streikstatistik zeigt ein friedliches Land. Im Verkehrswesen entdecken kleine Berufsgewerkschaften ihre Macht bei kleinem Einsatz. Die Branchengewerkschaften müssen mithalten. Wirtschaft, Seite 10 Gegen die Wand Der 21 Jahre alte Kletterer Jan Hojer ist Deutschlands bester Boulderer. Seit knapp einem Jahr ist er nun Profi. Doch musste er feststellen: Von seinem Sport zu leben, ist schwer. Sport, Seite 24 Ein guter Einfall Roy Lichtenstein war ein erfolgloser Maler und fast vierzig, als ihm die Idee kam, Comics abzumalen. Eine Ausstellung in London zeigt, wie ihn diese Idee zum Weltstar der Pop-Art machte. Feuilleton, Seite 25 Schluss mit Erbsensuppe Wer genussvoll Ski fährt, hat auch das Recht, genussvoll in den Ski-Hütten zu essen. Das ist die Maxime von Alta Badia in Südtirol. Dort wird Hochküche im Hochgebirge zelebriert. Reiseblatt, Seite R 1 4<BUACUQ=eacbab>:p;V;l;W;n Sie sät Zwietracht Sandro Botticelli, Geburt der Venus, Ausschnitt enn. BERLIN, 20. März. Rentner in Ostdeutschland bekommen von Juli an 3,29 Prozent mehr Rente. Im Westen steigen die Altersbezüge dagegen nur um 0,25 Prozent. Damit liegt die Anpassung für die meisten Rentner im Wahljahr deutlich unter der Inflationsrate. Die ungewöhnlich große Abweichung wird begründet mit Eigenheiten der Rentenberechnung, vor allem mit Korrekturen zur Lohnentwicklung im vorvergangenen Jahr. Sie mindern den Anstieg im Westen deutlich, führen aber in den neuen Ländern zu einem kräftigen Aufschlag. Die Rentner im Westen müssen auch deshalb mit einer bescheidenen Rentenanpassung leben, weil hier Rentenkürzungen nachgeholt werden müssen, die früher unterblieben waren: Rein rechnerisch hätten die Altersbezüge eigentlich im Krisenjahr 2009 sinken müssen, weil auch die Löhne sanken. Zum Schutz der Rentner hatte die große Koalition damals aber eine Rentengarantie beschlossen. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte am Mittwoch, sie freue sich, „dass die ostdeutschen Rentner beim Rentenwert nun so deutlich aufholen können“. Im Westen zeichne sich für das nächste Jahr auch wieder ein spürbares Plus ab. Allenthalben war Kritik wegen der Intransparenz der Rentenberechnung zu hören. (Siehe Wirtschaft, Seite 9.) 2,10 € D 2954 A pca. BERLIN, 20. März. Nach dem Beschluss der Bundesregierung, auf einen eigenen Antrag zum Verbot der rechtsextremen NPD beim Verfassungsgericht zu verzichten, hat die SPD heftige Kritik geübt. Die SPD kündigte an, nach der Osterpause einen Antrag der Bundestagsfraktion einzubringen. Sein Ziel sei es, äußerte der Parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann, den Deutschen Bundestag an dem Verbotsverfahren zu beteiligen. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle kündigte allerdings an: „Wir werden als Fraktion die Haltung unserer Minister unterstützen.“ Einer Freigabe der Abstimmung erteilte Brüderle eine Absage. Er meine, sagte Brüderle, „die Koalitionsfraktionen sollten gemeinsame Meinungsbildung durchführen“. Es sei zudem in der Ko- alition vereinbart, im Bundestag nicht mit wechselnden Mehrheiten abzustimmen. Brüderle sagte, die NPD sei „ausgezehrt“ und im Niedergang, „was ich bei dieser Partei ausdrücklich begrüße“. Der Vorsitzende des Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), sagte der „Passauer Neuen Presse“, nach der Regierungsentscheidung dürfte es schwierig sein, eine Mehrheit für einen Antrag des Parlaments zu erreichen. Das Kabinett hatte am Mittwoch in seiner Sitzung festgelegt, dass es sich nicht mit einem eigenen Verbotsantrag der Initiative des Bundesrates anschließen werde. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte nach der Sitzung, ein Verfahren zum Verbot der rechtsextremen Partei sei „schon einmal kläglich gescheitert“, das habe man im Blick haben müssen. Frau Leutheusser-Schnarrenberger hob hervor, die Regierung habe ihre Entscheidung „nach sorgfältiger Abwägung und Überlegung“ gefällt. Es dürfe nicht wieder auf ein Verfahren gesetzt werden, „das mit großen Risiken behaftet ist“. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte: „Rechtsextremismus, wie er von Seiten der NPD vertreten wird, hat in unserer Gesellschaft keinen Platz.“ Die Aufgabe der Bundesregierung liege darin, gesellschaftliche Abwehrmaßnahmen zu stärken. Kritik an der Entscheidung übten Ministerpräsidenten, Innenpolitiker von CDU und SPD sowie der Zentralrat der Juden. Der Bundesrat hatte Mitte Dezember beschlossen, ein Verbot der NPD anzustreben. (Siehe Seite 4; Kommentar Seite 8.) Deutschland nimmt syrische Flüchtlinge auf Obama: Ewiges Bündnis mit Israel Briten befürworten Eingriffe ins Erbgut pca. BERLIN, 20. März. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat sich besorgt über die Lage der syrischen Flüchtlinge geäußert und die Aufnahme weiterer Schutzbedürftiger angekündigt. Deutschland habe bisher 8000 Flüchtlinge aufgenommen, das seien zwei Drittel aller in die EU gekommenen Syrer. Von Juni an werde die Bundesrepublik 5000 weitere Flüchtlinge aufnehmen. Die Europäische Kommission prüft nach eigenen Angaben, Berlin dabei finanziell zu unterstützen. hcr. JERUSALEM, 20. März. Nach den Worten des amerikanischen Präsidenten Barack Obama verbindet die Vereinigten Staaten und Israel ein „ewiges Bündnis“. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bezeichnete Obamas Besuch als „historisch“, bevor sich beide zu Gesprächen zurückzogen, in denen es um Iran und Syrien gehen sollte. An diesem Donnerstag wird Obama in Ramallah erwartet, am Freitag reist er nach Jordanien. (Siehe Seite 6; Kommentar Seite 8.) F.A.Z. FRANKFURT, 20. März. In Großbritannien könnten schon bald Eingriffe in die Keimbahn des Menschen erlaubt sein. Die Aufsichtsbehörde HFEA übergab der Regierung am Mittwoch eine Empfehlung und das Ergebnis einer Bürgerbefragung. Bei der Keimbahntherapie sollen im Zuge der künstlichen Befruchtung bestimmte tödliche Erbkrankheiten ausgemerzt werden, indem Teile des Erbguts von einer Eizellspenderin verwendet werden. (Siehe Feuilleton, Seite 25.) Briefe an die Herausgeber ............ 30 Reiseblatt .................................................. R 1 Deutschland und die Welt .............. 7 Zeitgeschehen .......................................... 8 Wirtschaft .................................................... 9 Unternehmen ........................................ 12 Markt und Strategie .......................... 15 Wetter ......................................................... 16 Finanzmarkt ........................................... 17 Kurse ............................................................ 20 Sport ............................................................ 23 Feuilleton ................................................. 25 Kino .............................................................. 29 Neue Sachbücher ................................ 30 Medien ........................................................ 31 Fernsehen und Hörfunk ................ 32 Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH; Abonnenten-Service: 0180 - 2 34 46 77 (6 Cent pro Anruf aus dem dt. Festnetz, aus Mobilfunknetzen max. 42 Cent pro Minute). Briefe an die Herausgeber: [email protected] Belgien 2,90 € / Dänemark 22 dkr / Finnland, Frankreich, Griechenland 2,90€ / Großbritannien 2,90 £ / Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande 2,90€ / Norwegen 30 nkr / Österreich 2,90 € / Portugal (Cont.) 2,90 € / Schweden 29skr / Schweiz 4,80 sfrs / Slowenien 2,90€ / Spanien, Kanaren 2,90 € / Ungarn 750 Ft schon das Nein eines um seine „Ehre“ besorgten Inselstaates reichte, es wieder in Schwung zu bringen. Gleich nach der ersten Drehung zeigen sich auch wieder die Zentrifugalkräfte der Krise, die an der Eurozone zerren. Die Krise schweißt die Europäer nicht zusammen, sie sät Zwietracht. Und das, obwohl es in der auf eine wirklich reiche Umverteilungsgeschichte zurückblickenden EU noch nie eine derartige milliardenschwere Solidarität gegeben hat wie jetzt. Der Grund für das Auseinandertreiben liegt auf der Hand: Niemand gibt gern den Wohlstand auf, der – auf welche Weise auch immer – im Zeichen des Euro erworben wurde. Kaum jemand will einsehen, dass das gute Leben eines auf Pump war, im Falle Zyperns mitgetragen von zweifelhaften Finanzgeschäften auf Kosten Dritter – und sei es des russischen Fiskus. Kommen, wenn die Lichter der Party langsam ausgehen, aber die Wirtschaftsprüfer von EU und IWF und machen ihre Hilfe von der Bereitschaft zur Selbsthilfe abhängig, ist es schnell F. A. Z. im Internet: faz.net vorbei mit den glühenden Bekenntnissen zu Europa. Dann wird, wie schon in Griechenland, das alte Naziklischee herausgeholt und, das ist neu, die Erlösung im Osten gesucht. Ein EU-Mitglied, das sich von seinen Partnern abwendet und Moskau anbettelt – noch nichts zeigte auf so unmissverständliche Weise, wie schwach mitunter die Bande sind, die der Euro schmiedete. Die Fliehkräfte der Krise, verstärkt durch den aufziehenden Bundestagswahlkampf, erfassten inzwischen auch die informelle große Euro-Rettungskoalition in Berlin. SPD-Chef Gabriel wirft der Kanzlerin vor, sie habe zugelassen, dass in Zypern erstmals die Inhaber von Sparguthaben „faktisch teilenteignet“ würden. Eine faktische Teilenteignung läuft in Deutschland freilich schon ab, seit die Sparzinsen nach Steuern unter der Inflationsrate liegen. An diesen Verhältnissen hat auch eine Krisenpolitik ihren Anteil, die von der SPD bisher vollumfänglich mitgetragen wurde. Würden gar die befürchteten Inflationsszenarien wahr werden, dann müsste sich die SPD über andere Dimensionen der Enteignung Sorgen machen als über jene, die in Zypern ausgefallen ist. Doch Gabriel hat jetzt anderes im Kopf: Er braucht Stoff, mit dem er die Kanzlerin in ihrer Paradedisziplin angreifen kann. Es sieht so aus, als täte die Krise ihm den Gefallen. Am Bruchpunkt Von Günther Nonnenmacher it dem Fall Zypern sind die Aktionen zur Stabilisierung oder M „Rettung“ der Eurozone an einem Bruchpunkt angekommen. Das liegt nicht am Umfang der finanziellen Unterstützung für die Insel im Mittelmeer und auch nicht an der wirtschaftlichen Bedeutung Zyperns. Beides ist, wenn man es mit den Summen vergleicht, die für andere Staaten aufgewendet werden, und wenn man den Anteil des Landes am europäischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) sieht, zu vernachlässigen. Die Behauptung, die Banken in Zypern seien für die Eurozone „systemrelevant“ – das Synonym für die zum sprachlichen Gemeingut gewordene Formel „too big to fail“ –, wirkt lächerlich: In diesem Fall gäbe es kaum noch eine Bank in Europa, die nicht zu groß wäre, um sie pleitegehen zu lassen. Bleibt als letztes Argument die Befürchtung, ein Bankrott Zyperns könne psychologisch zu dem gefürchteten Dominoeffekt führen, der im Fall der Investment-Bank Lehman Brothers die Finanzmärkte durcheinandergewirbelt hat. Nein, der Bruchpunkt ist aus politischen Gründen erreicht. Das Parlament des griechischen Teils der Insel hat das nach langen Verhandlungen in Brüssel geschnürte Rettungspaket faktisch einstimmig abgelehnt, nach dem trotzigen Motto: Wir sind nicht bereit, für die Misere zu bezahlen, in die wir uns selbst hineingeritten haben, das soll der Rest Europas tun. Als mildernden Umstand kann man anführen, dass die geplante Zypern-Rettung ein kommunikatives Desaster war. Die Strategie, alle Bankeinlagen mit einer Strafsteuer zu belegen, hat nicht nur bei den kleinen Sparern auf Zypern verständliche Verbitterung hervorgerufen. Sie hat in anderen Ländern der Eurozone die Befürchtung geweckt, dass auch ihnen – früher oder später – eine ähnliche Maßnahme drohen könnte. Jetzt wird in Zypern (und mit den Finanzministern der Eurozone) fieberhaft darüber verhandelt, ob der von dem Land geforderte Rettungsbeitrag auf verträglichere Weise aufgebracht werden könnte. Aber es sieht so aus, als ob die Regierung Zyperns ihre Karten ausreizen wolle. Das ist eine Erpressungsstrategie, über die auch in Griechenland immer wieder diskutiert worden ist. So hat die dortige Opposition, angeführt von dem Linksbündnis Syriza des Jungpolitikers Tsipras, stets behauptet, die Opfer, die den Griechen zugemutet würden, seien unnötig, weil die Eurozone aus eigenem (Stabilitäts-)Interesse es sich gar nicht leisten könne, Griechenland bankrottgehen zu lassen. Bisher hat ein Bündnis der Altparteien (der konservativen Nea Dimokratia und der sozialistischen Pasok) die populistische Syriza von der Macht ferngehalten. Doch wenn genau diese Erpressungsstrategie in Zypern aufginge, gäbe es in der Tat einen Dominoeffekt: Die entsprechende Haltung würde auf das eng verbündete Griechenland überspringen. Die sich dort langsam verbreitende Einsicht, dass es ohne Opfer nicht gehen kann und dass der Weg zu einer Gesundung der griechischen Wirtschaft lang und schmerzhaft sein wird, wäre mit einem Schlag zunichtegemacht. Welchen Reim sich darauf die anderen Staaten der südlichen Peripherie machen würden, die Portugiesen, Spanier und Italiener, aber auch die Iren, denen ebenfalls unpopuläre, schmerzhafte Sparprogramme auferlegt wurden, kann man an den fünf Fingern einer Hand abzählen. Die Grundlage der gesamten Rettungspolitik, die sich in der Maxime Solidarität gegen Solidität zusammenfassen lässt, wäre unglaubwürdig und würde hinfällig. Zyperns Hinwendung zu Russland ist ein beispielloser Akt der Desolidarisierung. Ein weiteres Symptom dafür, dass im Fall Zypern eine politische Bruchstelle erreicht worden ist, ist die Hinwendung des Landes zu Russland. Das ist insofern verständlich, als die zyprischen Banken nicht zuletzt von Bankeinlagen (und der Geldwäscherei) russischer Oligarchen leben. Da diese eng mit dem russischen Machtapparat verflochten sind, gibt es ein Eigeninteresse der Russen, sich an der Rettungsaktion zu beteiligen – Russland hat der Insel schon vor geraumer Zeit einen Milliardenkredit gewährt. Dennoch ist dies ein beispielloser Akt der Desolidarisierung mit Rest-Europa. Denn im östlichen Mittelmeer geht es nicht nur um Euro-Rettung, dort stehen auch geostrategische Interessen auf dem Spiel. Wenn Zypern mit dem Gedanken spielt, russische Konzerne mit erwarteten Gewinnen aus der Erdgasförderung vor seiner Küste zu entschädigen, wird etwa die Energiesicherheit Europas auf lange Sicht beschädigt. Da wäre es nur konsequent, Russland auch einen Marinestützpunkt anzubieten, falls der bisher einzige russische Hafen im Mittelmeer im syrischen Tartus nach dem Fall Assads aufgekündigt würde. Die ohnehin fragile Euro-Rettungspolitik hat in Zypern eine Glaubwürdigkeitsgrenze erreicht. Wenn es nicht möglich wäre, dort das Prinzip Solidarität gegen Solidität aufrechtzuerhalten, müssten die Zyprer ihren eigenen Weg gehen, allein. Finanzpolitisch muss es möglich sein, ein Ausscheiden Zyperns aus der Eurozone zu „sterilisieren“. Die Finanzmärkte würden dadurch vermutlich nicht weiter verunsichert; es würde ihnen im Gegenteil gezeigt, dass der in anderen Ländern eingeschlagene Weg, trotz aller Schwierigkeiten, ernst gemeint ist und ernst genommen wird.
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