Gedenkrede Der 13. April 1945 war-wie heute- ein Freitag. Und ungefähr zu dieser Uhrzeit- wurden über 1000 Häftlinge in die Scheune getrieben..um sie zu ermorden... die, die fliehen wollten...wurden erschossen...einige von ihnen wählten die Kugel...anstatt bei lebendigen Leib verbrannt zu werden. Am 22. November letzten Jahres gab es erstmalig in der Geschichte des Deutschen Bundestages eine gemeinsame Erklärung aller Fraktionen gegen den Nazi- Terror. Trotz der unterschiedlichsten Auffassungen im Umgang mit Rechtsterroristen sagen wir: " Ihr scheitert an uns gemeinsam von der CSU bis zur LINKEn!" In dieser Erklärung steht u.a. : "Wir stehen für ein Deutschland, in dem alle ohne Angst verschieden sein können und sich sicher fühlenein Land, in dem Freiheit und Respekt, Vielfalt und Weltoffenheit lebendig sind." Diese gemeinsame Erklärung ist zustande gekommen, weil über Jahre hinweg rechtsextreme Ideologien in Deutschland eine blutige Spur unvorstellbarer Mordtaten hervorbringen konnte ! Diese unmenschlichen Verbrechen belegen auf traurige Weise, dass es möglich ist, in Deutschland unentdeckt rechtsradikale Strukturen aufzubauen und zu morden. Die Frage, ob staatliche Strukturen dabei behilflich waren und warum Geheimdienste jämmerlich versagten, diese Frage müssen wir immer und immer wieder stellen! Antifaschismus und Engagement gegen Nazi- Aufmärsche machen verdächtig und werden beobachtet! rechte Terroristen hingegen können jahrelang unbehelligt morden. Seit 1990 wurden 182 Menschen Opfer rechter Gewalt in Deutschland. Oft haben sich die Häftlinge in den Konzentratonslagern gefragt, "Wenn wir davon kommen, wird man uns denn glauben?" und "Wie sollten die SS- Leute zulassen, dass auch nur ein einziger peinlicher Zeuge der zahllosen Verbrechen übrig bleibt?" Der Hauptverantwortliche des Massakers von Gardelegen, der NSDAP- Kreisleiter und SS- Obersturmbannführer Gerhard Thiele, wollte keine Zeugen. Er soll gemeint haben:" Es sei besser, wenn man die Gefangenen töte, ehe irgendetwas Schlimmes passiert, wenn sie abhauen..." Wenige haben überlebt, Amaro, der Weinbauer aus Frankreich, befand sich nahe des Scheunentores. Maschinengewehre schossen einige Zentimeter an ihm vorbei. Die Leichen seiner Mithäftlinge fielen auf ihn und bildeten eine Mauer, die ihn eine Zeitlang vor den Flammen schützte. Als die SS- Leute sahen, dass niemand mehr aus der Scheune kam, flohen sie schleunigst. Kreisleiter Thiele konnte fliehen und sich in den Westen absetzen. Er lebte unter falschem Namen in Bochum und Düsseldorf. Er wird erst 1994 enttarnt! Er ist sozusagen im Alter von 84 Jahren als unbescholtener Bürger gestorben. Viele hochrangige Nazis konnten in der Bundesrepublik später Führungspositionen in Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft einnehmen. Für mich unfassbar! Ein Freund von Amaro, Häftling 20801mit Namen Bonifas, der vor Gardelegen fliehen konnte, hat seine Erinnerungen aufgeschrieben. Er musste sich, wie er schreibt, aufraffen... Bonifas musste schreiben und sprechen anstelle derer, die nicht zurückgekommen waren aus den Lagern und die niemals mehr ihre Münder auftun werden. Er hat, wie er es beschrieb;" sich Gewalt antun müssen, um den Versuch zu wagen, das schwere Geheimnis zu lüften, das da irgendwo im Inneren unseres Geistes und Fleisches beschlossen liegt." "Die Wirklichkeit der menschlichen Tragödie liegt immer jenseits aller Worte." Und Bonifas wünscht sich nichts mehr als, dass die Menschen ein nicht zu kurzes Gedächtnis haben! Das wünsche ich mir auch. Viel zu oft glaubt man, durch Mahn- und Gedenktage sei der Verpflichtung aus der Vergangenheit genüge getan. Junge Menschen beklagen manchmal, dass die Art und Weise, wie mit dieser Schuld umgegangen wird, sie überfordert. Wie können wir also gemeinsam eine Erinnerungskultur betreiben, in der sich gerade die junge Generation wiederfindet? Aus natürlichen Gründen wird es schwieriger sein, Zeitzeugen und Überlebende zu sprechen oder sie mit jungen Menschen zusammen zu bringen. Daher sind die Bemühungen des Fördervereins der Gedenkstätte Isenschnibbe für eine weitere wissenschaftliche Aufarbeitung und eine mögliche Ausstellung über das Geschehen vom 13. April 1945 von allen Seiten unterstützenswert. Wir müssen alle demokratischen Gruppen stärken, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren. Wir brauchen eine gesellschaftliche Atmosphäre, die dazu ermutigt. Rechtsextremistischen Gruppen und ihrem Umfeld muss der finanzielle, vor allem aber der gesellschaftliche Boden entzogen werden.
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