Kinderschutz durch Resilienzförderung

Uli Hahn/Ilona Obergfell: Kinderschutz durch Resilienzförderung bei RomaFlüchtlingskinder in Köln
Amaro Kher ist ein Kölner Schulprojekt für Roma-Flüchtlingskinder im Alter von 6-14 Jahren. Hier
werden ca. 25 Kinder in zwei Förderklassen beschult und auch nachmittags nach dem Konzept der
Resilienzförderung betreut. Ziel ist es, die Kinder nach ein bis zwei Jahren auf reguläre Schulen
umzuschulen. Träger des Projektes, das dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiern konnte,
sind das Schul- und Jugendamt der Stadt Köln sowie der Rom e.V., der sich seit 1986 für die
Belange von Roma und Sinti einsetzt. Er betreibt neben dem Schulprojekt auch eine Kita, ein
Dokumentationszentrum, Deutschkurse und eine Sozialberatung.
Der Ansatz der Resilienzförderung konnte ab 2009 umgesetzt werden durch ein wissenschaftlich
begleitetes Projekt, das von „Aktion Mensch“ für drei Jahre gefördert wurde. Die Auswertung
dieses Projektes kann unter dem Titel „Ich kann über´s Feuer springen“ (Hrsg.: Prof. Dr. M.
Zander/FH Münster) auf unserer Webseite www.romev.de heruntergeladen werden.
Im Workshop haben wir nach der allgemeinen Vorstellung von Amaro Kher den theoretischen
Background unserer alltäglichen Arbeit differenziert dargestellt. Wir arbeiten beide als
Sozialpädagoginnen im Nachmittagsbereich und sind somit auch Teil des Gesamtteams der
Ganztagsschule.
Resilienz stellt eine psychische Widerstandsfähigkeit dar, besonders belastende Situationen
besser zu überstehen. Sie zeigt sich in konkreten Risikosituationen und kann erst in der
Langzeitperspektive fassbar werden. Die Resilienzförderung ist kein romaspezifisches Konzept,
sondern richtet sich an alle Kinder/Jugendliche, die in besonders prekären und somit
entwicklungsbelastenden Situationen leben. Die Kinder in Amaro Kher haben als geduldete
Flüchtlinge sowohl eine gebrochene Lebens- und Lernbiographie als auch eine äußerst unsichere
Lebensperspektive.
Unser Ziel ist es, Amaro Kher als Schutzfaktor und sicheren Ort für die Kinder zu etablieren. Es
gibt im Wesentlichen vier Bereiche, in denen sich entscheidet, ob es gelingt, ein Angebot zu
machen, in dem sich Resilienz entwickeln kann („Die vier B´s“ nach Dorothea Irmler):
1. Bindung
Zentral ist das verlässliche Bindungsangebot durch uns PädagogInnen, deshalb arbeiten wir
möglichst viel in Kleingruppen (AGs), so dass die Kinder durch den intensiveren Kontakt zu den
Erwachsenen und den anderen Kindern in der Gruppe eine Beziehung aufbauen können. Wir
fördern Freundschaften und unterstützen die Kinder bei der Entwicklung ihrer
Beziehungskompetenzen. Es gibt desweiteren ein Patensystem für einzelne Kinder und durch
Familienarbeit wird u.a. versucht, positiven Einfluss auf die Eltern-Kind-Interaktion zu nehmen.
2. Bildung
Neben der formalen Bildung im Unterricht, versuchen wir im Nachmittag die Interessen und Talente
der Kinder in den Mittelpunkt zu rücken. Dies geschieht in den AGs (z.B. Fußball, Kunst,
Computer, Theater, Bewegung, therapeutisches Reiten) und im alltäglichen
Gruppenzusammenhang. Hier werden soziale Kompetenzen gefördert, wie Kommunikations- und
Konfliktfähigkeit, Impulskontrolle, Regel- und Strukturverständnis durch Spiel & Sport.
3. Bewusstsein für Selbstwirksamkeit
Die Kinder sollen sich als kompetente und aktive Subjekte erfahren, die durch wachsendes
Selbstvertrauen ein positives Selbstkonzept entwickeln können. Sie übernehmen im Gruppenalltag
eigenverantwortlich Aufgaben - vom Tischdienst bis hin zu „Dolmetscherdiensten“. Zur
Unterstützung ihres Selbstwertgefühls versuchen wir, alle Anstrengungen und Leistungen
anzuerkennen. Auf diesen Punkt kamen wir in der Workshop-Diskussion immer wieder: Der Blick
auf Roma (-Kinder) ist sehr oft von einer Defizitperspektive geprägt, es lohnt sich aber genauer
hinzusehen. Als Beispiel wurde u.a. erwähnt, dass Kinder völlig eigenständig aufstehen, ihre
Schultasche packen und zur Schule gehen, obwohl sie niemand weckt, die Nacht im
Flüchtlingswohnheim nicht zum Schlafen da war und die kleinen Geschwister mal wieder den
Ranzen ausgeräumt haben. Genauso schaffen es manche Erwachsene in den Deutschkurs zu
kommen, obwohl eigentlich die Frage dringender ist, woher sie für ihre Familie etwas zu Essen
bekommen – wie eine Workshop-Teilnehmerin berichtete.
4. Bausteine guter Erinnerung
Kinder transponieren schöne Erlebnisse in die Zukunft und entwickeln Hoffnung auf Wiederholung.
In Amaro Kher erleben wir aber immer wieder Kinder mit sehr negativ geprägtem Weltbild. Dem
versuchen wir durch besondere Erlebnisse etwas entgegen zu halten: Wir feiern Feste, machen
Ausflüge, Übernachtungsaktionen und bieten ein Ferienprogramm an. Aber auch die
Verbalisierung schöner Alltagsmomente und das photographische Festhalten dieser Momente
sollen den Kindern die Welt positiv erfahrbar machen, so dass sie mit Neugierde in die Zukunft
blicken.
Amaro Kher als resilienzfördernder Schutzfaktor steht den gravierenden Risikofaktoren im Leben
dieser Kinder gegenüber. Diese Risiken sind bei unserem Klientel generell folgende:
Flüchtlingsstatus, Armut, Verfolgungserfahrung, Antiziganismus, Traumatisierung und
Erkrankungen in der Familie, schlechte Wohnbedingungen, häufiger Orts- und Schul-wechsel. In
der Diskussion brachten die TeilnehmerInnen noch für die Gruppe der EU-Armutsflüchtlinge ein,
dass diese mit folgenden (weiteren) Risiken konfrontiert sind: Armut – keine Leistungen nach
AsylbewerberLeistungsGesetz, Obdachlosigkeit, noch nicht einmal gesundheitliche
Notfallversorgung, kaum Zugang zum regulären Arbeitsmarkt und Bildungsangeboten.
Familie kann sowohl ein Risikofaktor als auch ein Schutzfaktor sein: Stress, Traumatisierung und
ein geringes Bildungsniveau führen häufig zu Überforderung auch im erzieherischen Verhalten der
Eltern. Auf der anderen Seite ist die (Groß-)Familie der entscheidende Bezugsfaktor für die Kinder,
unabhängig von Ort und Zeit. Und bildet in einer Gruppe, die seit Jahrhunderten von
Diskriminierung und Ausgrenzung betroffen ist, das stabilste, lebenswichtigste Element
schlechthin.
Je mehr Risiken für ein Kind zu erkennen sind, desto mehr Schutzfaktoren müssen aufgebaut
werden, um eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen. In der Diskussion wurden daher folgende
sozialpolitische Bedarfe besprochen:
1. Sicherheit in materieller und aufenthaltsrechtlicher Hinsicht, heißt z.B.
Existenzsicherung für EU-BürgerInnen und Bleiberecht für Flüchtlinge aus dem
ehemaligen Jugoslawien
2. Kostenlose Bildungsangebote (wie Deutschkurse, Berufsqualifizierung), die sich an der
realen Lebenswelt der Klienten orientieren und die oft zu hohen Zugangsbarrieren
abbauen.
3. Bindungssicherheit/verlässliche Strukturen, hierunter wurden folgende Punkte gefasst:
- Regelfinanzierung von Einrichtungen und Initiativen – anstelle der weit verbreiteten
Planungsunsicherheit durch Projektförderung.
- Parteiliche Haltung der PädagogInnen und ihr erzieherisches Verhalten schaffen
den verlässlichen Rahmen, in dem Kinder lernen und sich entwickeln können. Das
beinhaltet auch, dass PädagogInnen sich über kulturelle und historische
Hintergründe sowie konkrete Lebensbedingungen der Kinder informieren müssen,
um deren Verhalten und ihre Leistungsanstrengungen entsprechend
wahrzunehmen und würdigen zu können.
Resilienzförderung beinhaltet für uns vor allem ein Perspektivwechsel, nämlich Kinder nicht als das
zu sehen, was sie sein sollen, sondern als das, was sie sind. Damit eröffnete sich für uns eine
Erfolgsgeschichte, weil die kleinen Schritte wahrgenommen und gezählt werden. In diesem Sinne
wünschen wir allen, die mit benachteiligten Roma-Kindern arbeiten genau so viel Spaß und Erfolg,
wie wir hier in Amaro Kher erleben dürfen! Und bedanken uns bei allen TeilnehmerInnen des
Workshops für die anregende Diskussion.
Kontakt:
Ilona Obergfell: [email protected]