«Wow, was für ein Käse!» - Bergli Books

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Mittwoch, 25. Januar 2012 —
Der kleine
Finale
O-Ton
«Die meisten
Frauen von
heute sind keine
Rätsel mehr,
sondern nur
noch deren
Auflösung.»
«Wow, was für ein Käse!»
Die britische Gastrojournalistin Sue Style hat mit ungebremstem Entdeckerdrang
ein Buch über einen urschweizerischen Teil unserer Lebensart geschrieben.
Oskar Kokoschka
Tolldreister
Schelmenroman
Michel Bergmann, in Basel geboren, ist ein
Kind jüdischer Flüchtlinge, die sich in den
30er-Jahren im Schweizer Exil kennen
lernten, wo sie bis zur Geburt ihres Sohnes
1945 lebten. Er begann als Journalist,
wechselte in die Filmbranche und arbeitet
seither als Drehbuchautor für Kino und
Fernsehen. Mit seinem Romandebüt «Der
Teilacher» 2010 – in einem Alter, da andere
in Rente gehen – erfüllte er sich diesen
Traum, es gelang ihm ein grosser Wurf.
In seinem neuen, in den Jahren
1953/54 spielenden Roman «Machloikes» ( jiddisch für «Zoff», «Zwist») setzt
Bergmann unmittelbar an die erzählte
Zeit des Vorgängerbuchs an. Wieder ist
es ein Zeit- und Schelmenroman, reich
an jüdischem Humor, filmisch erzählt,
witzig, stark in den Dialogen, ein bis in
die hintersten Ecken hinein effektvoll
ausgeleuchtetes Alltags- und Sittengemälde. Der Roman spielt dort, wo heute
Bordells und Sexshops das Bild dominieren, im Frankfurter Bahnhofsviertel. Michel Bergmanns Alter Ego, der 15-jährige
Alfred, jobbt im Laden, um sich einmal
ein Rennrad kaufen und die angebetete
Juliette auf die Stange heben zu können.
Und auch Robert Fränkel ist wieder da,
die Berliner Stimmungskanone, ein begnadeter Witzerzähler, dessen Talent
sich selbst in Zeiten totaler Grossmaulerei entfaltet.
Im Frühjahr 1944 wird Fränkel aus
dem Konzentrationslager Sachsenhausen
geholt und in Heinz Frentzel umbenannt.
Er soll, darf und muss dem in Sachen Humor eher unterbelichteten Führer Nachhilfeunterricht geben, damit er dem starken italienischen Witzeerzähler Mussolini
bei Gelegenheit Paroli bieten kann. Ein
Jude soll Hitler das Witzeerzählen beibringen – wenn das kein gewagter Einfall
ist! Einen solchen erlauben kann sich nur
ein Autor, der sich nicht nur mit jüdischem Humor auskennt, sondern diesen
selbst auch beherrscht. Dass Fränkel am
Ende den Führer nur knapp verpasst oder
besser: der ihn, ist eines der letzten Geheimnisse der deutschen Geschichte, mit
gehöriger Chuzpe gelüftet von Michel
Bergmann. «Machloikes» ist ein tolldreister, turbulenter, virtuos erzählter Schelmenroman über die abenteuerlichen Anfänge jüdischen Lebens in Deutschland
nach dem Zweiten Weltkrieg.
Hajo Steinert
Michel Bergmann: Machloikes. Roman.
Arche, Hamburg 2011. 327 S, ca. 28 Fr.
Grenzenlose Vielfalt in Helvetien: Vom Polenta-Käse-Kuchen bis zum Cross-Over von nordafrikanischen Crèpes mit Tilsiter- und Rohschinken-Füllung. Marc Locatelli, Zürich
Andrea Bollinger
22 Kilogramm Käse konsumieren wir
Schweizer im Durchschnitt pro Person
in einem Jahr. Noch mehr essen weltweit nur noch die Italiener, die Franzosen und die Griechen. Die Exportschlager sind Emmentaler und Gruyère, und
die meisten Nichtschweizer kennen
hauptsächlich diese beiden «Golden
Oldies», wie sie die britische Gastrojournalistin Sue Style bezeichnet. Dabei
gibt es noch eine Menge weniger bekannte, aber ebenso schmackhafte Köstlichkeiten zu entdecken.
Ob alte Bekannte oder Preziosen aus
Kleinstbetrieben – der Käse hat es Sue
Style angetan. Die Britin lebt in einem
kleinen Elsässer Dorf, fühlt sich jedoch
der Schweiz, ihrem früheren Wohnsitz,
sehr verbunden. Bereits 1996 hat sie ein
Buch über Schweizer Koch- und Essgewohnheiten veröffentlicht, «A Taste
of Switzerland». In ihrem neuen Werk
konzentriert sich Style nun ausschliesslich auf Käse: «Cheese – Slices of Swiss
Culture» ist beim Basler Verlag Bergli
Books erschienen, der sich auf englischsprachige Bücher zu Schweizer Themen
spezialisiert hat. Eine deutsche Überset-
zung ist geplant, aber wer des Englischen einigermassen mächtig ist, kann
sich mit Gewinn in das Buch vertiefen,
das nicht nur durch spannenden, minutiös recherchierten Inhalt besticht, sondern auch durch eine Vielzahl wunderbarer Illustrationen – seien es fotografische Zeugnisse von Sue Styles Reisen zu
den Käseherstellern oder auch Reproduktionen von Bauernmalereien und
Scherenschnitten zum Thema Käseherstellung.
«Che Chaschöl» im Engadin
Die Autorin, die regelmässig Beiträge
für den Kulturteil der renommierten
«Financial Times» schreibt, besitzt die
Gabe, sorgfältig zusammengetragene
Informationen auf sehr unterhaltsame
Weise an ihre Leserschaft weiterzugeben. So ist «Cheese» nicht einfach eine
trockene Ansammlung von Fakten und
einigen Rezepten, sondern der Versuch,
Land, Leute und Lebensart zu erforschen sowie Traditionen und neue Entwicklungen nachzuzeichnen.
Sue Style hat für ihr Buch fast ein Jahr
recherchiert, ist mit einem Fotografen
kreuz und quer durch die Schweiz ge-
reist, hat eine Vielzahl von Käsereien
besucht, in den meist kleinen Familienbetrieben den Käsekünstlern über die
Schultern geschaut und keine Mühe gescheut, ein möglichst realistisches Bild
des Käsemachens wiederzugeben.
Mit Humor und ungebremstem Entdeckerdrang schildert sie ihre Erlebnisse, inklusive schwindelerregender
Fahrten in Gondeln auf abgelegene
Alpen. Im Gespräch schwärmt sie von
der Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Käser querbeet vom Berner
Oberland über die Romandie, vom Val
Piora im Tessin bis zur kleinen, feinen
Bioschafmilchkäserei im Engadin namens Che Chaschöl – übersetzt etwa
«Wow, was für ein Käse».
Alles beginnt mit Emmentaler
Das Eröffnungskapitel ist – wie sollte es
auch anders sein – dem Emmentaler gewidmet, dessen Herstellung Style in
einer Dorfkäserei im bernischen Oberhünigen aufmerksam verfolgt hat.
Anschliessend eröffnet sich im Buch die
erstaunliche Bandbreite alter und neuer
Käsesorten. Abgerundet wird das Ganze
durch Rezepte, vom Polenta-Käse-
Wie stellen Sie sich
Ihr Sterben vor?
Sie haben einmal an dieser Stelle
geschrieben, Sie stünden «mit dem
Tod auf Kriegsfuss». Wie stellen Sie
sich dann Ihr eigenes Sterben vor?
E. I.
Liebe Frau I.
Sich sein eigenes Sterben vorzustellen,
ist bekanntlich eine ausgesprochen
schwierige Angelegenheit. Es gibt ja so
viele Möglichkeiten. Wie soll man sich
Sue Style: Cheese – Slices of Swiss Culture.
Photographs by Nikos Kapelis. Bergli
Books, Basel 2011. 256 Seiten, Fr. 49.90.
Tagestipp Volksbühne Belp
Leser fragen
Peter Schneider,
Psychoanalytiker, beantwortet jeden Mittwoch
Fragen zur Philosophie
und Psychoanalyse des
Alltagslebens.
Kuchen bis zum gewagten kulinarischen
Crossover von nordafrikanischen
Crêpes mit Tilsiter- und RohschinkenFüllung.
Überall im Buch spürt man Sue Styles
Begeisterung darüber, wie wacker die
uralte Tradition des Käsemachens sich
gehalten hat und wie sich auch junge
Leute mit Sinn für
das Alte und Offenheit für Neues dieser recht harten
Arbeit widmen. Die
Hilfsmittel haben
sich dabei vom
«Chessi» bis zur
«Käseharfe»
im
Lauf der JahrhunSue Style.
derte kaum geändert haben. Die Autorin ist mit Leib und Seele in diese Welt
des Käses eingetaucht – in eine Welt, die
«aus einer anderen Zeit zu stammen
scheint» und die gleichzeitig «so aktuell» ist.
da entscheiden? Das Folgende stellte ich
mir jedenfalls schön vor: ein geräumiges
Spitaleinzelzimmer, weisse Bettwäsche,
das beruhigende, schwache, regelmässige Piepsen eines Überwachungsgerätes, eine Morphium-Infusion zum Selberdosieren (von wegen ich möchte
nicht an Schläuchen sterben – ohne
Schläuche sterben zu müssen, macht
mir Angst), eine satte Müdigkeit und
keine Schmerzen – ausser dem einen
natürlich: die Lieben, die mich vermissen werden, für immer zu vermissen.
Dagegen hilft das beste Opiat nichts.
Als Lektüre: Gedichte von Robert
Gernhardt oder Aphorismen von Lichtenberg oder Karl Kraus, weil die Konzentration für längere Texte nicht reicht.
(Hallo Leute, here I come, denke ich in
einem Anfall souveräner Albernheit beziehungsweise Eitelkeit.)
Auf dem Nachttisch liegt in Reichweite die Klingel, mit der ich die Krankenschwester rufen kann, am liebsten
die mit dem charmanten polnischen Ak-
zent, die mir, wenn sie mal ein bisschen
Zeit hat, von ihrer Enkelin in Krakau erzählt, die Medizin studiert (Medizin ist
in dieser Situation das Allergrösste) und
davon, wie sie als Kind noch zur Schwarzen Madonna von Tschenstochau gewallfahrtet war, bevor sie zum Unglauben konvertierte (so sind die Tröstungen
der heiligen Kirche erträglich), und die
mich zum Schluss ihrer Visite bittet, jederzeit wieder zu läuten, falls ich noch
etwas brauchte (ob ich wohl rauchen
mag und darf ?
Dann vielleicht einen Aschenbecher?). Wenn das Handy vibriert (kein
Krach mehr!), erkläre ich dem am anderen Ende der drahtlosen Verbindung,
dass ich keine Zeit für irgendetwas hätte,
weil ich sterben müsse.
Nein, keine Ahnung, wie lange das
noch dauern wird, aber von mir aus gern
noch ein bisschen länger. Alkohol ohne
Essen schmeckt leider nicht, aber Hunger habe ich kaum. Das Nötigste kriege
ich per Infusion. Wenn es unbedingt
sein muss, dann halt ein Katheter, aber
vielleicht fände ich wider Erwarten Windeln angenehmer.
Ein ausgesprochen unangenehmer
Gedanke (oder nur ausgesprochen ein
unangenehmer?), aber wer weiss so etwas schon im Voraus? Jedenfalls möchte
ich Ihnen keine Umstände machen! Ach
woher denn, antwortet meine nette
Krankenschwester. Danke, sage ich und
Fragen an: [email protected]
Aus zeitlichen Gründen können leider nicht
alle Anfragen beantwortet werden.
schlafe ein, während sie noch ein bisschen an mir herumhantiert. Und beim
Wegdämmern hoffe ich, dass ich nicht
vor Schreck aufwache, wenn das Piepsen unregelmässig wird.
Ich glaube, ich werde mir meine
eigene Kolumne ausschneiden und als
Patientenverfügung fortan mit mir herumtragen.
Loriot gibt sich in
18 Sketches die Ehre
Eine Eheberatung und ein Fernsehabend,
ein sprechender Hund und eine weisse
Maus, zwei Herren im Bad und ein Lottogewinner. Das kann nur Loriot sein. Nach
2002 und 2003 präsentiert die Gürbetaler Volksbühne Belp wieder 18 dramatische Werke des kürzlich verstorbenen
Komikgrossmeisters. (klb)
Heute Mittwoch, 20 Uhr, Aaresaal des
Dorfzentrums, Belp.