Reutlinger General-Anzeiger vom 04.03.2011 Seite: Ressort: Ausgabe: Gattung: Auflage: Reichweite: 4 bis 4 BADEN-WÜRTTEMBERG Gesamtausgabe Tageszeitung 43.503 (gedruckt) 40.571 (verkauft) 42.535 (verbreitet) 0,14 (in Mio.) Studie - Verständlichkeitstest der Universität Hohenheim zeigt: Das Wahlprogramm der CDU ist am einfachsten, das der FDP am schwierigsten zu verstehen Was wollen die uns sagen? VON CLAUDIA HAILFINGER HOHENHEIM. Was ist das »Konnexitätsprinzip« oder die »Flächenproduktivität«? Schon mal was von »Weiterbildungsbeteiligungsquote« gehört? Nicht? Dann geht es Ihnen wie vielen, die sich mit den Wahlprogrammen der Parteien beschäftigen und sie zu verstehen versuchen. In jenen Schriften wollen Parteien ihre Grundsätze darlegen und die angestrebten Ziele kundtun. Der Zweck dieser Bemühungen ist klar: Sie sollen den Leser überzeugen und ihn dazu bringen, das Kreuzchen an der richtigen Stelle zu machen. Dumm nur, wenn kaum ein Laie in der Lage ist, die Botschaften der Parteien zu entschlüsseln. Dabei lohnt es sich mehr denn je, um die Gunst der Wähler zu kämpfen, weiß Frank Brettschneider: »Der Wähler will viel stärker überzeugt werden, als früher. Die Zahl der Stammwähler nimmt ab«. Zusammen mit einem Forschungsteam hat er die Verständlichkeit der Wahlprogramme all jener Parteien untersucht, die sich für die Landtagswahl in Baden-Württemberg empfehlen. 90 Wörter in einem Satz Zur Analyse wurde eine Software eingesetzt, die konkrete Merkmale eines Textes misst. Etwa Wort- und Satzlänge. Sie spürt aber auch nicht erklärte Fachund Fremdwörter auf. Aus den einzelnen Kriterien haben die Forscher den »Hohenheimer Verständlichkeitsindex« erstellt. Der bewegt sich zwischen den Werten 0 für »völlig unverständlich«, und 20, für »sehr verständlich«. Ein besonders gutes Bild bei der Langfassung der Wahlprogramme gab laut Studie die CDU ab. Sie erreichte einen Indexwert von 11,2. »Das entspricht etwa dem Schwierigkeitsgrad eines Artikels im Nachrichtenmagazin ›Der Spiegel‹«, veranschaulicht Brettschneider das Ergebnis. Ganz anders sieht es hingegen beim Programm der FDP aus. Mit einem Indexwert von 4,6 liegt es nur knapp über der durchschnittlichen Verständlichkeit politikwissenschaftlicher Doktorarbeiten. Erfreulicher gestalten sich die Kurzversionen der Wahlprogramme. Die Grünen schaffen es darin sogar, so deutlich wie ein durchschnittlicher Artikel im Politikteil der Bild-Zeitung zu werden. Ein besonderes Kunststück gelang der FDP in ihrem Programm: Der längste Satz umfasst hier stolze 90 Wörter. Auch was den Gebrauch von Fremdwörtern und Fachbegriffen angeht, macht es besonders das FDP-Programm seinen Lesern schwer. Wie die Studie weiter zeigt, beherrschen es außerdem alle Parteien, durch zusammengesetzte Einzelworte regelrechte Wortungetüme zu errichten. »Landes-Ausbildungsplatzumlagegesetz« oder »Hochwasserrisikomanagementpläne« sind nur zwei der unrühmlichen Ausfälle. Besonders oft schlichen sich die schwierigen Worte in Fachpassagen etwa zur Steuer-, Energie-, oder Wirtschaftspolitik ein, erklärt Brettschneider. »Das hängt damit zusammen, dass diese Texte häufig von den Leitern der Expertengruppen verfasst werden, Wörter: 563 Urheberinformation: (c) 2011 Reutlinger General-Anzeiger © 2011 PMG Presse-Monitor GmbH die es gewohnt sind, in ihrer Fachsprache zu formulieren«, erläutert er. Dass aber auch schwierige Sachverhalte mit einfachen Worten wiedergegeben werden können, würde der parteiübergreifende Vergleich zeigen. Bei der Stuttgart-21-Debatte sei etwa häufig die Rede von »Überwerfungsbauwerken« gewesen. Gemeint gewesen seien »Brücken«. »Warum sagt man das nicht einfach«, wundert sich der Wissenschaftler. Politische Sprache bleibt komplex Wenig überraschend ist es, dass alle Parteien in ihren Programmen häufig von »Baden-Württemberg« sprechen. Interessanter ist dagegen die Feststellung, dass SPD, FDP, Linke und insbesondere die Grünen in ihren Programmen häufig »mehr« fordern, wobei die Linken und die Grünen das Wort gerne mit dem Zusatz »müssen« versehen. Die Linke erwähnt besonders oft sich selbst. Über Jahre hinweg beobachtet Frank Brettschneider nun das Feld der politischen Kommunikation. Eine Veränderung in deren Komplexität kann er nicht feststellen. Die hält er aber für dringend notwendig: »Gerade dann, wenn man, wie die großen Parteien, breite Bevölkerungsschichten ansprechen will, muss man verständlich bleiben.« Hier könne man nicht von einer hohen formalen Bildung und einem ausreichenden Vorwissen ausgehen. Für ihn steht fest: »Wer nicht verstanden wird, kann auch nicht überzeugen«. (GEA)
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