Was wollen die uns sagen? - Universität Hohenheim

Reutlinger General-Anzeiger vom 04.03.2011
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4 bis 4
BADEN-WÜRTTEMBERG
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Studie - Verständlichkeitstest der Universität Hohenheim zeigt: Das Wahlprogramm der CDU ist am einfachsten,
das der FDP am schwierigsten zu verstehen
Was wollen die uns sagen?
VON CLAUDIA HAILFINGER
HOHENHEIM. Was ist das »Konnexitätsprinzip« oder die »Flächenproduktivität«? Schon mal was von »Weiterbildungsbeteiligungsquote« gehört? Nicht?
Dann geht es Ihnen wie vielen, die sich
mit den Wahlprogrammen der Parteien
beschäftigen und sie zu verstehen versuchen.
In jenen Schriften wollen Parteien ihre
Grundsätze darlegen und die angestrebten Ziele kundtun. Der Zweck dieser
Bemühungen ist klar: Sie sollen den
Leser überzeugen und ihn dazu bringen,
das Kreuzchen an der richtigen Stelle zu
machen. Dumm nur, wenn kaum ein
Laie in der Lage ist, die Botschaften der
Parteien zu entschlüsseln.
Dabei lohnt es sich mehr denn je, um
die Gunst der Wähler zu kämpfen, weiß
Frank Brettschneider: »Der Wähler will
viel stärker überzeugt werden, als früher. Die Zahl der Stammwähler nimmt
ab«. Zusammen mit einem Forschungsteam hat er die Verständlichkeit der
Wahlprogramme all jener Parteien
untersucht, die sich für die Landtagswahl in Baden-Württemberg empfehlen.
90 Wörter in einem Satz
Zur Analyse wurde eine Software eingesetzt, die konkrete Merkmale eines Textes misst. Etwa Wort- und Satzlänge.
Sie spürt aber auch nicht erklärte Fachund Fremdwörter auf. Aus den einzelnen Kriterien haben die Forscher den
»Hohenheimer Verständlichkeitsindex«
erstellt. Der bewegt sich zwischen den
Werten 0 für »völlig unverständlich«,
und 20, für »sehr verständlich«.
Ein besonders gutes Bild bei der Langfassung der Wahlprogramme gab laut
Studie die CDU ab. Sie erreichte einen
Indexwert von 11,2. »Das entspricht
etwa dem Schwierigkeitsgrad eines Artikels im Nachrichtenmagazin ›Der Spiegel‹«, veranschaulicht Brettschneider
das Ergebnis. Ganz anders sieht es hingegen beim Programm der FDP aus. Mit
einem Indexwert von 4,6 liegt es nur
knapp über der durchschnittlichen Verständlichkeit politikwissenschaftlicher
Doktorarbeiten.
Erfreulicher gestalten sich die Kurzversionen der Wahlprogramme. Die Grünen schaffen es darin sogar, so deutlich
wie ein durchschnittlicher Artikel im
Politikteil der Bild-Zeitung zu werden.
Ein besonderes Kunststück gelang der
FDP in ihrem Programm: Der längste
Satz umfasst hier stolze 90 Wörter.
Auch was den Gebrauch von Fremdwörtern und Fachbegriffen angeht, macht es
besonders das FDP-Programm seinen
Lesern schwer.
Wie die Studie weiter zeigt, beherrschen es außerdem alle Parteien, durch
zusammengesetzte Einzelworte regelrechte Wortungetüme zu errichten.
»Landes-Ausbildungsplatzumlagegesetz« oder »Hochwasserrisikomanagementpläne« sind nur zwei der unrühmlichen Ausfälle. Besonders oft schlichen
sich die schwierigen Worte in Fachpassagen etwa zur Steuer-, Energie-, oder
Wirtschaftspolitik ein, erklärt Brettschneider. »Das hängt damit zusammen,
dass diese Texte häufig von den Leitern
der Expertengruppen verfasst werden,
Wörter:
563
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die es gewohnt sind, in ihrer Fachsprache zu formulieren«, erläutert er.
Dass aber auch schwierige Sachverhalte
mit einfachen Worten wiedergegeben
werden können, würde der parteiübergreifende Vergleich zeigen. Bei der
Stuttgart-21-Debatte sei etwa häufig die
Rede von »Überwerfungsbauwerken«
gewesen. Gemeint gewesen seien
»Brücken«. »Warum sagt man das nicht
einfach«, wundert sich der Wissenschaftler.
Politische Sprache bleibt komplex
Wenig überraschend ist es, dass alle
Parteien in ihren Programmen häufig
von »Baden-Württemberg« sprechen.
Interessanter ist dagegen die Feststellung, dass SPD, FDP, Linke und insbesondere die Grünen in ihren Programmen häufig »mehr« fordern, wobei die
Linken und die Grünen das Wort gerne
mit dem Zusatz »müssen« versehen. Die
Linke erwähnt besonders oft sich selbst.
Über Jahre hinweg beobachtet Frank
Brettschneider nun das Feld der politischen Kommunikation. Eine Veränderung in deren Komplexität kann er nicht
feststellen. Die hält er aber für dringend
notwendig: »Gerade dann, wenn man,
wie die großen Parteien, breite Bevölkerungsschichten ansprechen will, muss
man verständlich bleiben.« Hier könne
man nicht von einer hohen formalen Bildung und einem ausreichenden Vorwissen ausgehen. Für ihn steht fest: »Wer
nicht verstanden wird, kann auch nicht
überzeugen«. (GEA)