Die Macht des guten Erzählers

WirtschaftsWoche vom 04.09.2015
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Guldner, Jan
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STORYTELLING
Die Macht des guten Erzählers
Viele CEOs setzen auf die Macht von Geschichten, um Mitarbeiter zu motivieren und Investoren
zu begeistern. Warum sie uns damit so fesseln.
Für seinen Modegeschmack war Steve
Jobs, der verstorbene Apple-Gründer,
nie bekannt. Deshalb hatte er sich auch
im Jahr 2007 nicht besonders herausgeputzt, als er das iPhone vorstellte immerhin ein Gerät, das die Art, wie wir
kommunizieren, tief greifend verändern
sollte. Schwarzer Rollkragenpullover,
die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, den Bund lose in den Saum
seiner ausgewaschenen blauen Jeans
gestopft, randlose Brille im Gesicht und
an den Füßen ausgetretene, helle Turnschuhe. Jobs protzte lieber an anderer
Stelle: mit seinen Worten.
Sein vielleicht größtes Talent lag darin,
seine Visionen so zu verpacken, dass
daraus ein fesselnder Plot entstand.
Auch bei der iPhone-Präsentation.
Anstatt seine Zuhörer mit technischen
Superlativen zu erschlagen und von
Zwei-Megapixel-Kameras und 3,5-ZollMultitouch-Displays zu schwadronieren,
erzählte er ihnen stattdessen lieber eine
Geschichte.
Er spann einen roten Faden durch die
Historie des Konzerns; knüpfte ihn an
vergangene, einflussreiche Produkte wie
Mac und iPod; wickelte ihn um die früheren Siege. Bis nur noch ein logischer
Schluss möglich war: "Wir bei Apple
verändern schon immer die Welt. Und
dieses Telefon ist der nächste Schritt."
Die Organisationsforscher Abz Sharma
und David Grant von der Universität
Sydney haben Jobs' Storytelling-Fähigkeiten genauer untersucht. "Er nutzte
das Geschichtenerzählen als mächtiges
Überzeugungsinstrument", schreiben sie
in ihrer Analyse.
So wie der verstorbene Apple-Chef setzen mittlerweile viele CEOs auf die
Macht von Geschichten, um Mitarbeiter
anzutreiben, Anleger zu überzeugen
oder ihr Bild in der Öffentlichkeit zu
gestalten. Als der Schwede Ingvar Kamprad, Gründer des Möbelherstellers
Ikea, den Mitarbeitern seine Idee des
Unternehmens näherbringen wollte,
schrieb er seine eigene Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Lebensgeschichte
auf 80 Seiten nieder - gewissermaßen
als Vorbild und Inspiration für die
Angestellten. Elon Musk, CEO des
Elektroautoherstellers Tesla und des
Raumfahrtunternehmens SpaceX,
umgarnt die Investoren angesichts der
aktuell wenig beeindruckenden
Geschäftszahlen lieber mit seinen Visionen. Er zeichnet ihnen ein Bild von
einer Zukunft, in der seine Elektroautos
das Klima auf der Erde retten, während
die Menschheit nach und nach in seinen
Raketen den Mars besiedelt.
Diese Beispiele zeigen, was den Charme
eines guten Erzählers ausmacht: Er gibt
vermeintlich schnöden Fakten und einzelnen Ereignissen einen tieferen Sinn,
indem er sie in eine Handlung einbettet,
die genau auf die Bedürfnisse der Zuhörer zugeschnitten ist - und das Publikum bewegt zurücklässt.
EIN LEBEN LANG
Das Prinzip dahinter funktioniert schon
seit Jahrtausenden. "Das Erzählen von
Geschichten ist die älteste Kulturtechnik, um Sinnzusammenhänge zu vermitteln", sagt Jürgen Weibler, Professor für
Personalführung an der Fernuniversität
Hagen. Der Ökonom und Psychologe
hat sich in seiner Forschung mit Storytelling als Führungsqualität befasst.
"Eine gute Geschichte stiftet aber nicht
nur Sinn", sagt Weibler, "sie berührt
auch emotional." Das weckt bestenfalls
Erinnerungen und Gefühle - und sorgt
dafür, dass die Geschichten im Kopf
bleiben.
Aber was macht sie für ihre Zuhörer so
überzeugend? Und warum reagieren fast
alle Menschen so stark auf Erzählungen? Der amerikanische Literaturwissenschaftler Jonathan Gottschall vom
Washington & Jefferson College würde
sagen: weil sie nicht anders können. Er
sieht den Menschen als "storytelling animal", als geschichtenerzählendes Tier.
Von klein auf hören, sehen und lesen
wir Geschichten. Durch Märchen lernen
wir als Kinder den Unterschied zwischen Gut und Böse; erfinden Fantasiewelten und erzählen dort eigene Legenden; sehen in Häppchen verpackte
Erzählungen in Fernsehserien. Als
Erwachsene tauschen wir Klatsch und
Tratsch oder lauschen den Anekdoten
von Politikern und Unternehmern in den
Nachrichten.
REAKTION IM GEHIRN
Unser Leben, glaubt Gottschall, ist derart von Geschichten bestimmt, dass er
sie als die definierende Eigenschaft
unserer Spezies versteht. Statt des Homo
sapiens sieht er im Menschen den Homo
fictus, den großen Primaten mit dem
geschichtenerzählenden Geist.
Und tatsächlich: Wenn wir Geschichten
hören, reagiert unser Gehirn anders, als
wenn wir bloß ein Balkendiagramm
oder eine Tabelle betrachten. Und diese
unterschiedlichen Reaktionen können
Wissenschaftler mittlerweile sogar im
Gehirn nachverfolgen.
Dort bilden das Wernicke-Zentrum und
das Broca-Areal das Sprachzentrum,
zusammen verarbeiten sie Satzbau, Aussprache und Tonalität. Bei langweiligen
Vorträgen werden nur diese Regionen
aktiviert. Wenn aber konkrete, sinnliche
Wörter in Geschichten verwendet werden, spiegelt sich das auch im Kopf der
Zuhörer wider.
Forscher um den spanischen Psychologen Julio González Álvarez von der
Universität Castellón wiesen diese Wirkung im Jahr 2006 mit Bildgebungsverfahren nach. Hörten Probanden vermeintlich nüchterne Wörter wie Schlüssel oder Stuhl, aktivierte sich nur ihr
Sprachzentrum. Bei sinnlicheren Wörtern wie Zimt oder Kaffee sprang im
Gehirn der Freiwilligen zusätzlich auch
das olfaktorische Zentrum an, das Gerüche erkennt und verarbeitet.
Eine ähnliche Studie untersuchte den
Effekt von Bewegungswörtern und kam
zu einem ebenso verblüffenden Ergebnis: Wer davon hört, einen Ball zu treten oder ein Objekt zu greifen, in dessen Gehirn wird gleichzeitig das motorische Zentrum aktiviert.
Das Gleiche gilt für Metaphern, wie der
Neurologe Krish Sathian von der amerikanischen Emory-Universität herausfand. Er spielte seinen Probanden statt
einzelner Wörter Sprachbilder wie
"ledrige Haut" oder "samtige Stimme"
vor und überwachte dabei ihre Hirnaktivitäten. Wieder wurden neben dem
Sprachzentrum die für den Tastsinn
zuständigen Areale aktiviert.
Unser Denkapparat unterscheidet also
kaum zwischen der Ausführung einer
Handlung und dem Nachdenken über
selbige. Wer seine Botschaft mit einer
besonders anschaulichen Geschichte
vermittelt, kann sie so tief im Geist der
Zuhörer verankern. Auch Wirtschaftsführer sollten diese Technik nutzen, findet Frank Brettschneider.
"Geschichten entsprechen unseren Hörgewohnheiten viel eher als zahlenlastige Vorträge", sagt der Inhaber des
Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft der Universität Hohenheim. Auf
deutschen Chefetagen setzt sich diese
Erkenntnis allerdings nur langsam durch
- zum Verdruss von Aktienbesitzern auf
Hauptversammlungen oder Journalisten
bei Bilanzpressekonferenzen.
Brettschneider untersucht regelmäßig,
wie verständlich die Reden von DaxVorständen bei den jährlichen Treffen
sind, und bewertet sie nach vergleichbaren Formkriterien. Nutzt ein CEO zum
Beispiel sehr lange Schachtelsätze, die
vor Fremdwörtern oder Passivkonstruktionen nur so strotzen, bekommt er
weniger Punkte als ein Vorstand, der
sich kurz fasst und klar und deutlich
ausdrückt. Die ersten drei Plätze auf
dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex belegten in diesem Jahr Timotheus
Höttges (Deutsche Telekom), Norbert
Reithofer (damals BMW) und Ulf
Schneider (Fresenius).
Zwar tauchen immer noch Satzungetüme in den Manuskripten auf, aber die
meisten Topmanager drückten sich seit
einigen Jahren wesentlich verständlicher aus, sagt Brettschneider. Gegenbeispiele waren bei den vergangenen
Hauptversammlungen wie schon in den
Vorjahren vor allem die scheidenden
CEOs Michael Diekmann (Allianz) und
Reto Francioni (Deutsche Börse).
Den Rekord für den längsten Satz hält
aktuell E.On-Chef Johannes Teyssen mit 62 Wörtern.
Bereit? Los geht's: "Die Gründung von
E.On als offensive Antwort auf die
Liberalisierung der europäischen Energiemärkte, die Auflösung der überkommenen Konglomerats-Struktur mit
einem 100-Milliarden-Euro-Programm
aus Beteiligungsverkäufen und - erwerben, die Fokussierung auf das Energiegeschäft und dessen entschlossener
europäischer Ausbau, die Übernahme
von Ruhrgas, um die Grenzen zwischen
Strom- und Gasgeschäft zu überwinden
- immer haben wir die Kraft gehabt, uns
neu aufzustellen, wenn die Zeit dies
erforderte."
Keine weiteren Fragen.
KAUDERWELSCH STATT KLARTEXT
Die wesentlichen Verständlichkeitshürden sind nach Angaben von Brettschneider Bandwurmsätze, abstrakte Begriffe,
zusammengesetzte Wörter und nicht
erklärte Fachbegriffe: "Zusammengenommen ergibt sich dann Kauderwelsch statt Klartext." Neben den formalen
Kriterien empfiehlt der Kommunikationswissenschaftler aber, wenn möglich
auch anschauliche Elemente in die
Geschichte einzubauen.
Einige Forscher haben mittlerweile auch
eine evolutionäre Rechtfertigung für
unsere Neigung zur Narration entdeckt.
Geschichten waren schon früh ein Mittel, um wichtige Informationen innerhalb von Jäger-und-Sammler-Gruppen
zu vermitteln. "Verglichen mit einfachen Gesten und Geräuschen transportieren Geschichten mehr Emotionen",
sagt der Psychologe Charlie Yang von
der Southern-Connecticut-State-Universität, "dadurch können sie mehr Informationen verständlich rüberbringen."
Dazu kommt, dass gute Geschichten
keine alltäglichen Inhalte haben, sondern von besonderen Herausforderungen handeln. Wer sich durch die Story
bereits mental mit einer solchen Situation auseinandergesetzt hat, ist auf den
Ernstfall besser vorbereitet. Flugsimula-
tor-Effekt nennt das der Psychologe
Keith Oatley von der Universität
Toronto. Wer die besseren Geschichten
erzählte, konnte schon zur Zeit unserer
Vorfahren Angaben über Feinde oder
Jagdgründe besser vermitteln oder sich
mental besser darauf vorbereiten - und
dessen Gene, so scheint es, setzten sich
langfristig durch.
HERZEN GEWINNEN
Wie aber können Manager diese fest
verdrahtete Faszination für ihre eigenen
Zwecke ausnutzen? Für Christian Riedel wäre es schon mal ein Anfang, überhaupt in Geschichten zu denken. "Im
Wirtschaftsleben wird das Wissen um
deren Kraft kaum genutzt", sagt der
Kommunikationsberater. Eine
Geschichte muss für ihn vor allem eines
schaffen: Emotionen wecken. "Wenn
ich um Verständnis für eine Entscheidung werben will, muss ich meine
Zuhörer zum Mitfühlen bringen", sagt
Riedel. Und das geht eben nicht ohne
eine gute Geschichte. Das zeigt auch ein
Experiment des US-Hirnforschers Paul
Zak von der Claremont-Graduate-Universität, der dafür vor einigen Jahren
eine wissenschaftliche Erklärung fand.
Er spielte seinen Versuchsteilnehmern
ein Video vor, auf dem ein Mann mit
seinem zweijährigen Sohn zu sehen ist.
"Ben stirbt", sagt der Vater, während der
Sohn im Hintergrund spielt. Der Junge
leidet an einem Hirntumor und hat nur
noch wenige Monate zu leben. Der
Vater schildert, wie schwer es für ihn
ist, trotz dieses Wissens noch unbefangen mit seinem Sohn Spaß zu haben. Es
ist eine berührende Erzählung, die die
Probanden zu tiefem Mitgefühl bewegt.
Sie versetzen sich in die Lage des
Vaters und teilen seine Emotionen.
Und das spiegelt sich auch in ihrer Hirnchemie wider, wie Zak herausfand genauer gesagt in der Ausschüttung des
Hormons Oxytocin. Menschen mit
höherem Oxytocin-Spiegel vertrauen
leichter, sind großzügiger und empathischer. Genau darauf zielen die großen
Erzähler der Wirtschaft.
"Wenn Mitarbeiter mit Elan, Freude und
Kreativität bei der Arbeit sein sollen,
dann geht das nicht mit Druck", sagt
Christian Riedel. "Man muss ihre Herzen gewinnen." Und der schnellste Weg
dorthin führt immer über eine gute
Geschichte.
+++++++++++ TIPPS FÜR GUTE
GESCHICHTEN +++++++++++
Vorbilder.
Die meisten erfolgreichen Bücher funktionieren nach dem Prinzip der Helden-
reise. Denken Sie an die großen Abenteuer, von Odysseus' Irrfahrten bis zum
"Herrn der Ringe". Die Helden haben
ein großes Ziel, doch dem stehen
scheinbar unüberwindbare Hindernisse
gegenüber. Dieser Kampf erzeugt Spannung.
Erlebnisse.
Wann waren Sie zuletzt ratlos? Wann
mussten Sie eine mutige Entscheidung
treffen? Wann haben Sie gemerkt, dass
etwas funktioniert? Erinnern Sie sich
nicht nur an die Fakten, sondern auch an
Wörter:
Urheberinformation:
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Ihre Gefühle in der Situation. Besonders passend sind negative Erinnerungen mit positivem Ausgang.
Authentizität.
Geschichten vom Scheitern sorgen beim
Publikum für stärkere Emotionen - vor
allem, wenn Sie sie tatsächlich selbst
erlebt haben. Die meisten Menschen
haben ein feines Gespür dafür, ob sich
jemand verstellt. Eine frei erfundene
Geschichte kann daher eher schaden,
weil sie das Vertrauen untergräbt.
Sensibilität.
Setzen Sie Ihre Geschichten dosiert und
vor allem gezielt ein. In einer Telefonkonferenz mit Finanzinvestoren müssen
die Zahlen stimmen, eine Geschichte
kann da ablenken. Auch komplizierte
Geschäftsentscheidungen werden durch
zu große Emotionalisierung nicht leichter.
jan guldner |[email protected]
ZITATE FAKTEN MEINUNGEN
Den Rekord für den längsten Satz hält
E.On-Chef Teyssen: mit 62 Wörtern
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