Tageslesungen für die Fastenzeit 2016 Montag der ersten Fastenwoche Begrenzungen lösen sich auf im Angesicht des Glaubens. Die Liebe verweist sie auf eine tiefere Ebene der Wirklichkeit, sodass wir trotz unserer Grenzen im Leben weit ausgreifen können. Die Geduld führt uns zu einer anderen Erfahrung von Zeit und lässt uns spüren, wie die Zukunft aus der Gegenwart entsteht. Aufgrund neuester Entdeckungen wandelt sich gerade jetzt unsere Sicht des Universums, weil soeben gefunden wurde, wonach die Wissenschaftler suchten, seit Einstein seinen kleinen Anteil an der Wirklichkeit erahnt hatte – mit einer tiefen Einfachheit, die die wenigsten seiner Zeitgenossen vor hundert Jahren verstehen konnten. Wir haben Gravitationswellen gefunden. Jetzt erkennen wir, was wir gesucht haben, denn wir können ihre Spuren bis an die letzte Grenze zurückverfolgen, an den Ursprung von Zeit und Raum, an den Big-Bang selbst. Ebenso wie spirituelle Erkenntnis, führen uns die Entdeckungen der Wissenschaft stets zu neuen Fragen und eröffnen neue Grenzgebiete. St Gregor von Nyssa und der Autor der Paulusbriefe nannten das 'epiktasis' – die Grenzen der Erkenntnis immer weiter hinaus schieben. „Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist.“ (Phil 3:13) Das klingt wie eine ewige Quelle der Hoffnung, und das ist es auch. Aber es ist kein Wunschdenken. Wie Francis Bacon, einer der Begründer der modernen Wissenschaft, sagte, ist die Erfahrung der beste Beweis. Die Zielmarke, das, wonach wir uns immer weiter ausstrecken, weicht davor zurück und entzieht sich dem Versuch unserer linken Gehirnhälfte, sie zu ergreifen und in einen Begriff zu fassen, in ein Bild der Wirklichkeit, in ein Stück gespeicherte Information. Aber die rechte Gehirnhälfte in ihrer beständigen Frische erkennt sie – stets uralt und doch stets neu – und es genügt ihr, zu erkennen, ohne einen Namen zu geben. Wir beginnen zu meditieren mit einer tiefen und einfachen Ahnung der Wirklichkeit, die uns sicher macht, dass es ein inneres Universum gibt, das sich ausdehnt: das Reich Gottes in uns, die Höhle des Herzens, der winzige Raum, der alles enthält, was existiert. Im unendlich Kleinen erheben wir uns zum unendlich Großen. In der tiefsten Innerlichkeit überwinden wir die Grenze zwischen innen und außen. Wenn sich ein Beweis dafür findet, dann nicht durch Rechnen oder Messen, sondern durch eine andere Art von Erfahrungswissen. Unser eigener Geist allein kann dieses Wissen nicht erlangen. Aber die Wildnis, die begriffliche Wüste des Schweigens, macht uns für diese Erkenntnis bereit. Wir erkennen, was der Geist Christi erkennt, denn es ist sein Wille, alles mit uns zu teilen, was er vom Vater gelernt hat. Die Fastenzeit bedeutet nichts weniger als zu lernen, wie wir besser im Geist Christi leben können, der sich stets ausdehnt und alles einschließt. Laurence Freeman OSB Übersetzung: Christiane Floyd
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