WAS WIRTSCHAFT TREIBT _YAHOO! - Brand Eins

WAS WIRTSCHAFT TREIBT _YAHOO!
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BRAND EINS 07/02
WAS WIRTSCHAFT TREIBT
Yahoo,
es
geht
weiter!
Text: Steffan Heuer Foto: Sascha Pfläging
Es begann in einer chaotischen Krabbelstube.
Dann folgte eine harte Schule.
Nun soll Yahoo erwachsen werden.
Mit allem, was dazugehört.
Zum Beispiel, regelmäßig Geld zu verdienen.
Dazu braucht man aber einen richtigen Job.
Wie wäre es mit Informationshändler?
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- - - - - Wie soll man diese Zahlen interpretieren? Da schreibt
Yahoo, das bekannteste Portal des Webs, zum ersten Mal seit
anderthalb Jahren schwarze Zahlen und erhöht gleich seine
Gewinnerwartungen für dieses und das nächste Jahr. Der von
der Rezession verwüstete Anzeigenmarkt zeige, so heißt es, erste
Zeichen der Erholung. Und noch mehr Positives gibt es zu vermelden: Mittlerweile habe Yahoo fast eine Million zahlender Kunden. Doch wer sich die Erfolgsmeldung vom Juli genauer ansieht,
entdeckt auch einige Probleme. Die Zahl der registrierten YahooNutzer stagnierte zum ersten Mal, die der Besucher ging sogar
zurück, Yahoos Kerngeschäft schrumpfte. Der Wachstumsschub
ist das Ergebnis dreier Neuheiten: Stellenanzeigen, bezahlte Suchergebnisse und Sonderdienste rund um die Fußball-WM.
Die Wall Street machte sich ihren Reim darauf und hält den
Kurs des Unternehmens weiter im Kellergeschoss der Börse, in
dem auch die anderen Internetfirmen und Medienkonzerne wie
AOL TimeWarner oder Disney untergebracht sind. Besonders
ärgerlich muss das für Terry Semel sein. Der ehemalige Boss eines
Hollywood-Studios übernahm im Mai 2001 den Chefsessel bei
Yahoo und kaufte als Solidaritätsbekundung privat eine Million Aktien zum Kurs von 17,62 Dollar. Seitdem hat er auf dem Papier
rund sechs Millionen Dollar verloren. Sonderlich schmerzen wird
ihn dieser Verlust allerdings kaum – Semel ist Multimillionär.
Die anhaltende Krisenstimmung hat sich auch auf die Mitteilungsfreude der früher als weltoffen bekannten Firma ausgewirkt.
Bei Yahoo USA wollte sich niemand zu den Aussichten und
Absichten im Jahr zwei nach dem Dotcom-Crash äußern. Zur
turnusmäßigen Konferenz für Internetfirmen, die die InvestmentBank Piper Jaffray Anfang August in Boston veranstaltete, erschien
Yahoo gar nicht und überließ eBay, Amazon und Konkurrenten
wie den Suchmaschinen-Anbietern LookSmart oder Overture das
Feld. „Sie sagen, sie wollen sich als Medienunternehmen in der
gleichen Klasse wie Fernseh-Networks oder Verlagskonglomerate
darstellen und nicht mit Internetfirmen in einen Topf geworfen
werden“, erklärt ein regelmäßiger Teilnehmer die Absage. „Aber
das ist eine schwache Ausrede.“
Dabei muss sich Yahoo nicht verstecken. Analysten und Branchenkenner, die in den Trümmern anderer Online-Flops herumstochern – etwa bei America Online, Vivendi und anderen von
Synergie-Träumen und Fehlentscheidungen gezeichneten Unternehmen – sehen den Portal-Pionier auf relativ stabilem Kurs aus
dem Tief. „Der Friedhof ist voller, als es den meisten Leuten
bewusst ist“, sagt der Harvard-Professor Jan Rivkin, dessen Fallstudie über Yahoo aus dem Jahr 1999 immer noch eine gefragte
Lektüre für MBA-Studenten ist, die lernen wollen, wie man Dinge
online richtig macht. „Die Sterblichkeit in der Branche ist nichts
Außergewöhnliches, schließlich haben wir es immer noch mit
einer jungen Industrie zu tun“, sagt Rivkin. Insofern sei es schon
eine Leistung, dass Yahoo überlebt habe. Aber: „Das hat nicht nur
mit Glück und dem berühmten Vorteil des First Mover zu tun.
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Yahoo hatte im Gegensatz zu anderen Firmen von Anfang an
eine klare Vision von dem gehabt, was es sein will und wie die
Strategie auf dem Weg dorthin aussieht.“ Rivkin glaubt, dass
Yahoo nach wie vor ein gut geführtes Internet-Unternehmen ist,
das den Portal-Gedanken aus den grenzenlos optimistischen neunziger Jahren in die realistischere Gegenwart gerettet hat.
Yahoos Überleben hängt inzwischen von einer Gratwanderung
ab. Seine 196 Millionen Besucher (2. Quartal 2002) müssen einerseits in den Dschungel kostenloser Informationen gelockt werden,
um die Werbewirtschaft zu befriedigen. Andererseits soll das nur
ein Vorspiel für gebührenpflichtige Services sein. Kleinanzeigen,
Heiratswünsche oder Stellengesuche? Bitte hier zahlen! Extra Speicherplatz für eMails oder digitale Fotoalben? Bitte dort anstellen!
Fußball-Ergebnisse aufs Handy? Die Kreditkartennummer bitte!
Bislang hat Yahoo erst eine verschwindende Minderheit seiner
83 Millionen aktiven Nutzer dazu überreden können, den Geldbeutel für so genannte „Premium Features“ zu öffnen.
Bezahlte Suchergebnisse machen reich und schön
All das signalisiert vor allem eines: Auch Yahoo hat dem Ideal des
Gratis-Internets abgeschworen. „Das meiste, was Semel seit seinem Amtsantritt angestoßen hat, bricht mit der traditionellen
Yahoo-Kultur, die das Kundenerlebnis und das Wachstum der
Nutzergemeinde über den Umsatz gestellt hat“, urteilt »New York
Times«-Reporter Saul Hansell, der Yahoo seit Jahren beobachtet.
„Indem er die Geschäftsmodelle einiger Konkurrenten kopierte,
konnte er seine Anfangserfolge verbuchen.“
Bei der Werbung hat sich Yahoo am weitesten von seinem
Ideal entfernt. Mit dröger Banner-Werbung lässt sich kein Staat
mehr machen, also erlaubte die Firma erstmals aggressivere
Anzeigen, die sich über der eigenen Seite öffnen, und ließ mit
Ton und Animationen aufgepeppte Inserate zu. Das hat mit mehr
Nutzerfreundlichkeit ebenso wenig zu tun wie die von Inserenten
bezahlten Suchergebnisse und Einträge. Für diese Schleichwerbung hat sich Yahoo mit Overture zusammengetan: Gemeinsam
folgt man dem schlechten Vorbild von AOL, Microsoft Network
und Lycos. Overtures Suchmaschine kassiert Gebühren für die
prominente Platzierung, die Erlöse teilen sich Yahoo und Overture. Dieser Deal spülte Yahoo nach Schätzungen von Analysten
im zweiten Quartal rund 20 Millionen Dollar in die Kassen – fast
ein Zehntel des Umsatzes. Auf lange Sicht, hat CEO Semel bereits
erklärt, will Yahoo diesen Service selbst erledigen, statt sich die
Erlöse zu teilen: „Da haben wir in der Vergangenheit zu viel Geld
auf dem Tisch gelassen.“
Immer vorausgesetzt, der Anzeigenmarkt erholt sich. OnlineWerbung sackte in den USA vergangenes Jahr um elf Prozent auf
7,3 Milliarden Dollar ab. Der Einbruch war der erste seit sieben
Jahren, fiel aber nicht so drastisch aus wie bei Fernseh- und Radiospots oder in den Printmedien. Wenn alles nach Semels Plan >
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geht, werden laut einer Studie von PriceWaterhouseCoopers 2002
die Einnahmen mit 8,2 Milliarden Dollar wieder den Stand von
2000 erreichen. Die Werbewirtschaft rechnet mit jährlichen
Wachstumsraten zwischen 10 und 15 Prozent bis Ende 2003.
Um beim Aufschwung einen größeren Anteil des Kuchens zu
bekommen, muss Yahoo mit Medienkonzernen konkurrieren, die
Kombipacks anbieten – von gedruckten Inseraten über OnlinePromotionen bis zu Fernsehspots und maßgeschneiderten eMails,
die auf die Interessen der Kunden eingehen. Hinzu kommt, dass
die Branche immer noch um standardisierte Formate für InternetWerbung und eine einheitliche Preisstruktur ringt.
Aber wofür soll man die Werbekunden überhaupt zur Kasse
bitten: für die Zahl der Klicks? Oder nur für erfolgreich abgeschlossene Transaktionen? Um sich als Anzeigenpartner attraktiver zu
machen, hat Yahoo seine Marktforschungszahlen offen gelegt:
Jeder kann sich unter Buzz.yahoo.com die Hitlisten der am häufigsten aufgerufenen Begriffe ansehen. Zahlende Firmenkunden
bekommen außerdem Forschungsberichte namens Brand Buzz, die
das Surfverhalten nach demografischen Kriterien aufschlüsseln
und als Grundlage für gezielte Werbekampagnen dienen sollen.
Yahoos Geschichte ist wie ein Märchen: So begann es
Bei der Gründung von Yahoo war diese Entwicklung noch unvorstellbar. Damals, im Frühling 1994, entwickelten zwei StanfordDoktoranden, der introvertierte Tüftler David Filo und der Einwanderer und Einserschüler Jerry Yang, eine Liste interessanter
Web-Adressen zu einem Online-Verzeichnis für die wenigen Nutzer des ersten Browsers Mosaic. „David and Jerry’s Guide to the
World Wide Web“ sortierte Links in 20 Kategorien: ein Inhaltsverzeichnis für das Internet. Die erste Version des Browsers Netscape, die einen Link zu dem inzwischen in Yahoo umbenannten
Index hatte, brachte das Hobbyprojekt ganz schnell nach ganz
vorn. Anfang 1995 verbuchte Yahoo eine Million Besucher am
Tag, das Register war auf 10 000 Websites angeschwollen, die
von Yang & Co. zusammengetragen und gesichtet wurden.
Das Duo setzte sich mit zwei anderen Stanford-Studenten zusammen, um einen Business-Plan für eine Programmzeitschrift des
Webs zu schreiben. Netscape und AOL klopften an, lockten,
drohten, boten zwei Millionen Dollar – ohne Erfolg. Der ehemalige Technologie-Reporter Mike Moritz von der Risikokapitalfirma Sequoia Capital war erfolgreicher. Im April 1995 erwarb die
VC-Firma ein Viertel der Yahoo-Anteile für eine Million Dollar.
Für Moritz war das Unternehmen ein neues Massenmedium. „Der
Trick ist, ein Publikum zu sammeln und zu halten, dann kommen
auch die Inserenten. Es ist völlig egal, ob man einen Werbezeppelin, Plakatwände, Radio, Fernsehen, Kabel-TV oder das Internet benutzt“, sagt Moritz rückblickend. Nutzergebühren waren
kein Thema. Ein Jahr später ging Yahoo an die Nasdaq, der Preis
pro Aktie schoss am ersten Tag von 13 auf 33 Dollar. Damit war
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das Unternehmen, das Anzeigen auf seinen Seiten nur zögerlich
akzeptierte, mit einem Schlag 849 Millionen Dollar wert.
Aus der Konkurrenz mit anderen Online-Diensten wurde ein
Wettrüsten, das die Nutzer bei der Stange halten sollte. Zu den
Listen lohnender Links gesellten sich Nachrichten, Sportergebnisse, Aktienkurse und Horoskope. Um die Zuschauerzahl zu
steigern und die Marke in Rekordzeit bekannt zu machen, folgten kostenlose eMails sowie Chat und Instant Messenger, das
Express-eMail-System. Personalisierung war der nächste Meilenstein: My Yahoo diente als persönliche Startseite, angereichert
mit einem Kalender und einer Briefcase genannten virtuellen Festplatte, auf der man gratis zehn Megabytes privater Dateien speichern konnte. Mit seinem Börsengeld konnte Yahoo die Palette
beständig erweitern und seinen Konkurrenten immer einen Schritt
voraus sein. Um seinen Kunden persönliche Websites anbieten zu
können, kaufte die Firma 1999 GeoCities für rund 3,6 Milliarden
Dollar, kurz darauf den Internet-Sender Broadcast.-com für 5,7
Milliarden Dollar und im Jahr darauf die Gemeinschafts-Seiten von
eGroups für vergleichsweise preiswerte 432 Millionen Dollar. Die
Logik hinter diesen Akquisitionen war immer die gleiche: die Zuschauerzahl steigern, um durch Werbung Geld zu machen.
In der Blütezeit des Internet-Goldrauschs rannten die Anzeigenkunden Yahoo förmlich die Türen ein. Im Jahr 1999 konnte sich
Yahoo mit mehr als 3500 Anzeigenkunden brüsten, die den Umsatz von gut 220 auf mehr als 540 Millionen Dollar katapultierten.
Hochmut kommt vor dem Ernstfall
Doch diese reiche, mühelose Ernte ließ die Führungsspitze überheblich werden. CEO Tim Koogle und der COO (und spätere
President) Jeffrey Mallett gerieten über die Behandlung von Anzeigenkunden und potenziellen Partnern oft aneinander, während sich
die Gründer aus dem Tagesgeschäft mehr und mehr zurückzogen.
Typisch ist eine von Augenzeugen beobachtete Szene bei der
Übernahme von GeoCities. Dessen Chef, Thomas Evans, war ein
Medienveteran aus dem Printbereich, der sich nach dem Aufkauf
mit einer Position im mittleren Management zufrieden geben sollte.
Evans warnte seine neuen Vorgesetzten vor Hochmut: „Anzeigen
sind ein zyklisches Geschäft. Und die Leute hassen euch. Ihr benehmt
euch arrogant und herablassend. Wenn der Markt einbricht, werden sie euch zuerst kappen.“ Mallett, der dem Vernehmen nach
fast alle Rivalen gezielt abschoss, explodierte: „Du kapierst es
einfach nicht. Du bist Old Media!“ Evans ging, ähnliche Szenen
spielten sich mit Führungskräften anderer Firmen ab, die von
Yahoo geschluckt wurden.
Den größten Fehler machte die Firma im März 2000, als ein
Merger mit dem Auktionshaus eBay Gerüchten zufolge daran
scheiterte, dass Mallett eBays Chefin Margaret Whitman in der
Hierarchie unter sich platziert sehen wollte. Heute hat eBay Yahoo
bei den Kennziffern Umsatz und Profitabilität abgehängt.
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Yahoo in der realen Welt: Leuchtreklame an der Ecke von
Houston und Lafayette Street in New York
Ende 2000 dachte der Aufsichtsrat angesichts des InternetEinbruchs zum ersten Mal über neues Personal im Top-Management nach. Aber der Umsatzrekord von erstmals mehr als einer
Milliarde Dollar hielt das Unternehmen zunächst von einer umfassenden Restrukturierung ab. Möglicherweise zu lange. Mit der
Anfang 2001 einsetzenden Talfahrt wurde die Kritik unüberhörbar.
Das »Wall Street Journal« spottete im März vergangenen Jahres:
„Yahoo hat den Feind identifiziert – er heißt Yahoo.“ Das selbstbezogene, unstrukturierte Unternehmen mache sich die Probleme
selbst, hieß es. „Yahoo muss jetzt seine gesamte Aufmerksamkeit
darauf konzentrieren, solide, gebührenfinanzierte Beziehungen zu
seinen Nutzern aufzubauen.“
Der Retter kommt aus der Traumfabrik: Hollywood
Das ist Wasser auf die Mühlen von Terry Semel. Der 59-Jährige
wollte sich eigentlich als Risikokapitalgeber luxuriös zur Ruhe
setzen, als ihn sein neuer Bekannter Jerry Yang als Chefsanierer
anwarb. Semel wusste bereits, dass nicht alles Gold ist, was im
Web glänzt. Mit seiner VC-Firma Windsor Media, die eine Kombination aus Hollywood und dem Internet auf die Beine stellen
wollte, hatte er in nur zwei Jahren mehrere Millionen Dollar verloren. Ihm war klar, dass Yahoo ohne straffe Kostenkontrolle, eine
flachere Managementstruktur und einen stetigen Einkommensstrom
keine Chance hatte. Nach seinem Amtsantritt ließ er sich ein hal60
bes Jahr Zeit, um seine Pläne zu präsentieren – und sah dabei zu,
wie der Umsatz 2001 um mehr als ein Drittel sank.
„Semel ist ein hervorragender Manager, aber reichlich blass“,
so ein Kenner der Firma über den neuen CEO. „Er hat allerdings
einen großen Vorteil: Ein grauhaariger Manager erhöht Yahoos
Glaubwürdigkeit bei jeder Verhandlung.“ Safa Rashtchy, Analyst
bei Piper Jaffray beschreibt Semels Herangehensweise als „evolutionär, nicht revolutionär“. Er strich knapp 400 von 3000 Stellen, vereinfachte die Organisation und reduzierte die bisherigen
44 Business Groups auf sechs klar abgegrenzte Geschäftsfelder:
Listeneinträge, Handel, Kommunikation, Medien, Information
und Unternehmenslösungen. Verlustgeschäfte wie Yahoo Radio
und Finance Vision ließ Semel schließen, dafür machte er sich für
den Verkauf maßgefertigter Unternehmensportale stark.
Kernpunkt dieser Evolution ist Diversifizierung. Semel ist sich
sicher, dass der Name Yahoo seine Anziehungskraft nicht eingebüßt hat: „Wir sind eine starke Marke, wir haben die größte und
loyalste Nutzergemeinde. Wenn das Anzeigengeschäft wieder auflebt, ist Yahoo in einer guten Position, um einen überproportionalen Marktanteil zu erobern.“ Die Konsolidierung hilft dem
Unternehmen dabei: „Es gibt drei Portale weltweit“, sagt Semel,
ohne AOL und MSN beim Namen zu nennen. „Aber wir besitzen eine globale Ausgangsbasis, und das lässt sich nicht einfach
kopieren.“ Der Vorstandschef will vor allem weg von der Abhängigkeit vom Werbemarkt. Bis 2005 sollen zehn Millionen
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Kunden Gebühren zahlen, wenn sie Yahoos Angebote nutzen, und
so die Hälfte des Umsatzes einbringen. Die Bundesrepublik hinkt
bei dem bezahlten Angebot „um zwei bis drei Jahre hinterher“,
schätzt Franz Dillitzer, Geschäftsführer von Yahoo Deutschland.
Einzige Ausnahme: Dienste rund ums Handy. „Das ist eine Kernkompetenz, die sich deutlich dynamischer als in den USA entwickelt.“ Zugriff auf Fußball-Torszenen, SMS-Alarm und andere
Extras rund um die WM verschafften dem Unternehmen in vier
Wochen Abonnenten im vierstelligen Bereich.
Ein Blick in die Zukunft macht Hoffnung
Wie man seit Jahren an Gratis-Nutzung gewohnte Kunden dazu
bewegen soll zu bezahlen, ist umstritten. „Eher schneit es vor dem
Firmensitz, als dass Yahoo 300 bis 400 Millionen Dollar an AboGebühren im Jahr einnimmt“, spottet Lanny Baker von Salomon
Smith Barney. Piper-Jaffray-Analyst Rashtchy hingegen glaubt an
den Erfolg einer schleichenden Gebührenordnung: „Yahoo ist ein
Medienunternehmen der neuen Sorte, man kann es schlecht mit
einem Fernseh-Network oder Medienkonglomerat vergleichen.
Es muss auch in Zukunft einen Teil des Umsatzes mit Werbung
verdienen, aber das wird weniger als 80 Prozent sein. Die Nutzer
werden nach und nach für Dienstleistungen zahlen, die ihnen
wirklich etwas wert sind, wahrscheinlich die einfachsten Dinge,
etwa eMails. Auch Suchergebnisse werden in ein paar Jahren Geld
kosten.“ Rashtchy verweist auf die Telefonauskunft, die in den
USA lange Zeit gratis war und jetzt 1,50 Dollar pro Anruf kostet
– trotzdem wird der Service täglich millionenfach genutzt.
Das Schlüsselwort heißt Servicepaket. Einfache Basisangebote
mögen kostenlos bleiben, ähnlich wie das durch Werbung finanzierte Fernsehen. Doch wer Qualität will, wird zahlen müssen:
etwa für mehr Speicherplatz, für eMails oder einen Online-Kalender. Apple hat die gleiche Richtung eingeschlagen und im Juli aus
seinen kostenlosen iTools – eine Art Portal für Mac-Nutzer – einen
gebührenpflichtigen Dienst namens Mac.com gemacht. AOL kassiert seit seiner Gründung für seine Dienste, und Microsoft setzt
auf Abo-Gebühren für seinen Online-Dienst MSN und die noch
weiter gefasste Zukunftsstrategie .net (gesprochen: Dotnet). Ein
paar Cent hier und da addieren sich schnell, zumal Yahoo seinen
eigenen Online-Zahldienst PayDirect betreibt. Microsoft ist allerdings ein harter Gegner. Rashtchy: „Die haben so viel Geld in der
Kasse, dass sie viele Services verschenken können.“
Es wäre nicht das erste Mal, wie David Yoffie weiß. Der Professor an der Harvard Business School machte sich mit seiner
Studie zum Aufstieg und Fall von Netscape einen solchen Namen,
dass er im Kartellprozess gegen Microsoft aussagte. „Yahoo, AOL
und Microsoft werden um die gleichen Einnahmequellen kämpfen“, prophezeit Yoffie. „Online-Werbung ist keineswegs tot, und
gebührenpflichtige Dienste sind eine gute Ergänzung. Yahoo steht
in dieser Hinsicht gut da, was man von den alten Medienfirmen
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wie Time Warner oder Disney nicht behaupten kann.“ Gerade
Geschäftsfelder, in denen Printmedien bisher gut verdienten –
Kleinanzeigen, Stellenanzeigen, Kontaktanzeigen – sind Hoffnungsträger im Web. Deswegen kaufte Yahoo auch Hotjobs, die
Nummer zwei unter den Online-Stellenmärkten. Der Neuerwerb
steuerte vergangenes Quartal bereits 22 Millionen Umsatz bei
und übertünchte die Schwächen des alten Geschäfts.
Neueste Statistiken geben Yoffies Einschätzung Recht. Der
Fachverband Online Publishers Association legte diesen August
eine Erhebung vor, wonach einer von zehn US-Internet-Nutzern
(12,4 Millionen Menschen) im ersten Quartal bezahlt hatten, um
Online-Inhalte zu lesen – im Schnitt acht Dollar im Monat. Im
Vorjahresquartal waren es noch sieben Millionen Menschen. Der
Löwenanteil entfiel auf Wirtschafts- und Finanzinformationen,
aber auch Multimedia-Anbieter wie Real Networks, Sender wie
ABC oder CNN und selbst Adressen für elektronische Grußkarten konnten Millionen von Abonnenten an sich binden. Die hundert aktivsten gebührenpflichtigen Seiten vereinigten 97 Prozent
des Umsatzes (675 Millionen Dollar in 2001) auf sich. Das ist
immer noch deutlich weniger als ein Zehntel der Online-Werbeeinnahmen – aber ein nicht zu übersehender Trend, von dem
Yahoo überdurchschnittlich profitieren könnte.
Und dann? Gibt es auch noch Steven Spielberg
Selbst das Beharren auf Unabhängigkeit kann sich zu Yahoos Vorteil auswirken. Dem Portal fehlen zwar auf den ersten Blick die
Inhalte: Aber während AOL gezwungen ist, Häppchen aus dem
Time-Warner-Angebot anzupreisen, und MSN eine WindowsGeisel ist, kann Yahoo je nach Marktgeschmack redaktionelle
Inhalte und neue Techniken kaufen, ohne in Interessenkonflikte
zu geraten oder die Kartellwächter im Nacken zu haben. Und
Semels prall gefülltes Adressbuch mit all seinen alten Bekannten
in Hollywood könnte beim Sammeln von Inhalten helfen: Immerhin ist sein Handabdruck auf einem Gehsteig in Hollywood neben
dem von Steven Spielberg und George Lucas verewigt.
Fehlt noch ein Partner, der einen Internet-Zugang bereitstellt:
Denn wer sich einwählt, zahlt regelmäßig, und zwar keine CentBeträge. Yahoo hat bereits ein Pilotprojekt gestartet und bietet
gemeinsam mit der Telefongesellschaft SBC Einwählkonten an.
Dem soll noch dieses Jahr ein DSL-Dienst folgen, bei dem Kunden auf eine spezielle Yahoo-Startseite gelotst werden – beide
Firmen teilen sich die Einnahmen aus zusätzlichen Dienstleistungen. Eine feste Partnerschaft mit einem der wenigen noch verbliebenen unabhängigen Internet Service Provider wie Earthlink
wäre eine späte Heirat mit vielen Vorteilen.
Vielleicht unterschätzt die Branche Terry Semel. Einer seiner
größten Erfolge als Studioboss war die Action-Serie „Lethal Weapon“ über einen erfahrenen Cop, der gern murmelte: „Ich bin eigentlich zu alt für diesen Blödsinn!“ Und dann ging’s los. - - - - - |
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