Was ich rot markiert habe, könnten wir in unseren Ausführungen auf

Tischvorlage zur Anhörung im Ausschuss für Soziales und Gesundheit des
Abgeordnetenhauses von Berlin am 10.03.2014
Thema: Obdachlosenunterkünfte in Berlin
1. Bedarfe
2. Kapazitätsplanung
3. Standards
Anzuhörende Sachverständige
Regina Schödl
Der PARITÄTISCHE Berlin e.V.
Referat Soziales
Peter Hermanns
Internationaler Bund Berlin e.V.
Brandenburgische Straße 80, 10713 Berlin
Tel: ++49-30-86001-171
Lahnstraße 56, 12055 Berlin
Tel.: ++49-30-629017-56
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Obdachlosenunterkünfte in Berlin
1. Bedarfe
Wenn wir die Frage nach den Bedarfen für Obdachlosenunterkünfte beantworten, so machen wir im Prinzip den letzten Schritt vor allen anderen Schritten. Den obersten Bedarf für
alle Beteiligten stellt die Prävention von Wohnraumverlust dar, damit es zu gar keiner Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft kommt (insbesondere auf Grund des immer
enger werdenden Wohnungsmarktes und der Vermeidung einer längerfristigen Unterbringung nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) in einer Obdachlosenunterkunft). In den nach wie vor für Berlin geltenden Leitlinien der Berliner Wohnungslosenpolitik1 von 1999 wird „die Prävention von Wohnungsverlust“ (…) als (….) „immer noch die
wirksamste und auf Dauer kostengünstigste aller Maßnahmen“ als Tatsache beschrieben.
Die Entwicklung in Berlin geht jedoch seit Jahren stetig in eine andere Richtung.
Laut einer vor kurzem beantworteten kleinen Anfrage 2 waren zum Stichtag 31.12.2012 insgesamt 11.046 wohnungslose Personen behördlich registriert. Von diesen 11.046 Personen
befanden sich über 50 %, nämlich 5.926 in einer vertragsfreien ASOG Unterkunft.
Die tatsächliche Anzahl wohnungsloser Menschen in Berlin liegt jedoch um einiges höher,
da die von der sog. „verdeckten Wohnungslosigkeit“ betroffenen Personen nicht in die
Registrierung mit aufgenommen sind. Die Fälle, in denen Betroffene mal hier bei der Familie, mal dort bei Freunden oder bei ihnen nicht wirklich gut bekannten Personen verbringen, steigt in Berlin stetig an. Immer mehr Menschen kommen in die Jugend- und Sozialberatungsstellen freier Träger oder zu den sozialen Wohnhilfen in den Bezirken, die zwar
nicht auf der Straße leben, dennoch über keine eigene Wohnung verfügen, dies teilweise
1
2
http://www.parlament-berlin.de:8080/starweb/adis/citat/VT/13/DruckSachen/d4095.pdf
http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/KlAnfr/ka17-12964.pdf
1
seit mehreren Monaten oder sogar Jahren. Eine Zeit, in denen sich Betroffene in einer
permanenten Abhängigkeit befinden und keine Sicherheit haben, wo oder bei wem sie in
naher Zukunft eine Unterkunft finden werden.
Ursache der ansteigenden Unterbringungen in Obdachlosenunterkünften und der verdeckten Wohnungslosigkeit ist allen voran der Berliner Wohnungsmarkt. Günstige Wohnungen,
mit in der Wohnaufwendungenverordnung (WAV) vorgegebenen Quadratmeterhöchstpreisen, sind entweder bereits an Menschen mit einem niedrigen Einkommen oder mit Bezug
von ALG II vermietet, oder aber am Wohnungsmarkt nicht mehr vorhanden. Und dies mittlerweile nicht nur in den Innenstadtbezirken, auch in den Außenbezirke sind günstige Wohnungen Mangelware bzw. nicht (mehr) vorhanden.
Gerade auf Grund des engen Wohnungsmarktes muss das Prinzip Prävention vor Intervention Vorrang haben. Das Prinzip ambulant vor stationär darf der Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht geopfert werden.
Daher gilt: Erster Bedarf in Berlin ist es derzeit, einen Wohnungsverlust zu verhindern und
frühzeitige Hilfen anzubieten, wie dies in den Leitlinien der Berliner Wohnungslosenpolitik
bereits in 1999 festgelegt wurde. Das Vorgehen, den Betroffenen Hilfe in Form einer ordnungsrechtlichen Unterbringung zukommen zu lassen, wenn es schon zu spät und die
Wohnung verloren ist, muss sich dahin ändern, dass bereits im Vorfeld ambulante Hilfen
installiert werden, um den Wohnungsverlust zu vermeiden.
Eine mögliche Form der Prävention besteht darin, dass das Jobcenter bei einem eingehenden Antrag auf Mietschuldenübernahme auf der Grundlage einer Kooperationsvereinbarung
mit dem Bezirk die Betroffenen an die Fachstelle für Wohnungsnotfälle beim zuständigen
Bezirk vermittelt. Die Übernahme der Mietschulden ist für den Betroffenen dann an eine
Beratung durch die dort tätigen sozialpädagogischen Mitarbeiter*innen geknüpft. Fachstellen für Wohnungsnotfälle werden jedoch nur in ca. 50% der Berliner Bezirke vorgehalten.
Um einen weiteren Anstieg von Wohnungsverlusten zu vermeiden, müssen jedoch in allen
Bezirken Fachstellen eingerichtet werden. Das Modell der Fachstellen hat sich in den Bezirken, die diese vorhalten bewährt, da eine fachliche Unterstützung seitens der Bezirke gewährleistet wird und somit drohende Wohnungsverluste verhindert werden können.
Bei der Einrichtung weiterer bezirklicher Fachstellen ist zu beachten, dass diese Aufgaben
nicht den vorhandenen Personalkapazitäten zugeordnet, sondern neu geschaffen werden.
In Bezirken, die diese Fachstellen (noch) nicht vorhalten ist die Zusammenarbeit mit Trägern,
die Hilfen nach §§ 67 ff. SGB XII anbieten, zu intensivieren. Die Realität sieht derzeit leider so
aus, dass eine Hilfe nach §§ 67 f. SGB XII in vielen Fällen erst nach Eingang der Räumungsklage bewilligt wird. Zu einem Zeitpunkt, in dem nur sehr schwer und unter sehr begrenzten
Umständen der Wohnungsverlust noch verhindert werden kann. Ambulante Hilfen müssen
bereits vor einer Räumungsklage bewilligt werden. Damit könnte das Mietschuldenproblem
mit Unterstützung von Trägern in vielen Fällen gelöst werden, ohne dass es zu einer Wohnungsräumung kommen müsste. Auch hier werden in den Leitlinien der Berliner Wohnungslosenpolitik von 1999, die derzeit (noch) gelten, entgegengesetzte Ziele beschrieben (Punkt
B. Ziele der Wohnungslosenpolitik, Abs I.: Konsequente Verhinderung von Wohnungsverlust).
2
Die Entwicklung ging seitdem jedoch bedauernswerter Weise in die genau andere Richtung. Zum Leidwesen der Betroffenen und mit steigenden öffentlichen Ausgaben im Bereich der ordnungsrechtlichen Unterbringungen.
Die Anzahl der Unterbringungen nach ASOG steigt stetig. Eine geplante Gegensteuerung findet jedoch nicht statt, obwohl dies mit einfachen Instrumenten möglich wäre.
Anstatt mit freien Trägern aus dem Bereich der Wohnungslosenhilfe intensiver zusammenzuarbeiten und Wohnungsverluste zu verhindern, werden die Träger aufgefordert, ständig
neue ASOG-Einrichtungen zu schaffen und dies auf eigenes wirtschaftliches Risiko. Der tatsächliche Bedarf an Unterkünften liegt jedoch aus den bereits genannten Gründen im Dunkeln.
Seit Januar 2014 gibt es zwar die „Regelung anonymisierter Datenmitteilungen über bezirklich untergebrachte wohnungslose Personen/Haushalte gem. ASOG“. Hier werden jedoch
nur die bereits untergebrachten Personen ermittelt, ein tatsächlicher Bedarf lässt sich damit
nicht ableiten, da viele Betroffene in die verdeckte Wohnungslosigkeit gehen und die erhobenen Zahlen wieder nicht mit anderen Daten in Verbindung gebracht werden.
2. Kapazitätsplanung
Um eine Kapazitätsplanung vornehmen zu können, bedarf es einer aussagekräftigen und
ressortübergreifenden Wohnungslosenstatistik, mit Hilfe derer die Bezirke und das Land Berlin gemeinsame Ziele verfolgen.
Als Beispiel sei an dieser Stelle auf die von den freien Trägern für Hilfen nach §§ 67 SGB XII
zur Verfügung gestellten Trägerwohnungen hingewiesen. Der Berliner Senat weigert sich seit
Jahren Zahlen zu erheben, wie viele Wohnungen von Trägern vorgehalten werden. Geschätzt
betrifft es ca. 1.500-2.000 Menschen, die innerhalb einer Maßnahme in einer Trägerwohnung aufgenommen werden. Wenn - wie der Senat in der Beantwortung der kleinen Anfrage 3 vom 09.12.2013 die richtige Aussage trifft - der überwiegende Anteil der Vermieter keine
Dauermietverträge mehr in Anschluss an eine 67er Maßnahme abschließt und die Betroffenen daher zum größten Teil in ASOG-Einrichtungen ziehen müssen, entsprechende Zahlen
aber nicht erhoben werden, wie kann dann eine Kapazitätsplanung aussehen? Auch mit den
verantwortlichen freien Trägern findet kein Abgleich statt, wie dies z.B. in NordrheinWestfalen erfolgreich durchgeführt wird, um entsprechende Versorgungsangebote vorhalten zu können.
Zwar verlangt die bereits genannte seit 01.01.2014 eingeführte „Regelung anonymisierter
Datenmitteilungen über bezirklich untergebrachte wohnungslose Personen/Haushalte gem.
ASOG“ einen Abgleich der Unterbringungen mit den Jobcentern. In einigen Bezirken stehen
das Personal und die technische Ausstattung jedoch noch nicht zur Verfügung.
In der genannten kleinen Anfrage 17 / 12 964 vom 09.12.2013 wird deutlich, dass in Berlin,
wenn auch nicht umfassend, so doch viele Zahlen und Daten vorliegen, die in mühsamer
Einzelarbeit für die Beantwortung zur Veröffentlichung zusammengefasst wurden. Eine sys3
http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/KlAnfr/ka17-12964.pdf
3
tematische Erhebung und Auswertung dieser Zahlen findet jedoch nicht statt. Eine Kapazitätsplanung ist so nur schwer bis gar nicht durchzuführen.
Beispiel:
In Neukölln waren zum Stichtag 31.12.12 insgesamt 2.047 Menschen wohnungslos gemeldet
(Punkt 1 und 2 der kA). Amtsgerichtsmitteilungen über Räumungsklagen gem. § 22 Abs. 9
SGB II und § 36 Abs. 2 SGB XII lagen in 895 Fällen vor (Punkt 9 der kA). Dagegen wurden nur
802 Anträge auf Mietschuldenübernahme bewilligt, davon 596 nach SGB XII (Punkt 10 der
kA). Bedeutet dies im Umkehrschluss, dass rd. 50% der Anträge auf Mietschuldenübernahme
gem. § 22 Abs. 8 SGB II abgelehnt wurden? Lagen bei den Schuldenübernahmen Räumungsklagen zu Grunde?
Die vorhandenen Zahlen und Daten werden nach wie vor nicht mit Hilfe einer integrierten
Wohnungslosenstatistik in Zusammenhang gebracht. Dabei ließen sich mit den gewonnenen Erkenntnissen eine Kapazitätsplanung vornehmen, eine Strategie entwickeln und passende Angebote für Betroffene schaffen. Es ließen sich Thesen formulieren, die die Grundlage für die neu zu erstellenden Leitlinien der Berliner Wohnungslosenpolitik darstellen.
Die Leitlinien könnten dann der jeweils neuen Statistik Jahr für Jahr angepasst werden. Mit
den entsprechenden statistischen Instrumenten ist dies fortlaufend möglich.
Ansonsten verfügt das Land Berlin weiterhin, wie beim aktuellen Sozialstrukturatlas, über
zwei Jahre alte Zahlen bzw. wie bei der Beantwortung der bereits genannten kleinen Anfrage, über 14 Monate alte Zahlen.
3. Standards
Für die Obdachlosenunterkünfte nach ASOG sind sowohl für vertragsfreie als auch für vertragsgebundene Obdachlosenunterkünfte räumliche Standards vorgegeben. Bei den gewerblichen Anbietern, die den überwiegenden Anteil der Unterkünfte vertragsfrei betreiben, sind
Mehrbettzimmer, in denen keine Privatsphäre möglich ist, bereits Realität (mind. 28m² für
vier Betten). Selbst bei vorauszusehenden längeren Aufenthalten wird den Betroffenen
meist kein Einzelzimmer zur Verfügung gestellt. Standards für eine Beratung und Begleitung
sind bei vertragsfreien Unterkünften weder formuliert noch müssen welche eingehalten
werden.
Anders bei vertragsgebundenen Einrichtungen, bei denen neben den Anforderungen an den
Bau und den Betrieb auch Anforderungen an das Personal und weitere Leistungen 4 festgelegt sind.
Diese Anforderungen müssen jedoch dringend weiterentwickelt (Stichwort Personalschlüssel) und auf die vertragsfreien Einrichtungen übernommen werden, um wohnungslos gewordenen Menschen in einer Unterkunft nach ASOG sozialpädagogische Unterstützung und Beratung zu gewährleisten.
4
http://www.berlin.de/imperia/md/content/lageso/soziales/bul/qualit__tsanforderungen_2014_22_01.pdf?start&ts=1391176000&file=qualit__tsanforderungen_2014_22_01.pdf
4
So muss sowohl für vertragsfreie als auch für vertragsgebundene Obdachlosenunterkünfte
eine Mindestanzahl an sozialpädagogischem Betreuungspersonal definiert und vom Betreiber eingehalten werden.
Bisher gibt es keinen vorgegebenen Betreuungsschlüssel, der eingehalten werden muss, um
die sozialpädagogische Beratung in einer Qualität erbringen zu können, die jedem einzelnen
Betroffenen hilft und nützt.
In der Realität betreiben private Anbieter 4/5 der in Berlin vorhandenen Unterkünfte nach
ASOG. Dort sind Menschen untergebracht, die ohne Unterstützung und Aussicht auf Wiedereingliederung in den Wohnungsmarkt in teilweise unzumutbaren Verhältnissen leben,
und das auf Dauer.
Zusammenfassend sehen wir in Berlin folgenden Handlungsbedarf:
• Ziel ist der Erhalt der Wohnung Entsprechende präventive Maßnahmen müssen (wieder) eingeführt und in allen Berliner Bezirken angeboten werden.
• Das Prinzip Prävention vor Intervention und ambulant vor stationär muss wieder
gelten.
• Schaffung einer integrierten und aussagekräftigen Wohnungslosenstatistik
• Neuerstellung der Leitlinien der Berliner Wohnungslosenpolitik
• Entwicklung von verbindlichen personellen Standards für Unterkünfte nach ASOG
Berlin, den 07.03.2014
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