Hausbegehung nach ASOG Berlin

CLEMENS HOF
RECHTSANWALT
MAG.
„H AUSBEGEHUNG “ PER G ROSSEINSATZ OHNE
RICHTERLICHEN D URCHSUCHUNGSBESCHLUSS –
( UN-) ZULÄSSIG ?
JUR
.
Kalckreuthstr. 10
10777 Berlin
tel.: 030 - 420 923 46
fax: 030 - 886 836 59
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I.
Einleitung / Sachverhalt 1
In der Nähe eines Wohnhauses, dessen Hauseingangstür üblicherweise offen steht,
wurde am Mittwoch, 13.01.2016, gegen 12.00 Uhr, Details sind unbekannt bzw.
werden widersprüchlich geschildert, ein Polizist offenbar von mehreren Personen
entweder angerempelt oder verprügelt. Der Polizeibeamte konnte seinen Dienst fortsetzen,
so dass nicht von schwerwiegenden Folgen der Tat auszugehen ist. Die unbekannten
Personen flohen nach Angaben des Beamten durch die offene Hauseingangstür des
Wohnhauses zumindest in den Hof des Hauses. Da der Beamte sie wohl nicht verfolgte,
ist unklar, ob die Täter tatsächlich in das Haus geflohen sind, jedenfalls ist unbekannt, wo
sie verblieben sind. Später hieß es, gleich mehrere Polizeibeamte hätten die Personen
verfolgt, aber die Tür zu dem Wohnhaus sei verschlossen gewesen.2 Diese mehreren
Beamten hätten dann in den Innenhof des Hauses „gespäht” und einen Haufen
Pflastersteine
in
einem
Einkaufswagen
entdeckt.
Hubschrauber sei dieser Fund bestätigt worden.
3
Aus
einem
herbeigerufenen
Davon, dass auch die Täter dort
gesehen worden sein sollen, ist nicht die Rede. Gegen 20.45 Uhr führte die Polizei einen
Großeinsatz mit rund 500 Beamten unter Beteiligung des Sondereinsatzkommandos, mit
Hubschrauber und Hundestaffel durch. Die Hauseingangstür war jedenfalls jetzt
verschlossen. Der Hauseigentümer soll dem Einsatz zugestimmt haben. 4 Während des
1
2
3
4
Der Sachverhalt beruht auf den aus den Medien bekannt gewordenen Informationen zum Einsatz der Berliner Polizei in dem
Haus Rigaer Straße 94 am 14.01.2016, vgl. etwa http://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/nach-attacke-aufpolizeibeamten-sek-durchsucht-rigaer-strasse-94-in-friedrichshain/12825772.html (abgerufen am 08.02.2016). Der Autor war
weder persönlich anwesend, noch ist er mit der Vertretung von Betroffenen befasst, so dass sich seine Bewertung auf die
öffentlich bekannt gewordenen Erkenntnisse beschränken muss.
Diese Version ist aber mit den weiterhin aufrecht erhaltenen Angaben, dass der Polizeibeamte als „Kontaktbereichsbeamter”
zunächst allein unterwegs gewesen sei und gerade einen Strafzettel ausgestellt habe als er von den Personen angegangen
worden sei, nicht in Einklang zu bringen.
https://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2016/01/einsatz-rigaer-94-polizeirechtliche-analyse.html
(abgerufen
am
08.02.2016).
https://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2016/01/einsatz-rigaer-94-polizeirechtliche-analyse.html
(abgerufen
am
08.02.2016).
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Einsatzes bekundete der Sprecher der Polizei, man gehe nicht davon aus, dass sich die
Täter noch in dem Haus befänden. Der Einsatz sei eine Maßnahme der Gefahrenabwehr
und diene nicht dazu, die Täter zu fassen. Man suche nach gefährlichen Gegenständen
und
werde
klarstellen,
dass
man
einen
Polizisten
nicht
angreife.
Einen
Durchsuchungsbeschluss benötige man für den Großeinsatz in dem Haus nicht, da es sich
um eine „Hausbegehung“ nach dem örtlichen Polizeigesetz, dem Allgemeinen Sicherheitsund Ordnungsgesetz (ASOG) Berlin handele. Der Einsatz endete gegen 23.00 Uhr. Es
wurden
Pflastersteine,
Krähenfüße
und
Feuerlöscher
sichergestellt.
Außerdem
transportierte man offenbar mehrere Tonnen Heizkohle aus dem Heizungskeller des
Hauses ab.5 Innensenator Frank Henkel nannte § 17 ASOG, die polizeiliche
Generalklausel, als Rechtsgrundlage des Einsatzes.6
II.
Verhältnis von Standardmaßnahmen zur Generalklausel
Werden umfangreiche Polizeieinsätze mit potentieller Grundrechtsrelevanz, etwa weil sie
mit dem Eindringen in ein Wohnhaus verbunden sind, allein auf die polizeirechtliche
Generalklausel gestützt, muss dies hellhörig machen: Denn aufgrund der fortschreitenden
grundrechtlichen Durchdringung auch des Polizeirechts mussten grundrechtssensible
Maßnahmen durch eigene Rechtsgrundlagen innerhalb der Polizeigesetze geregelt
werden. Hintergrund ist, dass der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz für
grundrechtlich relevante Eingriffe Rechtsgrundlagen verlangt, die möglichst präzise
umschreiben, was die Polizeibehörden in diesen Fällen unter welchen Voraussetzungen
tun dürfen. Dies sind die sog. „Standardmaßnahmen“. Sie sind spezieller als die
notwendig allgemein gehaltene Generalklausel, weshalb diese dann nicht herangezogen
werden darf, wenn eine bestimmte Maßnahme an sich bereits unter die ausdrücklich
geregelten Standardmaßnahmen fällt, aber deren Voraussetzungen nicht erfüllt. Ohne
diese Sperrung würde sonst der durch die Standardmaßnahmen bewirkte besondere
Grundrechtsschutz umgangen. Das wird in § 17 Abs. 1 ASOG selbst nochmal
verdeutlicht, denn dort steht, dass „die Ordnungsbehörden und die Polizei“ auf dieser
Grundlage nur handeln dürfen, „soweit nicht die §§ 18 bis 51 [ASOG] ihre Befugnisse
besonders regeln.“7
Aber auch, wenn eine bestimmte Maßnahme nicht als Standardmaßnahme des
jeweiligen Polizeigesetzes anzusehen wäre, ist damit noch nicht ohne Weiteres gesagt,
5
6
7
https://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2016/01/einsatz-rigaer-94-polizeirechtliche-analyse.html
(abgerufen
am
08.02.2016).
Vgl. http://www.parlament-berlin.de/ados/17/IIIPlen/protokoll/plen17-074-pp.pdf, S. 7664 (abgerufen am 08.02.2016).
§ 17 Abs. 1 ASOG
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dass diese Maßnahme dann allein aufgrund der Generalklausel zulässig werden könnte.
Denn gerade auch bei der Anwendung der Generalklausel bleibt der Grundrechtsschutz
zu beachten, so dass Vorgehensweisen, die zum Beispiel aufgrund ihrer Neuheit noch
nicht in eigenen Standardmaßnahmen geregelt werden konnten, nicht einfach allein mit
der Generalklausel begründet werden können. Vielmehr müssen gerade sie einer
kritischen Prüfung unterzogen werden, um nicht die Standardmaßnahmen zu umgehen.
III.
„Hausbegehung“ als Standardmaßnahme?
1.
Konkrete Regelung?
Ein Blick in das ASOG Berlin zeigt zunächst, dass es entgegen dem Anschein, den die
Äußerungen des Pressesprechers der Polizei erwecken, eine „Hausbegehung“ nach dem
ASOG Berlin nicht gibt.
2.
Standardmaßnahme gem. § 36 Abs. 1 ASOG: Betreten und Durchsuchung von
Wohnungen?
Es ist daher weiter zu prüfen, ob die durchgeführten Maßnahmen möglicherweise unter
eine der bereits geregelten Standardmaßnahmen fallen, denn dann wäre ein Rückgriff
auf die Generalklausel ebenfalls unzulässig. Bei einem Einsatz in einem bewohnten
Mietshaus (das zudem offenbar überwiegend aus Wohngemeinschaften besteht), ist es
zunächst naheliegend, die Anwendung von § 36 Abs. 1 ASOG, Betreten und
Durchsuchung von Wohnungen, zu prüfen.
a)
Wohnung
Zentral für die Anwendung bzw. Nichtanwendung des § 36 ASOG ist der Begriff der
Wohnung, so dass dieser vorab zu klären ist. Dies ist im zugrundeliegenden Fall von
besonderer Bedeutung, da die Polizei zumindest anfangs betonte, dass Wohnungen nicht
durchsucht worden seien. Als später bekannt wurde, dass doch Wohnungen
aufgebrochen worden waren, legte man Wert auf die Feststellung, dabei habe es sich um
ein Versehen gehandelt, da die Räume von außen nicht als Wohnungen zu erkennen
gewesen seien. Man habe sie aber nach dem versehentlichen Öffnen der Türen nicht
betreten. Noch später räumte man ein, auch Wohnungen betreten zu haben, aber zur
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„Gefahrenabwehr“: Es sei darum gegangen, einen Scheinwerfer im Hof auszuschalten,
der die Beamten blendete.8
Grundrechtsträger des Art. 13 Abs. 1 GG ist jeder Inhaber oder Bewohner eines
Wohnraums, unabhängig davon, auf welchen Rechtsverhältnissen die Nutzung des
Wohnraums beruht,9 so dass Wohnungsgemeinschaften10 und auch besetzte Häuser
geschützt sind. Bei mehreren Bewohnern einer Wohnung steht das Grundrecht jedem
Einzelnen, zu. Das Einverständnis des Hauseigentümers ist daher nicht relevant.
Zufällig in einer Wohnung Anwesende, die nicht Rauminhaber sind, werden nicht in
ihrem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG, wohl aber in ihrem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht betroffen. Der Schutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs.
1 GG kann insofern allerdings nicht weiter reichen als derjenige aus Art. 13 Abs. 1 und
3 GG.11
Der Begriff der Wohnung in § 36 ASOG ist dabei aufgrund seiner besonderen
grundgesetzlichen Bedeutung an Art. 13 Abs. 1 GG („Die Wohnung ist unverletzlich“) zu
messen. Der Begriff der Wohnung im grundrechtlichen Sinn ist dabei weiter als der
umgangssprachliche und auch rechtlich weit zu verstehen,12 um das Grundrecht effektiv
zu schützen und Umgehungen dieses Schutzes, etwa in Form von Streitigkeiten darüber,
wo die Wohnung beginnt oder endet, möglichst zu erschweren. Gerade Fälle wie das
„versehentliche“ Aufbrechen von Wohnungen sollen damit möglichst verhindert werden.
Der mietrechtliche Wohnungsbegriff ist nicht maßgeblich, denn es geht um das Verhältnis
zwischen Staat und Wohnungsinhaber und insoweit nicht nur um das oder die konkret
bewohnten Zimmer, sondern um den Schutz der gesamten privaten Lebenssphäre: 13 „Der
Begriff der Wohnung ist in Art. 13 GG umfassend zu verstehen. Jeder nicht allgemein
zugängliche feststehende, fahrende oder schwimmende Raum, der zur Stätte des
Aufenthalts oder Wirkens von Menschen gemacht wird, ist i.S. von Art. 13 GG eine
Wohnung. Wohnung ist hiernach der zu Aufenthalts- oder Arbeitszwecken bestimmte und
benutzte Raum einschließlich der Nebenräume und des angrenzenden umschlossenen
freien
Geländes,
auch
Tageszimmer,
Hotelzimmer,
Keller,
Speicher,
Treppen,
Wohnwagen, Wohnschiffe, nicht aber bloße Verkehrsmittel (Kraftwagen). Ebenso fallen
8
9
10
11
12
13
Vgl.
http://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/polizeieinsatz-in-berlin-friedrichshain-frank-henkel-rigaer-strasse-nichtmein-vietnam/12871922.html (abgerufen am 08.02.2016).
BVerfGE 109, 279, 326.
BVerfGK 16, 22. = http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20090702_2bvr222508, Rn. 19 (abgerufen am 08.02.2016).
BVerfGE 109, 279, 326.
Vgl. BVerfGE 42, 212, 218 mit ausführlicher Darstellung der Historie.
Vgl. BVerfG NJW, 822, 826.
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die nicht allgemein zugänglichen Geschäfts- und Büroräume, Personalaufenthaltsräume,
Arbeitshallen, Werkstätten, Garagen, Schuppen, Ställe, Scheunen und ähnliche Räume,
nicht aber die Unterkunftsräume von Soldaten oder Polizeibeamten sowie die Hafträume
und Besucherräume einer Justizvollzugsanstalt unter den Begriff des geschützten Raumes.
Der Schutz der räumlichen Privatsphäre, losgelöst vom engeren Wohnungsbegriff,
erstreckt sich auch auf umzäunte oder in anderer Weise (z.B. durch Bepflanzungen) der
öffentlichen Zugänglichkeit entzogene Bereiche, wie Gärten oder Vorgärten. Für den
Schutz des Art. 13 ist allein entscheidend, ob der jeweilige Raum oder die jeweilige
Fläche als Bereich der individuellen Lebensgestaltung und des „privaten Rückzugs“
ausgewiesen ist und der Öffentlichkeit nicht frei zugänglich sein soll.“14 Dies stellt auch §
36 Abs. 1 Satz 2 ASOG klar, nach dem „die Wohnung die Wohn- und Nebenräume,
Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum umfasst.“ Ob
ein Raum öffentlich zugänglich ist, hängt daher vom Willen des Rauminhabers und den
mit diesem Willen getroffenen Vorkehrungen ab. Dementsprechend ist auch insoweit der
Wille des Hauseigentümers nicht relevant.
Für den hier zu besprechenden Fall ist daher zu differenzieren: Da die Hauseingangstür
hier typischerweise offen steht, dürfte hier, trotz des umfriedeten Bereichs, der Hinterhof
des Hauses nicht unter den Begriff der „Wohnung“ fallen. Allerdings gaben die
Hausbewohner mit dem Abschließen der Hauseingangstür zu erkennen, dass sie
nunmehr ihr Recht auf Privatheit auch hinsichtlich des Innenhofes wieder in Anspruch
nehmen wollten. Mit Blick auf die Natur des Art. 13 GG als klassisches Abwehrrecht
gerade gegenüber dem Staat ist dies insbesondere von der Polizei als ausführender
Staatsmacht zu beachten. Es macht gerade den Kern des Art. 13 GG aus, den Staat aus
seiner eigenen Lebenssphäre herauszuhalten.
Für die Bewertung des Einsatzes insgesamt ist es aber letztlich unerheblich, ob der
Hinterhof
aufgrund
der
üblicherweise
offenen
Eingangstür
zur
Wohnung
im
grundrechtlichen Sinn zu zählen ist, denn der Einsatz beschränkte sich nicht auf den
Innenhof des Hauses. Alle weiteren Räumlichkeiten des Wohnhauses selbst stellen aber
wohl eine „Wohnung“ im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG und damit auch im Sinne des
§ 36 Abs. 1 ASOG dar, denn es handelt sich, soweit bekannt, um ein Haus, das aus
verschiedenen Wohngemeinschaften besteht. Daher greift die Argumentation, man habe
einige Wohnungstüren versehentlich aufgebrochen, nicht. Denn da bereits der Flur vor
diesen Türen Teil der Wohnung ist, befand man sich bereits im rechtlich als Wohnung
geschützten Bereich.
14 Vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 13 Rn. 10 f.
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b)
Durchsuchung
Durchsuchung ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen
oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas aufzuspüren, was der
Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offen legen oder herausgeben will. 15 Hier wurde
nach den Angaben der Polizei selbst gezielt nach gefährlichen Gegenständen gesucht.
Diese wurden von den Bewohnern nicht von sich aus herausgegeben, allerdings wurden
diese zuvor, soweit bekannt, auch gar nicht gefragt, ob sie gewisse Gegenstände
aufbewahren und herausgeben wollen. Das vereinzelte Wohnungen betreten wurden, um
einen blendenden Scheinwerfer auszuschalten, ändert am Gesamtcharakter des Einsatzes
nichts. Es handelte sich daher bei der als „Hausbegehung“ deklarierten Maßnahme um
eine
(Wohnungs-)
Durchsuchung.
Diese
ist
eine
Standardmaßnahme,
auf
die
polizeirechtliche Generalklausel konnte daher nicht zurückgegriffen werden. Die von dem
Innensenator genannte Begründung ist somit falsch.
III.
Zulässiger Anlass der Durchsuchung?
1.
§ 36 Abs. 1 ASOG
Gemäß § 36 Abs. 1 ASOG können die Ordnungsbehörden und die Polizei eine
Wohnung ohne Einwilligung des Inhabers nur betreten und durchsuchen, wenn entweder
Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich in ihr eine Sache befindet, die nach § 38
Nr. 1 ASOG sichergestellt werden darf, von der Wohnung Emissionen ausgehen, die
nach Art, Ausmaß oder Dauer zu einer erheblichen Belästigung der Nachbarschaft
führen oder dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit
einer Person oder für Sachen von bedeutendem Wert erforderlich ist.
Ausgehende Emissionen waren ersichtlich nicht der Grund für den Polizeieinsatz und
können daher außer Acht bleiben. Allenfalls für die einzelnen Wohnungen, in denen
Scheinwerfer blendete, könnte dies relevant sein. Hierfür sind die bekannt gewordenen
Angaben aber zu dürftig. Letztlich kann der Scheinwerfer für die hier anzustellende
Betrachtung aufgrund seiner geringen Bedeutung für den Gesamteinsatz hier ohnehin
außer Acht bleiben. Zu bedenken ist aber insoweit zusätzlich, dass der blendende
Scheinwerfer nicht der Grund für den Einsatz war, sondern ein Sonderproblem, dass
aufgrund des Einsatzes entstand. Auch deswegen ist es zu vernachlässigen.
15 BVerfGE 51, 97 (106 f.).
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Nach Angaben der Polizei wurden „gefährliche Gegenstände“ gesucht. Dieser
Sprachgebrauch ist dem ASOG zwar fremd, aber es ist zu prüfen, ob hierunter Sachen
fallen würden, die gem. § 38 ASOG sichergestellt werden könnten. Dies ist dann der
Fall, wenn die Sicherstellung der Sache entweder zur Abwehr einer gegenwärtigen
Gefahr erfolgt, oder um den Eigentümer oder den rechtmäßigen Inhaber der
tatsächlichen Gewalt vor Verlust oder Beschädigung einer Sache zu schützen, oder wenn
die Sache von einer Person mitgeführt wird, die nach dem ASOG oder anderen
Rechtsvorschriften festgehalten wird, vorgeführt oder zur Durchführung einer Maßnahme
an einen anderen Ort gebracht werden soll. Im letzteren Fall allerdings nur unter der
weiteren Einschränkung, dass die Sache verwendet werden kann, um sich zu töten oder
zu verletzen, Leben oder Gesundheit anderer zu schädigen, fremde Sachen zu
beschädigen oder die Flucht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Eine Person wurde nicht
festgehalten, der Eigentümer bzw. Sachinhaber sollte nicht geschützt worden. Es bleibt
also nur die Sicherstellung zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr. Eine gegenwärtige
Gefahr liegt dann vor, wenn der Schaden bereits eingetreten ist und noch andauert oder
wenn der Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in allernächster Zeit
antreten wird.16 Dafür ist hier nichts ersichtlich. Die Sicherstellung der gefundenen
Gegenstände diente eben gerade nicht dazu, eine kurz bevorstehende oder bereits in
Gang gesetzte Ereigniskette, die unmittelbar zu einem Schaden geführt hätte, zu
verhindern oder abzubrechen.
2.
§ 36 Abs. 2 ASOG
Nach dieser Norm kann die Polizei eine Wohnung ohne Einwilligung des Inhabers
betreten und durchsuchen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich in ihr
eine Person befindet, die nach § 20 Abs. 3 ASOG vorgeführt oder nach § 30 ASOG in
Gewahrsam genommen werden darf. Dies ist ersichtlich nicht der Fall, denn die Polizei
führte die Maßnahme nicht zur Durchsetzung einer Vorladung (§ 20 Abs. 3 ASOG)
durch und auch nicht, um Personen unter den Voraussetzungen von § 30 ASOG in
Gewahrsam zu nehmen. Die von der Polizei bekanntgegebene Begründung für die
„Hausbegehung“ greift also auch insoweit nicht.
3.
§ 36 Abs. 4 ASOG
Schließlich können Wohnungen können zur Abwehr dringender Gefahren jederzeit
betreten werden, wenn zusätzlich Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass entweder
16 Vgl. nur VG Berlin, Urteil vom 6. Mai 2010 - 1 K 927.09.
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dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder
verüben, oder sich dort Personen treffen, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften
verstoßen, oder sich dort gesuchte Straftäter verbergen, zum anderen, wenn sie der
Prostitution dienen.
Auch diese Vorschrift ist hier aber nicht anwendbar, denn es fehlt bereits daran, dass die
Wohnung hier nicht zur Abwehr dringender Gefahren betreten werden sollte. Zwar ist
nach wie vor umstritten, was genau die besondere Qualifikation der „dringenden
Gefahr“ ausmacht. Es handelt sich aber in jedem Fall um eine besondere Art der Gefahr,
mit besonderen Anforderungen sowohl hinsichtlich der durch die Gefahr bedrohten
Rechtsgüter als auch hinsichtlich des voraussichtlichen zeitlichen Eintritts der Gefahr. Nach
richtiger Ansicht wird sowohl eine Gefahr für Leib und Leben, für den Bestand des Staates
oder für eine Vielzahl von Menschen gefordert, die sich in allernächster Zeit realisieren
würde, wenn die Behörden nicht eingriffen. Dafür ließ sich den Meldungen und auch den
von der Polizei selbst genannten Begründungen nichts entnehmen.
4.
Zusammenfassung
Es lag daher kein gesetzlich zulässiger Anlass für eine Wohnungsdurchsuchung vor.
Aufgrund der Sperrwirkung der Standardmaßnahmen konnte auch nicht auf die
polizeirechtliche Generalklausel zurückgegriffen werden. Bereits deswegen war der
Einsatz in dem Wohnhaus rechtswidrig.
IV.
Weitere Probleme
1. Durchsuchung zur Nachtzeit?
Gem. § 36 Abs. 3 ASOG ist das Betreten und Durchsuchen einer Wohnung während der
Nachtzeit (§ 104 Abs. 3 der Strafprozessordnung) nur in den Fällen des § 36 Abs. 1
Nr. 2 und 3 ASOG zulässig. Die Nachtzeit beginnt nach § 104 Abs. 3 StPO um neun
Uhr abends. Hier wurde erst, aber auch schon um ca. 20.45 Uhr mit der Durchsuchung
begonnen. Der überwiegende Teil des Einsatzes fand also zur Nachtzeit statt. Es ist
daher zu klären, ob zusätzlich die Einschränkungen nach § 36 Abs. 3 ASOG
Anwendung finden müssen oder ob es ausreicht, dass der im Voraus geplante Einsatz
formal vor Eintritt der Nachtzeit begonnen wurde.
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Rechtsanwalt Hof Mag. jur.
In einer bereits länger zurückliegenden Entscheidung17 hat das BVerfG entschieden, dass
zwar die bereits vor Anbruch der Nacht begonnene Durchsuchung in die Nachtzeit
hinein fortgesetzt werden darf. Es hat aber auch festgehalten, dass es „dem Sinn des
Gesetzes“ entspricht, „die Durchsuchung so rechtzeitig zu beginnen, daß mit ihrer
Beendigung noch vor Anbruch der Nacht zu rechnen ist“,18 insbesondere, wenn im
Voraus zu erwarten ist, dass die Durchsuchung länger andauern wird. Wenn sich bei
einem Beginn vor der Nachtzeit die Erwartung einer kurzen vor der Nachtzeit endenden
Durchsuchungsdauer später nicht erfüllt, ist dies unschädlich. 19 Dies bedeutet aber im
Gegenschluss, dass es dann, wenn bereits im Voraus ersichtlich ist, dass die
Durchsuchung überwiegend in der Nachtzeit stattfindet, die besonderen Voraussetzungen
für die Durchsuchung zur Nachtzeit beachtet werden müssen. Anderenfalls könnte man
die Voraussetzungen umgehen, in dem man eine (geplante!) Durchsuchung bereits um
20.59 Uhr (oder um 20.45 Uhr) beginnen ließe. Eine rein formale Betrachtungsweise
würde dem Schutzcharakter der Grundrechte nicht gerecht.
In Anbetracht des geplanten Großeinsatzes mit ca. 550 Beamten und SEK war
vorauszusehen, dass dieser Einsatz nicht innerhalb der 15 Minuten zwischen Beginn der
Durchsuchung (20.45 Uhr) und Eintritt der Nachtzeit beendet sein würde. Es lag damit
inhaltlich eine Durchsuchung zur Nachtzeit vor. Diese hätte daher nur durchgeführt
werden dürfen, wenn von der Wohnung Emissionen ausgegangen wären, die nach Art,
Ausmaß oder Dauer zu einer erheblichen Belästigung der Nachbarschaft führen (§ 36
Abs. 1 Nr. 2 ASOG) oder dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben
oder Freiheit einer Person oder für Sachen von bedeutendem Wert erforderlich gewesen
wäre (§ 36 Abs. 1 Nr. 3 ASOG).
Beides war hier nicht der Fall (siehe oben, III., 1.). Der von der Polizei selbst angeführte
Grund (Sicherstellung von Gegenständen) war unbeschadet dessen, dass seine
Voraussetzungen gar nicht vorlagen (siehe oben, III., 1.), also gar nicht anwendbar.
Auch aus diesem Grund war der Einsatz rechtswidrig.
2.
Durchsuchungsbeschluss?
Gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 ASOG dürfen Durchsuchungen außer bei Gefahr im Verzug
nur durch den Richter angeordnet werden. Gefahr in Verzug ist bei einem über rund neun
17 BVerfGE 44, 353.
18 BVerfGE 44, 353, 369.
19 BVerfGE 44, 353, 369.
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Stunden im Voraus geplanten Einsatz nicht gegeben. Es ist kein Grund ersichtlich,
weshalb in den neun Stunden (zumal an einem Wochentag) kein Durchsuchungsbeschluss
eingeholt werden konnte. Der Einsatz war daher auch wegen Verstoßes gegen den
Richtervorbehalt rechtswidrig.
3.
Verhältnismäßigkeit
Jede hoheitliche Maßnahme, die in Grundrechte eingreift, muss verhältnismäßig sein.
Dies verlangt einen legitimen Zweck. Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit
der Maßnahme.
a)
Legitimer Zweck
Bereits der legitime Zweck ist hier zweifelhaft. Denn laut Polizei war die Maßnahme nur
formal in eine (zudem in dieser Form unzulässige) Suche nach „gefährlichen
Gegenständen“ gekleidet. Vielmehr ging es nach Aussagen der Polizei selbst darum,
klarzustellen, dass man einen Polizisten nicht angreife. Zweck war also eine primitive
Vergeltungsaktion und zwar nicht einmal gegenüber den konkreten Tätern, sondern in
Form der Gemeinschaftshaftung von Bewohnern eines Hauses, aus dessen Kreis man die
Täter vermutete, ohne allerdings hierfür irgendeinen Beleg zu haben, denn die Haustür
stand bekanntermaßen offen und konnte daher auch von Nichtanwohnern als Versteck
genutzt werden. Die Kombination aus Selbstjustiz mit polizeilichen Mitteln und
rechtsstaatswidriger Kollektivhaftung dürfte bereits keinen legitimen Zweck darstellen.
b)
Geeignetheit
Geeignet ist die Maßnahme, wenn sie die Erreichung eines legitimen Zwecks kausal
bewirkt oder zumindest fördert. Dies ist wegen des fehlenden legitimen Zwecks zu
verneinen. Würde man allein den formalen Zweck Begründung des Einsatzes
heranziehen, könnte man die Geeignetheit wohl noch bejahen.
c)
Erforderlichkeit
Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn kein anderes Mittel verfügbar ist, das in
mindestens gleicher Weise geeignet ist, den Zweck zu erreichen, dabei aber weniger in
die Rechte des Betroffenen eingreift. Aus hiesiger Sicht liegt bereits kein legitimer Zweck
vor. Aber auch für den Zweck „gefährliche Gegenstände“ sicherzustellen, dürften mildere
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Maßnahmen ersichtlich sein. Insoweit zu bedenken, dass durch den Großeinsatz mit
Abriegelung der Straße in die Rechte der weiteren Passanten eingegriffen wurde.
Allerdings wird dabei zu berücksichtigen sein, dass wohl bei früheren Einsätzen der
Polizei in der betreffenden Straße Beamte angegriffen wurden. Allein der massive Einsatz
an Personal mit den damit einhergehenden Beeinträchtigungen muss daher noch nicht
zwingend unangemessen sein. Ein milderes Mittel wäre aber unabhängig von der Anzahl
der eingesetzten Beamten etwa eine Durchsuchung am Tag. Diese hätte auch die durch
den Einsatz gestörte Nachtruhe der Anwohner nicht verletzt. Außerdem wäre als milderes
Mittel wohl zuerst eine Frage nach Herausgabe in Betracht gekommen.
d)
In
Angemessenheit
der
Gesamtschau
der
abzuwägenden
Gesichtspunkte
muss
daher
auch
die
Angemessenheit im engeren Sinn verneint werden. Für das Rachemotiv ist dies offenkundig,
da hierfür ein grundrechtlich zu beachtender Umstand nicht vorhanden ist. Für die bloße
Sicherstellung von nicht näher benannten gefährlichen Gegenständen auf bloßen Verdacht
hin, ist ein den Schutz von Wohnung und Nachtruhe überwiegender Zweck nicht zu erkennen.
Insoweit muss auch beachtet werden, dass zum einen der Richtervorbehalt umgangen wurde
und zum anderen die Durchsuchung bewusst so gelegt wurde, dass sie überwiegend in die
Nachtzeit fiel.
V.
Zusammengefasstes Ergebnis
Eine „Hausbegehung“ nach dem ASOG Berlin gibt es nicht. Bei dem durchgeführten Einsatz
handelt es sich vielmehr inhaltlich um eine Wohnungsdurchsuchung im Sinne des ASOG. Dies
ist eine Standardmaßnahme, so dass es verboten ist, zu ihrer Begründung auf die polizeiliche
Generalklausel des § 17 ASOG zurückzugreifen. Die Voraussetzungen des ASOG für eine
Durchsuchung lagen nicht vor, sie war damit rechtswidrig. Zudem handelte es sich inhaltlich
um eine Durchsuchung zur Nachtzeit, die nur unter besonders engen Voraussetzungen
zulässig ist. Diese lagen erst recht nicht vor. Des Weiteren wäre ein Durchsuchungsbeschluss
notwendig gewesen, der rechtswidrig trotz stundenlanger Vorplanung des Einsatzes nicht
eingeholt wurde. Schließlich ist der Einsatz als unverhältnismäßig anzusehen.
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