Drei Millionen Auflage: Nach den Anschlägen kommt „Charlie Hebdo“ zurück – Seiten 4, 23 BERLIN, MITTWOCH, 14. JANUAR 2015 / 71. JAHRGANG / NR. 22 283 Handball im Morgenland: Nationalspieler Uwe Gensheimer über die WM in Katar – Seite 18 WWW.TAGESSPIEGEL.DE BERLIN / BRANDENBURG 1,40 €, AUSWÄRTS 1,90 €, AUSLAND 2,00 € Staatenlenker posierten nicht in Seitenstraße „Lügenpresse“ Das Reinheitsgebot Verwirrung um Fotos vom Pariser Trauermarsch — Seite 24 Eigene Gruppe. Politiker in Paris. E Foto: AFP s ist gut, dass ich hier in Druckschrift schreiben kann, auf einer Tastatur. In Handschrift hatte ich immer eine schlechte Beurteilung. Dabei habe ich sogar noch Sütterlin lesen lernen müssen. Ach, es ist furchtbar, man muss ja heutzutage, das Alter bringt es mit sich, alles erklären. Also, die Handschrift wurde mal benotet. Handschrift ist das, was man nicht auf der Tastatur schreibt. Man schreibt mit der Hand. Das macht man auch auf der Tastatur, mit den Fingern, manche mit allen zehn, andere, ich, mit zweien, den Zeigefingern. Eine Handschrift aber ist mehr. Bei der hat man zum Beispiel einen Füller in der Hand. Was ein Füller ist? Das ist ein länglicher Gegenstand, einem Kugelschreiber oder Bleistift nicht unähnlich, das wird man ja wohl noch wissen, was ein Kugelschreiber und was ein Bleistift ist. Dieser ominöse Füller hat vorne eine metallene Spitze, Feder genannt, und man kann ihn mit Tinte füllen. Deswegen heißt so ein Füller korrekt auch Füllfederhalter. Tinte ist Farbe. Und dann kann man mit der Tinte, die langsam, aber stetig in die Spitze der Feder läuft, Buchstaben malen, sozusagen kalligrafieren. E Gegen den Terror. Der Imam Abdelhak El Kouani rezitiert zum Auftakt der Mahnwache auf dem Pariser Platz zwei Suren aus dem Koran. Foto: AFP/John MacDougall Gauck: Euer Hass ist unser Ansporn 10 000 Menschen kommen zur Mahnwache ans Brandenburger Tor / Muslimverbände verurteilen Terror Von Michael Schmidt Berlin - Der Bundespräsident, die Bundesregierung und führende Vertreter der Muslime, Juden und Christen in Deutschland haben sich gemeinsam gegen islamistische Gewalt und eine Spaltung der Gesellschaft gestellt. Die Attentate von Paris hätten gezeigt, wie verwundbar die offene Gesellschaft ist, sagte Bundespräsident Joachim Gauck am Dienstagabend auf dem Pariser Platz in Berlin vor rund zehntausend Menschen. „Die Terroristen wollten uns spalten. Erreicht haben sie das Gegenteil.“ Dennoch gebe es in Deutschland „manches, das uns Sorgen macht“, sagte das Staatsoberhaupt anlässlich der Mahnwachen-Kundgebung „Zusammenstehen – Gesicht zeigen“, zu der muslimische Verbände als Reaktion auf die Anschläge in Frankreich aufgerufen hatten. Hunderte x x. x x Die, die das gut können, malen die Buchstaben so, dass andere sie lesen können. Die haben auch eine gute Beurteilung bekommen. Ich kann das nicht, noch heute ist meine Handschrift eher krakelig als leserlich. junger Männer aus Deutschland hätten sich dazu verleiten lassen, in einem fremden Land gegen unschuldige Menschen in den Krieg zu ziehen – angeblich im Namen des Islam. „Was für ein Missbrauch! Was für eine Pervertierung von Religion“, sagte Gauck. Fanatikern rief er zu: „Wir schenken Euch nicht unsere Angst. Euer Hass ist unser Ansporn.“ DerBundespräsident dankte den muslimischen Gemeinschaften undallen Muslimen, „die hier und heute sagen: Terror, nichtinunseremNamen! DasisteinpatriotischesJazu dem Land, indem wir gemeinsam leben – zu unserem Land“. Die übergroße Mehrheit der Muslime fühle sich der offenen Gesellschaft zugehörig, schätze ihre Möglichkeiten und ihre Werte und sei bereit, dafür einzutreten. Bereits zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gesagt, „Fremdenhass, Rassismus, Extremismus haben Aber immerhin kann ich mit der Hand schreiben. Die Finnen können es bald nicht mehr. Die Finnen fangen jetzt an, die Handschreibschrift abzuschaffen. Die Kinder in den Schulen sollen künftig nur noch auf der Tastatur schreiben lernen. Ob Nokia hinter dem Plan steckt, ist nicht gewiss, aber denkbar. Mit der Hand schreibt man in der Regel langsamer, man koordiniert sich besser und denkt mehr nach. Also ist schon allein wegen der Praxis so eine Handschrift nicht das Schlechteste. Außerdem ist sie individuell. Es wird wohl keine zwei Menschen auf der Welt geben, die ein und dieselbe Handschrift haben. In meinem Fall schon mal gar nicht. Deswegen müssen wir wichtige Dokumente, Verträge, Ausweise usw. unterschreiben. Mit der Hand. Weil jede Unterschrift anders ist. Und noch etwas geht verloren ohne Handschrift. Vielleicht nur für Romantiker. Es mag ja Menschen geben, die alles über Whatsapp regeln. Selbst Liebesbriefe. Es gibt aber auch Menschen, die finden ein auf Papier handgeschriebenes „Meine geliebte C.“ wesentlich liebevoller. Was jetzt nun Papier ist, erzähle ich beim nächsten Mal. Helmut Schümann hierzulande keinen Platz“. Sie bekräftigte ihre Kritik an der „Pegida“-Bewegung. „Wir müssen uns entschieden gegen alles wenden, was Vorurteile schürt gegen die Schwächsten der Gesellschaft, gegen diejenigen, die ausländische Wurzeln haben.“ Es gelte daher auch, mit allen Mitteln des Rechtsstaats gegen Intoleranz und Gewalttäter vorzugehen, die eine Religion instrumentalisierten. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sagte, bei aller Kritik an Inhalten müssten Journalisten, Künstler und Satiriker die Freiheit haben, das Wort zu erheben. „Die Täter haben den Islam in den Schmutz gezogen.“ Schon am Nachmittag hatte der Sprecher des Koordinationsrates der Muslime, Erol Pürlü, auf einer Tagung der Deutschen Islamkonferenz (DIK) dazu aufgerufen, nicht zuzulassen, „dass radikale Extremisten und Terroristen wel- C INDEX — Seiten 2-4, 8, 19, 23 und Meinungsseite Berlins Lehrer im Durchschnitt 39 Tage krank WIRTSCHAFT & BÖRSEN . . . . . . . . 13–15 Tage der Erholung: Dax Der deutsche Leitindex gewinnt 1,6 Prozent auf 9941 Punkte. WETTER cher Couleur auch immer unsere Gesellschaft auseinanderdividieren“. Die Untaten von Paris dürften weder dem Islam noch den Muslimen angelastet werden. „Keiner sollte nach einer Legitimierung des Terrors suchen. Die gibt es nicht“, betonte er. „Terror hat eben keine Religion.“ Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) betonte, man werde nicht akzeptieren, wenn Gewalttaten dazu benutzt würden, Hass gegen Muslime zu schüren. Am Donnerstag will Merkel eine Regierungserklärung im Bundestag abgeben. Der islamische Dachverband Ditib rief für Freitag zu einer bundesweiten Mahnwache für die Meinungs- und Pressefreiheit auf. Beteiligen wollen sich die Gemeinden in 13 Städten, darunter Berlin, Hamburg und München. D ........................................... 2 Kurze sonnige Abschnitte wechseln sich mit Wolken und Regenschauern ab. 6 /-1 Am Nachmittag wird es kühler. Graupelgewitter und Schneeregen sind möglich. TAGESTIPPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 WISSEN & FORSCHEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 MEDIEN/TV-PROGRAMM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 IMPRESSUM & ADRESSEN . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 [email protected] TEL. REDAKTION . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 0 TEL. ABO-SERVICE . . . . . . (030) 29021 - 500 TEL. SHOP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 520 TEL. TICKETS . . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 521 ISSN 1865-2263 30003 Foto: dpa/Uwe Anspach Berlin - Presseberichte haben Verwirrung um das Foto der Spitzenpolitiker ausgelöst, die am Sonntag beim Trauermarsch für die Opfer der Terroranschläge von Paris mitgelaufen sind. Die Aufnahme zeigt Angela Merkel, François Hollande und zahlreiche weitere Politiker Hand in Hand, es gehört schon heute zu den eindruckvollsten Bildern des Jahres, auch der Tagesspiegel hat es auf seiner Titelseite abgedruckt. Das Bild suggeriert, dass die Politiker die 1,5 Millionen Demonstranten anführen. „The Independent“ sowie weitere britische und französische Medien berichteten dagegen am Dienstag, dass die Staatenlenker abgetrennt in einer Seitenstraße posiert und sich danach sofort zerstreut hätten. Christian Röwekamp, Sprecher der dpa, die das Foto wie viele andere Nachrichtenagenturen verbreitet hatte, hat diesen Darstellungen gegenüber dem Tagesspiegel widersprochen. Die Politiker seien auf der gleichen Route unterwegs gewesen wie die ihnen nachfolgenden Menschenmassen. „Aus Sicherheitsgründen“ sei allerdings eine Lücke zwischen den Politikern und den 1,5 Millionen Menschen gelassen worden. Die Präsidenten und Minister hätten mit etwa 250 Meter eine verkürzte Wegstrecke absolviert, erklärte ein bei dem Marsch anwesender Fotograf. Die Spitzenpolitiker seien „der zweite Wall“ gewesen, die erste Gruppe hätten Angehörige der Terroropfer gebildet, die dritte französische Lokalpolitiker. Nach ihnen liefen die 1,5 Millionen Demonstranten. nia Von Joachim Huber Berlin - Der Krankenstand bei Berlins Lehrern hat einen neuen Höchststand erreicht. Pro Jahr waren sie zuletzt im Schnitt an 39 Kalendertagen krankgemeldet. Das lässt sich dem aktuellen Gesundheitsbericht der Bildungsverwaltung entnehmen, der dem Tagesspiegel vorliegt. Hauptursache des Anstiegs auf fast elf Prozent ist offenbar die Sekundarschulreform. Die heutigen Beschäftigten der Sekundarschulen waren sechs Tage weniger krank, solange sie noch an Hauptund Realschulen unterrichteten. Als Erklärung werden die Verwerfungen rund um die Reform genannt. Infolge der hohen Krankenquote bleibt auch der Unterrichtsausfall erheblich. Wöchentlich werden 10 500 Stunden ersatzlos gestrichen. Weitere 43 000 Stunden werden – zum Teil notdürftig – vertreten. sve 4 190662 201900 ANZEIGE Schöpfen Sie Kraft in der Naturidylle vor den Toren Berlins Ankommen, loslassen und Körper, Geist und Seele wieder in Balance bringen. 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Als Schlagwort im Ersten Weltkrieg eingesetzt, die Propaganda der Alliierten zu bekämpfen, ein Kampfbegriff von NS-Hetzer Joseph Goebbels, für die SED-Ideologen Waffe gegen den Westen. Der Begriff der „Lügenpresse“, er kommt und geht. Irritierend, provozierend, dass er im demokratischen, friedensliebenden, wohlstandsgesättigten Deutschland im Mund geführt wird. „Pegida“ macht Front damit. Was in den Zeitungen gedruckt, was online geschrieben, was in Radio und TV berichtet wird – eine faustdicke Lüge. Die Medien in Deutschland gelten gemeinhin neben der Exekutive, der Legislative und der Judikative als vierte Gewalt mit Wächter- und Kontrollfunktion. Eine gewichtige, herausgehobene, demokratisch legitimierte Aufgabe. Zugleich eine, der mit Achtung wie mit Verachtung begegnet wird. Der journalistische Stand rangiert in der Ansehensskala der Berufe weit unten. Diese Befunde sind nicht neu, neu ist, dass die Kernkraft der journalistischen Profession – die Vermittlung von richtiger wie wichtiger Information – zum Ausglühen gebracht werden soll. Meinungskampf war immer, begonnen haben Kampf (und Krampf) um die Wahrnehmung von Wirklichkeit. Im Netz, doch nicht nur dort, treffen die Akteure aufeinander. Zu gerne wird von verschwörungswilligen Ich-Fundis journalistische Leistung geschreddert, während das eigene Weltbild sturmfest geklickt wird. Zugleich geht die Rechnung, die Journalisten seien nur die Guten, die Bescheidwisser und die Bessermacher, alle anderen dagegen nur doof bis unverschämt, nicht auf. Sachdienliche Äußerungen, von der Korrektur bis zur Kritik, helfen dem Journalismus, seine Aufgabe besser, also wahrheits- und wirklichkeitsgetreu zu erledigen. Die Welt soll abgebildet werden, auf 28 Seiten, in 15 Minuten Fernsehnachrichten. Auswahl, Analyse, ein Angebot. Es bleibt eine grobe Infamie, Journalisten würden die Welt sich so zurechtschreiben, bis sie in ihr Weltbild passt. Wir lügen nicht, wir irren. Nicht aus Lust und zur Irreführung des Publikums, schneller und leichter denn je werden Fehler und Versäumnisse kenntlich gemacht. Zeit-, Kosten- und Veröffentlichungsdruck sind zudem gewachsen. Umfragen zeigen, dass die „Medienverdrossenheit“, die sehr viel hübschere Schwester des Totschlagsbegriffs von der „Lügenpresse“, zunimmt. Das muss erstaunen. Ist der Journalismus derart in Verfall geraten, dass jedwede Meldung nur falsch, korrumpiert und manipuliert sein kann? Überhaupt nicht. Das Wahrheitsgebot ist und bleibt das Reinheitsgebot des Journalismus. Alle Medien-Nihilisten mögen sich mal fragen, was sich an Bericht, Feature und Reportage beargwöhnen lässt. Meinetwegen Misstrauen, Skepsis, geschenkt, gefährlicher fürs eigene Ego denn für den Journalismus ist: Wenn vermittelte Information nur mit der Messlatte eigener Zustimmung akzeptiert wird. Nicht glauben zu wollen, heißt keinesfalls, es glaubwürdiger zu wissen. Journalismus ist Zumutung. Da draußen, vor der eigenen Tür und außerhalb des eigenen Kopfes, passiert unendlich viel. Journalismus trägt dieses Viele hinein. Wer da schreit: „Lüge“ – der belügt sich selbst.
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