** KUN D E N S E RVI C E 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7 KOMMENTAR Zippert zappt Unionsfraktion weist Taubers Vorschlag zurück N THEMEN Keine „Notwendigkeit“ für Einwanderungsgesetz Ein islamischer Geistlicher spricht bei der Mahnwache. In der ersten Reihe: Bundespräsident Gauck und Bundeskanzlerin Merkel Gauck: „Euer Hass ist unser Ansporn“ DANIEL FRIEDRICH STURM Aus aller Welt Wer ist die Frau, die alten Männern junge Mädchen zuführt? Seite 23 Wissen Forscher beschießen Gummibärchen mit Positronen Seite 20 Feuilleton Eine Ausstellung, die sich nur mit Naturkatastrophen befasst B undespräsident Joachim Gauck hat die Menschen in Deutschland dazu aufgerufen, Mut zu zeigen und gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit einzutreten. „Wir stellen uns jeder Art von Dämonisierung und Ausgrenzung entgegen“, sagte Gauck bei der Mahnwache für die Opfer der Terroranschläge von Paris. Die Politik tue dies, „indem sie entschlossen und besonnen reagiert“, die Bürger, „indem sie sich gegen Fremdenfeindlichkeit und für eine offene Gesellschaft starkmachen“. Gauck rief den rund 10.000 Menschen auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor zu: „Wir alle zeigen Gesicht!“ An der Veranstaltung nahmen Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), Spitzenvertreter aller Bundestagsparteien sowie Repräsentanten von Muslimen, Christen und Juden teil. Zum Zeichen der Verbundenheit traten alle untergehakt an den Rand der Bühne. Das Staatsoberhaupt dankte dem Zentralrat der Muslime für die Organisation der Mahnwache. Der Protest von Muslimen gegen den Terror sei „ein patriotisches Ja zu dem Land, in dem wir gemeinsam leben – zu unserem Land!“ Die übergroße Mehrheit der Muslime fühle sich KORANVERSE Mit zwei Koranversen hat der Zentralrat der Muslime bei der Mahnwache an Worte Allahs erinnert, keine Menschen zu töten und gottesfürchtig zu sein. „Wer ein menschliches Wesen tötet, ohne dass es einen Mord begangen oder auf der Erde Unheil gestiftet hat, so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte. Und wer es am Leben erhält, so ist es, als ob er alle Menschen am Leben erhält“, heißt es in der Sure 5. Sie wurde von einem arabischen Imam verlesen und übersetzt. In der Sure 49 wird daran erinnert, dass Menschen „zu Völkern und Stämmen gemacht“ worden seien, „damit ihr einander kennenlernt. Der Geehrteste von euch bei Allah ist der Gottesfürchtigste von euch.“ Seiten 3 bis 5 Dax Balkon gucken kostet Im Plus Wer sich wie Romeo und Julia fühlen will, muss 2,50 Euro zahlen EURO DOW Xetra-Schluss EZB-Kurs 17.45 Uhr 9941,00 1,1782 17.871,97 +1,63% –0,19% +1,31% US-$ Punkte ANZEIGE Das höchste Gebäude der Welt „Burj Khalifa Der Himmelsturm“ Heute um 20.05 Uhr Diskutieren Sie mit uns auf Facebook: facebook.com/welt Wir twittern live aus dem Newsroom: twitter.com/welt Siehe Kommentar [email protected] Experten rügen pauschale Diffamierung BERLIN – WELT.DE/NEU E igentlich kann man Verona gar nicht besuchen, ohne den bezahlen. Pro Jahr kommen rund 1,5 Millionen Menschen zur berühmtesten Balkon der Weltliteratur zu sehen. Das wer- „Casa di Giulietta“ (Haus der Julia) und lichten sich vor dem den sich die Verantwortlichen der italienischen Stadt auch weltbekannten Balkon ab. Shakespeares Drama soll sich in Vegedacht haben, und so ersonnen sie eine Abrona abgespielt haben. Allerdings ist die Liebesgabe, die wohl einzigartig ist. Verona will eine geschichte Fiktion. Auch soll der Balkon erst Gebühr für den legendären Balkon einführen, nachträglich angebaut worden sein. Er war vorauf dem Julia gemäß der Tragödie von William her wohl Teil eines Sarkophags. Aber immerhin: Shakespeare auf ihren Romeo gewartet haben Was heute als Haus der Julia zur Besichtigung soll. Der Eintritt in den Hof, in dem Millionen angeboten wird, ist offenbar tatsächlich der Rest Touristen auch die Statue der Hauptdarsteleines großen, palastartigen Baus, der im 14. lerin bewundern, soll künftig 2,50 Euro kosten. Jahrhundert im Besitz einer hochherrschaftliGratis vor dem Balkon wie Romeo und Julia zu chen Familie war. schmachten – und natürlich ein Selfie für die Mit der neuen Gebühr wird es künftig vielFreunde in aller Welt zu machen – ist damit leicht wieder ruhiger – und nicht „nur ein Gebald vorbei. schiebe und Geschrei von den unzähligen TouDer berühmte Balkon in Verona – Für das Haus, in dem Julia gewohnt haben ris“ die Szenerie dominieren, wie es beispielser wurde wohl erst 1930 angebaut soll, muss man bereits sechs Euro Eintritt weise in einem Reiseportal heißt. DPA/MUSEO DI CASTELVECCHIO Seite 15 Punkte roristen zu: „Wir stehen zu unserem Land und seinen Werten. Auch deshalb stehen wir entschlossen gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit.“ Bei den Gewalttaten waren 17 Menschen getötet worden, darunter Zeichner des Satiremagazins „Charlie Hebdo“. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sagte, bei aller Kritik an Inhalten müssten Journalisten, Künstler und Satiriker die Freiheit haben, das Wort zu erheben. „Die Täter haben den Islam in den Schmutz gezogen.“ Man wolle nicht denen das Feld überlassen, die einen Keil in die Gesellschaft hineintreiben wollen, sagte der Berliner Bischof Markus Dröge. „Juden, Christen und Muslime sagen gemeinsam Nein zu jeder Gewalt im Namen des Glaubens an Gott.“ Der Vertreter der katholischen Kirche in Deutschland, Weihbischof Matthias Heinrich, sagte: „Bei allem, was die Religionen trennen mag, es eint uns der Wille, uns nicht gegeneinander aufbringen zu lassen.“ Heinrich sprach sich dafür aus, sich verstärkt mit den Ursachen für den Hass auseinanderzusetzen. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, forderte die Muslime auf, gegen den Terrorismus vorzugehen. Gerade im Islam gebe es eine immer stärkere Radikalisierung, sagte Lehrer. Davor dürfe man die Augen nicht verschließen. „Lügenpresse“ ist das Unwort des Jahres A ANZEIGE Seite 21 DAX „unserer offenen Gesellschaft zugehörig, schätzt ihre Möglichkeiten und ihre Werte. Und ist bereit, dafür einzutreten.“ Der Bundespräsident verurteilte Anschläge auf Moscheen und antisemitische Parolen. Es sei nicht Sache nur der Muslime und der Juden, sich dagegen zu wehren, sagte Gauck. „Wir schenken euch nicht unsere Angst. Euer Hass ist unser Ansporn“, rufe er den Fanatikern und Ter- Die Lügen der anderen Das von Anhängern der Pegida-Demonstrationen verwendete Schmähwort „Lügenpresse“ ist zum Unwort des Jahres 2014 gewählt worden. Der Ausdruck diffamiere Medien „pauschal“, verhindere so „fundierte Medienkritik“ und trage damit zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit bei, erklärte die Jury der sogenannten Sprachkritischen Aktion mit Sitz in Darmstadt. Wie sehr die Pressefreiheit bedroht sei, sei „gerade in diesen Tagen unübersehbar geworden“. Medienverbände begrüßten die Wahl. Mit solchen Rufen hätten die Hauptakteure der Pegida-Demonstrationen auf einen Schlüsselbegriff aus dem NS-Vokabular zurückgegriffen, erklärte der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Nach Angaben von Sprachexperten war der Begriff „Lügenpresse“ schon im Ersten Weltkrieg ein „zentraler Kampfbegriff“ und wurde dann später unter den Nationalsozialisten zur Diffamierung unabhängiger Medien genutzt. Die Spitze der Unionsfraktion hält ein Einwanderungsgesetz für überflüssig. Es gebe genügend „klare Regeln“ zur Frage, wer in Deutschland bleiben und arbeiten könne, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU). Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) habe Deutschland eine „günstige Einwanderungssituation“ bescheinigt. Grosse-Brömer: „Wir sehen deshalb als Fraktion nicht die Notwendigkeit eines neuen Gesetzes.“ Die Fraktionsspitze wies damit einen Vorstoß von CDU-Generalsekretär Peter Tauber zurück, der vor einigen Tagen auch in einem „Welt“-Interview ein Einwanderungsgesetz ins Gespräch gebracht hatte: „Wenn wir eine Zuwanderung wollen, die nicht nur arbeitsmarktoptimiert ist, nicht nur temporär, dann müssen wir auch über ein Einwanderungsgesetz reden.“ CDU-Chefin Angela Merkel hatte zu dem Vorstoß gesagt, es müsse darüber geredet werden, wie Deutschland auf den Fachkräftemangel reagieren könne. Seite 6 Mahnwache am Brandenburger Tor für die Terror-Opfer von Paris. Bundespräsident fordert die Deutschen auf, gegen Gewalt einzutreten ULRIC H C L AUS S m Anfang reagierten viele in Journalistenkreisen noch mit abschätzigem Grinsen, wenn überhaupt. Es war zu Beginn des Jahres 2014, Putin hatte gerade die Krim annektiert, da versammelten sich allwöchentlich nicht mehr als ein paar Dutzend sogenannte Montagsdemonstranten in einigen deutschen Städten. Es war eine Fusion von Verschwörungslinks und Verschwörungsrechts, die da als selbst ernannte „Friedensbewegung“ in offen propagandistischer Absicht den KremlHerrn lobpreiste und jede andere Meinung als Konstrukte einer „Lügenpresse“ abstempelte. Bedeutungsgleich war dabei auch stets von „Mainstream-Medien“ die Rede. Spätestens aber seit den Journalistenmorden von Paris ist auch dem Letzten das Grinsen vergangen. Der Weg vom Wort zur Tat ist mitunter kurz. Das lehrt auch ganz beispielhaft die Geschichte eben dieses Kampfbegriffs. „Lügenpresse“, ganz besonders in der erweiterten Form „jüdisch-marxistische Lügenpresse“, stammt aus dem nationalsozialistischen Handwerkskasten der Demagogie, wie er namentlich von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels zur Diffamierung kritischer Medien benutzt wurde. Wie damals aus Worten Taten wurden, so zieht sich heute eine erschreckend kurze Linie von jener Propaganda, die pluralistische Meinungskultur verteufelt, zur Gewalt gegen ihre Einrichtungen und Autoren. Nicht mehr nur ein paar Dutzend versprengte Putin-Apologeten führen heute das Wort von der „Lügenpresse“ im Munde, sondern Tausende in Dresden und anderswo. Aus der Putin-Apologie erwuchs eine pauschale Ablehnung von Bundesregierung und Parlamentarismus. Man muss Pegida und die in ihren Reihen grassierende Medien- und Politikverachtung nicht gleich zur Massenbewegung erklären, um die Pluralismusphobie dieser Demonstrationskultur zu fürchten. Man muss auch die Pegida-Marschierer nicht alle über einen Kamm scheren, denn es reicht ein überschaubarer Kern von Ideologen, um aus deren verschobener Wahrnehmung großes Unheil erwachsen zu lassen. Denn die Welt entsteht erst durch ihre Wahrnehmung. Diese Wahrnehmung wird zum allergrößten Teil durch Medien vermittelt. Medien konstituieren also die Welt überhaupt erst. Folgerichtig werden deshalb eben gerade die Medien zur Zielscheibe von Populisten und ideologisierten Fanatikern, die mit jener Wirklichkeit gebrochen haben, wie sie eine pluralistische Medienlandschaft darstellt. Insofern deckt sich in der Konsequenz die pluralismusfeindliche Substanz von Pegida mit der ihrer schärfsten Gegner. Das Wort von der „Lügenpresse“ würde der Islamist jedenfalls ebenso unterschreiben. BERLIN – DPA/MAURIZIO GAMBARINI; PA/ DPA achdem wir schon sehr viele Generationen kennengelernt haben, die mit Autonamen oder Buchstaben bezeichnet wurden, hat die SPD jetzt ganz neu die „gehetzte Generation“ entdeckt. Das sind die 30- bis 59-Jährigen, die das Geld verdienen müssen, das die SPD dann wieder an andere verteilen will. Die gehetzte Generation darf man nicht mit der verhetzten Generation verwechseln und schon gar nicht mit der versetzten Generation oder der vergrätzten Generation. Es sind jedenfalls viele bösartige Hunde, von denen die Generation gehetzt wird. Arbeit, Familie, Partnerschaft, Pflege der Eltern und Riesterrente nehmen die Menschen derart in Beschlag, dass sie nicht einmal mehr dazu kommen, SPD zu wählen. Das ist schlecht für die Generation und für die SPD. Die Sozialdemokraten überlegen, wie sie das Leben der Betroffenen „enthetzen“ können. Eine Planungskommission hat bereits einen Vorschlag ausgearbeitet. Er sieht vor, die handelsübliche Stunde von 60 auf 70 Minuten auszudehnen und den Tag um genau die Zeit zu verlängern, die den Menschen fehlt. B ** D 2,30 E URO MI T T WOC H , 14. JANUAR 2 015 Die Welt gehört denen, die nicht nach links oder rechts denken, sondern nach vorn. ROBIN ALEXANDER, REDAKTEUR „Die Welt“ digital Lesen Sie „Die Welt“ digital auf allen Kanälen – mit der „Welt“-App auf dem Smartphone oder Tablet. Attraktive Angebote finden Sie auf welt.de/digital oder auch mit den neuesten Tablets auf welt.de/bundle DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410 Täglich weltweit in über 130 Ländern verbreitet. Pflichtblatt an allen deutschen Wertpapierbörsen. Tel. 030/25910, Fax 030/259171606, E-Mail: [email protected]; Anzeigen: 030/585890, Fax 030/585891, E-Mail [email protected], Kundenservice: DIE WELT, Brieffach 2440, 10867 Berlin, Tel. 0800/9 35 85 37, Fax 0800/9 35 87 37, E-Mail [email protected] A 3,20 & / B 3,20 & / CH 5,00 CHF / CZ 95 CZK / CY 3,40 & / DK 25 DKR / E 3,20 & / I.C. 3,20 & / F 3,20 & / FIN 3,20 & / GB 3,00 GBP / GR 3,40 & / H 820 FT / I 3,20 & / IRL 3,20 & / KRO 28 KN / L 3,20 & / MLT 3,20 & / N 38 NOK / NL 3,20 & / P 3,20 & (Cont.) / PL 15 PLN / S 42 SEK / SK 3,20 € / SLO 2,80 & + ISSN 0173-8437 11-3 ZKZ 7109
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