In vielen Unternehmen steht das mittlere Management auf der

Karriere & Trends Middle Management
In voller
Deckung
In vielen Unternehmen steht das mittlere Management auf der Bremse,
lässt Ideen versickern, blockt Neuerungen ab. Schuld sind meist
die obersten Chefs: Druck und unklare Vorgaben verunsichern und
demotivieren viele Middle Manager.
OLIVER KLAFFKE TEXT
54 BILANZ 02/2015
B
Foto: Ivan Bliznetsov / Getty Images
Überfordert: Für viele
Middle Manager droht
die Aufgabenflut zum
Tsunami zu werden.
is vor knapp einem
Jahr arbeitete Reto
Gentinetta bei der
Post; er führte zeitweise 150 Leute.
Dann machte er
sich als SAP-Berater selbständig. An
seine Zeit im Middle Management beim
gelben Riesen er innert er sich mit gemischten Gefühlen: «Vieles, was nichts
mit der Aufgabe einer Führungskraft zu
tun hat, bleibt an einem hängen.» In den
sieben Jahren, die er bei der Post war, hat
der Kostendruck enorm zugenommen
und damit auch die Anforderung an das
mittlere Management. «Vor lauter administrativen Aufgaben ist die Arbeit, die
das Unternehmen wirklich voranbringt,
immer mehr in den Hintergrund geraten», so Gentinetta.
Diese Erfahrung teilt er mit vielen Vertretern der mittleren Ebene. Denn trotz
steigender Belastung wird das Kader oft
kurzgehalten. Wer im Mittelbau heute
noch ein eigenes Sekretariat hat, gehört
zu den Glücklichen. Der Rest verbringt
einen grossen Teil seiner Arbeitszeit mit
Tätigkeiten, die nicht zu den Kernaufgaben einer Führungskraft gehören: selber
in die Tastatur greifen, um E-Mails zu beantworten, Berichte und Protokolle tippen, Präsentationen erstellen oder Termine für Meetings finden. In Zeiten des
Kostendrucks wird rasch am Support gespart, und das Delegieren von Aufgaben,
die andere besser machen könnten, ist
schwierig. Um nicht unterzugehen, hat
Gentinetta in seinem Job bei der Post auf
drei Dinge gesetzt: aufs Priorisieren, aufs
Fokussieren und auf ein gutes Team.
Seine Rolle als Middle Manager befriedigte ihn dennoch je länger, desto weniger – für ihn mit ein Grund für seinen
Entscheid, sich beruflich zu verändern.
Das Grundproblem eines Middle Managers ist, dass er sich in einer klassischen Sandwich-Position befindet – zu
der Flut an Aufgaben kommt die Belastung durch die Ansprüche von oben und
von unten hinzu. «Als Middle Manager
hat man immer zwei Rollen», sagt
Bernhard Bohnenberger, Group Manager
Approval Engineering & Testing bei
Hilti in Kaufering in Bayern. «Man hat
einen Chef mit Erwartungen und
wird geführt. Gleichzeitig ist man selber
Chef und führt.» Damit umzugehen, sei
nicht leicht.
Erschwerend kommt hinzu, dass viele
in der Sandwich-Position schlecht darauf
vorbereitet sind, Veränderungen voranzubringen. Das zeigt eine Untersuchung
des Beratungsunternehmens Capgemini
Consulting: Knapp 80 Prozent des Topmanagements wird Veränderungswille
bescheinigt, vom mittleren Management
hingegen nur bescheidenen zehn Prozent. Vor Angst gelähmt, etwas Falsches
zu tun, verharrt es beim traditionellen
«So haben wir es schon immer gemacht».
Die Heerscharen von Gruppen- und
Abteilungsleitern, Directors und Vice
Presidents vor allem in den Grossunternehmen werden auch wenig geschätzt.
Für Daimler-Chef Jürgen Schrempp war
die Konzernzentrale des Autobauers
schlicht das «Bullshit Castle». Anerkennung klingt anders.
Zeit also für eine Bestandesaufnahme
der Situation des mittleren Managements: Wie effizient arbeitet es? Wie stark
ist es belastet? Was können die Chefs tun,
damit es die Leistungen bringt, zu denen
es in der Lage ist?
Inkompetenz kostet. Um die Effizienz ist
es schlecht bestellt, wie Studien aus dem
Ausland zeigen. Sie machen deutlich,
dass die Inkompetenz eine Menge Geld
kostet: In Grossbritannien geht jedes Jahr
ein Produktivitätsverlust im Wert von astronomisch hohen 350 Milliarden Franken auf das Konto unfähiger Manager,
wie das Arbeitsministerium in London
schätzt. Das Königreich verliert jährlich
Arbeitsstunden im Wert von 30 Milliarden Franken durch ineffizientes Management. Eine im letzten Jahr veröffentlichte
Studie des Australian Institute of Management bescheinigt dem Middle Manager gar pauschal, ein Produktivitätshindernis zu sein. Von oben verordnete
Programme zur Effizienzsteigerung und
zur Verbesserung der Leistung, die essenziell für eine Firma wären, scheiterten an einem wirkungslosen und inkompetenten Management.
«Der Erfolg oder Misserfolg eines
Unternehmens hängt von den Middle
Managern ab», sagt Leigh Funston, Head
of Policy des Australian Institute of
Management. Für eine Studie befragte er
mehr als 2000 Unternehmenslenker.
Über 70 Prozent glauben, dass die Hierarchiestufen unter ihnen nicht in der
Lage seien, die strategischen Ziele im
Tagesgeschäft durchzusetzen. Das ist !
02/2015 BILANZ 55
Karriere & Trends Middle Management
Der gute
Middle
Manager
Was es braucht, um
einer zu werden und es
zu bleiben – für die
Chefs und das Team.
Wertschätzung für Ihr Team
Formulieren Sie Ihre Erwartungen klar. Bedanken Sie sich, wenn
ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin etwas für Sie geleistet hat.
Loben Sie ihn oder sie auch nach
aussen und vor allem nach oben.
!
fatal, denn die Effizienz des mittleren
Managements ist eine der wichtigsten
Stellschrauben, mit der sich der Erfolg
einer Organisation beeinflussen lässt. In
der Realität meist negativ, denn fast 60
Prozent aller gescheiterten Unternehmen
stürzten ab, weil das Management falsche Entscheidungen getroffen hatte.
Das ist das Ergebnis einer Untersuchung über «Leadership and Management in the UK. The Key to Substantial Growth», welche die Regierung
Cameron in Auftrag gegeben hat. Deren
Experten schätzen, dass Best-PracticeTechniken in der Führung die Produktivität um fast 25 Prozent steigen lassen.
Respektieren Sie Ihre Mitarbeiter
Fallen Sie Ihrem Team niemals in
den Rücken. Auch wenn Sie von
oben unter Druck geraten, kommen Sie nicht auf die Idee,
schlecht über Ihre Leute zu reden
und sich selber aus der Verantwortung zu stehlen.
Kommunizieren Sie offen
Reden Sie Klartext und offen. Verzichten Sie auf politische Spielchen und falsche Versprechungen.
Hören Sie Ihren Leuten zu, und
nehmen Sie sie ernst. Machen Sie
keine Zusagen, die Sie nicht einhalten können.
Fordern Sie klare Ziele
Lassen Sie sich von oben nicht mit
unklaren Zielen abspeisen. Sie
müssen glasklar wissen, welchen
Beitrag Sie und Ihr Team zum
Unternehmenserfolg beitragen
sollen. Das sind Sie Ihren Leuten
schuldig.
Konzentrieren Sie sich auf das
Wesentliche
Weigern Sie sich, Überflüssiges zu
tun, und schützen Sie Ihr Team
vor nicht zielführender Arbeit.
Fragen Sie bei neuen Aufgaben:
«Wieso ist das für unsere Firma
wichtig?» Fragen Sie bei einem
neuen Projekt: «Hilft das unserem
Team bei der Erfüllung seiner
Ziele?» Wenn nicht, weigern Sie
sich, Leute dafür abzustellen.
56 BILANZ 02/2015
Vieles, was nichts
mit Führung zu
tun hat, bleibt an
einem hängen.
Reto Gentinetta, heute SAP-Berater
Experten sind überzeugt, dass sich solche Erkenntnisse aus ausländischen
Erhebungen auch auf die Schweiz anwenden lassen.
Viele sehen das oberste Management
in der Verantwortung für die unbefriedigende Situation. «Das Topmanagement
hat genau das mittlere Management, das
es verdient», sagt der Ex-McKinsey-Mann
und heutige unabhängige Managementberater Raymond Hofmann aus Basel.
«Wer von oben nicht klar sagt, was er
will, kann auch nicht erwarten, dass
unten alles so läuft, wie er es wünscht.»
Hofmann berät in Unternehmensleitungen das C-Level und konzentriert sich
dabei auf Prozesse, die nur ein Ziel
haben: die Effizienz des Managements zu
verbessern. Für ihn ist klar, dass das
mittlere Management nur dann effizient
sein kann, wenn das Unternehmen für
die richtigen Rahmenbedingungen sorgt:
«Chefs müssen Klarheit schaffen.»
Beim Zürcher Vermögensverwalter
RobecoSAM läutete der Antritt des neuen
CEO Michael Baldinger einen Strategieentwicklungsprozess ein, der stark auf
Ergebnisse ausgerichtet war. «Wir haben
dafür gesorgt, dass wir nicht nur Ziele
festlegten, sondern auch definierten, wie
wir sie umsetzen wollen», sagt Ruud Wilders, der die Geschäftsleitung von RobecoSAM bei der Entwicklung unterstützt
hat und ihr jetzt als Head Corporate Services angehört.
Klare Zielvorgaben. Die Besonderheiten
bei der Umsetzung des Effizienzprogramms: Die Ziele sind bei allen Mitarbeitern immer «top of mind» und dadurch Richtschnur des täglichen
Handelns. «Für mich als Middle Manager
war das sehr hilfreich», sagt François
Vetri, Head of Corporate Communications. «Durch die klar definierten Ziele
habe ich ein verbindliches Entscheidungsraster.» Dient ein Projekt einem der
Unternehmensziele, dann lohnt es sich,
es weiterzuverfolgen und es umzusetzen.
Dient es ihm nicht, ist die Entscheidung
auch klar: gar nicht erst anfangen oder
sofort beenden.
«Wichtig bei diesem Prozess sind
Transparenz und Klarheit», sagt Wilders.
Nur wenn jeder in der Firma weiss, welches die Ziele sind, die das Unternehmen
erreichen will, und wie er selbst dazu
beiträgt, können sich wirklich alle Kräfte
auf die produktive Arbeit konzentrieren –
und für überflüssige Dinge keine Ressourcen mehr verschwenden. Bei RobecoSAM hat die Geschäftsleitung fünf
Felder festgelegt, die sie für den Erfolg für
wichtig hält. Jedes Jahr wird eines davon
zum Motto erhoben, und die Organisation konzentriert sich darauf, es umzusetzen. «Für uns ist es entscheidend, dass
wir uns am Ergebnis orientieren und alle
Prozesse und die Organisation danach
ausrichten», sagt Wilders. Der Vorteil des
RobecoSAM-Ansatzes: «Im Tagesgeschäft geht sonst schnell der Sinn für das
verloren, was wirklich wichtig ist», sagt
Raymond Hofmann. Für Aktionismus
hat es keinen Platz mehr.
Beim mittleren Management macht
Hofmann ein grosses Ausbildungsdefizit
aus. In den MBA-Programmen fänden
Im Gegenwind:
Middle Manager
geraten von zwei
Seiten unter Druck.
Foto: Ivan Bliznetsov / Getty Images, PR (2)
sich zwar die klassischen Themen der Betriebswirtschaft, doch das A und O der
Führung und die Grundlagen für erfolgreiches Selbstmanagement kämen zu
kurz, meint er. Es fehle am handwerklichen Rüstzeug, um zielgerichtet zu arbeiten; Ineffizienz sei die Folge. Die klassischen Rezepte für den Erfolg im
Management würden kaum umgesetzt –
weder Peter Druckers Grundsatz «First
things first, second things not at all»
noch Tom Peters Erkenntnis «Good managers have a bias for action».
Überforderte Manager. Kein Wunder,
sürzt sich das mittlere Management
meist ohne klare Zielorientierung auf
alles, was nach einer Herausforderung
aussieht – und leidet unter einer immensen Belastung. Die Cologne Business
School hat über 500 Middle Manager
nach ihrer Befindlichkeit befragt. Mehr
als die Hälfte fühlte sich von der Komplexität der Aufgaben überfordert. Zwei
Drittel der 40- bis 49-Jährigen und über
80 Prozent der über 50-Jährigen waren
überlastet. Jeder Fünfte arbeitete mehr
als 50 Stunden in der Woche. Das grösste
Hindernis für wirksame Arbeit war für
sie der Personalmangel – es sind zu wenige Leute da, um Aufgaben delegieren
zu können, um wirkungsvoll zu arbeiten.
So werden die Middle Manager zwischen den verschiedenen Ansprüchen
aufgerieben. «Viele wissen nicht, wo sie
stehen», sagt der Berater und Coach
Wolfgang Schmitz, CEO der European
Academy for Executive Education im
liechtensteinischen Triesen, der sich des
gebeutelten mittleren Managements angenommen hat. Am Zentrum für Unternehmensführung (ZfU) in Thalwil bietet
Als Middle
Manager hat man
einen Chef, und
man ist selber einer.
Bernhard Bohnenberger, Hilti
er das Seminar «Führen in der SandwichPosition» an. Das Problem der unteren
Führungsebenen: Sie stehen unter dem
ständigen Druck, Forderungen von oben
nach unten weitergeben zu müssen und
von unten Leistungen einzufordern.
Schmitz setzt in seinen Seminaren darauf, die Rahmenbedingungen herauszuarbeiten, unter denen das Management
agiert. «Nur wenn man weiss, welche
Wertesysteme hinter den Entscheidungen der einzelnen Player in einem Unternehmen stehen, hat man eine Chance,
richtig zu agieren», sagt er.
Im Klartext: Geht es der oberen Etage
um sachliche Ziele oder um «Politik»?
Will das Team keine Veränderung, oder
ist es wirklich am Anschlag? Wer in der
Sandwich-Position effizient führen will,
muss nicht nur transparent agieren und
Konflikte lösen, sondern auch die andere
Seite durchschauen. «Deshalb ist es hilfreich zu verstehen, wieso sich der Chef
oder das Team gerade so und nicht anders verhält», sagt Schmitz. «Vielen
Sandwich-Managern ist ihre Rolle oft
nicht klar, und häufig fehlt es ihnen auch
am Verständnis für den Sinn bestimmter
Leistungen, die sie von ihrem Team erwarten sollen», sagt er. Wenn Klarheit
herrscht, verringert sich der Druck – und
die Effizienz der Führung steigt.
!
02/2015 BILANZ 57