www.lehrerservice.at aktuell ONLINE das junge Magazin Ausgabe 18 l Jänner 2015 afghanistan Pakistan Picturedesk, Archiv indien Das Massaker von Peshawar „Allah ist allmächtig“, schrien die Männer, die am 16. Dezember 2014 die Hallen einer Schule in Peshawar (Pakistan) stürmten. 145 Leichen blieben zurück. D ie ersten zwei Schüsse, die sie abfeuerten, blieben vermutlich unbemerkt. Und selbst wenn sie jemand in der Schule gehört haben sollte, dachte er wahrscheinlich, es handle sich um eine Übung des pakistanischen Militärs. Schließlich war dies eine Schule, die vom Militär geführt wurde: Für die Kinder von Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten. Doch auf die ersten zwei folgten drei, vier und schließlich ganze Salven von Schüssen und Entsetzen machte sich breit. Lehrer wie Schüler begriffen: Sie wurden angegriffen! Bewaffnete Männer waren über die Mauern geklettert, die die Schule umschloss. Sie hatten die Sicherheitskräfte, die vor den Türen Wache hielten, blitzartig niedergemacht. Dann waren sie, wie wild aus ihren automatischen Waffen feuernd, ins Innere der Schule vorgedrungen, hatten sich aufgeteilt und Klassenzimmer für Klassenzimmer gestürmt: Wen immer sie dort vorfanden, metzelten sie nieder. Am Ende wurden 145 Leichen gezählt. 132 Kinder zwischen fünf und 16 Jahren und zehn Angestellte der Schule. Dazu drei Soldaten, die bei der Befreiung der Schule ums Leben gekommen waren. Es war der furchtbarste Kindermord der jüngeren Geschichte. Gefangen in einem AlBtraum Einer der Überlebenden ist der 15-jährige Shahrukh Khan. Er hatte sich unter der Schulbank verkrochen. Um nicht vor Angst zu schreien, hatte er sich die Krawatte seiner Schuluniform in den Mund gesteckt. Doch dann hörte er schon einen der Eindringlinge schreien: „Sie verstecken sich unter den Bänken – macht sie fertig!“ Er sah ein Paar großer schwarzer Stiefel näher und näher auf sich zukommen – das Gesicht des Schützen sah er nicht. Er hörte nur die Schüsse, die der Mann offenbar in alle Richtungen abgab. Dann ein brennender Schmerz: Zwei Kugeln hatten ihn unterhalb der Knie in die Beine getroffen. Shahrukh hatte nur noch einen Gedanken im Kopf – der ihn freilich ret- < TOPICaktuell ONLINE – ab sofort auf www.lehrerservice.at Ausgabe 18 l Jänner 2015 l seite Die Trauer ist groß: 145 Menschen wurden getötet ten sollte: „Stell dich tot, vielleicht ge- „Sie hatten genügend Munition und hen sie weiter.“ Sprengstoff, um Tage auszuharren“ Als sich die Männer entfernten, wollte sagte der Einsatzleiter der Spezialeiner sich in Sicherheit bringen. Verzwei- heit bei seiner Pressekonferenz. „Sie felt versuchte er, auf seinen Ellbogen ge- haben gar nicht erst damit gerechnet, stützt in den nächsten Raum zu gelan- mit dem Leben davonzukommen.“ gen. Doch Feuer schlug ihm entgegen: Die fanatiker gottes Auf einem brennenden Stuhl saß mit Denn „Leben“ bedeutete diebrennenden Kleidern eine seiner Lehrerinnen. Blut tropfte von ihrem Körper, sen Männern nichts. Sie waren „Taliwährend sie langsam verbrannte. Shah- ban“: fanatische Anhänger eines unrukh verlor das Bewusstsein und sackte menschlichen islamischen Glaubens, in sich zusammen. Wettlauf gegen die Zeit 15 Minuten später begann die Rettungsaktion einer Spezialeinheit der pakistanischen Armee. Einer der Lehrer hatte sie alarmiert, aber sie musste die Schule erst zurückerobern. Ein Gebäude nach dem anderen, ein Raum nach dem anderen musste freigekämpft werden. Denn ein Teil der eingedrungenen Mordkumpane hatte sich in den Zimmern verschanzt und schoss aus dieser sicheren Deckung heraus auf die vorrückenden Soldaten, während die anderen ihr Mordhandwerk weitertrieben. Ein Wettlauf gegen die Zeit begann. Wer war schneller: die vorrückenden Soldaten beim Ausschalten der Mörder – oder die Mörder beim Umbringen weiterer Kinder und Lehrer? Es dauerte sieben Stunden, bis die letzten Eingedrungenen bezwungen waren und nun selbst als Leichen zwischen den Leichen ihrer Opfer lagen. Dieser Junge hat Glück und überlebt das Attentat die meinen, dass sie im Namen Allahs handeln, wenn sie „Ungläubige“ töten. Und „Ungläubige“ sind in ihren Augen alle, die nicht auf ihrer Seite stehen. In den letzten Jahren haben die Taliban in Pakistan zahllose Anschläge mit zahllosen Toten verübt. Denn sie wollen das Land zu einem „Gottesstaat“ machen, in dem die Gesetze ihres fanatischen Glaubens für alle gelten. Lange Zeit hat die pakistanische Regierung das geduldet. Sie hat die Taliban sogar dabei unterstützt, als sie im benachbarten Afghanistan tatsächlich einen Gottesstaat, ein Kalifat, einzurichten vermochten. Doch das haben internationale Truppen mittlerweile gestürzt und durch eine halbwegs normale, wenn auch sehr schwache Regierung ersetzt. Die Taliban wurden zurückgedrängt – kämpfen aber weiter. Wenn sie militärisch stark ins Hintertreffen gerieten, zogen sie sich auf pakistanisches Gebiet zurück, und auch das ließ die pakistanische Regierung lange zu. Bis die Taliban begannen, auch in Pakistan immer größere Attentate zu verüben, um vielleicht dort zu ihrem Gottesstaat zu kommen. Von diesem Moment an schlug die pakistanische Regierung zurück: Ihr Militär begann, die Taliban auf ihrem Teil der paschtunischen Stammesgebiete energisch zu bekämpfen. Hunderte Taliban fanden dabei in jüngster Zeit den Tod. Der Angriff auf die Schule der Militärs war ihre Rache. Dass dabei Kinder und nicht Soldaten ums Leben kamen, war ihnen egal. Kathrin-Theresa Madl Picturedesk (3) Pakistanische Schulkinder beten für die Opfer des Anschlags 2 TOPICaktuell ONLINE – ab sofort auf www.lehrerservice.at Ausgabe 18 l Jänner 2015 l seite Schulen des Terrors 3 Der Koran kann ganz unterschiedlich ausgelegt werden Leider kann man den Koran so mittelalterlich auslegen, wie man das auch mit der Bibel einmal getan hat. Durch das Tragen der Burka verhüllen Frauen ihren gesamten Körper kischer oder bosnischer Moslems, wie wir sie als anerkannte religiöse Gruppen auch in Österreich erleben – aber auch auf eine Weise, die uns ans eigene Mittelalter erinnert. Damals haben sich bekanntlich auch manche Christen eingebildet, dass die Bibel ihnen das Recht gibt, „Ungläubige“ zu bekriegen, Ketzer zu töten und Frauen als Hexen zu verbrennen. Frauen haben nichts zu lachen So legen insbesondere viele Angehörige des Stammes der Paschtunen, der auf beiden Seiten der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan siedelt, den Koran auf diese eher mittelalterliche Weise aus. Und die Taliban sind unter < Picturedesk, Shutterstock (2) w örtlich übersetzt man „Taliban“ am besten mit „Erkenntnis Suchender“ oder „Student“ – jemand, der nach dem richtigen, vollkommenen Glauben sucht und zu diesem Zweck den Koran studiert. Tatsächlich ist die Organisation der Taliban aus religiösen Schulen hervorgegangen, wie sie in Pakistan vor allem für Flüchtlinge aus Afghanistan betrieben werden: Junge Männer lernen dort zwar weder Mathematik noch Physik, aber sie vertiefen sich unter der Anleitung von gelehrten Geistlichen in das heilige Buch des Islam, den Koran. Dessen Worte kann man leider wie viele heilige Bücher recht verschieden auslegen: durchaus vernünftig und friedlich wie Millionen tür- TOPICaktuell ONLINE – ab sofort auf www.lehrerservice.at Ausgabe 18 l Jänner 2015 l seite 4 Weil sich Malala für das Recht auf Bildung einsetzte, wurde sie von den Taliban angeschossen Malalas Opfer ihnen die radikalsten: Männer müssen lange Bärte tragen. Und dürfen untreu Frauen steinigen. Frauen müssen mit einer „Burka“ den gesamten Körper, selbst das Gesicht, verhüllen. Mädchen dürfen nicht in die Schule. Internet und Radio sind verboten. Als die Taliban vor Jahren ganz Afghanistan beherrschten, verboten sie sogar Lachen und Tanzen. Dass die Taliban so viele Anhänger finden, hängt allerdings auch mit den Zuständen in Pakistan und in Afghanistan zusammen: Es herrscht eine sagenhafte Korruption und in weiten Teilen beider Länder große Armut. Picturedesk (2), Shutterstock In Pakistan und Afghanistan herrscht große Armut Die Taliban versprechen nicht nur das Himmelreich, sondern auch mehr Gerechtigkeit und ein Ende der Korruption. Da gefällt es vielen Armen durchaus, dass sie fordern, korrupten Leuten die Hand abzuhacken. Schon in der Vergangenheit haben pakistanische Taliban nicht davor zurückgeschreckt, Schulkinder anzugreifen: Ihr bekanntestes Opfer ist Malala Yousafzai, der sie am 9. Oktober 2012 eine Kugel in der Kopf jagten. Sie befand sich mit anderen Mädchen in einem Schulbus, auf dem Schulweg. Denn entgegen dem Schulverbot für Mädchen hatte sie es gewagt, den Unterricht zu besuchen. Malala hat das Attentat überlebt und setzt sich weiterhin für die Rechte junger Frauen ein – in Pakistan und über seine Grenzen hinaus. Für ihr Engagement wurde sie jüngst mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet (TOPIC 267). Zu dem tragischen Angriff auf die Schule in Peshawar sagte sie: „Dieser sinnlose und kaltblütige Akt des Terrors in Peshawar bricht mir das Herz. Gerade Schulkinder müssen vor solch einem Horror bewahrt werden. Ich rufe die internationale Gemeinschaft, die politischen Führer in Pakistan – ja, jeden – dazu auf, gegen Terrorismus zu kämpfen: Lasst uns sicherstellen, dass jedes Kind eine sichere und gute Ausbildung erhält.“ Kathrin-Theresa Madl TOPICaktuell ONLINE – ab sofort auf www.lehrerservice.at Ausgabe 18 l Jänner 2015 l seite 5 InfoiBox Ich bin Charlie über ernste Themen lustig machten. Sogar über Terroristen, wie es die Taliban sind. Die Zeichner wollten damit den Menschen sagen: Gewalt ist keine Lösung, auch nicht im Namen einer Religion! Moslems freilich, die ihren Glauben in Frieden ausleben, fühlten sich beleidigt. Meinte man damit alle Moslems? Musste man den Islam so in den Schmutz ziehen? Vor allem Comics, die den Propheten Mohammed zeigten, waren ein großes Problem. Mohammed ist im Auf der ganzen Welt gedenken die Menschen den Opfern von Paris Islam der heilige Prophet und die Religion verbietet es, Bilder des Propheten zu zeichnen. Wir sagen, was wir uns denken Aber in Frankreich herrscht Pressefreiheit. Das bedeutet, dass Journalisten frei ihre Meinung sagen dürfen. Es macht keinen Unterschied, ob sie das in einer Zeitung, im Fernsehen oder in Form eines Comics tun. Ihre Aufgabe besteht darin, Menschen zu informieren, sie zum Denken anzuregen. Selbst wenn das bedeutet, dass sie Dinge aufzeigen, die manchen nicht passen – niemand darf sie deswegen angreifen. Niemand darf es ihnen verbieten. Die Pressefreiheit wird weltweit geschützt. Trotzdem gibt es Länder, die sich nicht daran halten. Nordkorea oder China etwa: Dort können Journalisten für ihre Meinung im Gefängnis landen. Die Mitarbeiter der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ haben erkannt wie wichtig es deshalb ist, immer für diese Freiheit zu kämpfen. Sie haben nie aufgehört zu zeichnen, obwohl sie schon oft bedroht wurden. Diejenigen, die den Angriff überlebt haben, zeichnen auch heute weiter. Dem Terror zum Trotz Die Männer, die den Angriff verübten, hatten Tage darauf gemeinsam mit anderen Terroristen auch Menschen in einer Firma und in einem Supermarkt in ihre Gewalt gebracht: Noch mehr Unschuldige verloren ihr Leben. Die Männer wurden schließlich von der Polizei bei der Befreiung der Geiseln getötet. In ganz Europa – vor allem in Frankreich – haben diese Angriffe die Menschen schwer getroffen. Auch an Schulen zeigten Kinder und Jugendliche ihre Trauer – Schweigeminuten wurden gehalten. Um deutlich zu machen, dass sie hinter den Opfern der Angriffe stehen, schreiben sie überall nieder: „Je suis Charlie“ (Ich bin Charlie). Der 15-Jährige Jonathan, der eine deutsche Schule in Paris besucht, meinte: „Wir haben miterlebt, was jetzt in der Stadt los ist. Unsere Lehrer haben mit uns über den Angriff gesprochen. Ich weiß, dass wir uns von Terroristen nicht einschüchtern lassen dürfen – das wäre genau das, was sie wollen. Wir müssen zusammenhalten.“ Kathrin-Theresa Madl Picturedesk (2), Shutterstock A uch in Paris, der Hauptstadt Frankreichs, ist es Anfang Jänner 2015 zu einem furchtbaren Terrorangriff gekommen: Zwei Männer haben zwölf Mitarbeiter der Zeitung „Charlie Hebdo“ an ihrem Arbeitsplatz erschossen und elf weitere verletzt. Warum? Weil sie für die Zeitung Comics zeichneten – aber nicht irgendwelche. Sie zeichneten Comics, mit denen sie sich
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