Leseprobe zum Titel: DER SPIEGEL Nr. 10/2017

In diesem Heft
Titel
Medien
USA Der Verdacht – was verbindet
Karrieren Der Schauspieler Matthias
20
Schweighöfer ist omnipräsent – und voller
Ängste
ARD SPIEGEL-Gespräch mit dem
Intendanten des Bayerischen Rundfunks,
Ulrich Wilhelm, über die
Kritik an der Rundfunkabgabe
72
75
Deutschland
Ausland
Leitartikel Die Angst vor weiteren Flücht-
Türkei baut eigene Polizeieinheit in Nordsyrien auf / Korruptionsaffäre könnte
Matteo Renzis Kampf um die Macht stören
Niederlande Eine Nation rückt nach rechts
Kommentar Zum Realitätsverlust des
konservativen französischen Präsidentschaftskandidaten François Fillon
Indien Wie Premier Narendra Modi
die Armen auf seine Seite zieht
Syrien Die grausame Herrschaft der
Regimemilizen
lingen steht einem würdigen Umgang
der Bundesregierung mit dem türkischen
Präsidenten Erdoğan im Weg
6
Meinung Kolumne: Im Zweifel links /
So gesehen: Donald Trump hält seine
Versprechen
8
Gewerkschaftsbund fordert höheres
Rentenniveau / Müller sucht neuen
BER-Chef / AKW Gundremmingen bei
Störfall nicht beherrschbar
24
Migration Das Dilemma der deutschen
Abschiebepolitik
28
Staatsoberhaupt SPIEGEL-Gespräch mit
Bundespräsident Joachim Gauck
über seine Amtszeit und Donald Trump
32
Außenpolitik Der Streit mit Türkei-Präsident
36
Erdoğan geht in die nächste Runde
Parteien In der Union wächst die Kritik an
CDU-Generalsekretär Peter Tauber
40
Baden-Württembergs Innenminister Thomas
Strobl setzt im Wahlkampf auf Angriff
41
Zeitgeschichte Wie eine Gruppe junger
Leipziger 1989 der Stasi trotzte
42
Subkulturen Der deutsche Trump-Fan,
eine seltene Spezies
44
Psychiatrie In einem Münchner Institut lagerten unentdeckt Gehirnteile von EuthanasieOpfern – und einem Serienmörder
46
Verkehr Eltern bringen ihre Kinder gern
mit dem Auto zur Schule – und gefährden
damit andere
50
Gesellschaft
Früher war alles schlechter: Unternehmensgründungen durch Migranten / Gehen
Sie bei Rot über die Ampel, Herr Sohn?
52
Eine Meldung und ihre Geschichte Ein hessischer
Bürgermeisterkandidat steht vor Gericht
53
Skandale Daniel Dassel war der Mann,
der die Sexpartys für die HamburgMannheimer Versicherung organisierte –
nun möchte er seine Ehre zurück
54
Homestory Gestatten, Mohamad
59
Wirtschaft
Deutsche Justiz ermittelt gegen ThyssenKrupp wegen Israel-Deal /
Vermieter ignorieren Mietpreisbremse /
China führt bei E-Mobilität
Unternehmer Warum hat die Familie
Schlecker nach der Pleite
ihrer Drogeriekette noch so viel Geld?
Steuern Luxemburg verteidigt
seine Privilegien für Großkonzerne
Korruption Österreichs Klage gegen Airbus
ist für den Konzern brandgefährlich
Analyse Was Deutschland mit den
Haushaltsüberschüssen machen sollte
Autoindustrie Der Opel-Standort Eisenach
wird zum Testfall für die
Pläne des Kaufinteressenten PSA
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84
86
Wissenschaft
Das mörderische Verhalten deutscher
Autofahrer im Unfallstau / Je lauter die
Stadt, desto kaputter das Gehör /
Einwurf: Wäre Kiffen erlaubt, würden
Teenies weniger kiffen
Neurowissenschaft Total Recall –
Forscher können falsche Erinnerungen
ins Hirn beamen
Technikgeschichte Ein Physiker ließ
die Welt glauben, ein Vulkanausbruch habe zur Erfindung des Fahrrads
geführt – jetzt ist er wohl widerlegt
Luftfahrt Drohnentaxis in Dubai, E-Copter
in Deutschland, Senkrechtstarter
in Kalifornien – das fliegende Auto
wird Wirklichkeit
68
69
70
Er ist noch zwei Wochen
Bundespräsident, dann übergibt Gauck an Frank-Walter
Steinmeier. Im SPIEGELGespräch zieht Gauck Bilanz
und spricht über die Aufgaben Deutschlands im Zeitalter des Populismus. Seite 32
94
98
Emily Witt
100
104
106
Sie reiste für ein Buchprojekt
in die Zukunft des Sex. In
San Francisco traf die US-Autorin eine Gruppe Polyamoristen – Anhänger der freien
Liebe. Aus dem alten Männertraum ist ein feministisches
Projekt geworden. Seite 106
111
112
118
Sport
Dirk Nowitzki, die deutsche Legende /
Magische Momente: Rallyefahrer
Walter Röhrl über seine Höllenfahrt
in Portugal
Doping Wie der Sportausrüster Nike
die Manipulationen
von Spitzenläufern deckt
119
Bestseller
Impressum, Leserservice
Nachrufe
Personalien
Briefe
Hohlspiegel / Rückspiegel
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126
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130
120
Matthias Schweighöfer
62
67
Joachim Gauck
92
Kultur
Raubkunst-Zwist um Kandinsky /
Kabarettist Hader im Kino / Kolumne:
Besser weiß ich es nicht
Zeitgeist Polyamorie – ein feministisches
Projekt für freie Liebe
Literatur Dave Eggers’ neuer Roman
„Bis an die Grenze“
Europa Kermanis Reise, Teil VII:
von der Krim nach Tschetschenien
Filmkritik „Moonlight“ – preisgekrönt mit
dem Oscar
DOMINIK BUTZMANN / LAIF
12
LANDON SPEERS
Donald Trump und Wladimir Putin?
Russland SPIEGEL-Gespräch mit Außenpolitiker Konstantin Kossatschow
über Erwartungen an die Präsidentschaft
Trumps und den Vorwurf, Moskau
mische sich in fremde Wahlkämpfe ein
Wegweiser für Informanten: www.spiegel.de/investigativ
Er ist einer der größten deutschen Kinostars. Wer ihn begleitet, erlebt einen rastlosen
Mann, der von einer internationalen Karriere träumt –
und versucht, die Ängste zu
besiegen, die ihn seit seiner
Kindheit begleiten. Seite 72
DER SPIEGEL 10 / 2017
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Das deutsche Nachrichten-Magazin
Leitartikel
Ende der Unterwürfigkeit
Angela Merkel muss sich von den Fesseln des Flüchtlingsdeals mit der Türkei befreien.
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DER SPIEGEL 10 / 2017
auch mit unvornehmer Zurückhaltung gegenüber seinem
demokratie- und menschenverachtenden Kurs.
Vor allem Merkel, deren Chancen auf eine Wiederwahl
im Herbst ein Anstieg der Flüchtlingszahlen wohl zerstören
würde, legt Erdoğan gegenüber ein bisweilen unterwürfiges
Verhalten an den Tag. Als Jan Böhmermann es wagte, als
Teil einer satirischen Performance eine „Schmähkritik“ an
Erdoğan vorzutragen, ließ Merkel beflissen kommentieren,
diese sei „bewusst verletzend“ gewesen. Vorauseilender
Gehorsam kommt selten würdig daher. Dass Erdoğans Armee kurdische Dörfer zerstört, dass nicht nur viele Journalisten, sondern unzählige Bürgermeister ins Gefängnis
geworfen wurden – wird von der Bundesregierung dagegen
selten bis nie kommentiert. Stattdessen erwies Merkel dem
Präsidenten gleich zweimal
vor wichtigen Wahlgängen die
Ehre und machte sich dabei,
bewusst oder nicht, zu dessen
Helferin.
Selbst im Fall Yücel wirkt
Merkels Regierung seltsam.
Es war kein Zufall, dass der
türkische Botschafter in Berlin am Tag der Haftanordnung nur zu einem „Gespräch
gebeten“ wurde. Wollen Regierungen eine deutliche Botschaft des Missfallens senden,
bestellen sie Botschafter ein.
So wie es die türkische Regierung mit dem deutschen Botschafter prompt am Donnerstag tat, als die Stadt Gaggenau
eine Propagandaveranstaltung mit dem türkischen Justizminister absagte. Die BunKanzlerin Merkel in Ankara
desregierung traut sich dies
nicht einmal, wenn einer ihrer
Bürger der Freiheit beraubt wird, nur weil er seiner Arbeit
nachging, die auch eine Arbeit für die Freiheit ist.
Um wieder souverän und im Einklang mit den eigenen
Werten handeln zu können, sollte Merkel sich endlich von
ihrer Angst befreien. Sie muss den Flüchtlingsdeal ja nicht
gleich selbst kündigen. Aber sie sollte ihr Handeln nicht
länger von der Sorge leiten lassen, er könne von Erdoğan
beendet werden. Es ist Zeit, Alternativen zu schaffen: mit
dem Einsatz für eine europäische Flüchtlingspolitik, die
die Sicherung ihrer Grenzen nicht an die Türkei outsourct,
sondern selbst übernimmt. Schlüsselstaaten wie Griechenland und Italien müssen endlich jene Unterstützung in Form
von Geld, Fachkräften und Infrastruktur erhalten, die sie
brauchen, um Migranten gleich an der Außengrenze der
EU zu registrieren, ihre Fälle zu prüfen und sie gegebenenfalls wieder abzuschieben. Es ist höchste Zeit, sich aus Erdoğans Fesseln zu befreien.
Markus Feldenkirchen
ADEM ALTAN / AFP / GETTY IMAGES
D
er türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan
möchte bald eine große Rede in Deutschland halten. Er will für eine Verfassungsänderung in der
Türkei werben, mit der er den entscheidenden Schritt
vom autokratischen Willkürstaat zur Diktatur machen
würde. Es ist perfide: Der türkische Präsident will unsere
Versammlungs- und Meinungsfreiheit nutzen, um für deren endgültige Abschaffung in seinem Reich zu werben.
Müssen wir uns das bieten lassen?
Es gibt kraftvolle Stimmen, die Auftritte von Erdoğan
und seinen Ministermarionetten verbieten wollen. Einzelne Kommunen sagen geplante Veranstaltungen bereits
ab, formal aus Sicherheitsgründen. Wer aber Reden verhindern will, deren Inhalt ihm nicht passen, handelt nicht
souverän, er verfällt demselben intoleranten Reflex wie
der türkische Despot selbst.
Dessen gelenkte Justiz hat gerade Haft gegen den „Welt“Korrespondenten Deniz Yücel verhängt, weil der Inhalt
seiner Texte dem Regime
nicht passte. Mehr als 150 türkische Journalisten wurden
schon vorher von Erdoğans
Unterdrückungsapparat zum
Schweigen gebracht.
Deutsche Politiker sollten
sich zudem hüten, wie beleidigte Leberwürste zu handeln. Einreiseverbote oder
Wirtschaftssanktionen gegen
die Türkei, die ebenfalls gefordert werden, wären Trotzreaktionen, die vielleicht ein
Rachebedürfnis befriedigen,
aber niemandem helfen. Auch
wenn es schwerfällt: Der Dialog mit Erdoğan und seinem Regime bleibt wichtig, nicht
zuletzt, um Regimeopfern wie Deniz Yücel helfen zu
können. Dieser Dialog aber muss souverän, unabhängig
und im Einklang mit den eigenen Überzeugungen geführt werden.
Leider agieren Kanzlerin Merkel und ihre Regierung im
Umgang mit Erdoğan alles andere als souverän, sondern
auf traurige Art gehemmt. Das liegt daran, dass Merkels
Türkeipolitik in erster Linie angstgetrieben ist. Es lähmt
die Angst, dass Erdoğan den Flüchtlingsdeal aufkündigen
könnte, was dieser tatsächlich immer wieder androht. Das
Ziel dieses Deals ist nicht allzu komplex: Die Türkei, auf
deren Gebiet sich knapp drei Millionen Flüchtlinge aufhalten, soll eine weitere Migrationswelle in Richtung
Deutschland verhindern. Diesen Türsteherjob lässt Erdogan sich gut bezahlen. Nicht nur mit Milliarden für die
Versorgung der Flüchtlinge im eigenen Land. Sondern