Manuskript Beitrag: Kein Asyl in Deutschland – Politisch Verfolgte in der Türkei Sendung vom 7. März 2017 von Reinhard Laska und Felix Zimmermann Anmoderation: Nazi-Vergleiche und Spionagevorwürfe. Erdogan dreht durch, oder richtiger: Er dreht auf, er eskaliert mit Absicht. Seit der türkische Präsident den Ausnahmezustand verhängte, verfolgt er jeden, den er für seinen Gegner hält, so brachial wie ihm beliebt. Seinen Macht- und Malträtieranspruch will er offenbar auch auf deutschen Boden ausdehnen und 1,4 Millionen wahlberechtigte Türken hierzulande aufwiegeln. Die Bundesregierung versucht es mit Deeskalation. Sie protestiert zwar vernehmlicher als früher gegen die Verhaftung von Journalisten wie Deniz Yücel einerseits. Andererseits hält sie lieber still, wenn Türken in Deutschland Schutz suchen, berichtet Reinhard Laska. Text: Erdogan gegen die türkische Demokratie: Seit dem Putsch im letzten Juli sind Verhaftungen und willkürliche Prozesse gegen Gewerkschaftler, Wissenschaftler und Journalisten an der Tagesordnung. Rund 3.000 Journalisten haben ihre Arbeit verloren, 140 sitzen derzeit in Haft - der prominenstete Fall: Deniz Yücel. Vor wenigen Tagen musste Sedat Ergin, Chefredakteur bei „Hürriyet“, seinen Posten räumen, wie auch seine Kollegin Hande Firat. Wer bei Erdogan in Ungnade fällt, wird unbarmherzig verfolgt. Der Präsident hat inzwischen jedes Maß verloren, beschimpft die Bundesrepublik am Wochenende, nachdem türkischen Politikern der Auftritt hier verboten wurde. O-Ton Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Republik Türkei: Hey Deutschland, Ihr habt mit Demokratie ganz und gar nichts zu tun. Eure jetzigen Praktiken unterscheiden sich nicht von den früheren Nazi-Praktiken. Das sollt Ihr wissen. Begeisterte Anhänger, empörte Politiker. O-Ton Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin: Solche deplatzierten Äußerungen kann man ernsthaft eigentlich gar nicht kommentieren. O- Ton Julia Klöckner, CDU, MdL Rheinland-Pfalz: Wenn Herr Erdogan weiter bei seinem Nazivergleich bleibt, dann muss man ihm deutlich machen, dass er hier nicht erwünscht ist. O-Ton Heiko Maas, SPD, Bundesjustizminister: Das ist ja so abstrus, infam und abwegig, dass man sich ja fast die Frage stellt, ob es einem nicht zu blöd ist, das überhaupt noch zu kommentieren. Die Kritik kommt spät. Bislang wurde Erdogan von der Kanzlerin hofiert, um den Flüchtlingsdeal nicht zu gefährden. Hilfe für politisch Verfolgte, bisher kein Thema - schon gar nicht, wenn es um Asyl in Deutschland geht. Sakine Yilmaz. Der Gewerkschaftsfunktionärin droht jahrelange Haft, weil sie in der Türkei angeblich illegale Demonstrationen organisiert hatte. Im August 2016 floh sie nach Deutschland, doch ihr Asylverfahren schleppt sich hin. O-Ton Sakine Yilmaz, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Berlin: Meine Erwartung an deutsche Behörden ist es, dass so schnell wie möglich mein Asylantrag anerkannt wird, damit ich ein neues Leben aufbauen kann. Außerdem hat mein Mann auch in der Türkei seine Arbeit verloren. Ich würde gerne, dass er hierherkommen kann, auch deswegen muss meine Akte schnell geschlossen werden. Inzwischen lernt sie Deutsch. Sakine Yilmaz muss sich eine neue Existenz aufbauen. Zurück in ihre Heimat könne sie nicht, solange Erdogan an der Macht ist. O-Ton Sakine Yilmaz, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Berlin: Es war für mich eine sehr schwere Entscheidung, die Türkei zu verlassen. Ich habe dort 40 Jahre meines Lebens verbracht. Nie habe ich gedacht, in einem anderen Land wie der Türkei zu leben. Wäre ich in der Türkei geblieben, hätte ich mein restliches Leben im Gefängnis verbringen müssen. Treffen mit dem Rechtsanwalt. Hanswerner Odendahl vertritt schon seit mehr als dreißig Jahren Asylsuchende. Für ihn ist der Fall Sakine Yilmaz klar. O-Ton Hanswerner Odendahl, Rechtsanwalt für Ausländerrecht: Normalerweise hat die Behörde drei Monate Zeit und jeder hat das Recht, dass das Verfahren so gefördert wird, wie das sachgerecht ist. Und sachgerecht wäre hier, dass man kurz nach der Anhörung, wenn nichts Besonderes entgegensteht, dann auch entscheidet. Und deswegen habe ich hier drei Monate nach der Anhörung auch Untätigkeitsklage erhoben. O-Ton Frontal 21: Und wie ist der Stand des Verfahrens? O-Ton Hanswerner Odendahl, Rechtsanwalt für Ausländerrecht: Da ist wiederum nichts weiter passiert. Dabei sind der Bundesregierung die gravierenden Menschenrechtsverletzungen unter Erdogan bekannt. Das Auswärtige Amt hält in einem internen Länderbericht, der Frontal 21 vorliegt, fest: „Die Regierung hat seit dem Putschversuch eine fast alles beherrschende nationalistische Atmosphäre geschaffen, die gleichermaßen auf Furcht, Euphorie, Propaganda und nationaler Einheit setzt.“ Weiter heißt es: „Die meisten politisch Oppositionellen können sich nicht frei und unbehelligt am politischen Prozess beteiligen.“ Dennoch dauern die Verfahren aus der Türkei beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mehr als 16 Monate, nur acht Prozent wurden positiv entschieden. Das Innenministerium erklärt, die Bearbeitungsdauer habe damit erkennbar abgenommen. Pro Asyl übt trotzdem Kritik: O-Ton Günter Burckhardt, Geschäftsführer Pro Asyl: Es werden Fälle liegengelassen, nicht entschieden, die glasklar sind. Das Bundesamt darf offensichtlich nicht entscheiden. Die Bundesregierung will verhindern, dass Menschen, die verfolgt sind von Erdogan, in Deutschland ein Asylrecht zugesprochen bekommen. Das ist die Opferung eines Menschenrechts auf Asyl, um Herrn Erdogan nicht noch weiter zu reizen. Dabei formulieren die Experten des Außenamtes Klartext: „Fälle von massiver Gewalt seitens der Sicherheitskräfte (…) kommen nicht selten vor.“ Und weiter: „Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass (…) bei Verfahren mit politischen Tatvorwürfen bzw. Terrorismusbezug unabhängige Verfahren kaum bzw. zumindest nicht durchgängig gewährleistet sind.“ Davor hat auch der Politologe Dogan Angst. Mit über 2.000 Kollegen hat er einen Friedensappell an Erdogan unterzeichnet, er solle die Militäraktionen gegen die kurdische Bevölkerung stoppen. Jetzt wird er als Terrorist verfolgt, musste fliehen. O-Ton Ali Ekber Dogan, Politikwissenschaftler: Die Bedingungen für die Fortsetzung meiner akademischen Laufbahn in der Türkei waren nicht mehr gegeben. Ich hatte keine Chance mehr in irgendeine Universität reinzukommen. Keine Universität beschäftigt einen Akademiker, der die Friedenserklärung unterschrieben hat. Hier wird verfolgten Wissenschaftlern wie Dogan geholfen - mit einem Stipendium, weil es wenig Hoffnung auf Asyl gibt. Die Bonner Alexander von Humboldt-Stiftung hilft inzwischen vielen verfolgten türkischen Wissenschaftlern. O-Ton Barbara Sheldon, Alexander von Humboldt-Stiftung: Seit letztem Sommer sind insbesondere auch türkische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betroffen. Sie verlieren ihren Job. Es gibt Entlassungen von einem Tag auf den anderen. Es gibt Bedrohungen. Und plötzlich finden sich Personen, die ein ganz normales bürgerliches Leben geführt haben, in der Situation, dass sie alles verlieren und große Furcht auch haben. Wie Hayko Bagdad, der türkisch-armenische Journalist fängt wieder ganz von vorne an. Er leitet eine Redaktion im deutschen Exil - das türkische Medienprojekt „Özgürüz“, zu Deutsch: „Wir sind frei“. Nur von hier aus können sie noch kritisch über die Türkei berichten. Er erinnert sich, wie es ihm und seinen Kollegen unter Erdogan ergangen ist: O-Ton Hayko Bagdat, Journalist: In der Türkei ist die Polizei in Live-Sendungen einmarschiert, während der Sendungen hat die Polizei Sender geschlossen, die Ausrüstungen beschlagnahmt und abtransportiert. Wohnungen von vielen Journalisten werden durchsucht, eine endlose Kette von Unglücksfällen. Auf ein langwieriges Asylverfahren mit ungewissem Ausgang will er sich lieber nicht einlassen. O-Ton Hayko Bagdat, Journalist: Wie alle anderen ist meine Erwartung, hier wohnen und arbeiten zu dürfen, die Kinder zur Schule schicken zu können. Eine Rückkehr in Erdogans Reich können sich die wenigsten Exilanten vorstellen. Im Gegenteil: Die Zahl der von Erdogan Vertriebenen steigt. Nun muss sich die Bundesregierung entscheiden - Staatsraison oder Schutz der Verfolgten. Abmoderation: Morgen trifft Außenminister Sigmar Gabriel seinen türkischen Kollegen. Der hat weitere Wahlkampf-Auftritte von türkischen Politikern in Deutschland angekündigt. "Keiner von euch kann uns daran hindern", tönte er am Samstag. Es scheint, als wolle die türkische Regierung Redeverbote geradezu provozieren, weil das die Reihen der Erdogan-Anhänger umso fester schließt. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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