1 SWR2 MANUSKRIPT SWR2 Musikstunde Frau mit Eigenschaften Das Leben der Ethel Smyth (1) Mit Katharina Eickhoff Sendung: 06. März 2017 Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2017 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Musikstunde können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 2 Musikstunde mit Katharina Eickhoff Montag, 6. März 2017 Frau mit Eigenschaften – Das Leben der Ethel Smyth (1) Indikativ „Doing things by halves is the most boring thing in the world!“ Dinge nur halb zu tun, ist das Langweiligste von der ganzen Welt. Sprach Ethel Smyth, nahm einen Backstein zur Hand und schmiss damit eine Scheibe ein. Ja, das hier wird, wenn Sie so wollen, eine feministische Musikstundenwoche. Einerseits. Einerseits schadet es nämlich tatsächlich nicht, gerade jetzt die Fahne hochzuhalten, wo Feminismus von manchen wieder ganz offen als nervige political correctness oder Schlimmeres abgetan wird. Und wo ein Frauen wie Dreck behandelnder Mann das mächtigste Amt der Welt besetzt – man sieht Miss Smyth geradezu vor sich, wie sie neulich beim Womens’ March in Washington vorneweg gestürmt wäre, in ihrer so unglaublich britischen Tweed-Montur mit immer etwas zu großer Jacke, die Krawatte kampflustig strammgezogen... Andererseits sind Ethel Smyth, ihre Musik und ihr ganzes buntes Leben eine so großartige Story, dass es den Feminismus gar nicht braucht, um das erzählen zu wollen – Ethel, wie wir sie hier jetzt die Woche über mal nennen wollen, spricht für sich. Das tat sie wirklich, und zwar in gleich mehreren Büchern, in denen sie mit Leidenschaft, Wortgewalt und Witz ihr Leben erzählt hat, von ihrer sehr britischen Kindheit über ihre aufregenden Studienjahre in Leipzig, wo sie als wildes Fräulein nicht bloß Brahms verwirrt hat, ihren atemberaubenden Aufstieg als Komponistin, der ihr so prominente Fans wie George Bernard Shaw oder Bruno Walter eingetragen hat, bis zu ihrem Kampf für Frauenrechte, ihren Reisen und Freundschaften und Verliebtheiten – verliebt war sie immer, meistens in Frauen, mit einer allerdings sehr bedeutenden Ausnahme, und ihre schwärmerische Begeisterung war Energiequelle und Antrieb für diese ziemlich verrückte und doch bodenständige, liebenswerte Frau. 3 Ethels gedruckte Erinnerungen waren Bestseller, genauso erfolgreich wie ihre Musik, und das will was heißen, immerhin sind ihre Kompositionen von den besten Dirigenten Europas und der USA in den wichtigsten Konzert- und Opernhäusern aufgeführt worden. Und ihre Komponistenkollegen haben immer bewundernd darauf hingewiesen, dass man bei ihrer Musik gar nicht merke, dass eine Frau sie geschrieben habe... Womit wir wieder beim Feminismus wären, aber den wollen wir ja auch gar nicht ganz loswerden, denn er gehört klar zu Ethels Geschichte dazu, nicht zuletzt, weil sie in fortgeschrittenem Alter ja eine Zeit lang rettungslos verliebt in die Chefsuffragette Emmeline Pankhurst war und 1912 zwei Monate in Londons Frauengefängnis Holloway einsaß, weil sie irgendeinem hartleibigen konservativen Politiker die Fensterscheiben zertrümmert hatte... Ethels Kampf für Frauenrechte war zunächst mal einfach ein Kampf für ihre eigenen Rechte : Schon als kleines Mädchen ist sie zum Leidwesen ihres gestrengen Vaters gegen die Beschränkungen einer viktorianischen Jugend Sturm gelaufen. Und hatte bald einen Spitznamen weg, der die ganze Ethel bestens auf den Punkt bringt: The stormy petrel – Der Sturmvogel.... 3’00 12-66551 T. 4 etwa 3’ Ethel Smyth, Serenade in D, Finale BBC Philharmonic, Odaline de la Martinez ...mit diesem Stück wird Ethel dann im Jahr 1890 in Londons Crystal Palace ihr offizielles Debüt als Komponistin haben... Ethel ist eine von sechs Töchtern des gestrengen britischen Generalmajors der Artillerie John Hall Smyth, der erst kurz vor Ethels Geburt mit Frau und Kindern wieder nach England zurückgekommen ist. Vorher hat die Familie in Indien gelebt, und die Eltern, erinnert sich Ethel, haben sich auch später noch in Hindustani unterhalten, sobald ein delikates Thema vor den Kindern zu besprechen war. So ein Hindustani- Thema war zum Beispiel die nicht standesgemäße Großmutter, Mrs Smyths verfemte Mutter: Bonnemaman, so wurde sie genannt, wenn dann doch mal von ihr die Rede war, Bonnemaman also hatte sich nach mehreren gescheiterten Ehen in Paris niedergelassen und dort ein lupenreines Bohème-Leben geführt. 4 Im Salon der geschiedenen Lebedame hat dereinst Chopin gespielt, und bei der entsetzten wohlanständigen Verwandtschaft daheim in England gingen wilde Geschichten um, zum Beispiel, dass sie sich in ihre Wohnung besonders große Schränke habe einbauen lassen, um ihre vielen Liebhaber zu verstecken. In jedem Fall ist Ethels geliebte, aber schwierige Mutter in Paris aufgewachsen, Französisch war die Sprache ihrer Kindheit, und die stumpfe Ödnis der britischen Gesellschaft – Ethel nennt das die „English humdrumness“ – hat ihr oft schwer zu schaffen gemacht, auch wenn sie sich nicht offen dagegen aufgelehnt hat. Ihre Mutter, sagt Ethel, habe, wie sie selbst auch, ein undiszipliniertes Herz gehabt, und sie war „extraordinarily un-English“. Trotzdem ist Ethels Kindheit eine viktorianisch-britische Kindheit wie aus dem Bilderbuch, also, dem Bilderbuch einer wohlhabenden Familie, natürlich: Ein großes, efeubewachsenes Haus im ländlichen Umkreis Londons, ein Kricket-Rasen und ein dazugehöriger Gärtner, und ein in diesen Kreisen und bei dieser Kinderzahl üblicher enormer Verschleiß von Kindermädchen... Wenn wir vielleicht mal kurz über die Gartenmauer auf England in Ethels Kindertagen schauen, sehen wir ein Reich auf dem Höhepunkt seiner kolonialen und sonstigen Macht. Nach dem Sieg über Napoleon ist Großbritanniens Aufstieg nicht mehr aufzuhalten, aus allen weiteren Händeln in Europa hält sich das Empire elegant raus und intensiviert stattdessen den Handel mit seinem riesigen Commonwealth. Und es stellt sich, damals schon, heraus, dass Wirtschaftsmacht die wahre Macht ist: England unter Queen Victoria hat überall ein Wörtchen mitzureden, spielt Weltpolizist und gibt auf allen Meeren den Ton an. Es war tatsächlich so: Britannia ruled the waves – zu Ethels Zeit war „Rule, Britannia“, das stolze Lied von Thomas Augustine Arne schon die heimliche Nationalhymne, die es bis heute ist. Und alle Briten glaubten dem Text Wort für Wort. 3’00 Gebr.CD T. 1 Thomas Augustine Arne, Rule Britannia Royal Philharmonic Orchestra, Carl Davis Sony 2436051 2’36 5 Rule Britannia, der unvermeidliche Jubelchor bei der Last Night of the Proms und anderswo, der jetzt, in Brexit-Zeiten, plötzlich die liebenswürdige Selbstironie verloren hat, die da früher immer mitschwang - weil es ja doch erschreckend viele Engländer auf einmal wieder ernst meinen und zurückwollen zu den guten alten Zeiten des Empire und in die „spledid isolation“ – auch hier sieht man Ethel, die Kosmopolitin, schon wieder vor dem geistigen Auge sich resolut den Hut zurechtzücken und in die pro-Europa-Schlacht ziehen, die sie ja aber trotzdem einstweilen verloren hätte. England herrschte also auf allen Meeren, und das Selbstverständnis als Tochter der einzig wirklich zivilisierten Nation auf Erden liest man schon auch aus Ethels Erinnerungen, wenn sie dann später in Deutschland amüsiert und ein bisschen naserümpfend die hygienischen Verhältnisse in Leipzig oder das rustikale Betragen der Sachsen beschreibt. Dieses Großbritannien, in dem sie aufwächst, ist ein eigenartiges Reich fernab von der Restwirklichkeit: Die Revolutionen auf dem Festland von 1830 und 1848 sind an England quasi spurlos vorbeigegangen, keiner verfolgt hier irgendwelche spinnerten Ideen von Demokratie und Volksherrschaft – Nur so kann es sich Königin Victoria leisten, nach dem Tod ihres abgöttisch geliebten Albert im Jahr 1861 total in ihrer Rolle als trauernde Witwe aufzugehen und fast komplett aus dem öffentlichen Leben zu verschwinden. Der Laden läuft auch ohne sie, die britische Gesellschaft bewegt sich ganz von allein in den allseits akzeptierten Standesschranken, und gerade in der oberen Mittelschicht sind die Lebenswege auf beruhigende, aber eben auch ziemlich anödende Weise zementiert: In Ethels Familie gingen die Männer zum Militär oder wurden Geistliche oder Bankdirektoren, die Frauen waren gehalten, sich ein bisschen zu bilden, nicht zu sehr, das Tanzen und Klavierspielen zu lernen, und dann den Meistbietenden zu heiraten. Nur, dass sich bei Ethel schon relativ früh abzeichnet, dass es wohl eher nichts werden wird mit der allzu holden Weiblichkeit. Sie hasst Puppen – die, die ihr aufgedrängt werden, erklärt sie kurzerhand zu Schwerkranken und stopft sie zur ewigen Rekonvaleszenz in irgend einen Schrank , sie liebt wilde Spiele und Sport aller Art, sie ist laut bis vorlaut, lässt kein Fettnäpfchen aus, und ihre Frisur ist grundsätzlich eine Katastrophe. 6 „Tomboy“ nennt man so ein Mädchen im Englischen, und Ethel ist sozusagen die Inkarnation des Begriffs. Davon abgesehen ist sie, wie Mozarts Cherubino, in pubertärer Aufwallung ständig existentiell in irgendwelche Damen verliebt: „Wilde Leidenschaften für Mädchen und Frauen, die deutlich älter waren als ich, bestimmten einen großen Teil meines Gefühlslebens“, schreibt sie in „Impressions that remained“, dem ersten Teil ihrer Memoiren, „und ich pflegte den Liebeswahn zu steigern, indem ich mir einredete, das Objekt meiner Begierde sei Opfer einer scheußlichen Krankheit, die sie mir alsbald entreißen würde. In jedem Fall war ich auch durch die noch so offensichtliche Evidenz einer robusten Gesundheit nicht von meinen Vorstellungen abzubringen.“ Den Eltern ist das himmelhochjauchzend-zutodebetrübte Mädchen oft rechtschaffen peinlich, Miss Ethel fehlt die Impulskontrolle, und in der Familie ist man froh um jeden Moment, in dem sie sich einhegen lässt und tut, was höhere Töchter halt so tun, zum Beispiel vor den Gästen der Abendgesellschaft auftreten und ein bisschen hübsch Klavier spielen und singen. Das hat sie auch als erwachsene Frau beibehalten – sie singen zu hören, scheint ein wirkliches Vergnügen gewesen zu sein. Erstrecht, wenn es dann ihre eigenen Lieder waren, wie dieses hier zum Beispiel: 4’30 336-3008 T. 3 4’04 Ethel Smyth, Chrysilla Melinda Paulsen, Kammerensemble „Chrysilla“ aus dem Jahr 1907 – gewidmet hat Ethel dieses zärtliche Stück Henry Brewster, der großen Liebe ihres Lebens. Die junge Ethel singt also gern, sie hat eine sehr schöne Mezzo-Stimme, und dass sie hochmusikalisch ist, fällt zwar den nicht sehr musikaffinen Eltern nicht auf, aber dafür einer ihrer Gouvernanten – die hat in Leipzig gelebt und dort erstaunlicherweise sogar als Frau Musik studieren dürfen, und sie spielt dem Kind Ethel statt englischen Abzählreimen Beethoven und Schumann auf dem Klavier vor. Leipzig – das Zauberwort fällt schon ziemlich früh in Ethels Leben, und zusammen mit der wunderherrlichen Musik, die sie von der Gouvernante hört, verdichtet sich der Begriff zu der vagen Vorstellung von einem paradiesischen, klingenden, singenden Ort in der Ferne... 7 Dann erscheint noch ein entfernter Bekannter der Eltern auf der Bildfläche, Alexander Ewing, ein prominenter Hymnen-Komponist, der ein echter Musik- und auch sonst Gelehrter ist, und der sich wohl ein bisschen in das so intensiv fühlende und begeisterungsfähige siebzehnjährige Mädchen verguckt, derweil er ihr Berliozund Wagner-Partituren zeigt, ihr aus der Musikgeschichte erzählt und die Grundzüge der Harmonielehre beibiegt. Schon bald hält er Ethel für eine geborene Komponistin, und sagt ihr das auch. Ethels Vater fängt einen schwärmerischen Brief des FreizeitBohemiens ab und macht der Sache ein Ende, aber zu spät: Die Tochter ist schon rettungslos mit dem Musikvirus infiziert. Sie übt Klavier wie verrückt, versucht erste eigene Kompositionen und organisiert sich mit nimmermüder Energie irgendwelche Anstandsdamen oder älteren Verwandten, die mit ihr nach London zu den Konzerten im Crystal Palace fahren. 1’40 M0114743 T. 3 1’00 William Sterndale Bennett, Klavierkonzert Nr.4 f-moll Malcom Binns, Milton Keynes Chamber Orchestra, Hillary Davan Wetton Der Crystal Palace ist ein riesiges Gebäude aus Glas und Stahl, das um die Jahrhundertmitte für eine Weltausstellung in London gebaut, dann nochmal abgetragen und in einem Vorort wieder aufgebaut wurde, wo er seitdem für Veranstaltungen und Monster-Ausstellungen aller Art genutzt wird. Es gab auch eine zum Haus gehörige Militärkapelle dort, aber aus der ist dann ganz schnell ein richtiges Sinfonieorchester geworden, dank eines Deutschen – der aus Ostpreußen stammende Dirigent August Manns hat die Kapelle gleich nach dem Umzug übernommen und aufgestockt und dann peu à peu aus dem Crystal Palace das populäre Konzerthaus Londons gemacht. August Manns war über Jahrzehnte die musikalische Seele des Crystal Palace, und er wird es sein, der dann im Jahr 1890 hier im Crystal Palace Ethels britisches Debüt als Komponistin dirigieren wird, ihre Orchesterserenade in D-Dur! 8 Er war aber überhaupt ein Segen für England: Manns hat den Briten die Musik ihrer Zeit vorgespielt, hat ihnen die großen Werke von Schumann und Schubert vorgestellt, aber er war auch ein begeisterter Unterstützer der englischen Komponisten, zum Beispiel von William Sterndale Bennett, dem um die Mitte des 19. Jahrhunderts vermutlich bedeutendsten Komponisten der Insel – seine Musik hat Ethel auf ihren Konzertausflügen nach London noch zu hören bekommen, und ihr Ton hat auch auf ihren Stil Einfluss gehabt, kein Wunder, denn es ist der „LeipzigTon“ – Bennetts 4. Klavierkonzert hier zum Beispiel ist in Leipzig unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy uraufgeführt worden! 1’30 M0114743 T. 3 2’00 William Sterndale Bennett, Klavierkonzert Nr.4 f-moll Malcom Binns, Milton Keynes Chamber Orchestra, Hillary Davan Wetton ...von Sir William Sterndale Bennett, und siehe da, es gab offenbar englische Komponisten vor Edward Elgar, nur dass die in Deutschland aus kultureller Arroganz mehr oder weniger ignoriert wurden und werden,- das ist übrigens die Schuld des 20. Jahrhunderts, denn zu Lebzeiten, also im mittleren 19., stand zum Beispiel einer wie William Sterndale Bennett bei seinen deutschen Kollegen ganz hoch im Kurs! Bennett ist nach Leipzig gekommen und hat bescheiden bei Mendelssohn angeklopft, ob er sein Schüler sein dürfte, und Mendelssohn, begeistert von Sterndale Bennetts Musik und liebenswürdig wie immer, hat erklärt, er wolle gar nicht Bennetts Lehrer, sondern sein Freund werden. Auch Robert Schumann war ganz vernarrt in Sterndale Bennett, die zwei haben in Bennetts Zeit in Leipzig stundenlange Spaziergänge mit angeschlossenen Kneipensitzungen gemacht, und nach Mendelssohns Tod hat man Bennett sogar die Leitung des Leipziger Gewandhauses angetragen – er hat abgelehnt, weil er seine Studenten in England nicht im Stich lassen wollte. Das große Problem, das die englische Musik zu Ethel Smyths Jugendzeiten hat, ist, wenn man so will, das Leipzig-Problem: So ziemlich jeder vielversprechende britische Komponist ist nach Leipzig gegangen, und der romantisch-musikalische Zauber dort war damals, um die Mitte des 19. Jahrhunderts, so stark, dass der Mendelssohn’sche Klang irgendwie auf alle abgefärbt hat...das gilt auch für den 9 anderen, deutlich bekannteren Champion bei den Konzerten im Crystal Palace, für Arthur Sullivan. Arthur Sullivan hat als junger, enorm begabter Kerl ein Studienstipendium für Leipzig bekommen und dort bei Carl Reinecke studiert. Diesen Carl Reinecke darf dann zwanzig Jahre nach ihm auch Ethel Smyth noch genießen, und sie fand ihn ganz und gar ungenießbar – darüber morgen mehr! Arthur Sullivans Komponistenkarriere geht dann später so richtig raketenhaft ab, als er, Anfang der 70-er Jahre, sein Librettisten-Alter-Ego William Schwenck Gilbert trifft. Gilbert und Sullivan werden die britischen Operettenkönige, mit Mega-Erfolgen wie „The Mikado“ oder „The Pirates of Penzance“. Davon abgesehen kann Sullivan als Komponist so schön salbungsvoll klingen, wie es die Engländer lieben, davon zeugt seine legendäre Schluchzschnulze „The Lost Chord“. Die wurde von Enrico Caruso auf der Trauerfeier zum Untergang der Titanic gesungen – ein Ohrwurm, der dann auch noch die allerhöchsten literarischen Weihen kriegte, weil nämlich James Joyce ihn im musikalisch durchwobenen „Sirenen“-Kapitel seines „Ulysses“ verewigt hat. Ein britischer Kritiker schrieb über Sullivans Musik, im Gegensatz zu diesem seltsamen Italiener namens Verdi verstehe es Sir Arthur, sich mit seiner Musik nicht in den Vordergrund zu drängen. Sullivans Musik sei „nicht im Weg“, heißt es da, und das war womöglich in England damals das größte Kompliment, das man als Komponist einfahren konnte... 3’20 Gebr. CD T. 2 4’00 Arthur Sullivan, The Lost chord Enrico Caruso Naxos 4217088 Den Starkomponisten Arthur Sullivan hat Ethel dann später, zu Anfang der 1890-er Jahre kennengelernt, und der Herr in besten Jahren war, das zeigen seine charmanten Briefe an sie, absolut entzückt von der so lebendigen Miss Smyth. Irgendwie scheint er sich angesichts ihrer unerschöpflichen Energie auch wieder jung gefühlt zu haben, jedenfalls schreibt er ihr 1895: „Es war eine schwere Enttäuschung für mich, dass ich Sie letzte Woche nicht gesehen habe, denn – ich kann nicht erklären, warum, aber ich hatte große Sehnsucht, Sie wiederzusehen, die Art 10 Sehnsucht, die man danach hat, einen Ort wiederzubesuchen, wo man als Kind glücklich war. Obwohl ich alt genug bin, um Ihr Vater zu sein, assoziiere ich Sie in meinem Herzen irgendwie immer mit meinen Kindertagen...“. Ja, Ethel Smyth war hin- und mitreißend als junge Frau, obwohl sie nie eine Schönheit gewesen ist – aber die Leidenschaft für alles, womit sie sich beschäftigte, muss ungeheuer anziehend gewirkt haben. „Ethel Smyth hatte eine flammende Seele“, schreibt zum Beispiel auch Bruno Walter in seinen Erinnerungen: „Sie brannte ununterbrochen, ob sie komponierte, ob sie schrieb, ob sie als Suffragette agitierte, ob sie in einer Art Kimono ein Orchester dirigierte, oder ob sie sich unterhielt.“ Bruno Walter war nicht bloß ein Fan von Ethel, sondern vor allem auch von ihrer Musik, er hat ihr so manche Tür geöffnet – mehr dazu im Lauf der Woche. Und die flammende Miss Ethel, die auf den Bällen der Umgebung so wild Walzer tanzt, dass sie zur Hälfte des Abends schon so zerrupft aussieht wie ein Cherokee auf dem Kriegspfad, hat auch bald den ersten ernsthaften Verehrer aufgegabelt. Ein junger, träumerischer Ire namens Willie, der begeistert mit ihr Literatur, Philosophie und Musik diskutiert und ihr sogar einen Verlobungsring kauft. Aber nach ein paar Wochen wird die Verlobung still und leise fallengelassen, und Ethel verliert den Verlobungsring dann Jahre später beim Spielen mit ihrem Hund...Willie hieß übrigens mit Nachnamen Wilde und war Oscar Wildes älterer Bruder – er hat dann als Journalist und Kritiker in London gearbeitet, ein unglücklicher Mensch und Schwerstalkoholiker, der seinem von ihm sehr beneideten berühmten Bruder auf der Tasche lag und schlecht über ihn redete. Den hat sich Ethel also erspart – aber eigentlich waren wir ja noch bei ihren Konzerterlebnissen in London! Und da hat sie dann eines Tages im Samstagskonzert der St. James’s Hall ihre musikalische Epiphanie, ein Erlebnis, das sie selbst als wichtigen Meilenstein in ihrer musikalischen Reise sah: Sie hört zum ersten Mal Musik von Brahms. Ein Quartett von deutschen Sängern, allesamt persönlich bekannt mit Brahms, singt die Liebeslieder-Walzer. Und für Ethel beginnt eine neue Zeitrechnung: „An diesem Tag“, schreibt sie, „sah ich den ganzen Brahms; andere, größere, und, um die Sprache der Pedanten zu benutzen, „bedeutendere“ Brahms-Werke würden später neue Feuer in mir entzünden, aber sein Genie ist dort und damals wie ein Blitz über 11 mich gekommen. Ich fuhr nach Hause mit einer endgültigen Entscheidung im Herzen“... M0021425 T. 6 2’35 Johannes Brahms, Liebeslieder-Walzer op. 52 Ein kleiner, hübscher Vogel Edith Mathis, Brigitte Fassbaender, Peter Schreier, Dietrich Fischer-Dieskau „Go to Leipzig I must“ – das ist die Entscheidung, die Ethel fällt, derweil sie zum ersten Mal einen Vorgeschmack von den Herrlichkeiten Brahms’scher Musik bekommt. Die Musik, soviel ist klar, ist ihr Leben, und wer es da zu was bringen will, muss nach Leipzig. Zu Hause teilt sie ihre Entscheidung den Eltern mit - und damit beginnt eine Schlacht, die man sich heute in ihrer Vehemenz womöglich gar nicht mehr ausmalen kann. „Ich fürchte“, schreibt Ethel, „so schnell, wie die Welt sich seitdem verändert hat, kann sich keiner vorstellen, was diese Entscheidung aus Sicht meines Vaters bedeutete. Wir kannten keine Künstler, und für ihn stand dieser Begriff schlichtweg für Leute, die herumlaufen und die Zehn Gebote brechen. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass das Leben, das ich da führen wollte, für ihn gleichbedeutend war mit Prostitution.“ Von den moralischen Bedenken mal abgesehen gibt es da aber auch noch ein ganz praktisches Problem: Die indische Bank, auf der die Smyths einen Großteil ihres Vermögens liegen hatten, ist in Konkurs gegangen, die großbürgerliche Familie hat ein ernstes Geldproblem, und es ist glasklar, dass das erste und einzige Ziel für Colonel Smyth jetzt sein muss, seine vielen Töchter gewinnbringend zu verheiraten. Und da kommt Sturmschwalbe Ethel daher und faselt von einem Leben als unverheiratete Musikstudentin in einer deutschen Stadt! Die Kräche im Hause Smyth müssen von beachtlichem Format gewesen sein. „Ich hisste nicht nur die rote Kriegsflagge“, so Ethel, „sondern war entschlossen, allen das Leben zu Hause so unerträglich zu machen, dass sie mich einfach gehen lassen mussten.“ Sie fährt ständig alleine zu Konzerten nach London...“Damals“, schreibt sie, „reiste man als junges Mädchen nicht allein, Dritte Klasse und Omnibusse waren unerhörte Dinge in unserer Welt, und ich hatte ja kein Geld – aber ich entwischte über die 12 Felder zum Bahnhof und fuhr Dritte Klasse nach London.“ – Das Geld dafür hat sie sich beim Postboten geliehen und auf ihren Vater anschreiben lassen. „Um Joseph Joachim und seinen Mitstreitern nahe zu sein, stand ich stundenlang in der Schlange vor der St. James’s Hall, und ah! die Offenbarung, als ich zum ersten mal Schuberts a-moll-Quartett hörte! Mein ganzes Leben über war seine Musik meinem Herzen vielleicht näher als jede andere, ein kristallener Strom, der fließt und fließt...“. So wunderherrlich die Musik in London, so bitter der Kleinkrieg zu Hause in Surrey: Ethel schaltet auf Totelverweigerung, sie geht nicht mit zur Kirche, singt nicht mehr bei den Dinner-Partys, geht nicht mehr aus, spricht mit keinem mehr, beginnt einen Hungerstreik. Der Vater tritt irgendwann vor Wut schier ihre abgeschlossene Türe ein – aber das ist dann auch schon fast ein Rückzugsgefecht. Ein paar kunstsinnige Bekannte der Eltern haben für Ethel Partei ergriffen, die Mutter selbst, die ja in Paris unter Künstlern aufgewachsen ist, ist längst auf ihrer Seite, und als sich die Möglichkeit auftut, dass Ethel in Leipzig bei einer höchst respektablen Frau Professor in Pension wohnen könnte, gibt der Vater endlich nach. Ethel wird eine bescheidene monatliche Summe ausgesetzt, und dann, Ende Juli 1877, reist sie, beaufsichtig von ihrem Schwager, nach Leipzig, oder, wie sie es ausdrückt: „Through the gate named beautiful into the chosen city“ Durch das Tor namens Schönheit in die auserwählte Stadt! 3’40 Gebr. CD T. 3 Ethel Smyth, Klaviertrio d-moll, Allegro vivace Chagall Trio CDE 84286 4’30
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