SWR2 Musikstunde

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SWR2 MANUSKRIPT
SWR2 Musikstunde
Frau mit Eigenschaften
Das Leben der Ethel Smyth (4)
Mit Katharina Eickhoff
Sendung:
09. März 2017
Redaktion: Dr. Bettina Winkler
Produktion: SWR 2017
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Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
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Musikstunde mit Katharina Eickhoff
Donnerstag, 9. März 2017
Frau mit Eigenschaften – Das Leben der Ethel Smyth (4)
Teil IV: High Society
Indikativ
Wir fangen ordentlicherweise genau da an, wo wir gestern aufgehört haben, nämlich
im Crystal Palace, dem damals enorm populären Konzerthaus in London, bei Ethel
Smyths England-Debüt als Komponistin, der Aufführung ihrer Orchesterserenade in
D im Jahr 1890.
Dieser Abend mit großem Publikumserfolg nimmt für sie nämlich noch eine
romanhafte Wendung, die entscheidend für ihr weiteres Leben wird. Acht Jahre ist es
jetzt her, dass sie in Florenz Henry Brewster kennengelernt hat. Der schöngeistige
Privatgelehrte und Schriftsteller Brewster lebt dort in einer etwas theoretisch
geratenen Ehe mit Julia, der Schwester Elisabeth von Herzogenbergs – Elisabeth,
die Brahms-Brieffreundin und Komponistengattin, ist Ethels Zentralgestirn während
der Studienzeit in Leipzig gewesen, aber das ganze komplexe Konstrukt ist
zusammengebrochen, als Henry Brewster sich unsterblich in Ethel verliebt hat. Ethel,
die bis dahin nur von Frauen geschwärmt hat, ist völlig überfahren von der Situation
und den Gefühlen, die eben auch sie für Henry Brewster hat, - sie bricht den Kontakt
mit ihm ab, aber danach fliegt trotzdem alles in die Luft: Die Ehe der Brewsters
scheitert, und ihre heißgeliebte Elisabeth will nichts mehr mit ihr zu tun haben. An
diesem Abend ihres triumphalen England-Debüts haben Ethel und Henry sich fünf
Jahre lang nicht gesehen.
Aber als sie im Schlussapplaus auf die Bühne kommt und ins Publikum lächelt, sitzt
er dort, sieht immer noch aus wie Tizians „Portrait eines venezianischen Edelmanns“
– und noch am selben Abend wird klar, dass er nicht vorhat, sich noch einmal aus
Ethels Leben entfernen zu lassen. Henry James hat Brewster „The last of the great
epistolarists“ genannt, und in den Briefen zu lesen, die Ethel von ihm in ihren
Erinnerungen abdruckt, ist wirklich ein einziges Vergnügen, so geistreich, so wissend
und so zärtlich sind sie.
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Harry, wie Ethel ihn nennt, liebt die ganze Ethel, ihre ihm so verwandte Seele und
ihre englische Fräuleinsgestalt, er wird nicht lockerlassen, bis sie ihn Jahre später in
Paris doch noch in ihr Schlafzimmer lässt, und die beiden schreiben danach
zusammen zwei Opern, von denen die zweite Ethels vielleicht größter Erfolg als
Komponistin wird – dazu später in dieser Stunde. Heiraten wird sie ihn nie, sie leben
auch nicht zusammen, er wohnt in Rom, sie in England, aber sie treffen sich, so oft
es geht...achtzehn Jahre lang sind die beiden ein glückliches, einander zugewandtes
Liebespaar auf Distanz – bis zu Harrys verfrühtem Tod 1908. Aber sie habe sich,
schreibt Ethel, auch danach bei allen wichtigen Entscheidungen immer zuerst die
eine Frage gestellt: „What would Harry do?“
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T. 3
5’40
Ethel Smyth, Serenade in D, Allegretto grazioso
BBC Philharmonic, Odaline de la Martinez
Johannes Brahms hat sie immer „die Oboe“ genannt – vielleicht hat Ethel hier im
Allegretto grazioso ihrer Serenade beim Oboen-Einsatz auch daran gedacht...
Dass Harry Brewster und Ethel sich seit jenem Abend im Crystal Palace in London
wieder annähern, hat auch mit einem tragischen Ereignis zu tun: 1892 stirbt mit nur
44 Jahren Elisabeth von Herzogenberg.
Die Herzkrankheit, mit der die Ausnahmefrau Elisabeth wohl geboren wurde, ist in
ihren letzten Lebensjahren allesbestimmend geworden, oft war sie so schwach, dass
sie keine Treppe mehr hoch kam. Man merkt das auch in ihrem Briefwechsel mit
Brahms, - ihre Briefe werden immer seltener, und auch wenn sie versucht, den
leichten Ton aufrechtzuerhalten, spürt man doch, wie mühsam alles für sie geworden
ist. Aus San Remo, wo man noch versucht hat, sie mit Sonne und Meerluft ein
bisschen aufzupäppeln, schickt dann ihr Mann Heinrich die Todesnachricht an
Johannes Brahms, und der hat Herzogenberg daraufhin einen so unglaublich
anrührenden, mitfühlenden und besorgten Brief geschrieben, dass man ihn schon
allein dafür lieben muss. Das hat auch die kritische Ethel immer wieder betont:
„Brahms“, schreibt sie, „hatte ein Herz aus Gold“.
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Für Ethel bedeutet der Tod ihrer geliebten Lisl, dass sie endgültig frei ist von der
Rolle des ewigen „Kinds“, das sie für Elisabeth ja immer war – es wird auch langsam
Zeit, schließlich ist sie keine siebzehn mehr, sondern jetzt auch schon Mitte Dreißig.
Und auch wenn sie sich nun wieder auf Harry Brewster zubewegt, heißt das nicht,
dass ihre Gefühlsaufwallungen für bemerkenswerte Frauen weniger werden! Zur Zeit
ihres musikalischen England-Debüts hat sie eine neue mütterliche Freundin
gefunden, Mary Benson, die lesbische Gattin des Erzbischofs von Canterbury, und
sie ist auf ihre intensive Ethel-Art befreundet mit, bzw. verliebt in Pauline Trevelyan,
eine tiefgläubige junge Frau – die drückt Ethel irgendwann Thomas von Kempens
„De imitatione Christi“ in die Hand, und plötzlich wird die wilde Sturmschwalbe Ethel,
die bislang überhaupt nichts mit Religiosität zu schaffen hatte, fromm.
Kempens Handreichungen zur bußfertigen Selbstauslöschung haben auch dereinst
schon Cosima Wagner in den religiösen Wahn und später in den Dienst Wagners
getrieben, und man muss Ethel zugute halten, dass sie auch in ihren
gottesfürchtigsten Zeiten nie ins Frömmlerische oder Sektiererhafte abgedriftet ist.
Aber sie hat in diesen Jahren eine ernsthafte Gotteserfahrung, und daraus wird dann
das Werk, das ihr ganz großer musikalischer und gesellschaftlicher Durchbruch sein
wird, gefördert von Ex-Kaiserin Eugénie und Queen Victoria persönlich:
Ihre Messe in D-Dur.
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T. 2
ausbl. unter Text bis 2’25
Ethel Smyth, Mass in D, Credo
The Plymouth Music Series, Philip Brunelle
Eine bekannte Feministin hat mal gesagt: Wenn man Männer fragt, wieso sie so
erfolgreich sind, dann zählen sie ihre Fähigkeiten und Vorzüge auf. Fragt man
Frauen nach ihrem Erfolg, sagen die: es war harte Arbeit, dazu kamen Glück und
gute Beziehungen... Man könnte es also - aus „Männersicht“ - so sehen, dass Ethels
Messe für Soli, Chor und Orchester im Jahr 1893 deshalb eine splendide und
bejubelte Uraufführung in der Royal Albert Hall bekam, weil sie einfach gut war.
Man muss aber eben auch dazusagen, dass Ethel es als komponierende Frau mit
ihrer Musik niemals in Englands bedeutendsten Konzertsaal geschafft hätte, wenn
sie nicht ein paar sehr, aber wirklich sehr wichtige Leute kennengelernt hätte.
Frauen, nebenbei gesagt.
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Und das auch noch rein zufällig. „The Empress“ zum Beispiel: Als der Krieg gegen
die Preußen 1871 verloren ging und Kaiser Napoleon III mitsamt seinem
flamboyanten Schnurrbart in preußische Gefangenschaft geraten war, ist die Kaiserin
Eugénie mithilfe ihres Zahnarztes unter romanhaften Umständen nach England
geflohen.
Dort hat sie sich dann 1880 in Farnborough Hill niedergelassen, einem
schlossartigen Anwesen im Tudorstil auf der Grenze zwischen Hampshire und
Surrey. Der alte Colonel Smyth und seine Frau, Ethels Eltern, sind fast direkte
Nachbarn, und als Ethel nach ihren Leipziger Studienjahren wieder nach England
kommt, um hier für ihre Musik zu trommeln, lernt sie die Kaiserin kennen.
Eugenie galt – neben der Kaiserin Sisi – als die schönste Frau Europas, und
vielleicht hat sie einfach deshalb posthum eine so schlechte Presse gehabt. Golo
Mann zum Beispiel hat in einem Artikel für die Propyläen-Weltgeschichte über
Eugénie geschrieben: „Die ist nichts als schön – Bismarck nennt sie die schönste
Frau ihrer Zeit - , nichts als bigott, nichts als gefallsüchtig, herrschsüchtig, egoistisch
und leer.“
Das war so die landläufige Meinung, die aus dem 19. ins 20. Jahrhundert
weitergetragen wurde. Man muss aber sagen, dass Golo Mann sein Urteil dann
Jahre später grundlegend revidiert und eine Hymne auf diese Frau verfasst hat, die
immerhin ein so langes und reiches Leben geführt hat, dass sie einst mit Stendhal
(gestorben 1842) und später mit Cocteau (gestorben 1963) befreundet war. Ihrem
verwöhnten Möchtegern-Napoleon von Mann hat sie oft die Richtung gewiesen, was
der schlaue Bismarck glasklar erkannte, der hat Eugénie den „einzigen Mann an
Frankreichs Spitze“ genannt. Für Ethel ist es eine Freundschaft fürs Leben, die sie
da schließt mit „The Empress“, wie sie sie nennt. „Zu der Zeit“, schreibt sie, „war sie
ungefähr 67, immer noch schön und unbeschreiblich anmutig, ihre Vitalität, ihre
körperliche Aktivität und vor allem ihr leidenschaftliches Interesse am Leben waren
so groß, dass so manche halb so alte Frau hätte neidisch werden können.“
Von Musik versteht die Empress „ungefähr so viel wie mein Hund“, so Ethel, aber
dieses leidenschaftliche englische Fräulein, das da nun immer in ihren Salon
marschiert, mag sie gar zu gern. Auch wenn die Tatsache, dass Ethel grundsätzlich
klipp und klar ihre Meinung sagt, für eine Ex-Kaiserin eine harte Prüfung ist – die
Musik jedenfalls, die Ethel da in ihr Haus bringt, gefällt Eugénie so gut, dass sie
beschließt, es hier mit einer bedeutenden Künstlerin zu tun zu haben...
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T. 2ausbl. unter Text bis 3’05
Ethel Smyth, La Danse
Melinda Poulsen, Ensemble
Musik von 1907, die, wen wundert’s, Debussy sehr gut gefallen hat mit ihrem leicht
orientalischen Einschlag... Tatsächlich ist Ethel schon 1891 im Orient gewesen:
Zwei Monate bereist sie Nordafrika, was ihr nicht gut bekommt, sie fängt sich die
Ruhr ein und bekommt von da an, immer auf der Suche nach dem nächsten
Gebüsch, nicht mehr viel mit von Land und Leuten.
Zurück in Europa ist sie in ziemlich schlechtem Zustand, da kommt eine Einladung
der Kaiserin – die lässt sich in Cap Martin, dem High-Society-Nest an der Côte
d’Azur, gerade eine Belle-Époque-Villa bauen, und Ethel verbringt einen unendlich
glücklichen Sommer in der Sonne der Riviera und begeistert sich auf ihre
überbordende Ethel-Art für ihre neue Freundin.
Sie selber hat das später mit Selbstironie analysiert, dass sie in ihrem Leben alle
paar Jahre ein neues „My god, what a woman!“-Erlebnis gehabt hat. Über ihre
allgemeine Hingerissenheit von Eugenie und von Gott ergießt sie sich endlos in ihren
Briefen an den armen, geduldig wartenden Harry Brewster, der hier seine
schlimmsten Phobien wahr werden sieht. Mit ihren ständig wechselnden
Frauenschwärmereien, ihren „passionnettes“, wie er sie nennt, kann er ja leben, aber
diese Passionen, Gott und die High Society, machen ihn wuschig. Harry, der
aufgeklärte Citoyen mit humanistischer Bildung, hält Religion für gefährliche
Verblendung und Kaiser, Könige, Grafen und Konsorten für ausgesprochen
überflüssige Kreaturen, und die überflüssigste von allen, findet er, ist die Ex-Kaiserin
Eugenie. In einem bei seiner Sanftmut seltenen Ausbruch beschwert er sich über die
schlechte und oberflächliche Gesellschaft, in der er Ethel sieht:
„Kirchen, Kaiserinnen (und was für Kaiserinnen! Die frivolste von allen!), HighlandSoldaten mit bloßen Knien, Tories, Gräfinnen und frömmlerische Phrasen...Ich
denke, Du bist manchmal unverhältnismäßig ehrgeizig.“ – Das ist Ethel natürlich,
aber anders kommt man als komponierende Frau ja auch zu nichts.
Sie faulenzt allerdings diesen traumhaften Sommer über nicht nur in der Sonne,
sondern komponiert fleißig an ihrer Messe, und als Ethel, die Messe und die Kaiserin
wieder zurück in England sind, beschließt Eugenie, dass jetzt Maßnahmen ergriffen
werden müssen.
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„Lange bevor das Wort erfunden wurde“, schreibt Ethel, „war sie schon Feministin.“
Eugenie finanziert nicht nur die Drucklegung der Partitur, sondern schleppt Ethel bei
nächster Gelegenheit mit zum High Tea bei einer einflussreichen Freundin.
Das Teekränzchen findet auf Schloss Balmoral statt, und die Freundin ist Queen
Victoria.
Ethel tritt auf und gleich in diverse Fettnäpfchen, wird ans Klavier gebeten und darf
dort ihre Messe vorstellen. Sie tut das in der ihr eigenen mitreißenden Art, spielt
donnernd die Orchesterparts, singt laut die Chöre und sämtliche Solostimmen und
auch gleich noch die Instrumentalsoli, stampft zum Einsatz der Pauken mit den
Füßen auf den Boden, kurz: Im sonst vornehm-drögen Majestäts-Salon in den
schottischen Highlands ist mal richtig was los!
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T. 2
ab 2’30 freistehend
Ethel Smyth, Mass in D, Credo
The Plymouth Music Series, Philip Brunelle
Dazu stelle man sich nun Ethel vor, wie sie, wild Her Majesty’s Klavier bearbeitend,
sämtliche Partien gleichzeitig zu singen versucht....
Das Interieur von Balmoral findet Ethel übrigens ausgesprochen garstig:
„Sogar die Möbel waren mit Tartan-Karo überzogen“, schreibt sie, „Es bedarf
schmerzhafter ästhetischer Konzessionen, Königin von Schottland zu sein.“ Aber die Queen ist nett. „Sie ist“, so Ethel an ihren Bruder, „nicht halb so rot und
grobschlächtig wie auf den Bildern und hat das süßeste Lächeln, das Du Dir
vorstellen kannst.“
Victoria und ihre Prinzessinnentöchter finden Ethel und ihre Musik prima, und das ist
in den nächsten eineinhalb Jahren der Türöffner für Ethel auf ihrem unbeirrbaren
Weg zur Aufführung der Messe in der bedeutendsten Location, die dafür in England
zu bekommen ist, der Royal Albert Hall. Die Proben werden noch mal eine schwere
Prüfung für sie, weil das Orchester irgendwie so gar nicht spielt, was sie komponiert
hat – oder andererseits genau spielt, was sie komponiert hat, was fast noch
schlimmer ist. „Der Scheitelpunkt des Elends“, schreibt sie, „war in der ersten
Orchesterprobe erreicht, als ich merkte, dass ich diverse Fehler gemacht hatte. Als
die arme Altistin aus Chorgewoge und schwerer Orchestersee heraus eine ihrer
Solo-Passagen in Angriff nahm, stellte ich fest, dass die vier einsamen
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Instrumentalisten, die sie begleiteten, und die in der riesigen leeren Halle wie heisere
Moskitos klangen, ungefähr so viel Unterstützung für sie waren wie ein bleierner
Rettungsring, den man einem über Bord gegangenen Passagier im Atlantik zuwirft.“
Kaum ist die Probe zu Ende, verbarrikadiert sich Ethel mit Notenpapier, Schere und
Klebstoff bewaffnet in irgendeinem Hinterzimmer und schreibt ihre Partitur um.
„Dieser Vorfall“, so Ethel, „vertiefte den Trübsinn, der mich gepackt hatte, während
ich den Lärm hörte, für den ich da verantwortlich war. Ein erfahrener Komponist,
durch dessen Musik das Orchester zum ersten Mal stolpert, weiß, dass es nach und
nach sehr anders klingen wird, aber ich hatte zu wenig komponiert und zu selten
gehört, was ich komponiert hatte, um sattelfest im Partitur-Herstellen zu sein.“ – Aber
schon am nächsten Tag wird alles besser, dann nochmal besser, und die Aufführung
klingt dann in etwa so, wie Ethel sich ihre Musik beim Komponieren vorgestellt hat.
Und während vorne ihre Messe spielt, hört Ethel hinter sich einen älteren Herrn zum
anderen sagen: „I say, this is slashing stuff, what?“
Zu Deutsch etwa: Boah. Das fetzt!
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T. 6
auf Zeit
Ethel Smyth, Mass in D, Gloria
The Plymouth Music Series, Philip Brunelle
Man hört, dass sich hier jemand jahrelang mit Kontrapunkt und Orchestrierung
auseinandergesetzt hat...Ethel selbst hat die „Mass“ immer für eins ihrer besten
Werke gehalten.
Die Aufführung in der Royal Albert Hall wird ein großer Erfolg – unter den
Beeindruckten im Jahr 1893 ist auch schon George Bernard Shaw, damals noch
Musik-Kritiker.
Shaw, der sich weigert, das Geschlecht des Komponisten in Betracht zu ziehen, ist
ziemlich angetan, findet allerdings, dass diese Musik nicht wirklich fromm klingt, es
sei wohl eher, so Shaw, „Kirchenmusik light“ – womit er womöglich hellsichtig
gespürt hat, dass Ethels religiöse Phase schon bald nach Fertigstellung der Messe
wieder abebben würde, was sie ja auch tut. Knapp dreißig Jahre später hört Shaw
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das Werk dann nochmal - so lange wird es brauchen, bis „Mass“ wieder in England
aufgeführt wird -, dann unter Leitung von Sir Adrian Boult, und da findet er dann ohne
alle Abstriche, dass das famose Musik ist. Aber da ist er auch schon längst ein
entschiedener Parteigänger von Ethels Musik. Es ist übrigens nicht so, dass das
Leben als Komponistin nach diesem glamourösen Event in der Albert Hall für Ethel
zur gemähten Wiese wird. Im Gegenteil. Sie kann ja nicht immer die Ex-Kaiserin oder
die Königin von England hinter sich herschleppen beim Klinkenputzen: Musiker und
Konzerthäuser zu finden, die ihre Werke aufführen, das muss sie schon alleine
machen, und das, was sie in den nächsten Jahren da mit den Herren – natürlich nur
Herren – der britischen und europäischen Musikerszene so erlebt, lässt sie endgültig
zur Feministin werden, auch wenn das Wort immer noch nicht erfunden ist.
Trotzdem sind die Jahre vor und nach der Jahrhundertwende Ethels glücklichste
Jahre – nicht zuletzt dank einer neuen Frau in ihrem Leben:
Lady Mary Ponsonby ist die Frau des Privatsekretärs von Queen Victoria und gehört
zum allerinnersten Kreis in Windsor – Lady Ponsonby ist auch so eine Feministin
avant la lettre, sie setzt sich für die Rechte von Frauen ein und ist überhaupt ein
ziemlich leidenschaftliches Wesen.
Diese Frau ist wie immer deutlich älter als Ethel, als sie sich kennenlernen, ist Mary
über sechzig und Ethel Mitte dreißig, und diese Beziehung wird für Ethel das
Pendant ihrer Liebe zu Harry Brewster. Harry ist auf Ethels Frauenlieben
seltsamerweise nicht eifersüchtig, außerdem lebt er die meiste Zeit in Rom, was
sozusagen die Voraussetzung für Ethels glückliche Beziehung mit ihm ist. Und in
London kann Ethel ihre ganze Liebe und Aufmerksamkeit ihrer Freundin widmen –
manchmal übertreibt sie es damit, wenn Ethel liebt, wird sie gern etwas überbordend,
aber die beiden sind bis zu Mary Ponsonbys Tod rund ein Vierteljahrhundert lang
innig verbunden, ohne dass das Ethels Liebe zu Harry Abbruch tut.
Es war, schreibt Ethel, „...die glücklichste, die erfüllendste und deshalb die am
meisten in sich ruhende all meiner Frauenfreundschaften.“ – Das mit dem „ruhend“
sollte man nicht missverstehen, Ethel und Mary Ponsonby haben leidenschaftlich
gestritten miteinander. Ethel braucht solche Krisen, um kreativ sein zu können, aber
sie haben sich dann auch immer wieder versöhnt.
Es war, schreibt Ethel, „...wie mit den Bäumen an einem wilden mecklenburgischen
Küstenabschnitt: Stürme oben in den Baumkronen treiben die Wurzeln nur tiefer in
die Erde.“
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Gebr. CD
T. 1
ab 2’52 unter Text wegblenden
Ethel Smyth, Klaviertrio d-moll, Allegro vivace
Chagall Trio
CDE 84286
Ethel kämpft also in den Jahren nach der Jahrhundertwende um Anerkennung und
Aufführungen, und das ist oft entmutigend.
Einen ersten wichtigen Freund findet sie allerdings, der sich ernsthaft mit ihrer Musik
befasst und ihr weiterhelfen will: den Wagner-Intimus Hermann Levi, damals
Opernchef in München. Levi war ein außergewöhnlicher Mann und Musiker, er hat
den Parsifal in Bayreuth uraufgeführt, und er hat aus Verehrung für diese Musik
sowohl Wagners dümmliche Aufforderungen, sich endlich taufen zu lassen, als auch
den widerlichen Antisemitismus der Frau Cosima ertragen.
Levi ist es, der Ethel nach Begutachtung ihrer so dramatisch konzipierten Messe rät,
als nächstes aber mal dringend eine Oper zu schreiben.
Das tut sie, und zwar zusammen mit ihrem geliebten Harry Brewster - die Oper heißt
Fantasio und wird, nach vielem, vielem! Bitten, Betteln und Strippenziehen 1898 im
Weimarer Hoftheater aufgeführt, drei Jahre später macht Felix Mottl eine erstklassige
Aufführung davon in Karlsruhe - aber Ethel ist nicht glücklich damit.
Die „Fantasio“-Partitur hat sie irgendwann einfach im Garten hinterm Haus in Surrey
verbrannt. Deutlich besser läuft es mit ihrer zweiten Oper: „Der Wald“ wird doch
tatsächlich 1902 an der Berliner Hofoper uraufgeführt. Letztlich funktioniert aber auch
dieser Durchbruch wieder nur mit Beziehungen: Sie kennt die Gattin des
Reichskanzlers Bülow zufällig aus Italien und trifft bei den Bülows neben anderen
einflussreichen Leuten auch bald Kaiser Wilhelm, der dieses englische Fräulein irre
unterhaltsam findet. Kaum ist Berlin durch, kommt Covent Garden in London an und
will auch. Hier ist der Erfolg schon merkbar größer. Und wieder ein Jahr später, „Lo
and behold!“, wie Ethel sagen würde, kommt „Der Wald“ doch tatsächlich an der
Metropolitan Opera heraus! In New York ist Ethel DIE exotische Sensation, der
Golden Horseshoe, wie der Zuschauerraum der alten MET damals genannt wurde,
ist rammelvoll, und die Zeitungen berichten schon im Vorfeld im faszinierten
Flüsterton über völlig Unerhörtes: „Miss Smyth...hat an sämtlichen Proben
teilgenommen, hat den Sängern detaillierte Anweisungen gegeben, hat mit dem
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Dirigenten Hertz die Partitur durchgearbeitet, hat den Kulissenmaler, den
Ballettmeister und den Kostümbildner instruiert und Regie geführt.“
„Der Wald“ wird ein Publikumserfolg, von den Kritikern kommt das übliche Gewürge,
ihre Musik sei „unfeminin“, manche meinen das als Kompliment, die meisten nicht.
Aber immerhin ist es das erste Mal in der Geschichte, dass an der MET die Oper
einer Frau gespielt wird – und es blieb auch für unfassbare 114 Jahre das letzte Mal,
bis vergangenen Winter Kaja Saariahos „L’amour de loin“ in den Spielplan
genommen wurde...
Von Ethel Smyths Musik gibt es grundsätzlich skandalös wenige gute Aufnahmen,
und es existiert auch nicht eine aufgenommene Note von „Der Wald“ auf Platte – die
erste und einzige Oper von Ethel Smyth, die eine der Musik angemessene
Einspielung bekommen hat, ist ihr dritter Opern-Anlauf. Und mit dem handelt sie sich
dann wirklich ein paar ernsthafte Fans ein: Arthur Nikisch, Bruno Walter, Gustav
Mahler und Sir Thomas Beecham, um mal nur ein paar von denen zu nennen, die
ihre Oper „The Wreckers“ beeindruckt hat. Das Libretto, das sie diesmal wieder mit
Harry Brewster zusammen schreibt, handelt von den verarmten Bewohnern an der
wilden Küste Cornwalls im 18. Jahrhundert, die davon leben, dass sie mit falschen
Lichtsignalen Schiffe bei Sturm auf Grund laufen lassen und dann ausrauben. Zur
Inspiration ist Ethel viel in Cornwall gewesen, hat dort an der Küste die Nase in den
Wind gehalten, und sie kommt zurück mit einer mitreißenden Musik, die tatsächlich
nach Wind und Wasser, Piraten und Abenteuer klingt...
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Disc 1, T. 1 unter Text ausbl. bis 3’17
Ethel Smyth, The Wreckers, Prelude
BBC Philharmonic, Odaline de la Martinez
Auch mit „The Wreckers“ muss Ethel wieder hausieren gehen, wieder sitzt sie am
Klavier und singt, spielt und stampft sämtliche Rollen und Instrumentalsoli – aber
diesmal überzeugt sie nicht ältere, musikunkundige Damen aus dem Hochadel,
sondern Arthur Nikisch. Der sexy Superstar und Jahrhundert-Dirigent mit dem
fabulösen Schnurrbart ist inzwischen Gewandhauskapellmeister in Ethels alter
Heimat Leipzig, und er sorgt dafür, dass „The Wreckers“ im November 1906 unter
dem deutschen Titel „Standrecht“ in Leipzig herauskommt.
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Aber Ethel wäre nicht Ethel, wenn nicht auch dazu wieder eine haarsträubende
Geschichte gehörte: Als sie zu den Endproben in Leipzig ankommt, stellt sie fest,
dass der Leipziger Opernkapellmeister namens Hagel eigenmächtig den gesamten
dritten Akt gestrichen, bzw. in den zweiten Akt gestopft hat – Ethel ist außer sich vor
Wut, aber kann nicht mehr eingreifen, die Oper geht über die Bühne, und wird an
diesem Abend ein Bombenerfolg, mit stehenden Ovationen und 16 Vorhängen. Das
tröstet Ethel aber kein bisschen, sie fordert noch am Premierenabend eine
Wiederherstellung des 3. Akts. Alle winken genervt ab, da greift sie zu drastischen
Maßnahmen: am nächsten Morgen schleicht sie sich in aller Frühe in den
Orchestergraben und sammelt sämtliche Noten samt der Partitur des Dirigenten ein die Musiker hatten sie für die zweite Vorstellung am Abend auf den Pulten
liegenlassen.
Alle weiteren Vorstellungen müssen, mangels Noten, ausfallen, und Ethel Smyth ist
dort dann erst mal nicht mehr wohlgelitten. Aber sie, unaufhaltsam, ist schon
unterwegs nach Wien, wo sie einen Termin mit Bruno Walter hat, der zu der Zeit als
zweiter Kapellmeister mit seinem Freund und Mentor Gustav Mahler der Hofoper
goldene Zeiten beschert.
Was dort passiert ist, hat Bruno Walter dann in seinen Erinnerungen beschrieben:
„Vor mir erschien eine hagere, etwa achtundvierzig Jahre alte Engländerin in
farblosem sackartigen Gewand und erklärte mir, sie habe früher in Leipzig studiert,
Brahms sei für ihre Kammermusik interessiert gewesen, und nun sei sie hier, um uns
in Wien mit ihrer letzten Oper bekannt zu machen. Ich sah unserer Zusammenkunft
mit peinlichem Vorgefühl entgegen, aber noch hatte sie nicht zehn Minuten gespielt
und mit unschöner Stimme dazu gesungen, als ich sie unterbrach, um zu Mahler
hinüber zu stürzen und ihn zu beschwören, mit mir zu kommen – mir spiele die
Engländerin ihr Werk vor und sie sei ein wirklicher Komponist […] als wir uns
trennten, stand ich völlig im Bann des Gehörten und ihrer Person.“ Auch Mahler
muss ziemlich angetan gewesen sein, es wird jedenfalls der Plan gefasst, die
„Wreckers“ in Wien rauszubringen, und das wäre natürlich der Ritterschlag gewesen
– wäre, denn es ist das Jahr 1907, und wenig später wird Mahler wegen
antisemitischer Umtriebe gegen ihn in Wien hinschmeißen, und das war’s dann mit
Wien für Ethel. Bruno Walter allerdings ist von jetzt an ihr treuer Parteigänger:
Bei seinem Debüt in London hat er die Ouvertüre zu „The Wreckers“ dirigiert, und
später an Covent Garden dann auch die ganze Oper, und 1928 hat er dann ein
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ganzes Ethel-Smyth-Programm in Berlin angesetzt und sie als Dirigentin eingeladen.
Es war das erste Mal, dass eine Frau die Berliner Philharmoniker dirigiert hat seitdem sind es bekanntlich nicht signifikant viel mehr geworden...
„The Wreckers“ kann man übrigens gar nicht genug bestaunen: England ist ja bis
zum Erscheinen Benjamin Brittens überhaupt kein Opernland, Gilbert und Sullivans
Erfolgsstücke gehören ins Operettengenre, und genaugenommen sind also Ethel
Smyths „Wreckers“ die erste und einzige ernstzunehmende Oper seit den goldenen
Zeiten Henry Purcells, komponiert von einer Frau, die gar nicht mit Opernmusik
sozialisiert worden ist – aber hören Sie mal, mit wie viel echt opernhafter Dramatik
sie hier ihre Küstenpiraten den nächsten Raub planen lässt!
Wie schreibt Ethel so schön in ihren Erinnerungen: „Ich möchte, dass Frauen sich
großen und schwierigen Aufgaben zuwenden. Sie sollen nicht immer nur an der
Küste herumlungern aus Angst davor, in See zu stechen!“
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Disc 1, T. 16 ab 2’00
3’20
Ethel Smyth, The Wreckers Schluss 1. Akt
Huddersfield Choral Society, BBC Philharmonic, Odaline de la Martinez