Zu Gast beim NATO-Partner

Krieg üben
EPA/ADAM WARZAWA/DPA-BILDFUNK
Vor mehr als fünf Jahren begann die
NATO, im Ostseeraum die militärische Konfrontation mit Russland zuzuspitzen. Die Staaten Nordeuropas
begleiten das mit Militarisierung und
einem propagandistischen Trommelfeuer. Von Gregor Putensen
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Offene Fragen
Schleichende Offensive
Leichte Hoffnung
Billige Streikbrecher
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Das Komitee für Grundrechte veranstaltet am Wochenende einen
antirassistischen Ratschlag
Die Feuerpause im Donbass wurde
Der insolvente Fahrradhersteller Mifa
nach kurzer Zeit von Kiews Streitwill Produktion wieder aufnehkräften erneut gebrochen
men. Von Susan Bonath
Kaffeekette Starbucks wirbt in Polen
»Aushilfen« für deutsche Filialen
an. Von Reinhard Lauterbach
Sioux leisten Widerstand
VAHID REZA ALAIE/IDM/EPA/DPA
USA drohen Iran ­
nach Raketentest
PICTURE ALLIANCE/ZUMA PRESS
USA: Polizeiaktion gegen Indigene und Umweltschützer in North Dakota.
Baustopp von Pipeline aufgehoben. Von Jürgen Heiser
»Ich stelle sicher, dass unser Volk, unser Land und unser Wasser nicht verletzt werden«, erklärte der Sioux Nick Pioche am 21. November in North Dakota
D
er Kampf der indigenen Bevölkerung und von Umweltschützern gegen die »Dakota
Access Pipeline« (DAPL) im US-Bundesstaat North Dakota tritt in eine entscheidende Phase. Am Mittwoch nachmittag (Ortszeit) nahm die Polizei 76
Aktivisten fest, die zusammen mit Hunderten weiteren Menschen ein neues
Widerstandscamp auf dem Baugelände
der Pipeline nahe dem Reservat der
Standing Rock Sioux errichtet hatten.
Sie waren auf das Gelände vorgedrungen, das vom Betreiber der Pipeline,
dem Konzern Energy Transfer Partners
(ETP), beansprucht wird. Mit ihrer
Aktion reagierten die Umweltschützer
auf die offizielle Ankündigung, für die
seit Monaten umkämpfte Rohölleitung
werde nun der nächste Bauabschnitt
in Angriff genommen und die Pipeline unter dem Missouri River sowie
dem Trinkwasserstausee Lake Oahe
hindurchgeleitet. Die DAPL-Gegner
warnen, dass ein Leck in der Pipeline
die Trinkwasserreserven der gesamten
Region verseuchen würde.
Gegen die Bauplatzbesetzer nahe
dem Ort Cannon Ball rückten Polizei und Nationalgarde mit schwerem
Räumgerät, Schützenpanzern und
Lärmkanonen vor. »Viele Wasserschützer sahen die Notwendigkeit, jetzt Widerstand zu leisten und uns auf unsere
alten Vertragsrechte zu berufen«, sagte Linda Black Elk von der Catawba Nation dem britischen Guardian.
»Wir sahen, wie die Polizei aus allen
Himmelsrichtungen in unsere Richtung marschierte.« Daraufhin hätten
sich viele Aktivisten noch rechtzeitig
von dem besetzten Gelände zurückgezogen, »damit nicht alle im Polizeigewahrsam landen«, so Black Elk. Die
anderen hätten sich entschieden, dass
der Kampf um die durch den Pipelinebau verletzten Vertragsrechte der indigenen Bevölkerung in den Reservaten
es wert sei, dafür verhaftet zu werden.
Die zunehmenden Spannungen am
Baugelände sind eine Folge der energiepolitischen Entscheidungen, die
US-Präsident Donald Trump unmittelbar nach der Übernahme seines Amtes getroffen hatte. Bereits an seinem
zweiten Arbeitstag im Weißen Haus
hatte er per Dekret den Bau der von der
Obama-Regierung nicht genehmigten
»Keystone XL Pipeline« und die Wiederaufnahme der ruhenden Arbeiten
des DAPL-Projekts angeordnet. Das
für die Baugenehmigung zuständige
Ingenieurskorps der US-Armee leistete
dem Befehl des neuen Machthabers im
Weißen Haus Folge. Von einem vorläufigen Stopp der Arbeiten am Missouri
River, einem Umweltverträglichkeitsgutachten und einer Suche nach Alternativen zum geplanten Leitungsverlauf,
wie es die Obama-Administration im
Dezember bestimmt hatte, ist keine Rede mehr. North Dakotas republikani-
scher Senator John Hoeven verkündete
vor der Presse, der amtierende Armeestaatssekretär Robert Speer, der im Verteidigungsministerium für sämtliche
administrativen und technischen Fragen der US-Armee verantwortlich ist,
habe das Ingenieurskorps angewiesen,
ETP die Genehmigung für die Bohrarbeiten unter dem Missouri River zu
erteilen. Anwälte der Sioux erklärten
dazu, es sei »illegal, den im Dezember
verhängten Baustopp zu ignorieren«.
Dagegen würden sie nun »den Kampf
vor den Gerichten aufnehmen«.
Die Fortsetzung des Pipelinebaus
sei »eine Kriegserklärung«, hatte vergangene Woche die indigene Aktivistin
Winona LaDuke von der Organisation
»Honor the Earth« erklärt. Sie richte
sich jedoch nicht nur an die Ureinwohner, »sondern an jeden hier, der sauberes Trinkwasser braucht«, sagte sie
im Interview mit dem Fernsehmagazin
»Democracy Now!«.
Siehe Seite 7
Zu Gast beim NATO-Partner
Mahnen und Kooperieren: Merkel bekräftigt »Terrorbekämpfung« mit Erdogan
B
undeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat erstmals nach
dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei deren Staatschef
Recep Tayyip Erdogan besucht. Nach
einem zweieinhalbstündigen Treffen
mit Erdogan sprach sie laut Nachrichtenagentur dpa am Donnerstag
in Ankara von einer engen Zusammenarbeit beider Staaten bei der Terrorbekämpfung. Die Kanzlerin habe
aber auch betont, dass in der entscheidenden Phase der Aufarbeitung des
Umsturzversuches durch Militär Meinungsfreiheit und Gewaltenteilung
wichtig seien. Ohne nähere Details zu
nennen, erklärte sie laut Agenturbericht mit Blick auf verschiedene Fälle
im Umgang mit Journalisten, sie mache sich »Sorgen«. Auch soll sie die
Türkei davor gewarnt haben, Anhänger des Predigers Fethulla Gülen in
Deutschland zu bespitzeln. »Es darf
nicht der Eindruck entstehen, dass
es dort Bespitzelungen gibt, sondern
der deutsche Rechtsstaat geht gegen
Rechtsverletzungen vor«, zitierte die
dpa Merkel mit Blick auf das Umfeld
Gülens, den Erdogan als Strippenzieher des Putschversuchs bezichtigt.
Als offenes Geheimnis gilt, dass
Erdogan beim Stichwort Terrorbekämpfung zuerst an die Arbeiterpartei
Kurdistans (PKK) denkt – und Mitglieder der Oppositionspartei HDP
(Demokratische Partei der Völker)
als mutmaßliche PKK-Unterstützer
verfolgen lässt. Dass zur Zeit elf Abgeordnete der HDP-Fraktion des türkischen Parlaments inhaftiert sind,
kritisierte Merkel diplomatisch: »Opposition gehört zu einer Demokratie
dazu. Das erfahren wir alle miteinander jeden Tag in demokratischen
Staaten.«
Zur Beobachtung des Referendums
über ein Präsidialsystem in der Türkei
empfahl Merkel Experten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Sie habe mit
Erdogan darüber gesprochen, »dass es
gut wäre«, wenn solche bei der Abstimmung dabei sein könnten. Die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht
(Linke) hatte Merkel im Gespräch mit
der Rheinischen Post (Donnerstagsausgabe) vorgeworfen, mit ihrem Türkeibesuch einen »islamistischen Autokraten«
zu hofieren.
(dpa/jW)
Siehe Gastkommentar Seite 8
Washington. Nach dem jüngsten
Test einer ballistischen Rakete
durch den Iran schlagen die USA
drohende Töne an. Das US-Präsidialamt erklärte am Mittwoch
(Ortszeit), man prüfe, wie reagiert
werden solle. »Von heute an warnen wir den Iran offiziell«, sagte
der nationale Sicherheitsberater
Michael Flynn. Der Test sowie der
Angriff auf ein saudiarabisches
Marineschiff durch die angeblich
von Teheran unterstützte schiitische Ansarollah-Miliz vor der Küste Jemens unterstrichen »das destabilisierende Verhalten des Irans
im Nahen Osten«. Anstatt dass der
Iran den USA wegen des Atomabkommens von 2015 dankbar sei,
fühle er sich nun ermutigt, monierte Flynn. Trump bezeichnete das
von seinem Amtsvorgänger unterzeichnete Abkommen auf Twitter
am Donnerstag als »fürchterlichen
Deal«. Es sei eine »Rettungsleine«
für den Iran gewesen. (Reuters/jW)
Warnstreiks bundesweit
im öffentlichen Dienst
Potsdam. In mehreren Bundesländern haben die Gewerkschaften
Beschäftigte des öffentlichen Dienstes zu weiteren Warnstreiks aufgerufen. In Hamburg beteiligten sich
am Donnerstag nach ver.di-Angaben in mehreren Schulen Pädagogen, Verwaltungsangestellte sowie
Reinigungskräfte und Hausmeister
an den Aktionen. In SchleswigHolstein waren die insgesamt
1.400 Beschäftigten des Landesbetriebs Straßenbau und Verkehr
aufgerufen, nicht zu arbeiten. Auch
in Niedersachsen streikten die
Straßenwärter. Eine Protestkundgebung fand am Nachmittag in Erfurt
statt. Die Gewerkschaften fordern
für die Landesbeschäftigten bundesweit insgesamt sechs Prozent
mehr Lohn. Die Tarifgemeinschaft
deutscher Länder (TdL) lehnt dies
ab. Die dritte und vorerst letzte
Verhandlungsrunde beginnt am
16. Februar wieder in Potsdam.
(dpa/jW)
wird herausgegeben von
1.998 Genossinnen und
Genossen (Stand 26.1.2017)
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