Aktuelle Diskriminierung Stoischer AKW-Widerstand Schattiger Anbau Zehn Jahre Gleichbehandlungsgesetz: Es bleibt noch viel zu tun. Seite 2 Jeden Monat geht in Brokdorf die rote Sonne gegen Atomkraft auf. Seite 18 Kolumbiens Kokabauern werden mit Repression bedacht. Seite 3 Logo: © OOA Fonden Foto: David Graaff Mittwoch, 10. August 2016 71. Jahrgang/Nr. 186 STANDPUNKT Instrument der Abschreckung Deutschland macht dicht Aert van Riel über abgewiesene Flüchtlinge an deutschen Grenzen Innenminister Thomas de Maizière hat sein Versprechen, dass man trotz der Grenzkontrollen human mit Flüchtlingen umgehen werde, offensichtlich nicht sonderlich ernst gemeint. Obwohl der CDU-Politiker noch vor einem halben Jahr angekündigt hatte, dass Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, in Deutschland mit Sicherheit und Schutz rechnen können, werden die Schutzsuchenden nun zunehmend direkt an den Grenzen zur Bundesrepublik wieder zurückgeschickt. Die Bundespolizei geht dabei teilweise perfide vor. Hunderte von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen hatten angeblich »kein Schutzersuchen« gestellt und durften aus diesem Grund nicht nach Deutschland einreisen. Dabei hätten die Jugendlichen einfach nur eine fachgerechte Beratung sowie Unterstützung benötigt. Für die Aufrechterhaltung der Grenzkontrollen gibt es keine guten Argumente. Wer wirklich glaubt, dass dadurch der islamistische Terrorismus eingedämmt werden kann, ist schlicht naiv. Die Erfahrungen zeigen, dass Einzeltäter, die immer ein einigermaßen normales Leben geführt haben, den Sicherheitsbehörden ohnehin oft nicht auffallen. In Wirklichkeit handelt es sich bei den Überprüfungen vor allem um Instrumente der Schikane und der Abschreckung. Mit Kontrollen und Zurückweisungen lassen sich die Probleme, welche die großen Flüchtlingsbewegungen mit sich bringen, nicht lösen. Sie werden lediglich in andere Regionen verlagert. An den Außengrenzen der Bundesrepublik sind im ersten Halbjahr 2016 schon weit mehr Migranten (13 324) abgewiesen worden als im gesamten Vorjahr (8913). Jeder vierte Asylsuchende, der nicht einreisen darf, stammt aus dem Bürgerkriegsland Afghanistan. Auch aus Syrien und Irak werden viele Menschen abgewiesen. In den ersten sechs Monaten des Jahres wurden 13 743 Menschen abgeschoben, die allermeisten von ihnen in den Westbalkan. Im gesamten Vorjahr waren es 20 888 und 2014 nur 10 884. 30 553 Menschen wurden im ersten Halbjahr 2016 dazu gebracht, freiwillig auszureisen – mit Geld aus einem Rückkehrer-Programm von Bund und Ländern. Die neusten Erkenntnisse zum Brandanschlag auf ein Asylheim in Berlin lesen Sie auf Seite 9. Wie die Gruppe »Women in Exile« geflüchteten Frauen Mut machen will, steht auf Seite 18. UNTEN LINKS Eigentlich gilt gemeinhin der Ostdeutsche als in besonderem Maße rückwärtsgewandt. Dabei hat auch der in dem anderen Landesteil Beheimatete immer wieder nostalgische Anwandlungen. Weil früher sowieso alles besser war. Mit Jahren Abstand die einst wirklich Großen immer größer werden. Und selbst die schlimmsten Ekel ihre Schreckhaftigkeit längst verloren haben. Würde ansonsten die Berufung eines glücklosen Ex-Bundespräsidenten zum niedersächsischen Spargelbotschafter landauf landab Erwähnung finden? Oder die dritte Hochzeit eines früheren und eher mäßigen Kanzleramtsministers noch zur Schlagzeile taugen? Ganz und gar die Rückkehr eines abgehalfterten wie abgestraften cholerischen Fußballmanagers die Gemüter erregen? Von wegen: Den kannst Du vergessen. Zu bestaunen und zu befürchten ist vielmehr: Die Wulffs, Pofallas und Hoeneß' hatten nur eine vorübergehende öffentliche Pause genommen. Sie kommen wieder. Immer wieder. oer ISSN 0323-3375 Fotos: dpa/Armin Weigel, 123rf/lightpoet [M] Russisch-türkische Wiederannäherung Staatspräsident Erdogan dankte seinem »lieben Freund« und Kollegen Putin für die Einladung Die Staatschefs Russlands und der Türkei haben in St. Petersburg das beschädigte Verhältnis zwischen beiden Staaten öffentlichkeitswirksam repariert. Von Irina Wolkowa, Moskau und Roland Etzel Das erste bilaterale russisch-türkische Treffen auf höchster Ebene nach monatelanger Eiszeit ist am Dienstag in St. Petersburg über die Bühne gegangen. Recep Tayyip Erdogan und sein Gastgeber Wladimir Putin haben dafür nur 90 Minuten gebraucht. Der russischen Agentur TASS zufolge kamen die beiden Staatschefs anschließend im größeren Kreis mit ihren Delegationen zusammen. Dort wurde Erdogan konkret: Russland wird Akkuyu – das erste türkische Atomkraftwerk – bauen, gemeinsam wolle man auch die Schwarzmeerpipeline Turkstream reanimieren, die russisches Gas unter Umgehung der Ukraine nach Europa weiterleiten soll. Auch über Kooperation im militärtechnischen Bereich sowie über trilaterale Zusammenarbeit mit Aserbaidschan habe man sich verständigt. Bemerkenswert: Erdogan nannte Putin gleich mehrfach seinen »lieben Freund« und dankte ihm für die Einladung. Putin war in den Formulierungen erheblich zurückhaltender als sein Gast und geizte mit Details, vor allem bei der Erörterung internationaler Probleme. Über Syrien, so der Präsident, werde man sich unter Teilnahme von Militärs und Geheimdiensten nach der Pressekonferenz verständigen. In der deutschen Politik wird der Besuch Erdogans in Russland mit einer Mischung aus Kritik und Misstrauen betrachtet. Dies geschieht, was Erdogan betrifft, allerdings aus anderen Gründen als jenen, mit denen er seit seinem rigorosen Vorgehen gegen Oppositionelle im eigenen Land für Protest im Ausland sorgte. Besonders der konservative Teil des deutschen Politikspektrums meint, seine Sorgen ausdrücken zu müssen, dass Erdogan als Repräsentant des südöstlichsten Vorpostens der NATO mit sicherheitspolitischen Risiken spielt. Für den Historiker Michael Wolffsohn tut er das sogar ungewollt, weil er die Politik seines russischen Amtskollegen Wladimir Putin nicht durchschaue. Dieser, so Wolffsohn gegenüber AFP, wolle »einen Keil zwischen die Türkei und den Westen treiben«. Auch der SPD-Außenpolitiker Niels Annen bedient derlei Befürchtungen: »Eine Hinwendung zu Putin und eine Abwendung der Türkei von der NATO kann nicht in unserem Interesse liegen.« Dies richtet sich offenbar auch gegen Kritiker in den eigenen Parteireihen, die nach Erdogans rabiatem Vorgehen gegen Andersdenkende Konsequenzen der deutschen Politik fordern. Annen meint, man müsse jetzt mit Erdogan im Ge- spräch bleiben. Offiziell aber begrüßt die Bundesregierung die Annäherung. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte der »Bild«-Zeitung, er sehe darin keine Abwendung Ankaras von der NATO. Er glaube nicht, dass das Verhältnis zwischen beiden Ländern so eng werde, dass Russland der Türkei eine Alternative zur Sicherheitspartnerschaft der NATO bieten kann. Seiten 4 und 7 } Lesen Sie heute im Ratgeber Rund um IGeL: Tipps für Patienten Fragen & Antworten zum Bachelorstudium Clever bezahlen – doch Vorsicht bei Vorkasse Bundesausgabe 1,80 € www.neues-deutschland.de Nazijäger spüren NS-Verbrecher auf Staatsanwaltschaften entscheiden nun bundesweit über Anklagen Ludwigsburg. Deutsche Ermittler sind auf acht mutmaßliche NS-Verbrecher gestoßen. Wegen Beihilfe zum Mord in Tausenden Fällen hat die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg Vorermittlungen an verschiedene Staatsanwaltschaften bundesweit abgegeben. Diese müssen nun entscheiden, ob Anklage wegen Beihilfe zum Mord erhoben wird. »Es handelt sich um vier Männer und vier Frauen, die im deutschen Konzentrationslager Stutthof bei Danzig tätig waren«, sagte der Leiter der Ermittlungsbehörde, Jens Rommel. Die Männer seien als Wachleute, die Frauen als Schreibkraft, Telefonistin oder Fernsprechvermittlerin tätig gewesen, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt. Sie wurden zwischen 1918 und 1927 geboren. Darüber hinaus suchen die Ludwigsburger Experten weitere mögliche Beschuldigte, die in den Lagern Bergen-Belsen und Neuengamme tätig waren. Auch zu den NS-Vernichtungslagern Auschwitz und Majdanek gingen Vorermittlungen weiter. dpa/nd Athen plant Südeuropa-Gipfel Treffen unter dem Motto »Mehr Wachstum statt Austerität« Athen. Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras plant einen Südeuropa-Gipfel im September in Athen. Eingeladen werden sollen dazu die Staats- oder Regierungschefs aus Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, Malta und Zypern. Bei dem Treffen unter dem Motto »Mehr Wachstum statt Austerität« soll auch ausführlich über eine Neuorientierung Europas in Sachen Sozialpolitik gesprochen werden, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Dienstag aus Regierungskreisen. Auch die Flüchtlingskrise und die dramatische Lage im östlichen Mittelmeer sollen dabei erörtert werden. Als Termin werde der 9. September angepeilt. Noch sei aber nicht alles unter Dach und Fach. Mit dem Treffen solle »auf keinen Fall« Front gegen die Nordstaaten der EU gemacht werden, hieß es. Am Montagabend hatte Regierungschef Alexis Tsipras – ohne das geplante Treffen zu erwähnen – auf Facebook erklärt, Europa müsse »einen neuen Sozialvertrag« ausarbeiten, der »den Wohlstand seiner Völker sichern wird«. dpa/nd Gericht erlaubt Protest bei Olympia Per einstweiliger Verfügung wird das IOC-Verdikt aufgehoben Rio de Janeiro. In Brasiliens Olympia-Arenen sind politische Protestplakate bis auf weiteres gegen den Willen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) erlaubt. Ein Gericht in Rio de Janeiro hob das bestehende Verbot per einstweiliger Verfügung auf. Der Richter João Augusto Carneiro entschied, dass Menschen, die friedlich mit Plakaten oder Botschaften auf T-Shirts politische Meinungen kundtun, nicht aus den Stadien geworfen werden dürfen. Jeder Verstoß gegen dieses Urteil werde mit 10 000 Reais (2840 Euro) geahndet, entschied der Richter laut der Nachrichtenagentur Agência Brasil. Das Verbot war von der örtlichen Bürgerrechtsbehörde angefochten worden. Das IOC hatte angesichts der aufgeheizten Stimmung in Brasilien kürzlich klargestellt, dass es keine politischen Botschaften dulde. In mehreren Sportstätten waren »Fora Temer«-Plakate (»Temer raus«) zu sehen gewesen, ein Protest gegen Interimspräsident Michel Temer, der bei der Eröffnungsfeier lautstark ausgepfiffen wurde. dpa/nd Kommentar Seite 4
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