Lösung Fall 9

Prof. Dr. Christoph Gusy
Polizei- und Ordnungsrecht
Übungsfall 9
In der nordrhein-westfälischen Stadt S wird friedlich gegen einen Castortransport
demonstriert. Nach Beendigung der Demonstration kommt es in der Stadt zu
Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und militanten Castorgegnern.
Der anwesende Reporter B, der bei einer Lokalzeitung angestellt ist, sieht, wie
eine weibliche Person von drei Polizeibeamten mittels körperlicher Gewalt in
einen Hauseingang verbracht wird. B wittert daraufhin einen Bericht über
Polizeigewalt mit exklusiven Fotos. Deshalb nähert sich B mit seiner
Digitalkamera dem Hauseingang und fotografiert mit einem (Panorama-)Foto das
Gesamtgeschehen und mit drei weiteren, gezielten (Portrait-)Fotos die beteiligten
Polizisten. Die drei Polizeibeamten bemerken B daraufhin, stellen sich um ihn und
fordern nach Betrachtung der Fotos, diese von der Speicherkarte der
Digitalkamera zu löschen.
B meint, dass er ein Recht habe, den Polizeieinsatz zu fotografieren. Die
Polizisten sind hingegen der Auffassung, eine Straftat nach §§ 22, 23, 33
KunstUrhG verhindern zu müssen. Zudem würde in das allgemeine
Persönlichkeitsrecht der Polizeibeamten eingegriffen. B entschließt sich dann
doch noch die betreffenden Fotos (ohne Rekonstruktionsmöglichkeit) zu löschen.
War die Aufforderung der Polizeibeamten rechtmäßig?
§ 22 KunstUrhG
1
Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. 2-4 (...)
§ 23 KunstUrhG
(1) Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden:
1. Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte;
2. Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit
erscheinen;
3. Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen
teilgenommen haben; (…)
(2) Die Befugnis erstreckt sich jedoch nicht auf eine Verbreitung und Schaustellung, durch die ein berechtigtes
Interesse des Abgebildeten (...) verletzt wird.
§ 33 KunstUrhG
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen den §§ 22, 23 ein Bildnis
verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt.
(…)
Lösungsskizze zu Übungsfall 9
Rechtmäßigkeit der Aufforderung die Bilder von der Speicherkarte zu löschen
I.
Ermächtigungsgrundlage
Mangels spezialgesetzlicher Vorschriften ist § 8 Abs. 1 PolG NRW einschlägig. Es ist
auch nicht davon auszugehen, dass B die Bilder freiwillig gelöscht hat, sondern er der
Aufforderung der Polizisten nachgekommen ist, so dass ein Eingriff vorliegt.
Das PolG NRW ist nicht durch das VersG gesperrt, da B schon nicht Teilnehmer der
Versammlung ist; ob der Schutzbereich noch eröffnet ist, ist daher nicht mehr relevant.
Das LPresseG ist nicht anwendbar, da es nur insoweit polizeifest ist, wie es
speziellere Regelungen enthält.1 Dies ist hier nicht der Fall.
II.
formelle Rechtmäßigkeit
1. Zuständigkeit
Sachlich: § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW zur Verhütung von Straftaten
Örtlich: § 7 POG NRW
2. Verfahren

§ 28 Abs. 1 VwVfG NRW unter Anwesenden (+)

§ 20 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG NRW; in eigener Sache: Die Polizisten
schreiten hier ein um ihr eigenes Persönlichkeitsrecht zu schützen. Vorteile
im Sinne der Vorschrift, sind nicht nur wirtschaftliche sondern auch
rechtliche und immaterielle Vorteile.2 Problematisch ist, ob eine Gefahr im
Verzug vorliegt, also ob das Eingreifen erforderlich ist, weil ein Abwarten
unweigerlich zu einem Schaden führen würde. Gefahr im Verzug liegt vor,
wenn die Maßnahme bei Einhaltung grds. erforderlichen Verfahrens- oder
Formvorschriften vereitelt oder wesentlich erschwert würde.
1
Siehe BVerwG, ZUM 2012, 909 (911).
2
Siehe Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20 Rn. 32.
2
Man könnte argumentieren, dass aufgrund der besonderen Lage keine
anderen Polizisten herangeführt werden konnten. Dagegen spricht jedoch,
dass sicherlich mehrere Polizisten in der Umgebung verfügbar waren.
Hier scheinen beide Ergebnisse mit entsprechender Begründung vertretbar.
Wer vertretbar die formelle Rechtmäßigkeit an dieser Stelle verneint, muss
in jedem Fall hilfgutachterlich fortfahren.
3. Form
Polizei handelt formfrei
III.
materielle Rechtmäßigkeit
1. Tatbestand
a) Schutzgut (öffentliche Sicherheit)
Die
öffentliche
Sicherheit
umfasst
die
Unverletzlichkeit
der
Rechtsordnung,
der
subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie der Einrichtungen und
Veranstaltungen des Staates und sonstiger Träger der Hoheitsgewalt.3
Hier kommt eine drohende Verletzung der Rechtsordnung in Form eines Verstoßes
gegen §§ 22, 23, 33 KunstUrhG durch Veröffentlichen der Bilder in den Lokalmedien
in Betracht.
Das allgem. Persönlichkeitsrecht tritt nach dem lex specialis-Gedanken zurück.4
aa) Tatbestand § 8 Abs. 1 PolG NRW
Hierzu müsste ein Veröffentlichen der Fotos in der lokalen Presse den Tatbestand
erfüllen (§§ 22, 23, 33 KunstUrhG) sowie rechtswidrig sein.
(1) Bildnis (+)
Ein Bildnis liegt dann vor, wenn der Einzelne erkennbar ist. Davon ist bei der
Abbildung von Personen grundsätzlich auszugehen.5
3
Gusy, Rn. 79; Dietlein/Burgi/Hellermann, § 3 Rn. 50-54.
4
VGH Mannheim, DVBl 2010, 1569 (1572).
3
(2) Verbreitet/zur Schau stellen (+)
Das Merkmal des Verbreitens ist die Weitergabe an eine Vielzahl von Personen. Das
zur Schau stellen ist die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch andere. Durch das
Abdrucken in der Zeitung, läge daher ein Verbreiten vor.6
(3) fehlende Einwilligung (+)
Eine Einwilligung seitens der Polizisten lag nicht vor.
(a) Ausnahme: § 23 Abs. 1, 2 KunstUrhG
Möglicherweise besteht aber eine Ausnahme von der Einwilligung.

Nr. 1: (+) Die Beamten sind hier relative Personen der Zeitgeschichte, da
es
sich
bei
einer
gewalttätigen
Auseinandersetzung
am
Ende
einer
Demonstration nicht um einen alltäglichen Polizeieinsatz handelt. Es ist
daher unerheblich, ob wirklich ein Fall von Polizeigewalt vorliegt oder
nicht; dieser wäre natürlich auch nicht alltäglich.7

Nr. 3: (+/-) ob diese Vorschrift hier einschlägig ist, wird unterschiedlich
beurteilt. Die Demonstration ist bereits beendet, so dass nur noch das
Merkmal ähnliche Vorgänge einschlägig sein könnte.
Zweck der Vorschrift sei es, dass Gesamtgeschehen einzufangen; wobei
es notwendig ist, auch Teilnehmer der Demonstration, etc. abzulichten, um
den
Gesamtcharakter
überlegen,
ob
das
nicht
zu
verlieren.
Panoramafoto
hier
Danach
könnte
man
hier
war,
um
den
notwendig
Gesamtcharakter einzufangen. Für die Einzelbilder scheidet dieses Merkmal
aber definitiv aus.
Nach anderer Auffassung kann der Polizeieinsatz nicht unter ähnliche
Vorgänge gezählt werden, da hierfür ein kollektiver Wille – ähnlich einer
Demonstration – erforderlich ist.8 Dieser liegt hier nicht vor.
5
Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, § 22 Rn. 1 ff.: Wonach die Erkennbarkeit vorliegt, sofern der
Abgebildete die Befürchtung hegt, von seinem Bekanntenkreis wiedererkannt zu werden.
6
VG Meiningen, NVwZ-RR 2012, 551 (552).
7
Fricke, in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, § 23 Rn. 18.
8
Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, § 23 Rn. 18.
4
(b) Ausnahme der Ausnahme (Abs. 2)
Berechtigtes Interesse der Polizisten nach Abs. 2 KunstUhrG.
Es dürfen jedoch keine berechtigen Interessen der Abgebildeten verletzt
werden. Um festzustellen, ob hier eine solche Verletzung vorliegt muss
also eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit
und
dem
Interesse
der
Betroffenen
an
Erhaltung
ihrer
Anonymität
durchgeführt werden.
Hier stellt sich die Frage, ob die Prangerwirkung eines oder aller Fotos in
der Presse einen größeren Stellenwert hat, als das Informationsbedürfnis
der Allgemeinheit. Dabei ist auch die Art der Fotos zu beachten.
Grds. haben auch Amtsträger, wenn sie in Ausübung ihres Amtes in der
Öffentlichkeit auftreten, ein Recht am eigenen Bild. Es kann aber der
Informationsfreiheit
der
Presse
Vorrang
eingeräumt
werden.
Für
Bilddokumentationen über Demonstrationen und ähnliche Vorgänge ist dies
in § 23 Abs. 1 Nr. 3 KunstUrhG ausdrücklich anerkannt. Dabei sind
Panoramafotos gestattet, da sie das Gesamtgeschehen einfangen müssen,
um den Charakter eines Geschehens abbilden zu können. Daraus folgt,
dass auch bei anderen Polizeieinsätzen, soweit der Vorgang an sich
dokumentiert wird, auch eine Bildberichterstattung möglich bleibt und
insoweit
das
9
Recht
am
eigenen
Bild
der
beteiligten
Polizeibeamten
zurücktritt. Das Interesse der Polizisten tritt bezüglich des Panoramafotos
hinter dem Informationsinteresse der Allgemeinheit zurück.
Etwas
anderes
gilt
einzelnen
Beamten
Abbildung
gerade
dagegen
gezielt
dieser
bei
„Portraitaufnahmen“
abgelichtet
Beamten
–
werden.
etwa
Dann
wegen
bei
denen
muss
der
an
Art
die
der
ihrer
Einsatzteilnahme – ein besonderes Interesse bestehen. Dies könnte bei
einem Gewalteinsatz denkbar sein. Die Gewalt war aber nicht zwingend
unzulässig, da sie im Rahmen des Verwaltungszwangs durchaus erfolgen
kann.
Ein
besonderes
Interesse
wegen
der
Besonderheit
der
Einsatzteilnahme wäre daher wohl bereits zu verneinen.
9
VGH Mannheim, NVwZ 2001, 1292, 1294.
5
Zudem ist zu berücksichtigen, dass von einer Bildberichterstattung immer
eine
„Prangerwirkung“
ausgeht,
und
bei
einer
Verbreitung
in
den
Massenmedien durch die Medien sowie durch die Leser häufig nicht
zwischen Verdacht und erwiesener Schuld unterschieden wird.
Danach könnten insbesondere die Portraitaufnahmen hier dem Interesse
der
Polizisten
entgegenstehen,
wenn
dadurch
der
Charakter
einer
Vorverurteilung erzeugt wird.
Somit wäre hier die Veröffentlichung der Portraitaufnahme nicht zulässig,
die Panoramaaufnahme hingegen schon.
bb) Rechtswidrigkeit
Das Veröffentlichen (nur) der Portraitfotos wäre dann auch rechtswidrig, da keine
Rechtfertigungsgründe einschlägig sind.
b) Gefahr (für das Schutzgut)
Eine
(konkrete)
Gefahr
ist
eine
Sachlage,
die
bei
ungehindertem
Ablauf
des
Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an polizeilich bzw.
ordnungsbehördlich geschützten Gütern führt.10
Bei Presseorganen kann aber nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass
sie unzulässige Bilder veröffentlichen. In der Redaktion findet noch eine Auswahl der
zu veröffentlichenden Bilder statt. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Medien
auch
bei
einhalten.
11
der
Bildberichterstattung
die
Grenzen
der
§§ 22,
23,
33
KunstUrhG
Hier hat allerdings R die Polizisten gezielt abfotografiert Dies lässt auf
seine Absicht schließen, auch Bilder einzelner Polizisten gezielt zu veröffentlichen.
Selbst wenn sie durch „schwarze Balken“ „unkenntlich“ gemacht werden, reicht das zur
Verhinderung der möglichen Identifizierung – insbesondere durch Bekannte (z.B. auch
Arbeitskollegen, Vorgesetzte) – häufig nicht aus.
2. Rechtsfolge
10
Dietlein/Burgi/Hellermann, § 3 Rn. 61.
11
VHG Mannheim, DVBl. 2010, 1569, 1571; Gegenbeispiel: VGH Mannheim, NVwZ 2001, 1292, 1294.
6
Die notwendigen Maßnahmen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist. Dies
beinhaltet die Aufforderung zur Löschung.
a) Verantwortlichkeit
B ist Verhaltensstörer nach § 4 PolG NRW und als Eigentümer der Speicherkarte
auch Zustandsstörer nach § 5 PolG NRW.
b) Ermessen/Verhältnismäßigkeit
Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Die Maßnahme war auch verhältnismäßig,
insbesondere stellte sie das mildeste Mittel dar. Eine Beschlagnahme der Speicherkarte
wäre kein milderes Mittel.
Ergebnis
Die Löschungsaufforderung war rechtswidrig in Bezug auf das Panoramafoto und
rechtmäßig bezüglich der Portraitfotos.
7