PKK-Bilanz PA/STR/DPA-BILDFUNK Die türkische Regierung hetzte 2016 Militär und Polizei auf die kurdische Bevölkerung. Mehr als zehn Städte wurden zerstört, aber der Widerstand wuchs. Die Kurden fordern Grundrechte und Autonomie. Ein Gespräch mit Cemil Bayik SEITEN 12/13 GEGRÜNDET 1947 · FREITAG, 6. JANUAR 2017 · NR. 5 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT WWW.JUNGEWELT.DE Regierungserlass Auskünfte Protestkampagne Etappensieg 2 3 5 6 Brandenburg: Ausländer, die Opfer rechter Gewalt werden, erhalten Bleiberecht. Ein Interview Köln: Stimmen zur Polizeiaktion am Silvesterabend. Eine Ortsbegehung. Von Marvin Oppong Berlin: Politikwissenschaftler Peter Grottian und Aktivisten rufen zu VW-Boykott auf USA: Richter ordnet Behandlung von Hepatitis-Infektion bei Mumia Abu-Jamal an. Von Jürgen Heiser Blackbox Amri Mutmaßlicher WeihnachtsmarktAttentäter nutzte 14 Identitäten, mehrfach hatte er Anschläge angekündigt. Behörden blieben untätig. Von Markus Bernhardt, Düsseldorf D er am 19. Dezember verübte Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche hätte verhindert werden können, wenn Behörden und Geheimdienste Konsequenzen aus vorliegenden Erkenntnissen über den mutmaßlichen Attentäter gezogen hätten. Am Donnerstag traf sich der Innenausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags zu einer Sondersitzung. Er sollte, auf Ansinnen der Opposition, Versäumnisse des NRWInnenministeriums sowie der Polizeiund Geheimdienstbehörden beleuchten. Dabei kam heraus, dass Amri, der offenbar bei dem Anschlag zwölf Menschen getötet und rund 50 Personen teils schwer verletzt hatte, den Behörden unter insgesamt 14 Identitäten bekannt war. So schilderte der Landes kriminaldirektor Dieter Schürmann, dass der 24jährige sich immer wieder unter neuem Namen in verschiedenen Städten habe regi- strieren lassen. Amri sei auf Anraten des NRW-Landeskriminalamtes (LKA) erstmalig im Februar 2016 als sogenannter Gefährder eingestuft worden. Dieser Einschätzung folgte später auch das Land Berlin. Obwohl der Mann insgesamt sieben Mal im »Gemeinsamen Terror-Abwehrzentrum von Bund und Ländern« thematisiert worden sein soll, sei dieses kontinuierlich zu dem Schluss gekommen, dass von Amri keine Gefahr ausgehen würde. Der Tunesier war ursprünglich bei der Ausländerbehörde im nordrheinwestfälischen Kreis Kleve gemeldet gewesen. Bereits in der Vergangenheit hatte er sich wohl mehrfach strafbar gemacht. Ihm wurde unter anderem der Missbrauch staatlicher Leistungen, Drogendelikte und das Tragen gefälschter Dokumente vorgeworfen. Auch am Donnerstag gab es keine Antworten auf die Frage, warum Amri Ziel »verdeckter Maßnahmen« gewesen war und seine Telekommunikation über sechs Monate abgehört worden Anis Amri war monatelang auf dem Schirm von LKA und Terrorabwehrzentrum, ohne Konsequenzen sein soll, wenn es doch keine Hinweise auf eine von seiner Person ausgehende Gefahr gegeben habe. Außerdem soll der Tunesier laut Kölner StadtAnzeiger von Donnerstag mehrfach Anschläge angekündigt haben. Bereits im Frühjahr 2016 habe das LKA in Düsseldorf Berichte darüber erhalten, dass der Mann andere Personen auffordere, mit ihm gemeinsam Attentate zu begehen. Auch soll Amri sich im Internet über Bombenbau und den Kauf großkalibriger Schnellfeuergewehre informiert haben. Hinzu kommt, dass ein verdeckter Ermittler bereits im Juli 2016 das LKA informiert habe, Amri prahle damit, ein Blutbad anzurichten. Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) wollte am Donnerstag jedwede politische Verantwortlichkeit von sich auf andere abschieben. »Der Anschlag wurde verübt von einem Mann, über den die Sicherheitsbehörden bundesweit sehr viel wussten«, verwies er lapidar auf andere Behörden. «Das klingt insgesamt wie ein Offenba- rungseid des Rechtsstaats», resümierte der Vizevorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Joachim Stamp, zum Ende der Sitzung. Während die Bundesanwaltschaft mitteilte, keine Zweifel mehr an der Täterschaft Amris zu hegen, hat sich der Verdacht der Mittäterschaft gegen einen am Dienstag in Berlin festgenommenen Bekannten Amris bisher nicht bestätigt. Jedoch soll der 26 Jahre alte Tunesier ebenfalls unter verschiedenen Namen Leistungen erhalten haben. Amri selbst war am 23. Dezember von Polizisten in Italien erschossen worden. Während politische Hardliner den Anschlag für weiteren Grundrechteabbau und den Ausbau staatlicher Überwachung missbrauchen wollen, wurde am Donnerstag bekannt, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch immer nicht erfasst, wie viele Asylbewerber ohne Ausweisdokumente ins Land kommen, wie eine Sprecherin gegenüber dpa erklärte. Rassisten ermutigt Weitere Angriffe auf »ausländische« Kneipen und Dunkelhäutige in Polen V ielleicht liegt es an der einstweilen erhöhte Aufmerksamkeit der Journalisten, aber nach den ausländerfeindlichen Unruhen im masurischen Elk am Wochenende melden polnische Medien in diesen Tagen vermehrt Angriffe mit mutmaßlich rassistischem Hintergrund. In Legnica wurde am Mittwoch ein Bangladeschi auf offener Straße attackiert und so schwer verletzt, dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. In der niederschlesischen Metropole Wroclaw wiederum wurden am Dienstag und Mittwoch zwei Dö- nerlokale angegriffen. In beiden Fällen entstand Sachschaden. Bei dem zweiten Anschlag in der Nacht zum Mittwoch warf der Täter einen Brandsatz ins Innere; die Bewohner der über der Gaststätte liegenden Wohnungen entkamen offenbar nur mit Glück einem Feuer, weil ein Mieter noch wach war und rechtzeitig die Feuerwehr rief. Die Polizei kündigte daraufhin Ermittlungen wegen Sachbeschädigung an, anstatt gegen versuchte Brandstiftung vorzugehen. Der Oberbürgermeister von Wroclaw, Rafal Dutkiewicz, erklärte der- weil, solche rassistischen Übergriffe werde es »mit ihm nicht« geben. Das unterscheidet Dutkiewicz immerhin von polnischen Regierungsvertretern. Innenminister Mariusz Blaszczak hatte auf die Neujahrsunruhen in Elk in einer Weise reagiert, die geeignet ist, rassistische Schläger zu ermutigen. Blaszczak hatte von einer »völlig verständlichen Reaktion der Bevölkerung« gesprochen, als einige hundert Faschisten und Anwohner am Neujahrstag die arabische Kneipe demolierten, vor der am Silvesterabend ein 21jähriger Pole nach einem versuchten Getränkediebstahl von zwei Beschäftigten des Lokals erstochen worden war. Zeugenberichten zufolge hatten polnische Kunden vor dem Messerangriff den ganzen Abend betrunken im »Prince Kebap« herumgesessen und die arabischen Beschäftigten rassistisch beschimpft. Ob dies auch auf den später erstochenen 21jährigen zutrifft, blieb unklar. Der Mann war nach Darstellung der Staatsanwaltschaft für die Behörden kein Unbekannter. Vergangenes Jahr stand er zweimal wegen Raubüberfällen vor Gericht. Reinhard Lauterbach ARNE DEDERT/DPA- BILDFUNK MUSSA QAWASMA / REUTERS Israel: Drohungen nach Gerichtsurteil Jerusalem. Nach dem Schuldspruch für einen israelischen Soldaten, der einen verletzten palästinensischen Angreifer mit einem Kopfschuss getötet hatte, werden die Richter im Internet bedroht. Die Polizei teilte am Donnerstag mit, ein Mann aus Jerusalem und eine Frau aus Kirjat Gat seien wegen »Anstachelung zum Hass« festgenommen worden. Medienberichten zufolge erhielten die drei Richter zudem Leibwächter. Der Soldat Elor Asaria war am Mittwoch von einem Militärgericht in Tel Aviv wegen Totschlags schuldig gesprochen worden. Das Strafmaß wollen die drei Richter zu einem späteren Zeitpunkt verkünden. Dem 19jährigen Angeklagten drohen bis zu 20 Jahre Haft. Rechtsgerichtete Politiker, allen voran Regierungschef Benjamin Netanjahu, sprachen sich nach dem Urteil für Asarias Begnadigung aus. (AFP/jW) Protest gegen Oettingers Beförderung Brüssel. Zehn Nichtregierungsorganisationen haben das Europaparlament aufgefordert, gegen die Beförderung des deutschen EUKommissars Günther Oettinger zu protestieren. Der 63jährige sei wegen Affären um »rassistische, sexistische und homophobe Bemerkungen« nicht geeignet, in der EU-Kommission die Verantwortung für das Personalwesen zu tragen, heißt es in einem offenen Brief, der unter anderem von Transparency International und Oxfam unterzeichnet wurde. Zudem habe er in der Vergangenheit immer wieder wegen seiner Kontakte zu Lobbyisten in der Kritik gestanden. Anlass für die Initiative ist eine für Montag abend geplante Anhörung Oettingers durch Vertreter des EU-Parlaments. An seiner Beförderung hatte es bereits in den vergangenen Monaten Kritik gegeben, unter anderem weil er Chinesen als »Schlitzaugen« bezeichnet hatte. (dpa/jW) wird herausgegeben von 1.974 Genossinnen und Genossen (Stand 16.12.2016) n www.jungewelt.de/lpg
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