len Einführung eines generellen Reverse-Charge

Europäische Kommission legt Richtlinienvorschlag zur optionalen Einführung eines generellen Reverse-Charge-Verfahrens vor
– Die Ergebnisse des PSP-Planspiels lassen grüßen
[02.01.2017]
Von: Stefan Groß und Philipp Matheis
Über zehn Jahre sind ins Land gezogen, seit sich die deutsche Bundesregierung auf europäischer Ebene für ein generelles Reverse-Charge-Verfahren im B2B-Bereich mit Bagatellgrenze und Cross-Check eingesetzt hatte, um dadurch den um sich greifenden Umsatzsteuerbetrug zu bekämpfen. Obwohl Deutschland die Machbarkeit einer solchen
Systemänderung mit Hilfe von PSP im Rahmen eines groß angelegten Planspiels getestet
und für tauglich befunden hatte, wurde zunächst nichts aus der Idee, weil sich andere
Mitgliedstaaten nicht dafür begeistern konnten. Die erforderliche Einstimmigkeit der
Mitgliedstaaten bei Systemänderungen in der Mehrwertsteuer war damals jedenfalls
nicht zu erreichen.
Nun aber kündigt sich Bewegung auf diesem Gebiet an. Auf Druck einiger Vorreiterstaaten hatte die Europäische Kommission schon im Sommer 2016 zugesagt, noch vor
Ende des Jahres einen Gesetzgebungsvorschlag vorzulegen, der es einzelnen Mitgliedstaaten ermöglicht, eine generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft auf inländische
Lieferungen oberhalb eines festgelegten Schwellenwerts anzuwenden. Kurz vor Weihnachten, am 21. Dezember 2016 hat sie ihren Vorschlag zur Änderung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nun offiziell vorgelegt.
Konkret soll der europäischen Mehrwertsteuersystemrichtlinie ein neuer Artikel (199c)
hinzugefügt werden, der es den Mitgliedstaaten grundsätzlich erlauben soll, bei Leistungen an Unternehmen ab einer Bagatellgrenze von EUR 10.000 (je Rechnung) statt der
ansonsten geltenden Steuerschuldnerschaft des leistenden Unternehmers eine Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers einzuführen. Dies soll jedoch zunächst nur
befristet bis zum 30. Juni 2022 möglich und auch nur dann gestattet sein, wenn der
Mitgliedstaat nachweisen kann, dass er besonders stark vom sogenannten Karussellbetrug betroffen ist (der Anteil des Karussellbetrugs muss mehr als 25 % der gesamten
Mehrwertsteuerlücke des Staates betragen) und dass andere (konventionellere) Mittel zur
Betrugsbekämpfung zu nichts geführt haben.
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Doch gerade dieser Nachweis dürfte in der Praxis u. E. nicht leicht zu führen sein, da
jede Aussage über die Höhe nicht eingenommener Steuern letztlich nur auf Schätzungen beruhen kann. Im Rahmen des erwähnten Steuerplanspiels hatte PSP unter Zuhilfenahme geeigneter Schätzungen den Anteil des Karussellbetrugs in Deutschland für das
Jahr 2005 auf etwa 12 % der Mehrwertsteuerlücke (EUR 2,1 Mrd. bei einer jährlichen
Mehrwertsteuerlücke von vermuteten EUR 17 Mrd.) geschätzt. Andererseits lassen
Schätzungen dieser Art in der Regel einen Ermessensspielraum zu, den jene Mitgliedstaaten nutzen werden, die das generelle Reverse-Charge-Verfahren auf jeden Fall testen
wollen. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass ein generelles Reverse-Charge-Verfahren
nicht nur bei der Bekämpfung des Karussellbetrugs, sondern auch zur Vermeidung anderer Aufkommensausfälle beim Betrug mit fraktionierten Zahlungen in der Umsatzsteuer hilfreich wäre.
Zugleich warnt die Europäische Kommission vor dem Glauben, ein generelles ReverseCharge-Verfahren sei ein Allheilmittel gegen den Umsatzsteuerbetrug. Sie verweist stattdessen insbesondere auf neue Risiken im Zusammenhang mit neuen Betrugsarten (PSP
hatte seinerzeit die „Systemdualität“ zwischen B2B- und B2C-Welt und die damit einhergehenden Betrugsanreize für Letztverbraucher und kriminelle Händler erkannt) und
fordert daher die Mitgliedstaaten u. E. richtigerweise auf, weiterhin an der konventionellen Verbesserung des Mehrwertsteuersystems zu arbeiten.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein generelles Reverse-Charge-Verfahren
nun wohl mit gewisser Wahrscheinlichkeit in einigen Mitgliedstaaten Einzug halten
wird, was den Flickenteppich der europäischen Mehrwertsteuer-Regeln leider noch etwas bunter und unübersichtlicher werden ließe. PSP wird sich dafür einsetzen, dass die
Folgen einer derartigen Systemumstellung weiterhin – möglicherweise auch im Rahmen
weiterer Steuerplanspiele – untersucht werden, bevor eine europaweite Einführung erwogen wird.
Exkurs mit Blick auf den elektronischen Rechnungsaustausch:
Mit Blick auf die zwischenunternehmerische Prozesskette könnte ein generelles Reverse-Charge-Verfahren neben einem Beitrag zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs
u. E. auch weitere Vorteile für umsatzsteuerlichen Unternehmen eröffnen. In der heutigen – auf Digitalisierung ausgerichteten – Welt erfolgt der Rechnungsaustausch (als wesentlicher Bestandteil der Prozesskette) vielfach elektronisch. Immer mehr Unternehmen
erkennen dabei, dass der elektronische Rechnungsaustausch erhebliche Kosteneinsparpotenziale ermöglicht. Einen wesentlichen Hemmschuh für die digitalisierte und entsprechend automatisierte Verarbeitung von Eingangsrechnungen stellt jedoch nicht sel2/3
ten die Prüfung der umsatzsteuerlichen Pflichtangaben nach §§ 14, 14a UStG dar, die
jedenfalls derzeit nur begrenzt automatisierbar ist. Während über entsprechende Prüfalgorithmen eine formelle Prüfung auf das Vorhandensein entsprechender Pflichtbestandteile durchaus technisch realisierbar ist, kann eine inhaltliche Prüfung derzeit nicht
abschließend maschinell abgebildet werden und bedarf – zumindest in Stichproben –
stets manueller Prüfschritte. Ein generelles Reverse-Charge-Verfahren könnte hier durchaus für Abhilfe sorgen, da bei der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers die
inhaltlich vollständige Rechnung nicht weiter eine formelle Bedingung für das Recht auf
Vorsteuerabzug darstellt (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG). Über eine entsprechende Prozessvereinfachung könnten Rechnungen – ohne das Erfordernis manueller Kontrollen –
mithin automatisiert verarbeitet und verbucht werden. Auf diese Weise könnte sich das
Regime eines generellen Reverse-Charge-Verfahrens durchaus auch als echter Katalysator für die weitere Verbreitung der E-Rechnung darstellen.
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