Was ist eigentlich Urheberrecht? - Brand Eins

WAS UNTERNEHMEN NÜTZT _WAS IST EIGENTLICH …
Was ist eigentlich
Urheberrecht?
Schutz für Kreative und Investitionen – oder Diebstahl von Allgemeingut? Über die Frage,
was das Urheberrecht ist, was es bewirken und wovor es schützen soll, scheiden sich die Geister.
Wie viel Schutz fürs geistige Eigentum brauchen wir wirklich?
Text: Till Kreutzer
- - - - - Schon das Wort löst bei manchen
heftige Reaktionen aus, lässt die Emotionen kochen. Das ist auch kein Wunder,
denn es geht um Geld und Freiheit. Großes wird da heraufbeschworen: „Urheberrecht schafft die Grundlage für die totale
Überwachung der Netze!“, rufen die einen.
„Investitionen müssen durch starke Rechte gesichert werden, nur so schafft man
Anreize für kreatives Wirken“, halten die
anderen entgegen. Wissen, Kunst und
Kultur als Verschlusssache – das Urheberrecht als Zugangscode? Auf den ersten
Blick bedenklich, also doch am besten abschaffen? Oder: vielleicht lieber erst mal
nachdenken. Das moderne Urheberrecht
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ist mehr als ein Zugangskontroll- oder
Marktregulierungsmechanismus für die
Verwertungsindustrie.
„Das Urheberrecht schützt den Urheber
in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung
des Werkes“ – sagt jedenfalls das Urheberrechtsgesetz. „Urheberrecht ist Eigentum“,
sagt das Bundesverfassungsgericht und
definiert damit gleichzeitig die zweite Dimension des Urheberrechts, die im Grundgesetz verankert ist. Im Artikel 14, Absatz
2 steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Damit ist im Grunde
alles klar: Das Urheberrecht soll einen Aus-
gleich schaffen zwischen den Interessen
der Allgemeinheit an der möglichst ungehinderten Nutzung wertvoller Inhalte
einerseits und denen der Rechtsinhaber an
Kontrolle und wirtschaftlicher Verwertung
andererseits – denn Autoren, Komponisten
und Filmemacher wollen auch leben.
Das deutsche Urheberrecht behält dem
Berechtigten vor, über jede Art von Verwertung zu entscheiden und hieran wirtschaftlich teilzuhaben. Man muss also
grundsätzlich erst fragen und zahlen, wenn
man geschütztes Material vervielfältigen
will. Vervielfältigen heißt kopieren, also
CDs brennen, Bilder downloaden, Sendungen aufzeichnen, Videos überspielen.
BRAND EINS 05/02
WAS UNTERNEHMEN NÜTZT
Auch bevor man ein Werk online anbieten
will, muss die Erlaubnis eingeholt und
Geld für Lizenzen gezahlt werden. Das
Recht am Werk geht weit und erfasst jede
Art wirtschaftlich relevanter Verwertung.
Das Werk und sein Wert
Werke sind alle denkbaren Arten von
schöpferischen geistigen Leistungen. Der
Begriff ist amorph. Darunter fallen gleichermaßen die Opern von Richard Strauss,
Parabeln von Max Frisch, Plastiken von
Auguste Rodin und Songs von DJ Bobo,
das Anagramm „Adolf Hitler – Folterhilda“
oder die „Fettecke“ von Joseph Beuys. Auch
moderne Schöpfungen wie Computerprogramme jeder Art, Filme, Datenbanken und
Web-Grafiken werden geschützt. Die Anforderungen an die Schutzfähigkeit sind
angesichts der Tatsache, dass ein Werk bis
70 Jahre nach dem Tod des Urhebers
geschützt wird, bemerkenswert gering.
Berechtigt ist im deutschen Urheberrecht
immer zunächst der Schöpfer selbst. Der
vergibt die Rechte zur Verwertung dann
meist in Form exklusiver Lizenzen an einen
Verwerter, etwa einen Verlag und vereinbart dafür eine Vergütung.
Weil das Urheberrecht ein sozial eingebundenes Recht ist, enden die Befugnisse der Berechtigten dort, wo Interessen
Dritter ins Spiel kommen – die vom
Gesetz geregelten „Schranken“. Zur Tagesberichterstattung ist die Übernahme einzelner Artikel erlaubt, Zitate sind möglich,
und für das Abspielen von Platten auf der
Geburtstagsparty muss auch keine Erlaubnis eingeholt werden. Besonders wichtig
für den Konsumenten aber ist, dass Kopien zum privaten Gebrauch angefertigt
werden dürfen, ohne jemanden zu fragen.
CDs brennen ist also erlaubt, wenn man
dies für sich selbst macht und die Kopien
höchstens an Freunde weitergibt. Ob
„napstern“ auch darunter fällt, ist umstritten. Dass all dies nicht umsonst geschieht,
wird vom Gesetz voraus- und von den
Verwertungsgesellschaften – etwa der
Gema (siehe brand eins 07/2001) – umgeBRAND EINS 05/02
setzt. Die Verwertungsgesellschaften sammeln Abgaben auf Kopiervorrichtungen
wie Scanner und Kopierer und auf Leermedien wie Kassetten und CD-Rohlinge
ein, die als Kompensation für die private
Vervielfältigung gezahlt werden. Damit
heißt „Schranke“ meist nur Erlass der Erlaubnis-, nicht aber der Zahlungspflicht;
vor 20 Jahren schien das dem Gesetzgeber
noch zeitgemäß. Eins noch: Urheberrecht
ist nicht Copyright. Diese beiden Begriffe
kennzeichnen vielmehr zwei sich erheblich
unterscheidende Rechtsfamilien. Das Urheberrecht verkörpert die Vorstellung der
Kontinentaleuropäer vom Schutz der Kreativen. Maßgeblich geprägt durch eine ideelle Komponente, genannt Urheberpersönlichkeitsrecht, geht das Urheberrecht davon
aus, dass zwischen dem Urheber und seinem Werk ein „geistiges Band“ besteht.
Geschützt sind nur „persönliche geistige
Schöpfungen“. Das klingt metaphysischphilosophisch und ist auch ein bisschen
anachronistisch. Copyright dagegen ist
pragmatischer. „What is worth copying is
worth protecting“, formulierte einst ein
englischer Richter die Devise des Copyright. Copyright ist vor allem das Recht
der Industrie, von Disney, Warner, Universal und anderen. Urheberrecht? Na ja,
das ist eben das Recht des Urhebers.
Der Wandel des Urheberrechts
Doch Urheberrecht und Copyright nähern
sich einander an. Zurückzuführen ist dies
in erster Linie auf die europäische Integration. Das Urheberrecht muss nach Ansicht
der europäischen Markthüter vereinheitlicht
werden, damit keine Hemmnisse für den
Binnenmarkt auftreten. Dabei ist die schwierige Aufgabe zu lösen, die Wertvorstellungen des Copyright (das britische Recht)
und des Urheberrechts in Einklang zu bringen. Ergebnis wird ein weitgehend entideologisiertes, kommerzialisiertes „Copyurheberright“ sein, das einer eigenen Identität
harrt. Alt, verflochten und im Detail verzwickt sind die Grundsatzstreitigkeiten über
das Urheberrecht, vor allem zwischen den
Verfechtern der freien Nutzung und den
Industrievertretern. Wem hat das Urheberrecht zu dienen – nur den Kreativen und
Verwertern oder auch dem freien Informationsfluss? Nehmen wir die Privatkopie.
„Copy kills music“, skandiert die Musikindustrie seit Erfindung des Tonbandgeräts.
Das einzige Mittel gegen unkontrollierbares Zirkulieren illegaler Angebote im
Netz ist nach Ansicht der Verwerterlobby
die Abschaffung der Privatkopie-Schranke.
Das lässt bei den Verbraucherschützern die
Alarmglocken läuten, die hierin eine Beeinträchtigung der Konsumenten sehen.
Und wie verhält sich der Gesetzgeber?
Er verändert erst einmal die Dimension des
Urheberrechts. In Zukunft werden neben
dem Werk auch „technische Schutzmaßnahmen“ geschützt. Damit soll die Umgehung, das Knacken und Hacken von
Kopierschutz- oder Zugangskontrollmechanismen unter Strafe verboten sein. Das
ist im Grundsatz nicht auf den deutschen
Gesetzgeber zurückzuführen, sondern auf
internationale und europarechtliche Vorgaben. Weiteren Raum für Diskussionen
eröffnet die Frage, was denn nun aus der
Privatkopie-Schranke werden soll.
Das Dilemma ist einfach auf den Punkt
zu bringen: Wenn das Werk technisch vor
Vervielfältigungen gesichert, zugleich aber
die Privatkopie erlaubt und die Geräte- und
Leermedienabgabe bezahlt ist, geht dann
das Umgehungsverbot oder das Kopierrecht vor? Konkreter: Müssen die Rechtsinhaber dafür sorgen, dass ich noch eine
CD fürs Auto brennen kann und dafür
zum Beispiel einen Dekodierschlüssel beilegen, der mir das Kopieren ermöglicht?
„Nein“, sagt der Gesetzgeber in der Entwurfsfassung des Reformgesetzes und gibt
damit dem Drängen der Industrie nach.
Das Problem: Kopierschutz ist im Kommen. Die Anwendung solcher Systeme obliegt der alleinigen Entscheidung der Inhaltsanbieter. So gäbe der Staat die Möglichkeit,
per Gesetz den gerechten Ausgleich der
Interessen herbeizuführen aus der Hand.
Was das Urheberrecht ist, müsste dann
wohl wieder neu definiert werden. - - - - |
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