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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Tandem
Das ungleiche Paar
Paul Simon und Art Garfunkel werden 75
Von Christiane Rebmann
Sendung: 04.11.2016 um 19.20 Uhr
Redaktion: Bettina Stender
Sprecher: Peter Binder
Bitte beachten Sie:
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O-Ton
Das war eine großartige Periode. Die beste. Da waren wir auf der Überholspur. Auch
musikalisch war das eine tolle Zeit, weil da eine Menge Energie in der Luft lag. Das
war eine Zeit der Experimente. Und das Ganze folgte einer großen Ära des
Rock'n'Roll. Die Quellen, aus denen wir Musiker damals schöpfen konnten, waren
also sehr reichhaltig. In den folgenden Jahrzehnten konnten wir nie mehr auf so
ergiebige Quellen zurückgreifen. Die Musik der 70er Jahre zum Beispiel war viel
flacher und nicht annähernd so anregend wie die aus den 50er Jahren.
Paul Simon über die 60er Jahre, in denen er gemeinsam mit seinem damaligen
Partner Art Garfunkel einige der bekanntesten Songs der Dekade schuf.
Die US-Musiker Paul Simon und Art Garfunkel sind eines der spannungsreichsten
Paare der Popgeschichte. Als Simon & Garfunkel trafen sie mit Balladen wie „The
Sound of Silence“, „Homeward Bound“ oder "The Boxer" die Stimmung der Zeit. Die
beiden trennten sich 1970 und verfolgten ihre Solokarrieren - Simon mit wesentlich
mehr Erfolg als Garfunkel. Sie taten sich aber immer wieder halbherzig für kurze
Projekte zusammen. Das ungleiche Paar – Paul Simon und Art Garfunkel werden 75.
Eine Sendung von und mit Christiane Rebmann
Simon & Garfunkel – Homeward Bound / Sounds of Silence
Als Paul Simon und Art Garfunkel 1952 aufeinander trafen, standen sie gemeinsam
für eine Aufführung von Alice im Wunderland auf der Schulbühne. Sie waren beide
elf Jahre. Paul Simon war am 13. Oktober 1941 in Newark zur Welt gekommen, Art
Garfunkel am 5. November desselben Jahres in Queens, wo er – wie Paul Simon –
im jüdischen Viertel aufwuchs. Paul sollte später Englisch und Jura studieren, Art
Architektur, Kunstgeschichte und Mathematik.
Schon in der Schule fingen die beiden an, gemeinsam Musik zu machen. Ab 1956
traten sie unter dem Namen Tom & Jerry auf.
Mit dem Song „Hey Schoolgirl“ schafften es die damals erst 15jährigen Musiker in die
Top Fifty der US Charts.
Tom & Jerry - Hey schoolgirl
Nach einer kurzen Trennungsphase kamen die beiden 1963 wieder zusammen.
Diesmal nannten sie sich Simon & Garfunkel und konzentrierten sich auf folkige
Klänge. Paul Simon sang, spielte Gitarre und komponierte, Art Garfunkel sang. Mit
ihrer Musik fingen sie die Aufbruchstimmung der 60er Jahre, aber auch die
Ambivalenz der Zeit ein.
O-Ton
Das Ganze wurde überschattet vom Vietnamkrieg, eine nationale Katastrophe, dann
die Ermordung John F Kennedys und dazu die anderen tumultartigen Geschehnisse.
Und dann die Nachwehen der Nachkriegszeit. Auf der anderen Seite der
wirtschaftliche Boom, der Liberalismus in der Politik, ein junger Präsident. Damals
hing so viel Optimismus in der Luft. Die Beatles waren musikalisch eine sehr
optimistische Gruppe. Die 70er Jahre waren dagegen schal. Und die 80er Jahre
sowieso.
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1964 komponierte Simon den Song „The Sound of Silence“, der mit den Zeilen „Hello
Darkness, my old friend, I’ve come to talk with you again“ begann. Eine Erinnerung
an die Teenagerzeit, in der er sich nachts häufig ins Badezimmer zurückgezogen
hatte, um dort im Dunkeln Gitarre zu spielen, fasziniert vom Echo der Kacheln.
Der Song erschien in einer Folkversion auf Simon & Garfunkels Debütalbum
„Wednesday Morning 3 a.m.“. Es fand zunächst keinen Anklang, und Garfunkel
widmete sich wieder seinem Architekturstudium, während Simon nach London zog
und dort ein Soloalbum aufnahm. Doch dann bemerkte Tom Wilson, der Produzent
des Albums, dass „The Sound of Silence“ von einigen US College Sendern gespielt
wurde. Er fand, dass dem Lied Gitarre, Bass und Schlagzeug fehlten und bat die
Musiker, mit denen er gerade an einem Album für Bob Dylan arbeitete, noch ein
wenig länger zu bleiben. Der zusätzlich mit einem Echo versehene Remix ging Ende
1965 in die Charts, erreichte 1966 den ersten Platz und machte das Duo auch
weltweit berühmt.
Simon & Garfunkel - The Sound of Silence / Sounds of Silence
Wie zeitlos die Komposition „The Sound of Silence“ ist, zeigte sich zum Beispiel, als
Paul Simon vor fünf Jahren am Ground Zero anlässlich des 10. Jahrestages der
Anschläge vom 11. September dieses Lied sang. Da stand er auf der Bühne, mit
seinem blauen Käppi und der Gitarre, ohne Brimborium. Er traf zwar nicht immer den
Ton. Aber mit der bewegenden und irgendwie auch tröstlichen Version holte er seine
Landsleute emotional ab.
1966 sorgte der Song erstmal dafür, dass sich Simon & Garfunkel wieder
zusammentaten. In den folgenden Jahren nahmen sie die Alben „Sounds of Silence“
und „Parsley, Sage, Rosemary and Thyme“ auf, die auf sehr positive Resonanz
stießen. Der eindringliche Harmoniegesang, die eingängigen Melodien – dazu
vielleicht auch der optisch ungleiche Eindruck – der große, schlaksige blondgelockte
Garfunkel neben dem eher klein gewachsenen dunkelhaarigen Simon – das war
etwas Besonderes.
Simon & Garfunkel - Scarborough Fair / Parsley, Sage, Rosemary and Thyme
Nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Filmregisseur Mike Nichols revidierte
Simon sein Vorurteil, Filmmusik zu schreiben sei ein Ausverkauf des eigenen
Talents. Er nahm Nichols Angebot an, Musik zum Film „Die Reifeprüfung“ zu
schreiben, der unter anderem wegen Dustin Hoffmans hervorragender
schauspielerischer Leistung zu einem Klassiker der Filmgeschichte werden sollte.
Das wichtigste Lied im Soundtrack, „Mrs. Robinson“, wurde 1968 auf dem Album
„Bookends“ veröffentlicht und mit dem Grammy Award als Platte des Jahres
ausgezeichnet. Es war das erste Mal, dass ein Rocksong mit diesem Preis geehrt
wurde.
Simon & Garfunkel - Mrs. Robinson / Bookends
Zwar hatte Paul Simon immer erklärt: „Art und ich haben gemeinsam, dass uns die
Musik sehr wichtig ist.“ Doch die beiden hatten sich nach kurzer Zeit auseinander
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entwickelt. Der exzentrische Art ging dem Kontrollfreak und Perfektionisten Paul auf
den Wecker. Und umgekehrt. Die zwei Künstler waren einfach zu unterschiedlich. Es
gab Egoprobleme und hässliche Machtspielchen. Aus der Freundschaft wurde eine
Streitbeziehung. Die Auseinandersetzungen wurden zum Teil durch Entscheidungen
von außen geschürt. So übernahm Art 1969 in Mike Nichols Film „Catch 22“ eine
Rolle. Der Part, der Paul zugedacht war, wurde jedoch aus dem Drehbuch
gestrichen. Und der Songwriter sah nicht mehr ein, dass wegen der Dreharbeiten die
nächsten Plattenaufnahmen des Duos verschoben werden sollten.
1969 produzierten die beiden noch das CBS TV Feature „Songs of America“, in dem
sie neben ihrer Musik und Aufnahmen von gemeinsamen Proben auch Szenen mit
Martin Luther King, von der Ermordung John F.Kennedys und vom Vietnamkrieg
einstreuten.
1970 erschien das letzte Album „Bridge over troubled water“. Es ging in zehn
Ländern an die Spitze der Charts, hielt sich in Großbritannien 35 Wochen auf Platz
Eins und bekam sechs Grammyauszeichnungen. Den Titelsong gibt es mittlerweile in
rund 50 Coverversionen.
Simon & Garfunkel - Bridge over troubled water / Bridge over troubled water
1971 erklärte Paul Simon das Projekt Simon & Garfunkel für beendet. Die beiden
Musiker gingen getrennte Wege.
In den folgenden Dekaden arbeiteten sie nur noch selten zusammen, unter anderem,
um Wahlwerbung für die Demokraten zu machen oder ihren Kollegen John Lennon
im Studio zu unterstützen.
1981 gaben sie ein gemeinsames Konzert im New Yorker Central Park, um Geld für
die Sanierung der heruntergekommenen Grünanlage zu sammeln. Die Show zog
eine halbe Million Zuschauer an.
Simon & Garfunkel - The Boxer / Concert in Central Park
Bei meiner ersten Begegnung mit Paul Simon war ich erstaunt, wie klein er ist. Aber
er hat eine unglaubliche Präsenz. Und er wirkt dadurch viel größer, wenn man ihm
gegenüber sitzt. Im Gespräch macht er einen schüchternen Eindruck. Er antwortet
bedächtig, in sehr geschliffener Sprache. Er beobachtet sehr genau, und er erinnert
sich noch Jahre später an ein Gespräch.
Die Schüchternheit machte ihm auch lange Zeit bei Live Auftritten zu schaffen.
O-Ton
Ich habe mich bei Konzerten nie wohl gefühlt. Es war nicht so, dass ich nervös
gewesen wäre. Ich war nie nervös. Die ganzen Jahre nicht. Ich sah mich nur einfach
vom Temperament her nicht als Künstler, der gern etwas über sich selbst enthüllt.
Deshalb habe ich mich auch nie darum bemüht, das Publikum auf einer emotionalen
Ebene einzubeziehen. Ich habe es immer nur auf einer intellektuellen Ebene
einbezogen. Wenn du meine Ideen magst, wenn du meine Haltung zur Musik magst
und wie sie klingt, dann kommst du damit klar. Ich habe mich immer als Teil dessen
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gesehen, was mich umgab. Da waren die Band und die anderen Sänger und
Sängerinnen. Ich wollte nur immer Teil des Mosaiks sein und nicht Mittelpunkt der
Aufmerksamkeit.
Es gibt sicher viele Menschen da draußen, die als Zuschauer ganz gern auf den
hautnahen Kontakt zum Entertainer verzichten. Sie brauchen es nicht, dass ihnen
der Künstler auf der Bühne seine unglaubliche emotionale Verwundbarkeit und
Offenheit zeigt. Nicht jeder hat schließlich das Bedürfnis, sich mit jemandem
emotional zu verbinden, den er nicht kennt. Ich mag es nicht mal als Zuschauer. Es
nervt mich, wenn jemand mich anspielt. Es ist so, als würde er um meine
Aufmerksamkeit betteln. „Bitte, guckt mich an, denkt über mich nach.“ Das will ich
nicht.
Paul Simon - 50 Ways to leave your lover / Still Crazy after all those years
„50 Ways to leave your lover“ aus „Still Crazy after all those years“ – einem der
erfolgreicheren Alben aus Simons 70er Jahre Phase. Es entstand unter dem
Eindruck der Trennung von seiner ersten Frau Peggy.
Anfang der 80er Jahre ging es mit seiner Karriere bergab.
Doch dann gelang ihm 1986 mit „Graceland“ ein überraschender Coup. Er steckte in
einer Karriere Baisse und litt unter Depressionen. Da schenkte ihm jemand eine
Cassette mit Musik aus afrikanischen Townships. Sie begeisterte ihn und gab ihm
neuen Schwung.
Gemeinsam mit seinem langjährigen Produzenten Roy Haylee reiste er nach
Südafrika, um dort mit einheimischen Musikern wie der Formation Ladysmith Black
Mombazo zu arbeiten. Die Mischung aus westlichem Pop, Rock, Zydeco und
afrikanischen Klängen kam sehr gut an. Das Album verkaufte sich 14 Millionen Mal.
Vor allem aber hat es Musiker aus aller Welt und mehrerer Generationen nachhaltig
beeinflusst.
Paul Simon: Graceland / Graceland
Nachdem er musikalisch Afrika erkundet hatte, wandte sich Paul Simon
Lateinamerika zu. Für die Aufnahmen zum Album „Rhythm of the Saints“ holte er
sich Unterstützung bei der afrobrasilianischen Percussion Band Grupo Cultural
Olodum, die die Sambaversion Batucada beherscht, bei diversen afrokubanischen
Musikern, aber auch beim brasilianischen Singer Songwriter Milton Nascimiento.
O-Ton
Rhythm of the Saints ist sehr nah an mir dran. Viel näher als „Graceland.
Die Erfahrung mit diesem Album war eine ganzheitlichere als die mit früheren
Projekten. Er stieg tief in die südamerikanische Stimmung ein, unter anderem über
die Bücher des karibischen Literaturnobelpreisträgers Derek Walcott.
O-Ton
Ich las viele Bücher von Derek, während ich an “Rhythm of the Saints“ arbeitete. Ich
kann nicht sicher sagen, ob mich das beeinflusst hat. Auf jeden Fall aber hat es mir
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sehr viel Spaß gemacht. Die Bücher haben mich quasi in der tropischen südlichen
Hemisphäre gehalten. Diese Art zu denken hat mich fasziniert. Ich habe seinen Stil
nicht imitiert. Ich fand ihn anregend. Ich liebe seine Arbeit.
Die Aufnahmen fanden teilweise in brasilianischen Dörfern und in einer Atmosphäre
statt, die Simon in unserem Interview als magisch beschrieb. So erzählte er: „Als ich
nachts mit den 15 Trommlern der Rhythmusgruppe Olodum arbeitete, hatten wir eine
Tonbandmaschine aus Rio angeschleppt. Die Mikrofone ließen wir von den
Telefonmasten baumeln oder stellten sie auf Ölfässer. Der Vollmond schien. Und das
Kopfsteinpflaster und die pastellfarbenen alten Kirchen und Häuser um den Platz
herum warfen den Hall dieses unglaublich faszinierenden Trommelsounds zurück.
Paul Simon - The Obvious Child / Rhythm of the Saints
“The Rhythm of the Saints” kam bei vielen Kritikern noch besser an als „Graceland“.
Und Paul Simon halfen die Songs endgültig aus seiner Krise heraus. Er ging wieder
auf Tournee.
O-Ton
Das war ein intellektuelles Konzept, die Kombination aus brasilianischen Drums,
westafrikanischen Gitarren, amerikanischem Rock und meinen Texten, das hatte es
vorher nicht gegeben - außer in meinem Kopf. Deshalb musste ich das auf die Bühne
bringen, um zu beweisen: Diese Kombination funktioniert. Da gibt es eine
Verbindung.
Mit “The Rhythm of the Saints” waren wir weltweit unterwegs. Ich habe diese
Tournee genossen. Ich erlaubte mir, einfach nur ein Bühnenmusiker zu sein. Ich
hätte davor nie gesagt: „Jetzt nehme mich mir frei, um ein Jahr aufzutreten.“ Ich hätte
das als Zeitverschwendung gesehen. In diesem Fall sah ich es als Geschenk an
mich selbst. Geh da raus, hab Spaß, und sorge dafür, dass deine Zuschauer es auch
genießen können. Steh eine Zeitlang im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Und wenn
das vorbei ist, machst du weiter. Dann liegen wieder die wirklich wichtigen Dinge an.
Es gibt ja Menschen, die es richtig genießen, aufzutreten, mit den Zuschauern zu
interagieren. Sie zeigen sich quasi nackt und führen einen emotionalen Dialog mit
dem Publikum. Das ist nicht mein Ding.
Paul Simon - The Obvious Child / Rhythm of The Saints
1991 kehrte er in den Central Park zurück, diesmal ohne Art Garfunkel, dafür aber
vor 750.000 Zuschauern.
Anfang der 90er Jahre wandte er sich auch einem neuen Projekt zu. Ihn fesselte die
Geschichte des zu dem Zeitpunkt schon verstorbenen puertorikanischen
Jugendlichen Salvador Agron, der 1959 in ein schwarzes Cape gekleidet in einem
Kampf zwei Widersacher ermordete, dafür ins Gefängnis kam und sich dort zum
Schriftsteller entwickelte. Der perfekte Stoff für ein Musical, fand Simon.
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O-Ton
Die Idee kam mir mit einer Klarheit, die mir das Gefühl gab: diesen Plan musst du
unbedingt weiter verfolgen. Und je weiter ich die Idee verfolgte, umso interessanter
wurde die Geschichte. Bis ich dann eines Tages Sals Familie traf, unter anderem
seine Schwester. Sie gaben mir seine Aufzeichnungen. Und die faszinierten mich.
Sal war ein großartiger Geschichtenerzähler. Nachdem ich das alles gelesen hatte,
wusste ich also ziemlich viel über sein Leben und seine Umgebung.
Für das Drehbuch zu „The Capeman“ wandte sich Simon an seinen
Lieblingsschriftsteller.
O-Ton
Derek Walcott begann dann, sich die Geschichte dazu auszudenken. Es ist ja nicht
direkt Sals Lebensgeschichte. Wir packten sein Leben in einen größeren
Erzählrahmen. In unserer Geschichte geht es um die Frage der Resozialisierung.
Sollte es bei einem derart schrecklichen Verbrechen eine Resozialisierung geben?
Wie denkt die Gesellschaft heute darüber? Wer entscheidet darüber? Die
Gesellschaft oder das Individuum? Was ist dafür notwendig? Unsere Story ging also
über das hinaus, was Sal geschrieben hatte.
Paul Simon - Born in Puerto Rico / Songs from the Capeman
In der Musik mischte Paul Simon Rock’n’Roll mit puertorikanischen Elementen und
Doowop. 1997 erschien das Album „Songs from the Capeman“.
O-Ton
Als es fertig war, dachte ich: Das hat etwas sehr Melancholisches. Es ist nicht traurig,
sondern romantisch, ganz anders als „Graceland“ oder „Rhythm of the Saints“.
Obwohl sich Simon Unterstützung bei den Latin Stars Ruben Blades und Marc
Anthony geholt hatte, floppte sein Musical „The Capeman“ Anfang 1998 am
Broadway. Er verlor elf Millionen Dollar.
Ein schwerer Schlag. Zum Glück ging es ihm zu der Zeit privat schon wieder besser.
Er war mittlerweile in dritter Ehe mit der 25 Jahre jüngeren Musikerin Edie Brickell
verheiratet. Die Ehe, aus der drei seiner insgesamt vier Kinder hervorgingen, hält bis
heute. Wohl auch, weil die beiden Künstler ähnlich ticken, wie er mir in einem
unserer Gespräche erzählte.
O-Ton
Edie zeigt sich sehr ungern in der Öffentlichkeit. Sie mochte auch nie gern auftreten.
Sie liebt es zu singen. Aber sie singt nicht gern auf der Bühne. Sie ist sehr
schüchtern. Sie hat eine großartige Stimme. Ich höre sie zuhause immerzu singen.
Bei uns zuhause singen alle. Wenn wir aneinander vorbeigehen, singen wir im Chor.
Paul Simon und Edie Brickell verbindet die Scheu vor der Öffentlichkeit. Mit dem
Prominentenstatus haben sich beide nie angefreundet.
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O-Ton
Wir alle haben schon so viel von unserer Privatsphäre aufgegeben. Was uns da
abhanden gekommen ist, können wir doch nie zurückfordern. Ich finde das
schrecklich. Jahrelang hatte ich gesagt: „Es ist fürchterlich, berühmt zu sein, weil
man kein Privatleben mehr hat.“ Aber inzwischen hat niemand mehr eine
Privatsphäre. Sie geht verloren, wenn du ins Internet gehst, mit Kreditkarte zahlst
und natürlich auch durch die Überwachung durch die Regierung. Jeder weiß alles
über jeden.
Er hat in seinen Songs immer wieder deutliche Stellung bezogen. So prangert er zum
Beispiel in seinem Song "Pigs, Sheep And Wolves" von seinem Album “You’re the
one” aus dem Jahre 2000 die Todesstrafe an. "Wenn man sich schon anmaßt,
Menschen mit dem Tod zu bestrafen, dann muss man sichergehen, dass man den
wirklich Schuldigen erwischt“, sagt er. „Die Frage ist: Kann man das jemals?"
Paul Simon - Pigs, Sheep and Wolves” / You’re The one
Für das Album „Stranger to Stranger, das im Sommer 2016 erschien, arbeitete Paul
Simon mit dem italienischen Künstler Clap! Clap! zusammen, der mit electronic
dance music experimentiert. Simon hatte den Kollegen über seinen Sohn Adrian
kennengelernt. Die neuen Ideen taten ihm gut. In den Songs mischt er afrikanische
Bläsersounds mit südamerikanischer Percussion, elektronischen Beats und
Synthesizersounds. Die Fangemeinde dankte dem zu der Zeit 74jährigen seine
Experimentierfreude mit der besten Chartsplazierung seit 29 Jahren.
Paul Simon - The Werewolf / Stranger to Stranger
Auch Paul Simons ehemaliger Partner Art Garfunkel verfolgte nach der Trennung
des Duos seine Solokarriere. Sein Problem war, dass er sich - anders als sein
Kollege – nicht als Songwriter profiliert hatte. Erst 2002 fing er an, eigenes Material
zu komponieren, allerdings mit mäßigem Erfolg. In den siebziger Jahren musste er
sich mit Coverversionen begnügen. Darunter „Breakaway“ , einer seiner größten
Solohits.
Art Garfunkel – Break away / Breakaway
Art Garfunkel spielte in diversen Filmen mit, so unter anderem Anfang der 70er
Jahre in „Die Kunst zu lieben“ neben Jack Nicholson. Für diese Rolle wurde er für
einen Golden Globe nominiert. Außerdem nahm er Musik für Film und Fernsehen
auf. In den 80er Jahren litt er unter starken Depressionen, nachdem seine Freundin
Selbstmord begangen hatte und sein Vater gestorben war. Später hatte er mit
Stimmproblemen zu kämpfen. Seit einigen Jahren geht er wieder auf Tournee. In
seinen Konzerten liest er zwischen den Songs aus selbst verfassten Gedichtbänden Darunter launige Erinnerungen an die Treffen mit seinem alten Kumpel Paul an
dessen Geburtstagen – und an die Diskussionen darüber, wer von beiden wohl die
Grabrede für den anderen halten wird.
In den letzten Dekaden durchwanderte Garfunkel verschiedene Kontinente – in
Etappen mit jeweils exakten Anschlüssen.
Er präsentiert sich gern als Intellektueller, beispielsweise, indem er auf seiner
Website alle Bücher, die er je gelesen hat, akribisch auflistet, mit Erscheinungs- und
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Lesedatum. Das hat etwas Zwanghaftes – vielleicht einer der Gründe, warum die
Partnerschaft mit Paul Simon auf Dauer nicht funktionierte.
Art Garfunkel - Bright Eyes / Fate For Breakfast
Art Garfunkel mit „Bright Eyes“, geschrieben von Mike Batt.
Simon & Garfunkel haben der Musikwelt mit ihren Songs, ihrem eindrucksvollen
Harmoniegesang und dem Mut zu Experimenten Impulse gegeben, die immer noch
nachwirken. Der 41jährige kanadische Jazzpopstar Michael Bublé etwa nennt die
beiden als musikalische Vorbilder. Doch er orientiert sich auch an Paul Simons
Einstellung zum Leben.
O-Ton Michael Bublé
Ich hab mal gehört, wie Paul Simon auf die Frage, wann er denn in den Ruhestand
geht, geantwortet hat: „Bevor ich das tue, muss ich erstmal herausfinden, wer Paul
Simon ist. Bin ich nur ein Musiker?“ Und ich dachte: Oh Shit, ich bin nicht allein. Wir
alle, die wir unseren Job lieben und ihn mit Leidenschaft machen, haben das
Problem. Es ist sehr schwierig, die Balance zwischen Leben und Arbeiten zu finden.
Simon selbst scheint zumindest nah dran an der idealen work life balance.
Wahrscheinlich, weil er sich an die von ihm selbst aufgestellte Regel hält.
O-Ton
Wenn du ein großes Projekt vollendet hast, solltest du dich erstmal zurücklehnen. Du
solltest nicht gleich entscheiden, was du als nächstes tun wirst. So ist das Leben
nicht gedacht. Du hältst inne, verharrst eine Weile. Du bleibst ganz still. Du ziehst
dich in deine Familie zurück. Und dann fängst du ganz langsam wieder an. Du hörst
Musik, liest und wartest ab. Ich denke, man sollte sich nicht gleich in das nächste
Projekt treiben lassen.
Das war SWR2 Tandem – mit einer Sendung über die US Musiker Simon &
Garfunkel - von und mit Christiane Rebmann.
Unser Podcast-und Newsletter-Angebot und die Liste der gespielten Musiktitel finden
sie im Internet unter SWR2.de/ Tandem.
Simon & Garfunkel – Cecilia / Bridge over troubled water
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