23. 10. 2016

30. Sonntag im Jahreskreis C
Lesung aus dem Buch Jesus Sirach (35, 15b-17.20-22a)
Der Herr ist der Gott des Rechts, bei ihm gibt es keine
Begünstigung. Er ist nicht parteiisch gegen den Armen, das
Flehen des Bedrängten hört er. Er missachtet nicht das
Schreien der Waise und der Witwe, die viel zu klagen hat. Wer
Gott wohlgefällig dient, der wird angenommen, und sein Bittruf
erreicht die Wolken. Das Flehen des Armen dringt durch die
Wolken, es ruht nicht, bis es am Ziel ist. Es weicht nicht, bis
Gott eingreift und Recht schafft als gerechter Richter.
Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas (18, 9-14)
In jener Zeit erzählte Jesus einigen, die von ihrer eigenen
Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten,
dieses Beispiel: Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu
beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der
Pharisäer stellte sich hin und sprach leise dieses Gebet: Gott,
ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die
Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner
dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe dem Tempel den
zehnten Teil meines ganzen Einkommens. Der Zöllner aber
blieb ganz hinten stehen und wagte nicht einmal, seine Augen
zum Himmel zu erheben, sondern schlug sich an die Brust und
betete: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser
kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht.
Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber
selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
Das Beispiel vom Pharisäer und vom
Zöllner wird denen erzählt, die von
ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt
sind. Es geht dabei nicht darum, das praktizierte Christsein in Form
des Fastens oder Spendes (heute vielleicht das Zahlen des
Kirchenbeitrags) per se schlecht zu machen. Es geht darum, an die
innere Haltung zu erinnern, die vor Gott ausschlaggebend ist und die
zu guten Werken antreiben soll. Deswegen steht Gott auf der Seite
der Armen, die sich auf ihre Leistungen nichts einbilden können,
sondern dankbar vieles in die Hände Gottes und anderer Menschen
legen können und müssen.
Käme er heute
Er hätte es auch nicht leichter
Mit seinen langen Haaren
Hätte man ihn schnell verstaut
In dieser Schublade
Und mit seinem weiten Hemd und den Sandalen
Würde man ihn glatt für einen Penner halten
Oder für einen zwielichtigen Abgesandten
der Konkurrenz Jehova oder Hare Krishna oder Bhagwan
Würde er Kranke heilen,
ohne die ganze Pharmaindustrie
Käme er am Ende gleich ins Gefängnis
Als Scharlatan und Aufwiegler
Als Ketzer würden sie ihn bezeichnen
Als Narren auslachen
Als Spinner verteufeln
Und am Ende wäre er der größte Außenseiter von allen
Und glauben würde keiner an ihn
Damals haben sie ihren Wunderglauben an den Nagel
Und ihn ans Kreuz gehängt
Und heute würden sie es wieder tun
Genau wie damals
Denn eher hängen sie die Kreuze ab
Als den Gekreuzigten
Aus: „Saisonschluß“, Andrea Sailer (geb. 1972, Schriftstellerin)
Immer wenn ich das Evangelium lese oder höre, stockt mir kurze Zeit
der Atem und ich denke mir dann: „Und wie gehe ich oft mit meinen
Mitmenschen um? Werte ich nicht auch hin und wieder Menschen ab
aufgrund ihres äußeren Aussehens usw.? Denke ich nicht auch
manchmal so ähnlich wie dieser Pharisäer im Evangelium? Rede ich
nicht auch manchmal schlecht über andere hinter ihrem Rücken?“
Was denken Sie, wenn Sie einen Punk mit
einem Stachelhalsband sehen?
Was denken Sie, wenn Sie in der
Fußgängerzone
von
einem
Bettler
angesprochen werden?
Was denken Sie, wenn Sie einem
andersfarbigen Menschen auf der Straße
begegnen?
Gerade im Jahr der Barmherzigkeit sind wir eingeladen, unser
Denken und Reden über unsere Mitmenschen zu überdenken. „Ich
rede gut über Dich“ heißt eines der neuen, aktuellen „Werke der
Barmherzigkeit“, die Bischof Joachim Wanke für unsere heutige Zeit
formuliert hat. Jeder von uns hat wohl schon selbst einmal erlebt, wie
gut es tut, wenn Menschen in einem Gespräch, in einer Sitzung, in
einem Telefonat oder sonst wo das Gute und Positive an mir, meine
Talente und Fähigkeiten schätzen und erwähnen. Oft fehlt es aber an
einer
grundsätzlichen
Wertschätzung
des
anderen,
ein
grundsätzliches Wohlwollen für ihn und seine Anliegen und die
Achtung seiner Person. Gut über den anderen zu reden und dem
anderen das Gute auch ehrlich ins Gesicht zu sagen, das ändert auch
das Klima zum Positiven hin – in der Familie, im Beruf, in der Pfarre
oder anderswo.
Ich lade Sie heute ein, sich in der vor uns liegenden Woche nicht die
selbstgerechte Haltung des Parisäers zu eigen zu machen, sondern
bewusst zu versuchen, gut über andere (und mit anderen) zu reden.
Aber Vorsicht: Diese Haltung kann auch Wunder bewirken!