Predigt zum 30. So. im Jahreskreis – Lk 18,9-14

Predigt zu Lk 18,9-14 und 2 Tim 4,6-8.16-18
(30. Sonntag im Jahreskreis C, Diakon Harald Schäfer)
2 Tim 4,6-8.16-18
6 Denn ich werde nunmehr geopfert, und die Zeit meines Aufbruchs ist nahe.
7 Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten.
8 Schon jetzt liegt für mich der Kranz der Gerechtigkeit bereit, den mir der Herr, der gerechte Richter,
an jenem Tag geben wird, aber nicht nur mir, sondern allen, die sehnsüchtig auf sein Erscheinen
warten.
…
16 Bei meiner ersten Verteidigung ist niemand für mich eingetreten; alle haben mich im Stich
gelassen. Möge es ihnen nicht angerechnet werden.
17 Aber der Herr stand mir zur Seite und gab mir Kraft, damit durch mich die Verkündigung vollendet
wird und alle Heiden sie hören; und so wurde ich dem Rachen des Löwen entrissen.
18 Der Herr wird mich allem Bösen entreißen, er wird mich retten und in sein himmlisches Reich
führen. Ihm sei die Ehre in alle Ewigkeit. Amen.
Lk 18,9-14
9 Einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, erzählte
Jesus dieses Beispiel:
10 Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein
Zöllner.
11 Der Pharisäer stellte sich hin und sprach leise dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie
die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort.
12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe dem Tempel den zehnten Teil meines ganzen
Einkommens.
13 Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wagte nicht einmal, seine Augen zum Himmel zu
erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig!
14 Ich sage euch: Dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich
selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
Die Predigt:
Auschwitz-Birkenau, 22.Mai 1944
„Es dauerte nur wenige Minuten, und schon waren alle Familien
auseinandergerissen, Männer und Frauen wurden getrennt.“
Elie Wiesel, damals fünfzehn, er hatte bei der Ankunft im Vernichtungslager keine
Zeit, sich von seiner Mutter Sara und den drei Schwestern zu verabschieden.
Tzipora, seine kleine Schwester, sie war acht Jahre alt.
„Ich sah nur noch ihren roten Mantel, den sie gerade noch geschenkt bekommen
hatte“, erinnerte er sich;
wenig später wurde sie von der SS ermordet.
Auch seine Mutter sah er nie wieder.
Gott war tot.
Dann in Buchenwald, erlebte er einen weiteren der „dunkelsten Tage“ seines
Lebens.
Kurz vor der Befreiung durch die Alliierten, starb sein Vater im Konzentrationslager.
„Er rief nach mir und ich hatte zu viel Angst, um mich zu bewegen. Wir hatten alle
Angst, um uns zu bewegen.
Und dann starb er. Ich war da, als er starb, aber ich war eben nicht da.
Niemals werde ich diese Dinge vergessen, selbst wenn ich dazu verdammt würde,
solange zu leben, wie Gott selbst. Niemals.
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Die Nacht. Niemals werde ich diese Nacht vergessen.
Die erste Nacht im Lager, die mein Leben zu einer einzigen langen Nacht werden
ließ, sieben Mal verflucht und sieben Mal besiegelt.
Nie werde ich den Rauch vergessen. Nie werde ich die kleinen Gesichter der Kinder
vergessen, deren Körper zu einer Rauchfahne wurden unter einem stillen blauen
Himmel.
Nie werde ich diese Flammen vergessen, die meinen Glauben für immer auffraßen.
Nie werde ich diese Augenblicke vergessen, die meinen Gott töteten und meine
Seele und meine Träume zu Staub werden ließ.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus.
Gott achtet auf das Flehen des Bedrängten.
Gott, der gerechte Richter verschafft dem Menschen Gerechtigkeit.
So steht es in der ersten Lesung.
Nachdem sie, die sehr bedrückenden Worte von
Elie Wiesel, dem Holocaustüberlebenden und Friedensnobelpreisträger, gehört
haben,
Wie geht es ihnen mit der Aussage:
Gott ist ein gerechter Richter?
Gott verschafft dem Unterdrückten Recht.
Ja, es gibt sicherlich genügende aktuelle Beispiele.
Beispiele, die den Menschen, bei dem Gedanken an einen gerechten Gott, irre
werden lassen.
Ich habe ihnen heute ganz bewusst, etwas zugemutet.
Mich selbst haben die Worte von Elie Wiesel sehr betroffen gemacht.
Ich habe mich gefragt:
Wo war Gott, wo war Gott in Auschwitz?
Wo war Gott, als Jesus am Kreuz starb?
Die Frage nach einem gerechten Gott, in einer ungerechten Welt, sie ist so alt wie
die Menschheit.
Doch bei genauerer Betrachtung - wie ist das.
Klagen wir uns nicht selbst an?
Wenn wir versuchen Gott, als den Ungerechten anzuklagen?
Sind wir dann nicht auch wie der Pharisäer?
Wenn wir sagen, eigentlich verhalte ich mich doch gut.
Regelmäßig besuche ich den Gottesdienst. Ich versuche mich an Gottes Gebote zu
halten.
Oder wenn wir fragen, was kann ich für das Elend, für den Hunger, für die Kriege in
dieser Welt?
Bin ich es denn, der für eine Besserung der Verhälnisse verantwortlich ist?
Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, und die Treue gehalten.
So spricht Paulus zu uns in der zweiten Lesung.
Was meint Paulus damit?
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Paulus hat Gott die Treue gehalten.
Paulus glaubt Gottes Wort.
Paulus hat Gewissheit. Gewissheit darüber,
dass Gott ihn selbst, dass Gott uns alle erretten wird.
Paulus hat den guten Kampf gekämpft.
Übersetzt meint Paulus damit: „Ich denke und lebe den Rechten Gottesdienst“.
Für Paulus war klar: Gottes Gerechtigkeit hier auf Erden, braucht eben diesen
„Rechten Gottesdienst“.
Der Mensch preist Gott und Gott segnet den Menschen.
Der Mensch dient Gott, und Gott heiligt den Menschen.
Der Mensch vertraut auf die Verheißungen Gottes, und Gott wird Mensch und
schenkt uns damit eine Hoffnung über den Tod hinaus.
Wir, die wir hier versammelt sind, wir sind es, die dafür sorgen müssen.
Wir sind aufgerufen.
Aufgerufen bei all unseren Zweifeln,
in all unserer menschlichen Glaubensgebrechlichkeit.
Jeder Einzelne ist aufgerufen dafür zu sorgen,
dass das Flehen, die Bitten und die Klagen all Jener, die keine Lobby haben, denen
niemand mehr zuhört, zu Gottes Ohren kommen.
Oder wie es bei Jesus Sirach heißt:
Durch die Wolken zu Gott dringt, bis er eingreift
und Recht schafft als gerechter Richter.
Im Einsatz für die Schwachen.
Im Erheben der Stimme für die Sprachlosen.
In der Toleranz, im Verständnis für andere Religionen.
In der Anteilnahme am Leid der Flüchtlinge, die hier bei uns in Selm Schutz suchen.
Im Nichtschweigen, wenn über Menschen, die anders sind, gelästert wird.
Und nicht zuletzt, im Festhalten, am Glauben, an einen gerechten, rettenden Gott,
besonders in persönlichen Krisen.
In all diesem Handeln,
liebe Schwestern und Brüder in Christus, kämpfen wir wie Paulus den guten Kampf
und halten Gott die Treue.
Dann feiern und leben wir den rechten Gottesdienst.
Einen Gottesdienst der zwei Richtungen.
Dann ist Gottesdienst ein Dialog zwischen:
Mensch und Gott und
Gott und den Menschen.
Und vielleicht wird dann aus dem Pharisäer ein Zöllner.
Und aus unserer menschlichen Selbstgerechtigkeit,
Gottes Gerechtigkeit.
Dann gibt uns Gott selbst eine Antwort auf die Frage:
Wo warst du, als Jesus am Kreuz starb?
Gott selbst hing für uns, für unser Versagen am Kreuz.
Gott selbst ging mit jedem Einzelnen in die Gaskammern in den Tod.
Gott erbarmt sich in Liebe und Solidarität im Leid und im Tod des Menschen.
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Keinen lässt ER im Tod zurück.
Dies ist unsere christliche DNA.
Deshalb ist es wahr. Deshalb glaube ich daran.
Gott ist der rettende, gerechte Richter.
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