CETA nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes Von

CETA nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes
Von Elke Schenk, globalcrisis/globalchange NEWS 13.10.2016
1. Auszug aus der Pressemitteilung des BverfG
http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016
/bvg16-071.html
Eilanträge in Sachen „CETA“ erfolglos
Pressemitteilung Nr. 71/2016 vom 13. Oktober 2016
Urteil vom 13. Oktober 2016 - 2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1823/16, 2 BvR
1482/16, 2 BvE 3/16
Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
mehrere Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, die sich gegen
eine Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat der Europäischen Union zur
Unterzeichnung, zum Abschluss und zur vorläufigen Anwendung des
Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Kanada
(Comprehensive Economic and Trade Agreement - CETA) richteten, über die der Rat
der Europäischen Union voraussichtlich am 18. Oktober 2016 entscheiden wird. Die
Bundesregierung muss allerdings sicherstellen,
dass ein Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung nur die Bereiche von
CETA umfassen wird, die unstreitig in der Zuständigkeit der Europäischen Union
liegen,
dass bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der
Hauptsache eine hinreichende demokratische Rückbindung der im Gemischten
CETA-Ausschuss gefassten Beschlüsse gewährleistet ist, und
dass die Auslegung des Art. 30.7 Abs. 3 Buchstabe c CETA eine einseitige
Beendigung der vorläufigen Anwendung durch Deutschland ermöglicht.[…]
3. Erginge die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Mitwirkung der
Bundesregierung an der Beschlussfassung des Rates über die vorläufige Anwendung
von CETA später aber als verfassungsrechtlich zulässig, drohten der Allgemeinheit
mit hoher Wahrscheinlichkeit schwere Nachteile.
a) Dabei lägen die wesentlichen Folgen eines auch nur vorläufigen, erst recht aber
eines endgültigen Scheiterns von CETA weniger auf wirtschaftlichem als vielmehr
auf politischem Gebiet. […] Ein - auch nur vorläufiges - Scheitern von CETA dürfte
über eine Beeinträchtigung der Außenhandelsbeziehungen zwischen der
Europäischen Union und Kanada hinaus weit reichende Auswirkungen auf die
Verhandlung und den Abschluss künftiger Außenhandelsabkommen haben. […] Die
Bundesregierung hat darüber hinaus deutlich gemacht, dass sie im Rat nur
denjenigen Teilen von CETA zustimmen wird, die sich zweifellos auf eine
primärrechtliche Kompetenz (d. h. EU-Verträge, E.S.) der Europäischen Union
stützen lassen.[...]
2. Zuständigkeitsregelung in den EU-Verträgen:
https://dejure.org/gesetze/EU/5.html
EUV, Art. 5
(1) Für die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Union gilt der Grundsatz der
begrenzten Einzelermächtigung. Für die Ausübung der Zuständigkeiten der Union
gelten die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit.
(2) Nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung wird die Union nur
innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten ihr in den
Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Alle
der Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben bei den
Mitgliedstaaten.
(3) Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre
ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in
Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch
auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern
vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu
verwirklichen sind. Die Organe der Union wenden das Subsidiaritätsprinzip nach
dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der
Verhältnismäßigkeit an. Die nationalen Parlamente achten auf die Einhaltung des
Subsidiaritätsprinzips nach dem in jenem Protokoll vorgesehenen Verfahren.
Vertrag über die Arbeitsweise der Union, AEUV:
http://www.aeuv.de/
Artikel 2
(1) Übertragen die Verträge der Union für einen bestimmten Bereich eine
ausschließliche Zuständigkeit, so kann nur die Union gesetzgeberisch tätig
werden und verbindliche Rechtsakte erlassen; die Mitgliedstaaten dürfen in
einem solchen Fall nur tätig werden, wenn sie von der Union hierzu
ermächtigt werden, oder um Rechtsakte der Union
(2) .
(2) Übertragen die Verträge der Union für einen bestimmten Bereich eine mit den
Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit, so können die Union und die Mitgliedstaaten
in diesem Bereich gesetzgeberisch tätig werden und verbindliche Rechtsakte
erlassen. Die Mitgliedstaaten nehmen ihre Zuständigkeit wahr, sofern und soweit
die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat. [...]
(3) Die Mitgliedstaaten koordinieren ihre Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik im
Rahmen von Regelungen nach Maßgabe dieses Vertrags, für deren Festlegung die
Union zuständig ist.
[...]
(5) In bestimmten Bereichen ist die Union nach Maßgabe der Verträge dafür
zuständig, Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung der
Maßnahmen der Mitgliedstaaten durchzuführen, ohne dass dadurch die
Zuständigkeit der Union für diese Bereiche an die Stelle der Zuständigkeit der
Mitgliedstaaten tritt.
Die verbindlichen Rechtsakte der Union, die aufgrund der diese Bereiche
betreffenden Bestimmungen der Verträge erlassen werden, dürfen keine
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten beinhalten.
[...]
Artikel 3
(1) Die Union hat ausschließliche Zuständigkeit in folgenden Bereichen:
a) Zollunion,
b) Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarkts
erforderlichen Wettbewerbsregeln,
c) Währungspolitik für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist,
d) Erhaltung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der gemeinsamen
Fischereipolitik,
e) gemeinsame Handelspolitik.
[...]
Artikel 4
(1) Die Union teilt ihre Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten, wenn ihr die Verträge
außerhalb der in den Artikeln 3 und 6 genannten Bereiche eine Zuständigkeit
übertragen.
(2) Die von der Union mit den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit erstreckt sich
auf die folgenden Hauptbereiche:
a) Binnenmarkt,
b) Sozialpolitik hinsichtlich der in diesem Vertrag genannten Aspekte,
c) wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt,
d) Landwirtschaft und Fischerei, ausgenommen die Erhaltung der biologischen
Meeresschätze,
e) Umwelt,
f) Verbraucherschutz,
g) Verkehr,
h) transeuropäische Netze,
i) Energie,
j) Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts,
k) gemeinsame Sicherheitsanliegen im Bereich der öffentlichen Gesundheit
hinsichtlich der in diesem Vertrag genannten Aspekte.
[...]
Artikel 5
(1) Die Mitgliedstaaten koordinieren ihre Wirtschaftspolitik innerhalb der Union. Zu
diesem Zweck erlässt der Rat Maßnahmen; insbesondere beschließt er die
Grundzüge dieser Politik. [...]
(2) Die Union trifft Maßnahmen zur Koordinierung der Beschäftigungspolitik der
Mitgliedstaaten, insbesondere durch die Festlegung von Leitlinien für diese Politik.
(3) Die Union kann Initiativen zur Koordinierung der Sozialpolitik der Mitgliedstaaten
ergreifen.
Artikel 6
Die Union ist für die Durchführung von Maßnahmen zur Unterstützung,
Koordinierung oder Ergänzung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten zuständig.
Diese Maßnahmen mit europäischer Zielsetzung können in folgenden Bereichen
getroffen werden:
a) Schutz und Verbesserung der menschlichen Gesundheit,
b) Industrie,
c) Kultur,
d) Tourismus,
e) allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport,
f) Katastrophenschutz,
g) Verwaltungszusammenarbeit.
Kommentar:
 Das BVERFG erlaubt die Unterzeichnung und auch vorläufige Anwendung des
CETA mit einigen einschränkenden Bedingungen.
 Der erwähnte „Gemischte Ausschuss“ ist ein Gremium, in dem Vertreter der
EU und Kanadas sitzen sollen, um nachträglich die Auslegung und
Weiterentwicklung des Vertrags zu beschließen, ohne dass die Parlamente
damit erneut befasst werden (sog. „living agreement“). Das Gremium ist nicht
demokratisch legitimiert, die Zusammensetzung unklar; Kritiker befürchten,
dass sich hier Vertreter von Konzerninteressen Zugang und Gehör finden.
Statt den Gemischten Ausschuss parlamentarisch rückzubinden, hätte man
ihn als antidemokratische Einrichtung besser komplett verboten.
 In seinen Erwägungen schließt sich das BVerfG der Argumentation von Sigmar
Gabriel bei der Anhörung an. Es werden weniger verfassungsrechtliche und
demokratische Begründungen als außenpolitische und wirtschaftliche Gründe
angeführt. M. E. Ist damit auch eine Weichenstellung für die Entscheidung in
der Hauptsache erfolgt. Die Kläger wurden von den kritischen Fragen des
Gerichts an Gabriel getäuscht, indem sie eine CETA-kritischere Entscheidung
erwarteten.
 Zur Auslegung des Art. 30.7 Abs. 3 Buchstabe c CETA: "Eine Vertragspartei
kann die vorläufige Anwendung durch schriftliche Notifikation der anderen
Vertragspartei beenden." Und da fragt der vorsitzende Richter Voßkuhle den
Sigi als oberste Ceta-Auslegungsinstanz, ob er zusichern könne, dass die
Bundesrepublik aus der Vorabanwendung ausscheiden kann:
Frank Bräutigam @ARD_Recht
#CETA Voßkuhle an Gabriel: Würde die Bundesreg. eine offiz. Erklärung
abgeben, dass Kündigung d. vorl. Anwendung v. CETA möglich ist? G: Ja.
12.10.2016 14:45 Uhr via Twitter
Nun erstreckt sich die Geltung des CETA aber auf die gesamte EU, die als
gemeinsamer Binnenmarkt ausländischen Investoren / Händlern gegenübertritt. Es
geht rechtlich gar nicht, dass Deutschland alleine die Vorabimplementation kündigt.
Den Verfassungsrichtern war das scheinbar egal, die wollten nur eine Brücke, um
den Eil-Antrag abzulehnen.
 Die oben zitierten Vertragsartikel des EUV geben der EU den
Entscheidungsvorrang gegenüber den Mitgliedstaaten auch bei Bereichen, die
nicht in die alleinige Zuständigkeit der EU fallen.
 Das erwähnte Protokoll über die Anwendung der Subsidiarität enthält keine
Bestimmungen, die die EU verpflichten würden, die vertikale Subsidiarität
einzuhalten. Es sieht lediglich Begründungen der Kommission vor, warum sie
sich für zuständig hält oder warum sie die veranschlagten
Finanzierungskosten für verhältnismäßig hält. Die den nationalen
Parlamenten erlaubte Subsidiaritätskontrolle ist aufgrund der festgelegten
Quoren und Fristen vollkommen unrealistisch und daher wertlos.
 Wie man an den Listen zur alleinigen und geteilten Zuständigkeit sieht, ist
eine klare Abgrenzung zwischen nationaler und EU-Zuständigkeit nicht
möglich (und vom Vertrag, der auf einen europäischen Bundesstaat abzielt,
auch nicht gewünscht).
 Die Bundesregierung wird einige Ausnahmen von der vorläufigen Anwendung
formulieren, wie bei der mündlichen Anhörung schon erfolgt, und der Rest
wird in Kraft gesetzt.
 Artikel 6, AEUV wird seit jeher als Einfallstor betrachtet für eine Ausweitung
der EU-Zuständigkeiten. Wie man sieht, sind hier auch Bereiche aus
Bundesländerhoheit enthalten (Kultur, Bildung).
 Da keine inhaltliche Betrachtung des CETA-Vertrages vorgenommen worden
ist, findet auch keine Auseinandersetzung über die im Vertrag enthaltenen
Liberalisierungs- und Deregulierungshebel statt und wie sie sich auch auf die
vermeintlich geschützten oder ausgenommenen Bereiche und politische
Entscheidungsspielräume auswirken werden.