SWR2 Musikstunde

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
Barockmusik zwischen Anden und
Amazonas (4)
Von Ines Pasz
Sendung:
Freitag, 07. Oktober 2016
Redaktion:
Ulla Zierau
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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„Musikstunde“ mit Ines Pasz
Südamerikanischer Barock Teil 4
SWR 2, 04. Oktober - 07. Oktober 2016, 9h05 – 10h00
Barockmusik aus Südamerika, das ist das Thema in dieser Woche. Zum 4. und
letzten Teil begrüßt Sie Ines Pasz.
Titelmusik
Mit bloßen Füßen klettert ein Mann eine steile, nasse Felswand hoch. Um ihn
herum rieselt überall Wasser, unter ihm donnern die Wasserfälle des Iguazu. Aber
er kennt keine Angst und keinen Schmerz. Immer weiter hangelt er sich nach
oben, unerbittlich. Es ist der Jesuitenpater Gabriel und er muss diese Felswand
überwinden. Oben nämlich lebt der Stamm der Guarani und ihnen will er den
wahren, den christlichen Glauben bringen. So beginnt das Filmepos „Die Mission“
von Roland Joffé mit Jeremy Irons und Robert de Niro in den Hauptrollen. Aber
eigentlich ist es schon die 2. Szene. In der ersten sieht man, wie eine Gruppe von
Guaranis einen Pater auf ein Holzkreuz fesselt und ihn 100 Meter tief in die
Wasserfälle stürzt, in die Garganta del Diablo, den Teufelsschlund und damit in
den sicheren Tod.
Es ist also ein gefährlicher Job, den Pater Gabriel sich da ausgesucht hat. Aber er
ist zäh und unermüdlich. Irgendwann hat er die Felswand tatsächlich
überwunden. Oben erwartet ihn dichter Dschungel. Er geht ein Stück und
erreicht dann eine kleine Lichtung. Hier packt er aus, was er mitgebracht hat und
das ist nicht etwa die Bibel oder ein Schwert - sondern eine Oboe. Er setzt sich
hin und spielt.
1‘25
Musik 1:
Morricone. Gabriels Thema
M0355200 022
2‘21
„Gabriels Oboe“ aus der Filmmusik zu „Die Mission“ von Ennio Morricone mit Paul
Bateman und den Prager Philharmonikern.
Pater Gabriel spielt nicht lange auf seiner Oboe, da ist er umringt von einigen
Guarani, knapp bekleidet, mit wilder Kriegsbemalung.
Einer tritt auf ihn, entreißt ihm die Oboe und zerbricht sie in zwei Teile. Und da
geschieht das kleine Wunder. Die anderen Guaranis greifen Gabriel nicht etwa
an, sondern gehen auf ihn zu, einer nimmt das zerstörte Instrument sogar und
versucht es wieder zusammenzusetzen. Dann nehmen sie den sanftmütigen Pater
bei der Hand und führen ihn in ihr Lager.
3
Im weiteren Verlauf des sehr sehenswerten, bildgewaltigen Epos wird die
Missionsstation mitten im Regenwald aufgebaut. Bald gibt es eine Schule,
Werkstätten und ein Orchester. Zuletzt wird alles grausam zerstört. Die Portugiesen
metzeln die Patres nieder, darunter auch Gabriel und fast alle Guaranis, Männer,
Frauen, Kinder. Nur wenige entkommen dem Massaker, darunter ein kleines
Mädchen. Es fischt aus dem Fluss eine Geige und rudert zusammen mit ein paar
anderen Kindern in einem Kanu davon.
All das ist so ähnlich passiert, im so genannten Guarani-Krieg. Ein paar Jahre
später, 1767 werden die Missionsstationen der Jesuiten von portugiesischen
Truppen zerstört. Ein südamerikanisches Utopia findet damit sein grausames Ende.
1‘25
Musik 2:
Track 11
Anon:Salve Regina
CD: Vespres solenelles de Saint Jean Baptiste
K617152 Label: K617
6‘10
„Salve Regina“ von einem unbekannten Komponisten mit dem Kinderchor
Cordoba und dem Ensemble Elyma unter Gabriel Garrido, entstanden etwa 1712
und gefunden in den Archiven der bolivianischen Nationalbibliothek in Sucre und
wie Quellen belegen aufgeführt von den Orchestern der Jesuitenmissionen.
Wie kommt es zu dem Massaker an den Jesuiten und ihren Schützlingen im Jahr
1768? Warum fühlen sich die Portugiesen und die Spanier so provoziert von den
katholischen Patres?
Zweifellos machen sich die Jesuiten überall unbeliebt. Den südamerikanischen
Siedlern und Händlern nehmen sie die Sklaven weg, der Kirche sind sie zu weltlich,
der spanischen Krone zu mächtig, den europäischen Aufklärern zu gläubig.
Dann stellen sie sich in einem Krieg im heutigen Paraguay, im so genannten
Guarani Krieg auch noch auf die Seite der Indigenas gegen den spanischen
König. Das schadet den Jesuiten ungemein. Aber auch in Europa gerät der
Orden bald schon unter Beschuss. Zuerst wird er in Portugal verboten, dann in
Frankreich, zuletzt 1767 in Spanien. Gleichzeitig sollen die Jesuiten auch alle
spanischen Kolonien verlassen. Für rund 2700
Ordensbrüder bedeutet das Verbannung, Vertreibung, Inhaftierung und sogar
den Tod. Der 76jährige Pater Martin Schmid, Architekt und Musiker mit dem
Beinamen, „Der singende Missionar“ schildert den tränenreichen Abschied:
„Wir haben die Chiquitos also endlich verlassen. Aber mit was für Traurigkeit,
Schmerzen, Weinen und Wehgeschrei der armen Indianer. Dies ist über alles zu
bedauern: nicht unsere Verbannung, sondern das traurige und unglückliche Los
der Indianer, welches eine Folge unserer Verbannung ist.“
Die Indigenen bleiben zurück in ihren Reduktionen und werden fortan von
spanischen Beamten oder von Priestern anderer Orden betreut. Aber die
4
kümmern sich nur halbherzig um ihre Schützlinge. Schnell geht das verloren, was
unter den Jesuiten so wichtig war: die soziale, kulturelle und wirtschaftliche
Einheit. Niemand spricht jetzt mehr die Sprache der Guaranis, der Moxos und der
Chiquitos. Niemand fördert sie, oder nimmt sie ernst. Und vor allem, niemand lässt
mehr singen und musizieren. Die berühmten Orchester und Chöre der Missionen
sind bald Geschichte.
2‘25
Musik 3:
Anon: canite, plaudite
CD: Tupasi Maria K617141 HM 90
Label: K617
7‘03
Festliche Musik, „Canite plaudite“ von einem unbekannten Komponisten mit dem
Ensemble Louis Berger. Gespielt wurde sie in den Jesuitenmissionen an Feiertagen
wie Ostern, Pfingsten oder Weihnachten.
Richtige kleine Städte sind diese Siedlungen, mit bis zu 3000 Einwohnern.
Außerhalb von ihnen liegen die Felder, Viehweiden und der Friedhof. Im Inneren
des Dorfes die Wohnhäuser, Schulen, Werkstätten, Krankenstationen und sogar
ein Gefängnis. In der Mitte die Kirche. Mit Kirchturm, Hoch- und Nebenaltären,
mehreren Glocken, ein oder zwei Orgeln und einer rundum vergoldeten Kanzel,
wie uns Pater Anton Sepp aus Südtirol schildert. Er ist ausgebildeter
Kirchenmusiker und kommt 1689 in die Jesuitenprovinz Paraquaria.
Bis zu seinem Tod 1733 wird er in verschiedenen Missionsdörfern leben, wird den
Guaranis Musikunterricht geben wird für ihre Orchester komponieren, die Werke
mit ihnen einstudieren und das alles fein säuberlich aufschreiben.
„Jedes Dorf hat vier Trompeter“, erzählt uns der Pater „drei gute Theorbenspieler,
vier Organisten, 30 Schalmeier, dazu zahlreiche Cornettisten und Fagottisten“.
Allesamt sind sie so gut, dass sie seine Kompositionen spielen und blasen können.
Außerdem freut sich Pater Anton Sepp über seine vielen hervorragenden Sänger.
50 nicht so üble Stimmen habe er in seiner Reduktion, und, so Sepp „acht
Indianer Bübelein. Setze ihnen das berühmte Laudate Pueri auf das Papier und
alle Patres sind voll der Freude, danken dem höchsten Gott, dass er einmal, nach
so langen Jahren, einen Mann geschickt, der die Musik in einigen guten Stand
gebracht“.
Außerdem wird der selbstbewusste Pater Anton Sepp mit den Guaranis
zusammen auch Musikinstrumente bauen. Harfen, Streich - und Blasinstrumente,
Theorben und zuletzt sogar eine Orgel. „Aus Zedernholz“, so der Pater, „das es
hier überall gibt im großen Überfluss“. Er leimt und zimmert alles zusammen, leget
die „Zungen an und höre Wunder“, so Sepp, „der sonst dürre stumme Zeder fängt
an zu rasseln, brummen und grollen, dergestalt, dass die Indianer vor
Verwunderung aufschrien “Victor! Victor! Vivat, Pater Antonius!.“
5
Dann zeigt er ihnen, wie man mit den Füßen spielt und wie die Register
funktionieren, dass man „das Werk ganz still und bald mit völliger Stimme
schreiend mache“.
2‘30
Musik 4:
Zipoli: Toccata d-Moll
M0260032 002
4‘09
James Johnstone mit der Toccata in d-Moll von Domenico Zipoli.
Als Pater Anton Sepp die Jesuiten Missionen im heutigen Paraguy besucht sind,
manche schon fast einhundert Jahre alt. 1609 gilt als das offizielle Gründungsjahr
der ersten Mission, errichtet mit der honorablen Absicht die Indigenen zu schützen
und ihnen ihre Rechte zu sichern. Denn sie haben welche, offiziell verbriefte
sogar, verliehen Anfang des 17. Jahrhunderts vom spanischen König persönlich.
Darin garantiert er den Indigenen, dass sie frei seien, „so frei wie ein Spanier“,
heißt es und dass sie als getaufte „Wilde“ nicht als Leibeigene missbraucht
werden dürfen.
Die Realität sieht allerdings oft anders aus. Obwohl es verboten ist, kaufen die
Spanier die Sklaven mehr oder weniger offen bei den Portugiesen, die dieses
Gesetz nicht haben. So errichten die Jesuiten Dörfer oder so genannte
Reduktionen- von spanisch reducir, zusammenführen, als Sicherheitszone für die
indigene Bevölkerung und um sie darin auch zu bilden und zu „erziehen“, ein
Terminus ganz im Geiste der Zeit. Zunächst werden die Jesuiten von Europa aus
finanziell unterstützt. Aber auf Dauer wollen sie unabhängig sein. So schaffen sie
ihre eigene autarke Gemeinschaft, zusammen mit den Indigenen, mit eigener
Verwaltung, eigener Rechtsprechung und funktionierender Wirtschaft. Mit
anderen Worten, einen eigenen Staat. Und den führen sie mit strengem
Regiment.
Die Indigenen müssen sich europäisch kleiden, sie müssen die Polygamie
aufgeben, ebenso ihre Drogen, ihre Dämonen und sich dem europäischen
Verhaltenskodex anpassen.
Alle sind gleich und leisten ihren Teil für die Gemeinschaft. Es gibt eine klare
Aufgabenverteilung und einen festen Tagesablauf. Dazu gehören Gebete, ein 8Stunden Arbeitstag und Freizeit. Glockenschläge zeigen an, was gerade dran ist.
Ackerbau, Viehhaltung, Schule, Essen und vor allem Tanz und Musik. Sie spielt
eine wichtige Rolle.
Weil die Indigenen sie lieben und weil die Jesuiten in ihr ein verbindendes
Element sehen, eine Herzenssprache und ein probates Mittel die Indigenen
gewaltfrei zu erobern.
2‘05
6
Musik 5:
Traditional: Lied der Canichanas track 3
CD: Canichanas & Moxos
K617147 Label: K617 HM 90
2‘13
Ein Lied in der indigenen Sprache Canichana, mit der Capilla de Indias unter
Tiziana Palmiero.
Die Jesuiten Missionen verstreuen sich über ein relativ großes Gebiet, dem
heutigen Bolivien, Argentinien, Paraguay, Brasilien und Uruguay. Im 17.
Jahrhundert gehört es entweder zu Spanien oder zu Portugal.
Im spanischen Herrschaftsgebiet lebt sich eindeutig besser, für beide Seiten, die
Jesuiten und die Indigenen. Und hier ist das Bildungsniveau auch besonders
hoch, erzählt ein Pater. „Da lernen die Wilden“, wie er schreibt, „die Solmisation,
Musikinstrumente zu spielen und mit großer Feierlichkeit göttliche Ämter
auszuüben.
Nichts zieht sie so in die Kirche wie die Musik. Sie lädt sie ein der Messe mit großer
Feierlichkeit beizuwohnen, sie liebkost sie und sie lässt sie aus ihrem Dschungel
kommen. Sie unterwerfen sich den Missionaren, hören Christi Lehre und werden
Katholiken.“
Musik also auch als Lockmittel. Über den Jesuitenpater Martin Schmid, einem
gebürtigen Schweizer, der Hunderte von Chiquitos zu erstklassigen Musikern
ausbildet, berichtet ein Zeitgenosse nicht ohne rassistischen Unterton: „Er steigt
mit den Chiquitos, die er unterrichtet hat auf die Berge , auf welchen wilde
Heiden in Löchern und Höhlen leben und stimmt dort mit den Seinigen eine
angenehme Musik an. Dadurch lockt er die Heiden aus ihren Löchern heraus,
zieht sie an sich, gewinnt ihr Herz unterrichtet sie in dem Glauben und vereinigt sie
also mit der christlichen Gemeinde.“
Den Jesuiten muss die phänomenale Musikalität der Indigenen gleich aufgefallen
sein, denn von Anfang an drücken sie ihnen Instrumente in die Hand. Als ein
französischer Forscher 100 Jahre nach dem Ende des Jesuitenstaates in eine
Mission kommt stellt er voller Erstaunen fest, dass sie makellos vierstimmige Messen
singen, Barockmessen. Alle halten ein Blatt in der Hand und singen davon ab. Als
er aber näherkommt sieht er, dass viele ihre Noten falsch rum halten. Sie hatten
alles im Gedächtnis.
2‘05
Musik 6:
Zipoli: Kyrie aus der Missa San Ignacio
CD:New World Symphonies
CDA 30030
LC 07533
4‘20
7
Das Kyrie aus der Missa di San Ignacio von Domenico Zipoli mit dem Ensemble Ex
Cathedra unter Jeffrey Skidmore.
Domenico Zipoli ist gebürtiger Italiener. Er stammt aus Prato in der Toskana und
nimmt erst mal Unterricht beim berühmten Alessandro Scarlatti in Neapel. Aber
die beiden verstehen sich nicht, angeblich sind es künstlerische Divergenzen,
jedenfalls verlässt Zipoli seinen Maestro, bekommt eine Stelle als Organist in Rom
und geht dann nach Südamerika. Man weiß nicht genau, warum er Europa und
damit einer sicheren Position den Rücken kehrt. Jedenfalls findet man Zipoli 1716
in Cordoba, im heutigen Argentinien als Studenten der Philosophie. Eigentlich
möchte er gerne Jesuitenpater werden, weil es dort aber zu der Zeit keinen
Bischof gibt, kann er sich nicht zum Priester weihen lassen. So schreibt er Musik,
Messen, Vespern, Sonaten und Orgelwerke. Die Jesuitenmissionen müssen sich
darum gerissen haben, denn 1972 werden bei der Renovierung einer Kirche im
Gebiet der Chiquitos ganze Stapel von Manuskripten gefunden. Darunter auch
die Missa di San Ignacio, gewidmet ganz offensichtlich Ignatius von Loyola, dem
Gründer des Ordens.
Interessanterweise stammt das Manuskript der Messe aber gar nicht aus der Zeit
Zipolis, sondern ist ein halbes Jahrhundert jünger, denn drauf steht, „Kopiert in
Potossi 1784“.
Seine Musik war also so beliebt bei den Chiquitos, dass sie sogar lange nach
seinem Tod Werke von ihm noch immer kopiert und aufgeführt haben.
1‘35
Musik 7:
Zipoli: Ave stella maris
CD: Moon, sun & all things
SACDA67524
LC 07533
3‘40
Freudige, optimistische und nicht zu komplizierte Musik schreibt der Jesuit
Domenico Zipoli für die Jesuitenmissionen, hier sein „Ave Maris Stella“ mit dem
Ensemble Ex Cathedra unter Jeffrey Skidmore.
Begeistert müssen die Guarani, die Chiquitos und die Moxos wohl diese Musik
gespielt haben, und berichten zeitgenössischen Quellen immer wieder, wohl
auch hervorragend.
Man staunt und wundert sich: wie ist das möglich, dass diese „Barbaren“, diese
„Wilden“, gerade noch, wie es heißt „halbnackt dem Urwald entsprungen“ diese
hochkomplexe europäische Musik erfassen und vor allem wiedergeben?
„Man muss wissen“, so der Jesuitenpater Martin Schmid, „dass die Indianer der
Musik außerordentlich zugeneigt sind, stundenlang ausharren, wenn es Musik gibt
und wie entrückt dem Orchester zuhören.“
8
Aber, fragt sich die moderne Musikwissenschaft schon etwas kritischer, hätten sie
denn eine Wahl gehabt? Und hat sie jemals jemand gefragt, ob sie nicht genau
so gern ihre eigene, indigene Musik gespielt und gehört hätten. Die nämlich
wurde zunehmend verdrängt durch Messen, Concerti, Vespern und Sonaten.
Wenn Tänze oder Musik der Indigenen beschrieben werden, dann oft auch
herablassend. Die Jesuiten haben sicher die besten Absichten mit ihren
Schützlingen, zweifeln aber niemals daran, dass sie selbst und ihr Glaube das
Wahre, Richtige und Gute verkörpern.
Aber gleichzeitig pflegen die Jesuiten ihre promocion humana, ihre
Menschenliebe. Sie wollen die Indigenen ihrer Heimat nicht entfremden, sie
wollen ihre Sitten und Gewohnheiten verstehen, sie wahrnehmen, dazu lernen sie
auch die Sprache ihrer Schützlinge und lassen sie europäische Musik auf Guarani
oder chiquitana singen.
2‘00
Musik 8:
Anon.: Aqui ta Naqui Iyai
CD: Florilegium & Bolivian baroque
Channel classics 22105
LC 04481
4‘48
„Chapie, Iyai Jesu Christo“, der Komponist in unbekannt, gesungen in der
Sprache der Chiquitos hat Katia Escalera, begleitet vom Ensemble Florilegium
150 Jahre lang existierte der so genannte Jesuitenstaat, mit seiner einzigartigen
autonomen Lebensgemeinschaft.
Von einem „Triumph der Menschlichkeit“ spricht der sonst immer bissige
Kirchenfeind Voltaire, von einem „Heiligen Experiment“ und einer Staatsform, die
ihrer Zeit um mindestens 200 Jahre voraus ist die moderne Geschichtsforschung.
Der französische Philosoph Charles de Montesquieu urteilt über das theokratische
Staatsgebilde unter Mitbeteiligung der Indigenen: „Indem die Jesuiten damit die
Verwüstungen der Spanier wieder gut machten, begannen sie eine der
schwersten Wunden zu heilen, welche die Menschheit je empfangen hat.“
Mehr als 100.000 Indigene können die Jesuiten in ihren Missionen beschützen, von
den unzähligen Stationen sind heute noch ganze 30 erhalten, einige davon als
Unesco Weltkulturerbe. Ja, natürlich wurden die Indigenen auch hier ihrer
natürlichen Umgebung entzogen, wurden christianisiert, wenn auch angeblich
freiwillig, mussten sie eine fremde Kultur annehmen. Missionseifer und koloniale
Machtdemonstration, auch die Jesuiten waren nicht frei davon.
Aber immerhin ohne Waffen, ohne Gewalt, nur mit der Macht der Musik.
1‘30
9
Musik 9:
Anon.: narantjitay – Huaino
M0260032 017
1‘51
Narantjitay – Huainjo, ein Volkslied aus Bolivien mit dem Arakaendar Bolivian
Choir.
Das war der vierte und letzte Teil die SWR2 Musikstundenwoche „Barockmusik
zwischen Anden und Amazonas“, zuletzt über die Musikkultur der Jesuiten in ihren
Missionsstationen. Wenn Sie darüber noch mehr erfahren wollen kann ich Ihnen
ein Buch empfehlen: Der Titel „Die Musik- und Theaterpraxis der Jesuiten im
kolonialen Amerika“, erschienen 2015 beim Studio Punkt Verlag.
Alle Texte dieser vier Musikstunden und auch die Sendungen stellen wir zum
Nachhören auf unsere Internetseite bereit. Wenn Sie an einem Mitschnitt
interessiert sind, dann rufen Sie an unter: 07221/929-26030.
Ihnen noch einen schönen Tag, fürs Zuhören bedankt sich Ines Pasz.