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Das Anlagemagazin der B˛rsen-Zeitung
September 2016 | Seite 62
IM PORTRÄT
Life goes on
Nach dem Brexit-Votum mˇssen sich Fonds neu orientieren, sagt Thomas Moore
Von Jan Schrader
Das historische Ergebnis erreichte Thomas Moore, wie so
viele Menschen, am frˇhen Morgen: Gerade wachgeworden, griff er nach seinem Mobiltelefon – und erfuhr, dass
Großbritannien die Europäische Union verlassen wird.
,,Das war ein sehr trauriger Moment‘‘, sagt der Investment
Director von Standard Life Investments, des Fondshauses
des britischen Versicherers Standard Life. Das Gefˇhl ließ
ihn am ersten Tag nach dem EU-Referendum der Briten
nicht mehr los. Wie ein Schlag in die Magengrube sei das
Ereignis im Juni gewesen.
Der Aktienspezialist fˇr Großbritannien betont, dass es jetzt
auf einen kˇhlen Kopf im Fondsmanagement ankomme –
und einen kˇhlen Kopf behalten offenbar auch seine Landsleute. Leiden britische Firmen auch unter Unsicherheit, weil
sie im Zuge der Verhandlungen ˇber den EU-Austritt den
Zugang zum Binnenmarkt verlieren k˛nnten, so ist von einer Krise in Großbritannien aus Sicht des Fondsmanagers
nicht viel zu spˇren. Klar, die Aktienkurse gingen nach der
Entscheidung in den Keller, wie er einräumt. Auch Fondssparer suchten zunächst das Weite und zogen branchenweit
Geld in Milliardenh˛he ab.
Investoren aus dem Ausland zeigten weiterhin Interesse an
Großbritannien. Die Regierung des Landes habe noch Spielraum, um die Wirtschaft ˇber den Staatshaushalt zu stˇtzen. Und die Bank of England habe schon mal präventiv
die Schleusen ge˛ffnet, als sie Anfang August den Leitzins
senkte, ein Refinanzierungsprogramm fˇr Banken ausrollte
und den Kauf von Anleihen wieder aufnahm. ,,Die Notenbank hat entschieden, mit Kraft zu handeln, damit die britische Wirtschaft nicht bereits 2016 in die Knie geht‘‘, sagt
Moore.
Noch sei nicht viel passiert, doch stehe dem Land die eigentliche Herausforderung noch bevor. Fˇr die britische Wirtschaft sei der anstehende Brexit unterm Strich natˇrlich
keine gute Nachricht, räumt er ein. Die Gelassenheit von
Firmen und Verbrauchern stehe auch der Einschätzung
von Volkswirten entgegen. Die m˛glichen Folgen der Brexit-Entscheidung haben er und seine Kollegen noch nicht
verdaut, wie er sagt. Ein Team aus 13 Leuten, das sich um
britische Aktien kˇmmere, klopfe die Gesellschaften der Indizes FTSE 100 und FTSE 250 nach und nach ab. Auch wenn
die Firmen bislang gelassen reagierten, so sei es Annahme
des Teams, dass der anstehende EU-Austritt die Unternehmen belaste. Wie stark, solle der jeweils zuständige Mitarbeiter nun erkennen.
Keine Panik
Aber bereits im Juli, als sich nach dem Rˇcktritt von Ex-Premier David Cameron eine neue britische Regierung um Theresa May formte, kamen die Märkte wieder zur Ruhe – und
nicht nur sie. Als große Überraschung empfindet es Moore,
dass die Briten ihren Konsum nicht zurˇckgefahren haben
und auch viele Unternehmen ihren Ausblick beibehielten.
Als Fondsmanager habe er regelmäßig mit den b˛rsennotierten Gesellschaften zu tun, und k˛nne deren Sichtweisen
wie ,,Live-Daten‘‘ auswerten. Demnach hat sich fˇr Firmenbosse nach dem ersten Schock wenig verändert. So habe
ihm eine Firma gerade erst berichtet, dass die Auftragseingänge nach dem Brexit-Votum nicht eingebrochen seien.
,,Life goes on‘‘, das Leben gehe weiter, sagt Moore.
Den Kursstand vom 23. Juni am Tag des Referendums haben
die Aktienmärkte wieder ˇberwiegend erreicht oder ˇbertroffen – so, als sei gar nichts geschehen. Fˇr die jˇngste Erholung an der B˛rse in London gebe es aber durchaus Grˇnde. Die großen Konzerne, so fˇhrt er aus, erzielten einen
Großteil ihrer Gewinne im Ausland – weil das Pfund an Wert
verlor und andere Währungen zulegten, fallen diese Verdienste nun stärker ins Gewicht. Davon profitieren etwa Minenbetreiber, Ölfirmen und Healthcare-Konzerne.
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Pedant zum deutschen Mittelstand
Moore verantwortet den ,,UK Equity Income Unconstrained
Fund‘‘, der per Ende Juli ein Verm˛gen von annähernd
1,2 Mrd. Pfund auf die Waage bringt. Das Vehikel versucht,
Firmen mit einer soliden Ertragslage aufzuspˇren. Mit einem Anteil von 44 % liegt ein großer Teil in großen britischen Konzernen, die im FTSE 100 aufgefˇhrt sind; 42 %
entfallen auf Werte aus dem FTSE 250, wo sich das Pendant
zum deutschen ,,Mittelstand‘‘ befinde, wie er sagt. Moore
nutzte den Kursverfall unmittelbar nach dem Referendum
und kaufte weitere Aktien des britischen Telekommunikationsriesen BT hinzu, der mit gut 4 % der gr˛ßte Wert im
Portfolio ist. Finanztitel, mit 35 % die gr˛ßte Branche im
Depot, sehe sich das Team nun genauer an. Die Kreditwirtschaft leide darunter, dass die Bank of England den Leitzins
gesenkt habe, nachdem vor einiger Zeit sogar eine Erh˛hung in Reichweite schien.
Fˇr den Fonds beginnt nun eine neue Zeitrechnung. Rˇckblickend hatte der Fondsmanager, der 2009 den Fonds ˇbernahm, einen vorzeigbaren Lauf. Auf Fˇnfjahressicht kommt
das Produkt auf eine jährliche Rendite von annähernd 15 %,
berichtet das Analysehaus Morningstar. Seit Jahresbeginn
hat der Fonds jedoch verloren, auch wenn er nach dem Brexit-Votum, getrieben von steigenden Aktienkursen, wieder
zugelegt hat. Morningstar bewertet das Produkt mit drei
von fˇnf Sternen und platziert es damit im Mittelfeld.
Starke Frau am Steuer
Positiv ˇberrascht hat die Investoren m˛glicherweise auch,
dass die Zeichen in Großbritannien nun auf politische Stabilität stehen: Die konservativen Tories verfˇgen nach wie
vor ˇber eine Mehrheit im Parlament. Die Opposition ist zerstritten: Die Anti-EU-Partei United Kingdom Independence
Party (Ukip) muss sich nach dem Rˇcktritt ihres Parteifˇhrers Nigel Farage neu sortieren; der Labour Party droht die
Spaltung, nachdem zahlreiche gemäßigte K˛pfe dem weit
links stehenden Jeremy Corbyn die Gefolgschaft verweigerten. Die neue Premierministerin May, die vor dem BrexitVotum als eine gemäßigte Stimme fˇr den EU-Verbleib galt,
hat den prominenten Brexit-Befˇrworter Boris Johnson,
den ehemaligen Londoner Bˇrgermeister, zum Außenminister ernannt sowie den ebenfalls bekannten EU-Kritiker David Davis als Europaminister an Bord geholt. Wenn die Regierung unter Mays Fˇhrung die Bedingungen fˇr den Brexit aushandelt, hat sie zwei wichtige Personen an ihrer Seite, die sonst in den Reihen der Kritiker zu finden wären.
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Doch trotz der bislang guten Aufstellung der Briten – Moore
zeigt sich skeptisch, ob das Land vorteilhafte Bedingungen
mit der EU aushandeln kann. Wichtigste Frage aus seiner
Sicht ist, ob das K˛nigreich den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Der m˛gliche Preis wäre dafˇr unter anderem, dass das Land auch den freien Personenverkehr mit
der EU akzeptieren mˇsste. Damit verhandelt die britische
Regierung eine heikle politische Frage, wenn sie den offiziellen Antrag auf einen Austritt aus der Gemeinschaft stellt.
Zwei Jahre bleiben den Briten dann fˇr die Verhandlungen,
wie die EU-Verträge vorsehen. Leicht wird all das in jedem
Fall nicht, wie Moore betont. ,,Die harten Zeiten stehen uns
noch bevor.‘‘
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8 Prozent
beträgt der Zuwachs, den der britische Leitindex FTSE 100
seit dem Brexit-Votum bis Mitte August vollzogen hat. Gab
der Wert zunächst binnen zwei Handelstagen um 6 % nach,
hat er sich seither deutlich erholt.
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