Schwindeln für Trump Der Fünfer und das Weggli - lu

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Dienstag, 20. September 2016 —
Meinungen
Alexander Portelli Der Blogger verdient mit parteiischen News
Kolumne Michael Hermann
bestens Geld. Fiona Endres
Schwindeln für Trump
Wenn Alexander Portelli die Leserzahlen durchgeht, leuchten seine Augen.
Zwischen 1,5 und 2 Millionen User
finden sich monatlich auf Prntly.com
und Marshallreport.com ein. Das
Spektakel, das Portelli im Internet
treibt, könnte scheinheiliger nicht sein.
Die eine Seite wirbt für Donald Trump,
die andere begann als Kampagne für
den Demokraten Bernie Sanders.
Der Trump-Blog Prntly.com ist ein
Chaos aus Grossbuchstaben, Werbung
und bearbeiteten Fotos. Dazwischen
finden sich Schlagzeilen wie «Hillary
stirbt bald» oder «Trump liegt in den
Umfragen vorne». Das Prinzip des
Blogs sei simpel, verrät Portelli:
«Unsere Autoren nehmen eine
vorhandene Nachricht und drehen sie
so, dass sie Donald Trump etwas
bringt.» Seine sechs Blogger dürften
schreiben, was sie wollten, sagt
Portelli: «Es gibt keine Kriterien.» Also
fälschen, erfinden und schwindeln sie.
Im Dienst des Wahlkampfs. Trump
selbst ­vertweeted öfters Artikel dieser
Website. Das sei lustig, sagt Portelli:
«Denn sie stimmen nicht einmal.»
Auch andere Medien nehmen die
News auf. Manchmal entlarven sie
Unwahrheiten, manchmal aber auch
nicht. Er würde den Blog gerne
professioneller angehen, sagt Portelli:
«Doch es funktioniert so am besten.»
­Funktionieren heisst in seinem Fall:
Geld einbringen. Wie viel er damit
verdient, will er nicht sagen.
«Bullshit auf beiden Seiten»
Sein Blog würde nichts wirklich Falsches berichten, verteidigt sich Portelli: «Es sind einfach verzerrte News.»
Alle Medien würden so funktionieren.
Es nerve ihn, dass CNN oder Fox News
nur auf Trump losgingen und Hillary
Clinton in Ruhe liessen. Sein Blog
balanciere das aus. «Es gibt Bullshit auf
beiden Seiten.» Er ist überzeugt, dass
die traditionellen Medien Propaganda
für Clinton machen: «Das ist nicht
mehr Wahrheit, sondern Kapitalismus.» Denn Clinton sei mit den grossen
Unternehmen, die Werbung in den
Medien schalten, unter einer Decke. So
jedenfalls Portelli.
Er selbst ist eine umstrittene Figur.
Heute wohnt er in einem Vorort von
Denver. Ursprünglich stammt er aus
Albany, New York, wo er vor drei
Jahren für den Posten des Bürgermeisters kandidierte. Er schied jedoch aus
dem Rennen aus, weil er selbst als
verurteilter Drogendealer gar nicht
wahlberechtigt war. Schliesslich
übernahm seine Mutter seinen Platz im
Wahlkampf.
Portelli sagt, er selbst werde im
November gar nicht Trump wählen.
Seine Stimme gibt er dem Libertären
Gary Johnson. Sein Hauptziel sei aber,
Clinton zu verhindern. Liest man
seinen Blog, wird deutlich, was er
dafür opfert.
Die Stimmung in den Staaten
Zwölf internationale Reporter berichten
www.staaten.derbund.ch
Der Fünfer
und das Weggli
Würde heute
nochmals über die
Masseneinwanderungsinitiative
abgestimmt, die
Vorlage hätte beim
Volk noch immer
gute Chancen.
Dies zeigt eine
aktuelle Umfrage
des «SonntagsBlicks». Zugleich
bekennt sich eine
klare Mehrheit zu den Bilateralen.
Es scheint, als ob die Schweizerinnen und Schweizer vergessen hätten,
was ihnen seit Kindsbeinen eingeimpft
worden ist: «Man kann nicht den
Fünfer und das Weggli haben.» Der
Fünfer ist die selbstständige Steuerung
der Zuwanderung, die dem Prinzip der
Personenfreizügigkeit widerspricht.
Das Weggli sind die bilateralen Abkommen, die im Kern auf diesem Prinzip
aufbauen. Doch genau hier liegt der
springende Punkt: Im hochgradig
verwobenen Gewebe heutiger Demokratien gibt es keine einfachen Fünferund-Weggli-Wahrheiten mehr. So
haben etwa die Briten zwar für den
Austritt aus der EU gestimmt, dennoch
steht in den Sternen, ob sie jemals
austreten werden.
Hierzulande sind sich selbst die
Wirtschaftsverbände uneins darüber,
wie stark die Schweiz die Freizügigkeit
einschränken kann, ohne die Bilateralen zu gefährden. Da ist es doch nur
verständlich, dass die Stimmbevölkerung weder den Fünfer noch das
Weggli freiwillig hergeben will. Wieso
für etwas bezahlen, was auch umsonst
zu haben ist? Den genauen Preis von
Entscheiden nicht zu kennen, das ist
das, was eine ohnehin immer komplexer werdende Politik noch komplexer
macht und sie in zunehmenden Kontrast zur Wirtschaftswelt stellt. Dort hat
nämlich noch immer alles einen Preis.
Der Preis von allem
Ob wahr oder unwahr, seine Blogger schreiben, was Trump nützt: «Es gibt keine Kriterien», sagt Alexander Portelli. Foto: zvg
Debatten Bei Themen wie Schule, Uni oder Karriere
Leserbrief Teure
berufen sich viele auf das eigene Leben. Zu Unrecht.
Constantin Seibt
Hüftgelenkoperationen,
«Bund» vom 15. Sept.
Russische
Aristokraten
Nach der Revolution 1917 füllte sich
Paris mit geflohenen russischen Aristokraten. Sie tranken endlos Tee und
redeten. Doch nichts von dem, was sie
sagten, hatte noch Bedeutung. Denn
die Welt ihrer Jugend war untergegangen, und damit waren alle ihre Erfahrungen ohne Wert.
Dieses russische Aristokratengefühl
ist das Schicksal des modernen Menschen. Wer etwa im Alter von 50 Jahren
über Karrieren redet, sagt nichts Sinnvolles mehr, wenn er auf seine Erfahrungen zurückgreift. Denn er ist ein
Kind aus einer anderen Zeit, der des
Kalten Krieges. Damals war die Schweiz
wie betoniert. In der Lage waren etwa
Bummelei, das Ärgern von Lehrern und
überhaupt jede Sorte Irritation eine
gute Strategie: Denn es gab überall Jobs
und keinen Grund, sich zu schnell in
die Mühle zu begeben.
Heute laufen Karrieren international, der Druck in Sachen Kompetenz
(und Konformität) ist weit höher. Und
bei all dem Misstrauen im Netz ist
Irritation längst keine zeitgemässe
Strategie mehr – das Stützen der Institutionen ist eine Aufgabe, die mehr
Mut und Witz verlangt.
Die Rushhour beginnt nach 30
Früher, als man jung war, sah man auf
allen Podien die alten Säcke. Und fragte
sich, wie sie so geworden waren. Heute
weiss man es. Irgendwann nach 30
beginnt die Rushhour im Leben, das
Zeitalter der Effizienz. Man hat Job,
Familie, Hypothek, und muss Dinge
schnell erledigen. Doch bedeutet Effizienz oft nur, dass man schon vorher
weiss, was am Ende herauskommt. Das
Neue erfährt man nur durch Herumhängen: Man geht auf sieben Partys oder in
sieben Filme. Sechsmal ist es langweilig.
Aber beim siebten Mal begegnet einem
etwas wirklich Neues.
Das passiert erfahrenen Profis nicht
mehr. Sie beuten nur das Neue ihrer
Vergangenheit aus. Und sollten sich
deshalb bei Debatten über die Zukunft
zurückhalten. Und wie Aristokraten
ihren Tee trinken, gelassen, ohne
Bitterkeit.
Falsche Anreize – oder warum
sich Rattenzucht lohnt
Aus der nötigen Distanz betrachtet,
erkennt man, dass nicht nur die gehäuften Hüftgelenkoperationen, sondern
die Mengenausweitung in den Spitälern
generell wesentlich von falschen
­Anreizen des Systems herrühren.
Rolf Dobelli illustriert das in einer
Anekdote: Die französische Kolonialherrschaft in Hanoi verabschiedete ein
Gesetz: Für jede tote Ratte, die man
ablieferte, gab es Geld. Man wollte
damit der Rattenplage Herr werden.
Das Gesetz führte dazu, dass Ratten
gezüchtet wurden.
Wenn in einem begrenzten Umfeld
wie in Bern mindestens vier grosse Konkurrenten dem politisch gewollten
Wettbewerb ausgesetzt werden, dann
streben alle danach, möglichst viel zu
möglichst hohem Preis möglichst im
Zentrum anzubieten. Knochentrams
voller Reklame für eine orthopädische
Klinik zeugen davon, dass Rattenzucht
sich lohnt. Also müssten wir alle inte­
ressiert sein, ein Moratorium einzuschalten und die Regeln des Wettbewerbes so zu ändern, dass sie dem ursprünglichen Ziel entsprechen; nämlich
einer bestmöglichen Gesundheitsversorgung für den Einzelnen zu einem
tragbaren Preis für die Allgemeinheit.
Markus Bieri, Langnau
Im Alltag hingegen ist längt klar, was
einheimische Produkte aus dem lokalen Fachgeschäft wirklich wert sind: im
Zweifel wenig. Die Massen der Einkaufstouristen und all die Poststellen,
die sich in den letzten Jahren in Zalando-Filialen verwandelt haben, sprechen eine eindeutige Sprache: Wenn
der Schutz einheimischer Arbeitsplätze
etwas kostet, sind die hiesigen Konsumentinnen und Konsumenten längst zu
gnadenlosen Globalisten geworden.
Wie ein Kontrastprogramm mutet es
deshalb an, dass seit Mitte der Nullerjahre protektionistische Werthaltungen
bei der Schweizer Stimmbevölkerung,
gemäss Vox-Befragungen, stetig zunehmen. Es erscheint ein bisschen wie mit
der Moral, die in der Kirche gepredigt,
im Alltag aber längst nicht immer
gelebt wird. Passend dazu wird in
einem Sorgenbarometer, das wir
kürzlich für die basel-städtische Bevölkerung erstellt haben, zwar das Lädelisterben in der Innenstadt beklagt,
jedoch vor allem von jenen, die nur im
Ausland ihre Einkäufe erledigen.
Natürlich sind nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Entscheide mit Kosten verbunden. In einer
idealen Demokratie wäre dabei die
Rückkopplung ähnlich klar wie an der
Ladentheke: Wer sich für ein Produkt,
zum Beispiel eine Volksinitiative, entscheidet, kommt möglichst unmittelbar
nicht nur in den Genuss der bestellten
«Ware», sondern erhält auch eine
sauber aufgeschlüsselte Rechnung dazu.
Zurecht wird am aktuell diskutierten
Inländervorrang «light» zur Umsetzung
der Masseneinwanderungsinitiative
bemängelt, dass damit weder die
bestellte «Ware» geliefert, noch die
Rechnung präsentiert wird. Wenn
direktdemokratische Entscheide ohne
Konsequenzen bleiben, besteht die
Gefahr, dass die Hemmschwellen dafür
nur noch weiter sinken.
Doch die heftige Kritik lenkt davon
ab, dass die gewünschte Klarheit heute
Im Alltag
sind wir längst
gnadenlose
Globalisten.
nicht einfach zu haben ist. Eine Stimmbevölkerung, die sich sowohl am
Fünfer wie auch am Weggli festhalten
will, bietet nicht Hand zum Befreiungsschlag.
So wäre die Zustimmung für eine
Rücknahme des Masseneinwanderungsartikels wie ein Eingeständnis,
dass sich das Problem der Zuwanderung entschärft hat. Dafür findet sich
kaum eine Mehrheit. Auf der anderen
Seite schreckt die SVP mit gutem
Grund davor zurück, ganz direkt die
Kündigung der Bilateralen zu fordern.
Denn dafür lässt sich wohl genauso
wenig eine Mehrheit finden. Selbst die
sonst so scharfe SVP belässt das Thema
lieber im Ungefähren.
Internationale Verflechtungen, der
Dschungel bestehender Gesetzesnormen sabotieren einfache Fünfer-undWeggli-Wahrheiten. Das schadet notgedrungen dem Vertrauen in die Demokratie. Alle, die heute so tun, als gäbe
es einen einfachen Ausweg aus dem
MEI-Dilemma, tun dies jedoch nicht
nur notgedrungen, sondern sie tun es
fahrlässig.
Dienstagskolumne
Der Politgeograf Michael Hermann wechselt
sich mit Ex-Preisüberwacher Rudolf Strahm
sowie der Autorin und Schauspielerin
Laura de Weck ab.
Leserbrief Was für ein knallig oranges Haus!,
«Bund» vom 19. September
Eine grosse Mehrheit
stört sich nicht an der Farbe
Ich bin absolut einverstanden mit
Dieter Schnells Ausführungen zum
orangen Haus in Biel. Trotzdem
helfen seine Erläuterungen der Allgemeinheit nicht unbedingt weiter.
Gemäss dem treffenden Vergleich
bezüglich der Geschmackssache
müsste also im Falle des orangen
Hauses beim Mann und der Frau von
der Strasse und dem Fachmann Einigkeit herrschen, dass die Farbe orange
hier «faul» ist und daher nicht rechtmässig. Genau dies ist nicht der Fall.
Eine grosse Mehrheit stört sich überhaupt nicht an der gewählten Farbe,
im Gegenteil: Das Einschreiten der
Behörde wird als überspitzter Formalismus und fachmännische Rechthaberei empfunden. In der baugesetzlichen Grundlage wird die orange Farbe
auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Vielmehr muss eine Baute zusammen mit ihrer Umgebung eine gute
Gesamtwirkung ergeben!
Diese Einschätzung und Wahrnehmung dürfte wiederum subjektiv sein.
Herr Schnell sagt, dass diese Einschätzung und Auslegung der Gesamtwirkung gefälligst dem Fachmann und
der Behörde zu überlassen sei. Wo
käme man hin, wenn jeder nach
seinem subjektiven Geschmack sein
Haus anstreichen würde. Richtig!
Jedoch müsste die Behörde dann
überall einschreiten, wo ihrer Meinung nach ein fauler Apfel «gestrichen» wird und nicht erst ein Jahr
später, nachdem der Nachbar beim
Bauinspektorat reklamiert hat. Denn
– wessen Urteil über die «Fäulnis» von
Apfel oder Birne gilt jetzt nun? Und
nebst der «Orange» hat es in unmittelbarer Nachbarschaft noch eine lila
«Zwetschge» und eine beige-braune
«Feige». Bleibt zu hoffen, dass diese
nicht «faul» sind und für sich alleine
eine gute Gesamtwirkung mit der
Umgebung abgeben. Oder ist auch die
fachmännische Beurteilung subjektiv?
Daniel Laubscher, Büren an der Aare