10 Dienstag, 20. September 2016 — Meinungen Alexander Portelli Der Blogger verdient mit parteiischen News Kolumne Michael Hermann bestens Geld. Fiona Endres Schwindeln für Trump Wenn Alexander Portelli die Leserzahlen durchgeht, leuchten seine Augen. Zwischen 1,5 und 2 Millionen User finden sich monatlich auf Prntly.com und Marshallreport.com ein. Das Spektakel, das Portelli im Internet treibt, könnte scheinheiliger nicht sein. Die eine Seite wirbt für Donald Trump, die andere begann als Kampagne für den Demokraten Bernie Sanders. Der Trump-Blog Prntly.com ist ein Chaos aus Grossbuchstaben, Werbung und bearbeiteten Fotos. Dazwischen finden sich Schlagzeilen wie «Hillary stirbt bald» oder «Trump liegt in den Umfragen vorne». Das Prinzip des Blogs sei simpel, verrät Portelli: «Unsere Autoren nehmen eine vorhandene Nachricht und drehen sie so, dass sie Donald Trump etwas bringt.» Seine sechs Blogger dürften schreiben, was sie wollten, sagt Portelli: «Es gibt keine Kriterien.» Also fälschen, erfinden und schwindeln sie. Im Dienst des Wahlkampfs. Trump selbst vertweeted öfters Artikel dieser Website. Das sei lustig, sagt Portelli: «Denn sie stimmen nicht einmal.» Auch andere Medien nehmen die News auf. Manchmal entlarven sie Unwahrheiten, manchmal aber auch nicht. Er würde den Blog gerne professioneller angehen, sagt Portelli: «Doch es funktioniert so am besten.» Funktionieren heisst in seinem Fall: Geld einbringen. Wie viel er damit verdient, will er nicht sagen. «Bullshit auf beiden Seiten» Sein Blog würde nichts wirklich Falsches berichten, verteidigt sich Portelli: «Es sind einfach verzerrte News.» Alle Medien würden so funktionieren. Es nerve ihn, dass CNN oder Fox News nur auf Trump losgingen und Hillary Clinton in Ruhe liessen. Sein Blog balanciere das aus. «Es gibt Bullshit auf beiden Seiten.» Er ist überzeugt, dass die traditionellen Medien Propaganda für Clinton machen: «Das ist nicht mehr Wahrheit, sondern Kapitalismus.» Denn Clinton sei mit den grossen Unternehmen, die Werbung in den Medien schalten, unter einer Decke. So jedenfalls Portelli. Er selbst ist eine umstrittene Figur. Heute wohnt er in einem Vorort von Denver. Ursprünglich stammt er aus Albany, New York, wo er vor drei Jahren für den Posten des Bürgermeisters kandidierte. Er schied jedoch aus dem Rennen aus, weil er selbst als verurteilter Drogendealer gar nicht wahlberechtigt war. Schliesslich übernahm seine Mutter seinen Platz im Wahlkampf. Portelli sagt, er selbst werde im November gar nicht Trump wählen. Seine Stimme gibt er dem Libertären Gary Johnson. Sein Hauptziel sei aber, Clinton zu verhindern. Liest man seinen Blog, wird deutlich, was er dafür opfert. Die Stimmung in den Staaten Zwölf internationale Reporter berichten www.staaten.derbund.ch Der Fünfer und das Weggli Würde heute nochmals über die Masseneinwanderungsinitiative abgestimmt, die Vorlage hätte beim Volk noch immer gute Chancen. Dies zeigt eine aktuelle Umfrage des «SonntagsBlicks». Zugleich bekennt sich eine klare Mehrheit zu den Bilateralen. Es scheint, als ob die Schweizerinnen und Schweizer vergessen hätten, was ihnen seit Kindsbeinen eingeimpft worden ist: «Man kann nicht den Fünfer und das Weggli haben.» Der Fünfer ist die selbstständige Steuerung der Zuwanderung, die dem Prinzip der Personenfreizügigkeit widerspricht. Das Weggli sind die bilateralen Abkommen, die im Kern auf diesem Prinzip aufbauen. Doch genau hier liegt der springende Punkt: Im hochgradig verwobenen Gewebe heutiger Demokratien gibt es keine einfachen Fünferund-Weggli-Wahrheiten mehr. So haben etwa die Briten zwar für den Austritt aus der EU gestimmt, dennoch steht in den Sternen, ob sie jemals austreten werden. Hierzulande sind sich selbst die Wirtschaftsverbände uneins darüber, wie stark die Schweiz die Freizügigkeit einschränken kann, ohne die Bilateralen zu gefährden. Da ist es doch nur verständlich, dass die Stimmbevölkerung weder den Fünfer noch das Weggli freiwillig hergeben will. Wieso für etwas bezahlen, was auch umsonst zu haben ist? Den genauen Preis von Entscheiden nicht zu kennen, das ist das, was eine ohnehin immer komplexer werdende Politik noch komplexer macht und sie in zunehmenden Kontrast zur Wirtschaftswelt stellt. Dort hat nämlich noch immer alles einen Preis. Der Preis von allem Ob wahr oder unwahr, seine Blogger schreiben, was Trump nützt: «Es gibt keine Kriterien», sagt Alexander Portelli. Foto: zvg Debatten Bei Themen wie Schule, Uni oder Karriere Leserbrief Teure berufen sich viele auf das eigene Leben. Zu Unrecht. Constantin Seibt Hüftgelenkoperationen, «Bund» vom 15. Sept. Russische Aristokraten Nach der Revolution 1917 füllte sich Paris mit geflohenen russischen Aristokraten. Sie tranken endlos Tee und redeten. Doch nichts von dem, was sie sagten, hatte noch Bedeutung. Denn die Welt ihrer Jugend war untergegangen, und damit waren alle ihre Erfahrungen ohne Wert. Dieses russische Aristokratengefühl ist das Schicksal des modernen Menschen. Wer etwa im Alter von 50 Jahren über Karrieren redet, sagt nichts Sinnvolles mehr, wenn er auf seine Erfahrungen zurückgreift. Denn er ist ein Kind aus einer anderen Zeit, der des Kalten Krieges. Damals war die Schweiz wie betoniert. In der Lage waren etwa Bummelei, das Ärgern von Lehrern und überhaupt jede Sorte Irritation eine gute Strategie: Denn es gab überall Jobs und keinen Grund, sich zu schnell in die Mühle zu begeben. Heute laufen Karrieren international, der Druck in Sachen Kompetenz (und Konformität) ist weit höher. Und bei all dem Misstrauen im Netz ist Irritation längst keine zeitgemässe Strategie mehr – das Stützen der Institutionen ist eine Aufgabe, die mehr Mut und Witz verlangt. Die Rushhour beginnt nach 30 Früher, als man jung war, sah man auf allen Podien die alten Säcke. Und fragte sich, wie sie so geworden waren. Heute weiss man es. Irgendwann nach 30 beginnt die Rushhour im Leben, das Zeitalter der Effizienz. Man hat Job, Familie, Hypothek, und muss Dinge schnell erledigen. Doch bedeutet Effizienz oft nur, dass man schon vorher weiss, was am Ende herauskommt. Das Neue erfährt man nur durch Herumhängen: Man geht auf sieben Partys oder in sieben Filme. Sechsmal ist es langweilig. Aber beim siebten Mal begegnet einem etwas wirklich Neues. Das passiert erfahrenen Profis nicht mehr. Sie beuten nur das Neue ihrer Vergangenheit aus. Und sollten sich deshalb bei Debatten über die Zukunft zurückhalten. Und wie Aristokraten ihren Tee trinken, gelassen, ohne Bitterkeit. Falsche Anreize – oder warum sich Rattenzucht lohnt Aus der nötigen Distanz betrachtet, erkennt man, dass nicht nur die gehäuften Hüftgelenkoperationen, sondern die Mengenausweitung in den Spitälern generell wesentlich von falschen Anreizen des Systems herrühren. Rolf Dobelli illustriert das in einer Anekdote: Die französische Kolonialherrschaft in Hanoi verabschiedete ein Gesetz: Für jede tote Ratte, die man ablieferte, gab es Geld. Man wollte damit der Rattenplage Herr werden. Das Gesetz führte dazu, dass Ratten gezüchtet wurden. Wenn in einem begrenzten Umfeld wie in Bern mindestens vier grosse Konkurrenten dem politisch gewollten Wettbewerb ausgesetzt werden, dann streben alle danach, möglichst viel zu möglichst hohem Preis möglichst im Zentrum anzubieten. Knochentrams voller Reklame für eine orthopädische Klinik zeugen davon, dass Rattenzucht sich lohnt. Also müssten wir alle inte ressiert sein, ein Moratorium einzuschalten und die Regeln des Wettbewerbes so zu ändern, dass sie dem ursprünglichen Ziel entsprechen; nämlich einer bestmöglichen Gesundheitsversorgung für den Einzelnen zu einem tragbaren Preis für die Allgemeinheit. Markus Bieri, Langnau Im Alltag hingegen ist längt klar, was einheimische Produkte aus dem lokalen Fachgeschäft wirklich wert sind: im Zweifel wenig. Die Massen der Einkaufstouristen und all die Poststellen, die sich in den letzten Jahren in Zalando-Filialen verwandelt haben, sprechen eine eindeutige Sprache: Wenn der Schutz einheimischer Arbeitsplätze etwas kostet, sind die hiesigen Konsumentinnen und Konsumenten längst zu gnadenlosen Globalisten geworden. Wie ein Kontrastprogramm mutet es deshalb an, dass seit Mitte der Nullerjahre protektionistische Werthaltungen bei der Schweizer Stimmbevölkerung, gemäss Vox-Befragungen, stetig zunehmen. Es erscheint ein bisschen wie mit der Moral, die in der Kirche gepredigt, im Alltag aber längst nicht immer gelebt wird. Passend dazu wird in einem Sorgenbarometer, das wir kürzlich für die basel-städtische Bevölkerung erstellt haben, zwar das Lädelisterben in der Innenstadt beklagt, jedoch vor allem von jenen, die nur im Ausland ihre Einkäufe erledigen. Natürlich sind nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Entscheide mit Kosten verbunden. In einer idealen Demokratie wäre dabei die Rückkopplung ähnlich klar wie an der Ladentheke: Wer sich für ein Produkt, zum Beispiel eine Volksinitiative, entscheidet, kommt möglichst unmittelbar nicht nur in den Genuss der bestellten «Ware», sondern erhält auch eine sauber aufgeschlüsselte Rechnung dazu. Zurecht wird am aktuell diskutierten Inländervorrang «light» zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative bemängelt, dass damit weder die bestellte «Ware» geliefert, noch die Rechnung präsentiert wird. Wenn direktdemokratische Entscheide ohne Konsequenzen bleiben, besteht die Gefahr, dass die Hemmschwellen dafür nur noch weiter sinken. Doch die heftige Kritik lenkt davon ab, dass die gewünschte Klarheit heute Im Alltag sind wir längst gnadenlose Globalisten. nicht einfach zu haben ist. Eine Stimmbevölkerung, die sich sowohl am Fünfer wie auch am Weggli festhalten will, bietet nicht Hand zum Befreiungsschlag. So wäre die Zustimmung für eine Rücknahme des Masseneinwanderungsartikels wie ein Eingeständnis, dass sich das Problem der Zuwanderung entschärft hat. Dafür findet sich kaum eine Mehrheit. Auf der anderen Seite schreckt die SVP mit gutem Grund davor zurück, ganz direkt die Kündigung der Bilateralen zu fordern. Denn dafür lässt sich wohl genauso wenig eine Mehrheit finden. Selbst die sonst so scharfe SVP belässt das Thema lieber im Ungefähren. Internationale Verflechtungen, der Dschungel bestehender Gesetzesnormen sabotieren einfache Fünfer-undWeggli-Wahrheiten. Das schadet notgedrungen dem Vertrauen in die Demokratie. Alle, die heute so tun, als gäbe es einen einfachen Ausweg aus dem MEI-Dilemma, tun dies jedoch nicht nur notgedrungen, sondern sie tun es fahrlässig. Dienstagskolumne Der Politgeograf Michael Hermann wechselt sich mit Ex-Preisüberwacher Rudolf Strahm sowie der Autorin und Schauspielerin Laura de Weck ab. Leserbrief Was für ein knallig oranges Haus!, «Bund» vom 19. September Eine grosse Mehrheit stört sich nicht an der Farbe Ich bin absolut einverstanden mit Dieter Schnells Ausführungen zum orangen Haus in Biel. Trotzdem helfen seine Erläuterungen der Allgemeinheit nicht unbedingt weiter. Gemäss dem treffenden Vergleich bezüglich der Geschmackssache müsste also im Falle des orangen Hauses beim Mann und der Frau von der Strasse und dem Fachmann Einigkeit herrschen, dass die Farbe orange hier «faul» ist und daher nicht rechtmässig. Genau dies ist nicht der Fall. Eine grosse Mehrheit stört sich überhaupt nicht an der gewählten Farbe, im Gegenteil: Das Einschreiten der Behörde wird als überspitzter Formalismus und fachmännische Rechthaberei empfunden. In der baugesetzlichen Grundlage wird die orange Farbe auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Vielmehr muss eine Baute zusammen mit ihrer Umgebung eine gute Gesamtwirkung ergeben! Diese Einschätzung und Wahrnehmung dürfte wiederum subjektiv sein. Herr Schnell sagt, dass diese Einschätzung und Auslegung der Gesamtwirkung gefälligst dem Fachmann und der Behörde zu überlassen sei. Wo käme man hin, wenn jeder nach seinem subjektiven Geschmack sein Haus anstreichen würde. Richtig! Jedoch müsste die Behörde dann überall einschreiten, wo ihrer Meinung nach ein fauler Apfel «gestrichen» wird und nicht erst ein Jahr später, nachdem der Nachbar beim Bauinspektorat reklamiert hat. Denn – wessen Urteil über die «Fäulnis» von Apfel oder Birne gilt jetzt nun? Und nebst der «Orange» hat es in unmittelbarer Nachbarschaft noch eine lila «Zwetschge» und eine beige-braune «Feige». Bleibt zu hoffen, dass diese nicht «faul» sind und für sich alleine eine gute Gesamtwirkung mit der Umgebung abgeben. Oder ist auch die fachmännische Beurteilung subjektiv? Daniel Laubscher, Büren an der Aare
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