1 taz vom 7.9.2016 Seite 5 Seehofers Systemkritik CSU Die CDU hat versagt, weil sie nicht auf ihre kleine Schwester gehört hat, so die Botschaft von CSU-Chef Horst Seehofer. Doch seine Forderungen bleiben vage AUS MÜNCHEN DOMINIK BAUR Wenn man wissen will, was in Mecklenburg-Vorpommern schiefgelaufen ist, muss man – richtig! – nach Bayern gehen. Die CSU weiß im Zweifel alles am besten und als Erste. Mit allzu differenzierten Diagnosen hält man sich hier gar nicht auf, für die Christsozialen steht fest: Die CDU hat versagt, weil sie nicht auf ihre kleine Schwester gehört hat. Vor einem Jahr nicht, als Hunderttausende Flüchtlinge ins Land drängten, nach den Landtagswahlen im Frühjahr auch nicht. Und jetzt erst recht nicht. Die bayerischen Uhren, denen man gern nachsagt, dass sie anders gehen als anderswo, laufen in Wirklichkeit sehr präzise. So kamen die Reaktionen der CSU auf das jüngste Wahlergebnis schnell und wie erwartet. Früher hätte man ihnen vielleicht noch das Prädikat „harsch“ verliehen, heute fallen sie in die Rubrik „normaler Umgangston“. Von einer „höchst bedrohlichen Lage für die Union“ sprach CSU-Chef Horst Seehofer in der Süddeutschen Zeitung. Die Menschen wollten „diese Berliner Politik nicht“. Der Grund fürs Wahldesaster: Man habe seine „mehrfache Aufforderung zur Kurskorrektur“ in der Flüchtlingspolitik nicht beachtet. Gleichermaßen aufhorchen und rätseln lässt eine weitere Seehofer steht enorm unter Druck. Längst hat die AfD auch in bayerischen Umfragen Werte erreicht, die die CSU um ihre absolute Mehrheit bangen lässt Äußerung: Die Flüchtlingspolitik sei „nur ein Ventil, die Problematik liegt wesentlich tiefer“. Er sei überzeugt, „dass dahinter eine Systemkritik steckt“, so Seehofer. Aber wer kritisiert hier welches System? Die AfD-Wähler das politische System der Bundesrepublik? Dies freilich widerspräche der These, dass der Schlüssel zur Lösung des Problems einzig in einer Kurskorrektur in der Flüchtlingspolitik liege. Gut möglich, dass Seehofer seine Systemkritik-Theorie bewusst nebulös hielt. So klingt sie einerseits stark – das Problem liegt noch tiefer als gedacht, und wir, die CSUler, haben es erkannt –, andererseits erspart sie ihm weitere Festlegungen. Denn diese scheut der Ministerpräsident bekanntlich wie der Bayer das Mineralwasser. Seine Forderung ist entsprechend allgemein, wenn auch – wie so oft bei Seehofer – mit einem vermeintlichen Ultimatum verbunden: „Steuern, innere Sicherheit, Rente, Zuwanderung – spätestens September, Oktober muss eine Klärung her.“ Seehofer steht selbst enorm unter Druck. Zum einen wankt die Koalition mit dem Wähler, die der CSU-Chef so gern proklamiert. Längst hat die AfD auch in bayerischen Umfragen Werte erreicht, die die CSU um ihre absolute Mehrheit bangen lässt. Zum anderen sitzt ihm Möchtegern-Thronfolger Markus Söder im Nacken. Seehofer will unbe- dingt den Eindruck einer lame duck vermeiden, der Gejagte gibt sich als Jäger. Dabei geht es für ihn weniger um einen tatsächlichen Politikwechsel als darum, den Eindruck wachzuhalten, er treibe Merkel vor sich her. Einen Bruch kann auch Seehofer nicht wollen. Er braucht Merkel nicht nur als Feindbild, sondern auch als Zugpferd. Ohne sie und ihre Getreuen fehlt der Union das Personal, um eine bürgerliche Mehrheit an sich zu binden. Insofern wird es weitergehen wie bisher, das bewährte Spiel, das Seehofer und Merkel schon seit geraumer Zeit aufführen: Die CSU-Tiraden gegen Merkel werden sich weiter mit Zugeständnissen abwechseln, die sich von Seehofer als Erfolg verkaufen lassen, ohne Merkel zu einer Kehrtwende zu zwingen. So schraubte Seehofer am Dienstag seine Rhetorik schon wieder runter. Seine Kritik in der SZ wollte er vor laufenden Kameras nicht wiederholen. „Es ist alles gesagt.“ Und: Natürlich rede er immer mit Merkel. Man hätte die Uhr danach stellen können. S K
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