Wirtschaftspsychologie: Digitale Entmachtung der Führungskräfte?

Psychologie aktuell: Wirtschaftspsychologie: Digitale Entmachtung der Führungskräfte?
09-09-16
Wirtschaftspsychologie: Digitale Entmachtung der Führungskräfte?
Wirtschaftspsychologie: Je digitaler die Arbeitswelt wird, desto mehr stellt sich die Frage nach
der Digitalisierung der Mitarbeiterführung. Welche neuen Anforderungen werden an
Führungskräfte gestellt? Welche Möglichkeiten eröffnen sich ihnen? Bringt dies Vor- oder
Nachteile für die Führung? Prof. Dr. Jürgen Weibler, Inhaber des Lehrstuhls für
Betriebswirtschaftslehre, insb. Personalführung und Organisation an der FernUniversität: Mit
diesen Fragen wird früher oder später jede Organisation konfrontiert werden. Sicher ist nur
eines: Wer es schafft, die analoge und die digitale Welt miteinander zu verzahnen, wird
erfolgreichere Führungsbeziehungen entwickeln und nicht selbst durch Digitalisierung
entmachtet.
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Je digitaler die Arbeitswelt wird, desto mehr stellt sich die Frage nach der Digitalisierung der
Mitarbeiterführung. Welche Möglichkeiten eröffnen sich hier Führungskräften? Ist Digital
Leadership tatsächlich etwas ganz anderes ist als die persönliche Face-to-Face -Führung? Mit
diesen Fragen befasst sich Prof. Dr. Jürgen Weibler von der FernUniversität in Hagen. Der
Betriebswirt und Psychologe ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insb.
Personalführung und Organisation.
Eine bloße Digitalisierung von Gestaltungsmitteln rechtfertigt es für Prof. Weibler jedenfalls nicht,
von einer eigenständigen Variante des Führens zu sprechen . Dass in digitalen Medien
Führungspotenzial steckt, heiße nicht unbedingt, dass durch sie automatisch Führung im Sinne
bewusster Einflussnahme entstehe. Jürgen Weibler: Diese Werkzeuge müssen im Führungsprozess
gezielt eingesetzt werden. Zwar dürften mit dem Thema Digitale Führung als erstes innovative
Unternehmen konfrontiert sein, deren Geschäftsfeld neue Technologien sind bzw. die diese in ihrer
Organisation einsetzen. Doch die anderen werden folgen.
Dazu müssen integrierte Strategien entwickelt werden, denn jede ernsthafte Digitalisierung von
Geschäftsprozessen hat Folgen für die Organisationskultur- und -struktur, für die Personalpolitik und
eben für die Führung selbst. Um dies zu managen, wird anfangs oft die Führungs- oder
Organisationsstruktur direkt erweitert oder es wird gezielt auf Erfahrungsaustausch gesetzt : Ein Chief
Information Officer (CIO) soll die Fäden zusammenhalten , es wird gleich eine ganze digitale Sektion
eingerichtet , Digital Champions vermitteln in ihren Teams ihre gemachten Erfahrungen , Digital
Natives und Senior Management Members bilden Paare usw.
Viele Manager haben das Thema Digital Leadership für sich schon angenommen und verstanden,
dass sie dabei stärker auf Augenhöhe kommunizieren müssen. Weibler: Ein bloßes Update des
klassischen Führungsverständnisses reicht nicht mehr, es muss schon mittelfristig ein Wechsel des
Betriebssystems werden. Denn auf digitalem Weg entstehen zunehmend neue Macht- und
Einflussmöglichkeiten jenseits der Hierarchie. Es fängt bei der kollaborativen Arbeitssoftware an und
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setzt sich in einer online-Verständigung über Ideen von Vorgesetzten fort, einer Meinungsbildung mit
offenem Ausgang. Dem kann man sich faktisch nicht einfach entziehen. Eigendynamiken entstehen,
Gewichte verlagern und formale und informelle Strukturen ändern sich.
Einfluss von unten durch Technik
Den neuen digitalen Arbeits- wie Kommunikationstechnologien ist gemeinsam, dass sie Führenden
wie Geführten zur Verfügung stehen (werden) und dass sie räumliche und zeitliche Distanzen
überbrücken können. Mit ihnen können versierte Nutzer Einfluss nehmen, selbst aus großer
Entfernung. Führungskräfte werden daher stärker in Form einer digital getragenen sozio-kulturellen
Führung agieren , betont Weibler. Deren Basis ist der Aufbau und die Pflege von Sozialkapital, das
eine Währung für die gegenseitige Anerkennung und Akzeptanz von Einflussansprüchen ist.
Sozialkapital beruht nun vergleichsweise weniger auf klassischen persönlichen Beziehungen, sondern
auf digital basierten: Verbale oder audiovisuellen Positionen werden über Twitter und Instagram
verbreitet, ein umfassendes mitarbeiterbezogenes Social-Relationship-Management praktiziert (Social
Selling). Social Liking und Freundschaftlichkeit sichern dann in einer zumindest virtuell engen
Verbindung Loyalität. Empfehlungen begründen Vertrauen und letztlich eine zuerkannte Führerschaft
auf Probe. Weibler: Bei Google empfehlen bereits heute die Beschäftigten im Rahmen eines
standardisierten Feedbackprozesses ihre Vorgesetzten als Führungskräfte für andere, höhere
Aufgaben. Oder auch nicht.
In der Wirtschaftswelt existieren analoge und digitale Systeme und Führungsmodi nebeneinander.
Parallelstrukturen können häufig durch ihre Koexistenz auch Kraftquellen sein. Hybridlösungen
funktionieren oft besser als reine Formen, denn die Kombination von Gegensätzen kann eine innere
Ausgewogenheit bewirken. Welche traditionellen Führungsmodelle oder -weisen können also Digital
Leadership befruchten? , fragt Weibler. Und: Wie könnte ein der jeweiligen Situation angepasster
Hybrid der Führung aussehen?
Vom Telefonat zur Holografie
Einige konkrete Hinweise zu den Möglichkeiten von Digital Leadership lassen sich jedoch bereits
ablesen. Sie korrespondieren mit der Technologie und deren Anwendungen. Im Sinne der Media
Richness Theorie ist die Referenz die physische Begegnung von Angesicht zu Angesicht. Die
Leistungskraft einer Technologie ist also daran zu messen, inwieweit sie das Ziel und die dafür
notwendigen Voraussetzungen der Begegnung ersetzt.
So vermittelt wichtig bei komplexen Themen eine Videokonferenz reichhaltigere Informationen als
ein Telefonat, das wiederum informativer ist als etwa eine schriftliche Anweisung. Je mehr Sinne das
Medium anspricht, desto mehr Informationen werden transportiert und desto einfacher ist es, die
Situation, die Anweisung oder auch nur das Minenspiel des oder der anderen zu erkennen und richtig
zu interpretieren.
Besonders großes mediales Potential hat die perfekte Projektion: Alle Teilnehmenden eines Meetings
sitzen beispielsweise an einem gemeinsamen virtuellen Schreibtisch. Diese künstliche Situation
wurde bereits von Hewlett-Packard in einem Halo Collaboration Meeting Room mit hochwertigen
Audio- und Lichtsystemen sowie einer Dolmetscher-Software, die über 150 Sprachen beherrscht,
geschaffen. Was diese Telepräsenz im Vergleich zu einer realen Interaktion z.B. für ein
Mitarbeitergespräch leistet, ist für Weibler offen. Ebenso, ob sie nicht in einigen Jahren von
dreidimensionalen holografischen Abbildern von Gesprächspartnern überholt wird: Vermutlich wird
es sogar möglich sein, deren gefühlte Präsenz samt Emotionen und Stimmungen aufzunehmen.
Probleme bereitet es noch, Signale zu übermitteln, die durch Ertasten oder Riechen gewonnen
werden.
Die mit großen Schritten voranschreitende Weiterentwicklung von Augmented Reality-Anwendungen
wird auch die Führung beeinflussen. Tracking Devices stellen dem Mitarbeiter, ggf. aber auch der
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Organisation, Informationen zur Verfügung, wie die individuelle Leistung optimiert oder seine
Gesundheit geschützt werden kann.
So kann die persönliche Führung in unterschiedlichem Maß ersetzt werden. Weibler: Obwohl die
Technik noch nicht ausgereift ist, drängen sich sofort zahlreiche juristische und ethische Fragen auf,
zum Beispiel hinsichtlich datengestützter Kontrollmöglichkeit von oben .
Einfluss durch Abwesende
Seine Gedanken kreisen aber auch um das Heute: Chefs können, ohne anwesend zu sein, per
Smartphone oder Tablet Einfluss bei Meetings teilnehmen, indem sie Fragen über Anwesende
lancieren, Hintergrundinformationen liefern oder online entscheiden. Dies berühre massiv Fragen der
Delegation und der Verantwortlichkeit. Und: Kontrollfreaks bekommen neue Möglichkeiten.
Führende wie Geführte sind füreinander zunehmend rund um die Uhr erreichbar: Kürzer getaktete,
permanente und damit entgrenzte Kommunikation ist heute schon möglich! Beides hat Vor- und
Nachteile.
Ob es sich bei Digital Leadership tatsächlich um eine eigenständige Form der Führung oder nur um
bisherige Führung in einem neuen Gewand handelt, also besser als Führung in digitalen Umwelten zu
fassen wäre, ist für Weibler weiterhin eine heute noch nicht abschließend zu beantwortende Frage .
Viel wichtiger ist ihm: Wer es schafft, die analoge und raumgreifende digitale Welt miteinander zu
verzahnen, wird erfolgreichere Führungsbeziehungen entwickeln und nicht selbst durch Digitalisierung
entmachtet.
Herausforderungen für Wissenschaft
Für die Wissenschaft sieht Weibler die Aufgabe, Motive, Prozesse und Folgen dieser Art der Führung
empirisch zu untersuchen. Für Organisationen gilt bis auf weiteres Experimentieren und genau
hinschauen! Das ist sozusagen der Google Way nicht die schlechteste Adresse für Innovationen.
Und sich immer mal wieder die Frage zu stellen, was eine künstliche intelligente Macht, nämlich ein
Computer der kommenden Generationen, in einer virtuellen Führungsbeziehung mit Blick auf die
eigene Führungsriege nicht leisten könnte . Der Computer als Chef oder Chefin? Undenkbar?
Keinesfalls und schon gar nicht im Silicon Valley. Dann diskutieren wir die Entmachtungsfrage von
Führungskräften durch Maschinen und ihre Programme substantiell neu. Dies führt uns unweigerlich
zum Kern der Führung. Anfangen darf man natürlich schon jetzt.
https://idw-online.de/de/news658605
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