Führungskraft als Männer-Mythos

Artikel auch erschienen in: Iserlohner Kreisanzeiger
Westfalenpost vom 14.10.2016
Autor:
Harald Ries
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6
Mantel Wirtschaft
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WP Lennestadt/Kirchhundem
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Westfalenpost - Zeitung für Lennestadt und
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„Führungskraft als Männer-Mythos“
Warum Frauen bei der Karriere ausgebremst werden: Wirtschaftswissenschaftler Jürgen
Weibler über Helden, die Kraft historischer Modelle und die Quote
Von Autor: Harald Ries
Der unbedingte Wille ist bei Männern
etwas höher ausgeprägt, Frauen gewichHagen
ten Hemmnisse höher. Ich sehe grundsätzlich auch keine Notwendigkeit für
. Ein altes Thema ist zurück in der eine totale Gleichheit auf allen Ebenen.
öffentlichen Debatte: Sexismus. Ob in Aber dort, wo Frauen arbeiten, müssen
der Berliner CDU oder im US-Wahl- sie die gleichberechtigte Chance haben
kampf – der Umgang zwischen den aufzusteigen.
Geschlechtern prägt den Kampf um
Karrieren. Jürgen Weibler, Professor für Frage: Und das wird verhindert?
Betriebswirtschaf, insbes. Personalführung an der Fernuniversität Hagen, hat Antwort: Männer haben einen genderbesich mit der Führungssituation von zogenen Vorteil. Der besteht aus einem
Frauen in einem neuen E-Book („Frauen subtilen Geflecht an kulturell und histoals Fremdkörper im Management?“) risch verankerten, aber leider verzerrten
auseinandergesetzt. Ganz grundsätzlich. Modellen von Führung. Das speist sich
Und direkten, aggressiven Sexismus aus den großen Erzählungen, den Helsieht er dabei nur als einen Teil des Pro- denreisen in Märchen, Berichten von
blems.
Herrschergeschlechtern, Militärs und
Forschern und führt zur unterschwelliFrage: Haben wir denn überhaupt ein gen Vorstellung, dass nur dem Mann
Problem? Mit einer Bundeskanzlerin, einseitig zugeschriebene Fähigkeiten zur
Ministerpräsidentinnen und prominen- Ausübung von Führungspositionen tauten Unternehmerinnen?
gen. Dieser Mythos besitzt eine gewaltige Kraft. Führung ist deshalb vorwieAntwort: Jürgen Weibler: Diese Bei- gend männlich definiert. Das hat natürspiele sind nicht typisch. Frauen sind in lich auch sehr viel mit Machterhalt zu
Führungspositionen dramatisch unterre- tun.
präsentiert. „Frausein“ ist für den Aufstieg ins Topmanagement eine Risikoka- Frage: Dagegen kommen Frauen nicht
tegorie. In den 30 Dax-Unternehmen an?
sind alle Vorstandsvorsitzenden männlich. In MDax-, TecDax- oder SDax- Antwort: Sie erleben eine Diskrepanz
Unternehmen sieht es kaum besser aus. zwischen dem gesellschaftlich vermitWenn es weitergeht wie in den vergan- telten Frauenbild und dem erwarteten
genen zehn Jahren, dauert es noch 86 Führungsbild. Das zeigt die von mir
Jahre, bis genauso viele Frauen wie durchgeführte Studie mit zahlreichen
Männer im Vorstand der Top-200- Situationsbeschreibungen sehr anschauUnternehmen sitzen.
lich. Frauen müssen ständig ihre Leistungsfähigkeit beweisen, Männern wird
Frage: Vielleicht wollen Frauen weni- Potenzial unterstellt. Frauen sind
ger dringend Chef werden.
gezwungen, ihre Weiblichkeit in den
Hintergrund zu stellen, während MänAntwort: Die Grundbereitschaft zu füh- ner durch Körperpräsenz Kraft und
ren, differiert zwischen den Geschlech- Dominanz transportieren können.
tern empirischen Studien zufolge kaum.
Frage: Führen Frauen, wenn sie die
Chance bekommen, denn anders?
Antwort: Führungsstile differieren individuell unter Männern und Frauen stärker als zwischen den Geschlechtern.
Frauen sind automatisch keine besseren
Führungskräfte. Warum sollten sie es
sein?
Frage: Es gibt also keinen weiblichen
Führungsstil?
Antwort: Diese beliebte Aussage ist
Ausfluss von Geschlechterstereotypen
und aus wissenschaftlicher Sicht nicht
haltbar. Ob rein weibliche oder
gemischte Führungsteams erfolgreicher
sind als rein männliche, ist ohne gesicherten Beleg und nicht zu erwarten.
Abgesehen davon sollte ökonomische
Logik kein Ersatz für die gesetzliche
verankerte und moralische Forderung
nach Chancengleichheit sein.
Frage: Wie wäre Chancengleichheit
denn zu schaffen?
Antwort: Der Wunsch nach Teilzeit
oder flexibler Arbeitszeitgestaltung darf
nicht zu schlechteren Arbeitsbewertungen und zum Ausschluss von Führungspositionen führen. Frauen dürfen nicht
als „fremd“ oder „anders“ behandelt
werden. Spezielle Angebote für sie sind
faktisch kontraproduktiv. Hierzu gehört
auch die, wie ich sie nenne, Diversitätsfalle. Themen wie Familie, Kindererziehung oder Versorgung im Krankheitsfall sind strikt vom Thema Frauen zu
trennen. In Skandinavien funktioniert
das besser.
Frage: Was ist mit der Quote?
Antwort: Ich war lange skeptisch, aus
prinzipiellen Gründen. Aber wenn ich
mir die Historie anschaue und die heutige Situation, in der gleichtalentierte
Frauen überproportional nicht zum Zuge
kommen, scheint mir eine Gleichstellungsquote mit Augenmaß der richtige
Schritt. Ob es klug war, als ersten
Schritt die Aufsichtsräte ins Visier zu
nehmen, lasse ich hier dahingestellt.
Frage: Was heißt „mit Augenmaß“?
Antwort: Wenn in einem Unternehmen
15 Prozent Frauen arbeiten, müssten sie
selbst bei Wahrung strikter Chancengleichheit und unterstellter gleicher
Qualifikation nicht zwangsweise 50 Prozent der Leitungspositionen stellen.
Vielmehr muss der Ist-Anteil weiblicher Beschäftigter einer Ebene mit der
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Soll-Quote der darüber liegenden Karrierestufe im Kern korrespondieren.
Gleiche Qualifikationen vorausgesetzt.
Ausschläge sind temporär möglich, das
macht die Sache flexibler, in der Übergangszeit im Falle eines Nachholbedarfs wohl eher zugunsten von Frauen.
Falls, ich glaube das aber außerhalb von
Einzelfällen nicht, über geringere Einstellungsraten von Frauen das Modell
torpediert werden sollte, müssten Mindestquoten hinzutreten. Und die Quote
bräuchte nur vorübergehend gelten. Es
wird sich zeigen, dass eine veränderte
Situation mit der Zeit als normal erlebt
wird. Das ist die normative Kraft des
dann Faktischen. Natürlich könnte es
temporär neue Ungerechtigkeiten zulasten männlicher Bewerber geben. Doch
das ist eine ethische und politisch zu
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entscheidende Güterabwägung: Es sollte
nicht immer das gleiche Geschlecht
zurückstecken müssen.
Bild 1:
Eine starke Frau führt das Team? In der
Realität kommt das angesichts der vielen gut qualifizierten Frauen viel zu selten vor. Fernuni-Professor Jügen
Weibler hat die Gründe untersucht und
Rezepte zur Veränderung entwickelt.
Foto: imago/McPHOTO
Bild 2:
Jürgen Weibler
Foto: Fernuni