Artikel auch erschienen in: Iserlohner Kreisanzeiger Westfalenpost vom 14.10.2016 Autor: Harald Ries Ausgabe: Seite: Ressort: 6 Mantel Wirtschaft Gattung: Auflage: Rubrik: Weblink: WP Lennestadt/Kirchhundem http://www.funkemedien.de Reichweite: Westfalenpost - Zeitung für Lennestadt und Kirchhundem Tageszeitung 96.854 (gedruckt) 91.311 (verkauft) 92.495 (verbreitet) 0,28 (in Mio.) „Führungskraft als Männer-Mythos“ Warum Frauen bei der Karriere ausgebremst werden: Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Weibler über Helden, die Kraft historischer Modelle und die Quote Von Autor: Harald Ries Der unbedingte Wille ist bei Männern etwas höher ausgeprägt, Frauen gewichHagen ten Hemmnisse höher. Ich sehe grundsätzlich auch keine Notwendigkeit für . Ein altes Thema ist zurück in der eine totale Gleichheit auf allen Ebenen. öffentlichen Debatte: Sexismus. Ob in Aber dort, wo Frauen arbeiten, müssen der Berliner CDU oder im US-Wahl- sie die gleichberechtigte Chance haben kampf – der Umgang zwischen den aufzusteigen. Geschlechtern prägt den Kampf um Karrieren. Jürgen Weibler, Professor für Frage: Und das wird verhindert? Betriebswirtschaf, insbes. Personalführung an der Fernuniversität Hagen, hat Antwort: Männer haben einen genderbesich mit der Führungssituation von zogenen Vorteil. Der besteht aus einem Frauen in einem neuen E-Book („Frauen subtilen Geflecht an kulturell und histoals Fremdkörper im Management?“) risch verankerten, aber leider verzerrten auseinandergesetzt. Ganz grundsätzlich. Modellen von Führung. Das speist sich Und direkten, aggressiven Sexismus aus den großen Erzählungen, den Helsieht er dabei nur als einen Teil des Pro- denreisen in Märchen, Berichten von blems. Herrschergeschlechtern, Militärs und Forschern und führt zur unterschwelliFrage: Haben wir denn überhaupt ein gen Vorstellung, dass nur dem Mann Problem? Mit einer Bundeskanzlerin, einseitig zugeschriebene Fähigkeiten zur Ministerpräsidentinnen und prominen- Ausübung von Führungspositionen tauten Unternehmerinnen? gen. Dieser Mythos besitzt eine gewaltige Kraft. Führung ist deshalb vorwieAntwort: Jürgen Weibler: Diese Bei- gend männlich definiert. Das hat natürspiele sind nicht typisch. Frauen sind in lich auch sehr viel mit Machterhalt zu Führungspositionen dramatisch unterre- tun. präsentiert. „Frausein“ ist für den Aufstieg ins Topmanagement eine Risikoka- Frage: Dagegen kommen Frauen nicht tegorie. In den 30 Dax-Unternehmen an? sind alle Vorstandsvorsitzenden männlich. In MDax-, TecDax- oder SDax- Antwort: Sie erleben eine Diskrepanz Unternehmen sieht es kaum besser aus. zwischen dem gesellschaftlich vermitWenn es weitergeht wie in den vergan- telten Frauenbild und dem erwarteten genen zehn Jahren, dauert es noch 86 Führungsbild. Das zeigt die von mir Jahre, bis genauso viele Frauen wie durchgeführte Studie mit zahlreichen Männer im Vorstand der Top-200- Situationsbeschreibungen sehr anschauUnternehmen sitzen. lich. Frauen müssen ständig ihre Leistungsfähigkeit beweisen, Männern wird Frage: Vielleicht wollen Frauen weni- Potenzial unterstellt. Frauen sind ger dringend Chef werden. gezwungen, ihre Weiblichkeit in den Hintergrund zu stellen, während MänAntwort: Die Grundbereitschaft zu füh- ner durch Körperpräsenz Kraft und ren, differiert zwischen den Geschlech- Dominanz transportieren können. tern empirischen Studien zufolge kaum. Frage: Führen Frauen, wenn sie die Chance bekommen, denn anders? Antwort: Führungsstile differieren individuell unter Männern und Frauen stärker als zwischen den Geschlechtern. Frauen sind automatisch keine besseren Führungskräfte. Warum sollten sie es sein? Frage: Es gibt also keinen weiblichen Führungsstil? Antwort: Diese beliebte Aussage ist Ausfluss von Geschlechterstereotypen und aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar. Ob rein weibliche oder gemischte Führungsteams erfolgreicher sind als rein männliche, ist ohne gesicherten Beleg und nicht zu erwarten. Abgesehen davon sollte ökonomische Logik kein Ersatz für die gesetzliche verankerte und moralische Forderung nach Chancengleichheit sein. Frage: Wie wäre Chancengleichheit denn zu schaffen? Antwort: Der Wunsch nach Teilzeit oder flexibler Arbeitszeitgestaltung darf nicht zu schlechteren Arbeitsbewertungen und zum Ausschluss von Führungspositionen führen. Frauen dürfen nicht als „fremd“ oder „anders“ behandelt werden. Spezielle Angebote für sie sind faktisch kontraproduktiv. Hierzu gehört auch die, wie ich sie nenne, Diversitätsfalle. Themen wie Familie, Kindererziehung oder Versorgung im Krankheitsfall sind strikt vom Thema Frauen zu trennen. In Skandinavien funktioniert das besser. Frage: Was ist mit der Quote? Antwort: Ich war lange skeptisch, aus prinzipiellen Gründen. Aber wenn ich mir die Historie anschaue und die heutige Situation, in der gleichtalentierte Frauen überproportional nicht zum Zuge kommen, scheint mir eine Gleichstellungsquote mit Augenmaß der richtige Schritt. Ob es klug war, als ersten Schritt die Aufsichtsräte ins Visier zu nehmen, lasse ich hier dahingestellt. Frage: Was heißt „mit Augenmaß“? Antwort: Wenn in einem Unternehmen 15 Prozent Frauen arbeiten, müssten sie selbst bei Wahrung strikter Chancengleichheit und unterstellter gleicher Qualifikation nicht zwangsweise 50 Prozent der Leitungspositionen stellen. Vielmehr muss der Ist-Anteil weiblicher Beschäftigter einer Ebene mit der Wörter: Urheberinformation: © 2016 PMG Presse-Monitor GmbH Soll-Quote der darüber liegenden Karrierestufe im Kern korrespondieren. Gleiche Qualifikationen vorausgesetzt. Ausschläge sind temporär möglich, das macht die Sache flexibler, in der Übergangszeit im Falle eines Nachholbedarfs wohl eher zugunsten von Frauen. Falls, ich glaube das aber außerhalb von Einzelfällen nicht, über geringere Einstellungsraten von Frauen das Modell torpediert werden sollte, müssten Mindestquoten hinzutreten. Und die Quote bräuchte nur vorübergehend gelten. Es wird sich zeigen, dass eine veränderte Situation mit der Zeit als normal erlebt wird. Das ist die normative Kraft des dann Faktischen. Natürlich könnte es temporär neue Ungerechtigkeiten zulasten männlicher Bewerber geben. Doch das ist eine ethische und politisch zu 783 FUNKE MEDIENGRUPPE GmbH & Co. KGaA entscheidende Güterabwägung: Es sollte nicht immer das gleiche Geschlecht zurückstecken müssen. Bild 1: Eine starke Frau führt das Team? In der Realität kommt das angesichts der vielen gut qualifizierten Frauen viel zu selten vor. Fernuni-Professor Jügen Weibler hat die Gründe untersucht und Rezepte zur Veränderung entwickelt. Foto: imago/McPHOTO Bild 2: Jürgen Weibler Foto: Fernuni
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