Geringes Risiko, elementare Fragen

POLITIK
NICHTINVASIVE PRÄNATALDIAGNOSTIK
Geringes Risiko,
elementare Fragen
Der Druck, ein gesundes Kind zu gebären, werde sich
erhöhen, wenn pränatale Bluttests von den Kassen
finanzierte Routineleistungen werden, fürchten Kritiker.
s war bemerkenswert, als
vor gut einem Jahr – erstmals nach 25 Jahren – Abgeordnete aller Bundestagsfraktionen eine gemeinsame, interfraktionelle „Kleine Anfrage“ an die
Bundesregierung richteten. Darin
lenkten sie den Fokus auf eine Entwicklung in der Pränataldiagnostik:
Die breite Anwendung eines Bluttests auf eine Trisomie 21. Sie
befürchteten, dass die Möglichkeit
für Schwangere, früh und risikoarm
das Vorliegen von genetischen Veränderungen beim ungeborenen Kind
zu testen, die gesellschaftliche Erwartung erzeugen könnte, diese Angebote regelhaft zu nutzen. Der
Deutsche Ethikrat hatte in seiner
Stellungnahme „Die Zukunft der
genetischen Diagnostik“ bereits vor
drei Jahren auf diese mögliche Entwicklung aufmerksam gemacht.
Dieser Tage haben sich nun erneut Parlamentarier aller Bundestagfraktionen, darunter Hubert
Hüppe (CDU), Dagmar Schmidt
(SPD), Corinna Rüffer (Bündnis
90/Die Grünen) und Kathrin Vogler
(Die Linke), mit einem Schreiben
an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gewandt. Sie warnen davor, pränatale Bluttests auf
Trisomie 21 zur regulären Kassenleistung zu machen, da diese ausschließlich dazu dienten, nach einer
Trisomie zu suchen, aber „keinerlei
medizinischen Nutzen“ hätten.
Hintergrund für ihren Einwand
ist die wachsende Sorge, dass Eltern, die sich gegen den Test oder
wissentlich für ein behindertes
Foto: dpa
E
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 35–36 | 5. September 2016
Kind entscheiden, künftig immer mehr in Erklärungsnöte geraten
könnten. Denn am 18.
August gab der G-BA
bekannt, dass er die
nichtinvasive Pränataldiagnostik (NIPD) zur
Bestimmung des Risikos von fetaler Trisomie 13, 18 und 21 mittels
molekulargenetischer Tests bei Risikoschwangerschaften einer Methodenbewertung unterziehen wird.
Mit dem Bewertungsverfahren soll
in den nächsten drei Jahren geprüft
werden, ob und wie im Vergleich zu
den bisher im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
zu erbringenden invasiven Untersuchungen – wie die der invasiven
Chorionzottenbiopsie und der Amniozentese – ein nichtinvasiver molekulargenetischer Test (wie beispielsweise der PraenaTest®) eingesetzt werden kann.
Kein „normales“ Verfahren
Dem G-BA ist jedoch offensichtlich bewusst, dass es sich bei dem
anstehenden Verfahren nicht um
eine „normale“ Methodenbewertung allein auf Basis der medizinisch-wissenschaftlichen Evidenz
handelt. Das Gremium forderte
angesichts des „sehr sensiblen“
Themas eine zeitgleiche, breite gesellschaftliche Debatte. „Bereits
mit Einleitung des Erprobungsverfahrens auf Antrag des Herstellers
eines molekulargenetischen Tests
war man sich der Tatsache bewusst, dass dieses Verfahren
neben den standardmäßig zu prüfenden medizinischen Gesichtspunkten in besonderer Weise funda-
mentale ethische Fragestellungen
berührt“, sagte der unparteiische
G-BA-Vorsitzende Prof. Josef Hecken. Er stellte zudem klar, dass der
G-BA die Methodenbewertung im
Rahmen seiner gesetzlichen Verpflichtungen durchführen müsse
und forderte den Gesetzgeber
auf, parallel im Parlament über die
ethischen Fragen und Regularien zu
beraten.
„Die Diskussion im G-BA kann
eine gesellschaftliche Debatte nicht
ersetzen. Diese muss auf breiter Basis geführt werden“, betonte auch
Dr. med. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.
Seit 2012 sind die NIPD-Tests
bereits als Selbstzahlerleistung
(400 bis 900 Euro) auf dem
Markt. Neben den elementaren
gesellschaftlichen und medizinethischen Fragen müssen somit
dringend auch Haftungsaspekte
bedacht werden. Ein Arzt, der es
bei einer Risikoschwangerschaft
unterlasse, grundlegend aufzuklären, könne möglicherweise schadenersatzpflichtig werden, so Hecken. Gemäß § 10 Gendiagnostikgesetz müssen Schwangere vor
der Diagnostik durch Fachärzte
für Humangenetik oder Ärztinnen
und Ärzte, die sich beim Erwerb
einer Facharzt-, Schwerpunktoder Zusatzbezeichnung für genetische Untersuchungen qualifiziert
haben, ergebnisoffen humangenetisch beraten werden. Hecken regte ein strukturiertes Beratungsverfahren an und möchte in die Debatte auch den Deutschen Ethikrat
▄
einbeziehen.
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
A 1519