Lebenszeichen vom 21.08.2016

Den Boten töten- über Propheten und andere
Überbringer schlechter Nachrichten
Von Ulrike Burgwinkel
Lebenszeichen
21.08.2016
Zitator:
Der strahlende Gott Apollon war in die sterbliche Koronis verliebt. Da er nicht immer zugegen sein
konnte, ließ er einen Raben mit weißem Gefieder und wohlklingendem Gesang als Bewacher ihrer
Tugend und Beschützer zurück. Koronis allerdings verband sich mit König Ischys, den sie liebte. Der
Vogel bekam das mit, hob ab, flog zu Apollon und berichtete. Dieser geriet darüber in große Wut und
er bestrafte den Boten: er schwärzte sein Gefieder und verwandelte die wundervolle Singstimme in
ein heiseres Krächzen.
Sprecherin:
Geboren war der Unglücksrabe, der Klassiker unter den Boten mit der schlechten Nachricht. Der
Bote, der sofort greifbar ist und ausbaden muss, was vermutlich Koronis und ihrem Liebhaber später
auch noch bevorsteht. Die Legende geht sogar einen Schritt weiter. Sie hat sich fast schon als
Volksweisheit etabliert: kill the messenger, Tötet den Boten! Es ist ja auch zutiefst menschlich, dass
man Demjenigen, der Einem eine wirklich schlechte Nachricht überbringt, nicht sehr zugeneigt ist,
ihm möglicherweise sogar am liebsten den Hals umdrehen möchte. Impulskontrolle wäre in diesem
Fall das Zauberwort. Immer wieder ist zu hören, im antiken Griechenland seien die Boten geköpft
worden – historisch belegen lässt es sich nicht. Ein solches Verhalten wäre auch ziemlich unklug
gewesen; denn es hätte einen extremen Mangel an Freiwilligen nach sich gezogen.
Zitator:
Ihr nun, das gegenwärtige Geschlecht, schaut auf das Wort des Herrn! Bin ich denn für Israel eine
Wüste geworden oder ein finsteres Land? Warum sagt mein Volk: wir wollen frei umher schweifen
wir kommen nicht mehr zu dir. Sogar an Verbrechen hast du dein Verhalten gewöhnt. Jeremia,
Zweites Kapitel
O-Ton Gabi Kern:
Jeremia hatte ein sehr buntes und bewegtes Leben. Er ist sehr jung zum Propheten berufen
worden, stammt aus einer Priesterfamilie und hat aber ehe-und kinderlos gelebt, um zu
zeigen, dass es sich angesichts des nahenden Gerichts alles nicht mehr lohnt und sein Leben
sollte ein Zeichen sein des kommenden Untergangs.
Sprecherin:
Gabi Kern, Pastorin in Herford und Lehrbeauftragte für Altes Testament an der Uni Bielefeld.
Jeremia lebte im 7. Und zu Beginn des 6. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung in Jerusalem.
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
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Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch
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Den Boten töten- über Propheten und andere Überbringer schlechter Nachrichten
Von Ulrike Burgwinkel
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21.08.2016
O-Ton Gabi Kern:
Er selbst wusste sich als Gerichtsprophet beauftragt, das heißt, dass er seinem Volk das
totale Vernichtungsgericht ansagen musste und das war auch sein Dilemma, weil als Prophet
er von seinem Selbstverständnis natürlich auch eher um die Umkehr noch gerungen hat
seines Volkes.
Sprecherin:
Das sogenannte „Glaubwürdigkeitsdilemma“, so Gabi Kern: Der Prophet kündet vom Untergang,
damit die Gläubigen auf den Pfad der Tugend zurückfinden, ein pädagogisch lobenswertes Ziel. Tun
sie das dann tatsächlich, ist der Untergang zwar abgewendet, aber der Prophet hat an
Glaubwürdigkeit verloren. Diese Prophetenzwickmühle machte auch Jeremia zu schaffen.
Zitator:
Jene sagen zu mir: wo bleibt denn das Wort des Herrn? Soll es doch eintreffen! Bring über sie den
Tag des Unheils, zerbrich sie im Verdienten Zusammenbruch! Jeremia, Kapitel 17
Sprecherin:
Der Tag des Unheils kommt, wenn die gelbe Karte als Warnschuss wirkungslos war.
O-Ton Gabi Kern:
Die rote Karte ist konkret gezogen worden zum Beispiel mit dem Untergang der beiden
Teilreiche. 722 ist das Nordreich untergegangen, trotz der Warnung der Propheten, da haben
die Assyrer die Oberherrschaft gewonnen und das Nordreich Israel ist untergegangen. Einige
Jahrzehnte später dann 587 ging es dem Südreich, Juda, ebenso. Das Ende der
Eigenstaatlichkeit, der Verlust des Landes, der Tempel war zerstört, die Monarchie vorläufig
beendet, ohne Aussicht wie’s genau weitergehen sollte. Das heißt Israel, das Volk war
erstmal wieder ja quasi auf die Anfänge zurückgesetzt.
Sprecherin:
Beliebt beim Empfänger der Botschaft waren und sind die Überbringer der minderguten Nachrichten
nie. Doch nicht nur die Glaubens-Abtrünnigen, auch die politische Führungselite war nicht gut auf die
Unglücksboten zu sprechen. Ab dem 8. Jahrhundert mischten sich Propheten verstärkt in politische
Angelegenheiten ein. Gabi Kern.
O-Ton Gabi Kern:
Das kann in den unterschiedlichsten Bereichen sein. Im Kult, in der Außen-und Innenpolitik, in
sozialen Missständen. Also Menschen, die im Namen Gottes auf die Straße gehen und ihre
Augen nicht verschließen wollen, ihren Mund nicht verschließen wollen und anprangern, was
aus ihrer Sicht im Namen Jahwes, im Namen des israelitischen Gottes da falsch läuft.
Sprecherin:
Das passte logischerweise den Herrschenden gar nicht ins Programm. Und so versuchten sie mit
aller Macht, die Propheten mundtot zu machen.
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O-Ton Gabi Kern:
Dazu gehört zum Beispiel, dass die Schriftrolle, auf der seine Worte verzeichnet war,
demonstrativ Stück für Stück verbrannt wurde, weil man hoffte, sich damit auch der Botschaft
entledigen zu können. Jeremiah selbst wurde mehrfach inhaftiert, gefangen gesetzt, sowieso
war er beim Volk sehr unbeliebt und es sind Überlieferungen da von Folterungen,
Gefangensetzungen und auch die eines Kollegen Uriah, das ist eine der Randgestalten, die
auch vom König getötet wurden. Amos zb wurde aus seinem Kultort, aus Bethel,
ausgewiesen, Hosea hat man für verrückt erklärt, Jesaia wurde als ein Hochverräter
verdächtigt.
und Jeremia wurde von den königlichen Häschern verfolgt, von der
Tempelpolizei gefoltert, seine Botschaft wurde verbrannt und er selbst mehrfach gefangen
gesetzt.
Sprecherin:
Kein erstrebenswerter Zustand der „Berufenen“, trotzdem gehen sie das Risiko ein.
O-Ton Gabi Kern:
Das Berufungserlebnis ist wie bei allen Propheten ausgehend von einer Erfahrung, dass sich
dieser Mensch persönlich von Gott, dem israelitischen Gott, in Dienst genommen weiß und es
auch selbst so erlebte, dass er gar keine Chance hat, dem Auftrag zu entkommen. Die
Propheten in ihren Berufungsberichten wehren sich auch oft und sagen: ich bin noch zu jung,
oder ich bin sprachlich nicht begabt genug, ich kann nicht überzeugend genug auftreten.
Sprecherin:
Entgehen konnten sie ihrem Schicksal dennoch nicht.
O-Ton Frank Spinnraths:
Bin seit 26 Jahren bei der Polizei und ich glaube, alles erlebt zu haben, vom Tötungsdelikt
über Verkehrsunfälle mit verletzten und schwerverletzten Menschen, darunter auch Kindern,
aber das, was mir bis heute am schwersten fällt, und was ich am allerschlimmsten finde, ist
das Überbringen von Todesnachrichten.
Sprecherin:
Frank Spinnraths, Polizeihauptkommissar und stellvertretender Dienststellenleiter der Altstadtwache
in Düsseldorf. Für „Tatort“-Kommissare hegt er generell keine Sympathie, um es höflich
auszudrücken, und deren Art, schlechte Nachrichten zu überbringen: Blödsinn.
Mit der Realität und seinen Erfahrungen hat das nichts zu tun. Da gibt es genaue Regeln, zum
Beispiel ist er nie allein, ein Seelsorger ist immer mit dabei.
O-Ton Frank Spinnraths:
Die allgemeine Regel ist, dass auf jeden Fall sofort die Botschaft kommt, auch die klare
Aussage, das ist ganz wichtig. Kein Rumdrucksen, sondern die klare Aussage: der Mensch ist
tot. Und die 2. wichtige Regel ist: das sagt auch die Polizei, das sagt nie der Seelsorger. Der
Polizeibeamte ist der Überbringer dieser Nachricht und er ist auch der Adressat für die
weiteren Fragen. Und erst im weiteren Verlauf des Gesprächs, wenn ich als Polizeibeamter
das Gefühl habe, dass meine Funktion:
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„Polizei übermittelt die Nachricht eines zu Tode gekommenen Menschen“, erledigt ist,
sozusagen, dann versuche ich, das Gespräch in die Hände des Seelsorgers zu legen, der
dann auch bleiben kann. Die Zeit habe ich ja gar nicht, ich muss ja weiter, da warten andere
Einsätze auf mich.
Sprecherin:
Die „weiteren Fragen“ sind typisch und kommen immer vor: Musste mein Mann leiden? Wie genau
ist das passiert? Kann ich ihn noch einmal sehen? Alle 3 sind vermintes Gelände: weil man nicht
wissen kann, ob der Verstorbene leiden musste, weil nur die Staatsanwaltschaft Details herausgeben
darf und weil manchmal der Tote nicht mehr als der geliebte Mensch zu erkennen ist.
Sprecher:
Die Nachfragen mögen immer die gleichen sein, die Reaktionen der Hinterbliebenen auf die
Todesnachricht fallen hingegen sehr unterschiedlich aus.
O-Ton Frank Spinnraths:
Ich kann mich an eine ältere Dame erinnern, der ich sagen musste, dass ihre Tochter, eine
junge Frau, in Köln verstorben ist, die in meinem Arm zusammenbrach und dann auf mich
einschlug. Nicht feste, aber an mir riss und auf mich einschlug und sagte: wie können Sie mir
mein Kind nehmen. Ich kann mich an eine Dame erinnern, deren Ehemann bei einem
Verkehrsunfall ums Leben kam, die die Tür öffnete und sagte: mein Mann ist tot. Da hatte ich
noch gar nichts gesagt, die war sehr gefasst, die war ganz ruhig, ganz gelassen, da kam
dann erst im späteren Verlauf des Gesprächs die Trauer, die sie dann auch irgendwann
zugelassen hat. Am Anfang war sie sehr kontrolliert, sehr bei der Sache. Aber da gibt’s die
unterschiedlichsten Reaktionen.
Sprecherin:
Nicht jeder im Polizeidienst ist als Bote mit einer solchen Aufgabe geeignet, und kaum jemand
möchte das wirklich machen: den Angehörigen die schreckliche Wahrheit ins Gesicht sagen von
Unfalltod, Mord oder Totschlag. Da gehört Mut dazu, möglicherweise hilft eine religiöse
Lebenseinstellung. Auf jeden Fall aber ist eine Zusatz-oder Weiterbildung sinnvoll, das hat
mittlerweile auch die Polizei erkannt
O-Ton Frank Spinnraths:
Als ich meine Ausbildung hatte – schon ein paar Jahre her, 28, um genau zu sein- da gab es
dafür noch kein Seminar. Da wurden wir ins kalte Wasser geworfen. Ich verlasse mich da in
der Regel auf meine Menschenkenntnis und ich hoffe immer sehr, dass die Situation
irgendwie zu meistern ist, dass wir das irgendwie in den Griff bekommen und ich habe ja
immer auch einen Seelsorger oder eine Seelsorgerin dabei, der sich dann um den
Adressaten der Nachricht kümmert.
Sprecherin:
Ganz ähnlich ergeht es den Medizinern: Ärzte müssen ebenfalls oft schlechte Nachrichten
überbringen. Meist aber ohne Seelsorger. Heute gibt es in den meisten Unis Ethik- und
Kommunikationsseminare für die Studenten, Schauspieler übernehmen die Patientenrolle und
anschließend wird über das Vorgehen gesprochen, wie hier in Tübingen.
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Sprecher:
Als Andreas Knoblich, heute Chirurg am Bonner Marienhospital, studierte, in den 80er Jahren, war
das noch nicht üblich. Auch er wurde ins kalte Wasser geworfen. Mittlerweile hat er sich längst
freigeschwommen, wie der Boten-Kollege von der Polizei.
O-Ton Andreas Knoblich:
Grundsätzlich muss man, um eine unangenehme Nachricht überbringen zu können, sich ein
bisschen Zeit lassen. Es soll, wenn es irgend geht, vermieden werden, schlechte Nachrichten
einfach nur per Telefon zu übermitteln. Ein direktes Gespräch mit dem Patienten ist dafür
wichtig und nach Möglichkeit auch nicht so husch husch im Rahmen der Visite, die
Information rüberbringen, sondern sich eben separat noch mal mit dem Patienten
zusammensetzen und ihn mit den nötigen Informationen zu versorgen. Im Gespräch Pausen
lassen, damit das Gehörte auch erstmal sacken kann und für Nachfragen zum gleichen
Zeitpunkt oder auch später bereitstehen.
Sprecherin:
Arztserien, Dauerbrenner im deutschen TV, liefern ebenso wie Krimis reichlich Anschauungsmaterial
zum Umgang mit schlechten Nachrichten. Was in der Fiktion zählt, ist Drama, in der Realität
vermeidet man dieses eher. Doch auch reale Ärzte beschränken sich nicht auf die nackte
Information.
O-Ton Andreas Knoblich:
Wir sind ja keine Mechaniker, auch wenn man als Chirurg in diese Ecke gedrängt werden
kann. Wir versuchen schon nach Möglichkeit, Augenkontakt zu halten.
Ob der Patient eine körperliche Berührung, dass man einfach ihn an der Hand nimmt oder
die Hand auf den Arm legt oder den Arm mal um die Schulter legt oder so, ob er das wünscht,
das muss man versuchen, in der Interaktion herauszubekommen. Manche Patienten igeln
sich ja, wenn sie solche Informationen das erste Mal bekommen, zunächst mal völlig ein und
wollen das erstmal für sich verarbeiten und andere sind froh, wenn sie einen möglichst
unmittelbaren Kontakt zu ihrer Umwelt haben und wenn keine Angehörigen bei dem
Gespräch dabei sind, die Trost spenden können, dann kann das schon der Überbringer der
Nachricht, in diesem Fall der Arzt machen müssen.
Sprecherin:
Bestimmte immer wiederkehrende Fragen kann Andreas Knoblich nicht beantworten: wie lange habe
ich noch zu leben? Wird die Therapie helfen, den Krebs zu besiegen? Warum gerade ich? Einige
dieser Fragen übernimmt ein Seelsorger. Der behandelnde Arzt ist aber, wie der Polizeibeamte auch,
der Überbringer der schlechten Nachricht, bekommt die direkte Rückmeldung.
O-Ton Andreas Knoblich:
Andere versuchen, das Gehörte zu rationalisieren, stellen gegebenenfalls Nachfragen: ja,
was wäre der nächste Schritt, was muss operiert werden, was für funktionelle Folgen hätte
die Operation. Andere fangen an zu weinen, auch da muss man drauf reagieren, das kann
dann durchaus eine Situation sein, in der man versucht, durch Körperkontakt etwas Trost zu
spenden. Das Spektrum der möglichen Reaktionen ist da wahnsinnig groß.
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Den Boten töten- über Propheten und andere Überbringer schlechter Nachrichten
Von Ulrike Burgwinkel
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Je gefasster der Patient die Nachricht aufnimmt, umso besser kann man die Situation als
Nachrichtenüberbringer bewältigen und je jünger der Patient ist, je schlechter die Prognose,
umso mehr belastet es einen natürlich auch.
Sprecherin:
Im Krankenhaus die schlechte Nachricht zu überbringen, mag extrem belastend sein, doch
Racheakte oder Schlimmeres müssen die Ärzte nicht befürchten. Damit sie die Belastung nicht mit
nach Hause nehmen, können sie Supervision in Anspruch nehmen.
Sprecher:
Trotzdem und auf jeden Fall sollten Boten ein solches Gespräch über Leben und Tod nur von
Angesicht zu Angesicht führen. Telefon oder Internet zu benutzen, ist ein Ding der Unmöglichkeit,
das wird soweit jeder einsehen. In anderen Fällen bieten die digitalen Kommunikationskanäle
Ausweichmöglichkeiten. Für Feiglinge. Für ein Beziehungs-Aus zum Beispiel braucht es noch nicht
einmal 140 Zeichen. Und dem Handy zürnt man nur kurz: in die Ecke pfeffern oder draufbeißen
vielleicht.
Zitator:
Sorry, das war’s mit uns. Over and out. Du bist wirklich eine tolle Frau, aber es geht einfach nicht
mehr. Ich brauche ein Auszeit. Ruf mich nicht an! Mit uns das war ein fataler Irrtum, das konnte nicht
funktionieren./ Es ist vorbei, tut mir leid, viel Glück!
Sprecherin:
Netiquette sowie diverse Anleitungen zum Schlussmachen von Youtubern und in der altbewährten
„Bravo“ propagieren mittlerweile aber eher das liebe-und verständnisvolle Gespräch. Die smsSchlussmacherei muss ein Ende haben!
Sprecher:
Job-Kündigungen per SMS sind nicht die Regel, da braucht es mehr als 140 Zeichen: eine E-Mail
oder sicherheitshalber ein Einschreiben mit der Post. Entlassungen sind natürlich eher unbeliebte
Gesprächsanlässe, selbst wenn man sie „Freistellungsgespräche“ nennt.
Sprecherin:
Große Firmen können sich einen Rausschmeißer leisten, kleinere müssen das selbst erledigen, und
wirklich gern macht das noch nicht einmal der üble Büromensch Stromberg aus der gleichnamigen
TV-Serie. Immer wieder passiert es, dass Sachbearbeiter in der Jobvermittlung verbal bedroht oder
sogar tätlich angegriffen werden, wenn sie ihren „Kunden“ mal wieder keinen Job anbieten können
oder eine Kürzung der Bezüge ankündigen müssen.
Sprecher:
Auge in Auge, von Angesicht zu Angesicht oder heutiger: face-to-face ist das Überbringen schlechter
Nachrichten eine diffizile und herausfordernde Angelegenheit. Etwas Einfühlungsvermögen schadet
nicht. Zuviel Empathie oder Mitleiden hingegen gefährdet das seelische Wohl des Überbringers –
und ändert letztlich nichts an der Qualität der Nachricht: die ist und bleibt ganz einfach schlecht für
den Empfänger.
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Sprecherin:
In der Schule geht es zwar nicht um Leben oder Tod, selbst wenn es mitunter den Anschein hat,
blutiger Ernst ist aber schon im Spiel. Lehrerinnen und Lehrer müssen oft als Sündenbock herhalten.
O-Ton Heide Ruhnau:
Ich glaube, dass Eltern in ihre Schranken verwiesen werden müssten von Seiten der Schule,
und da wäre es sehr vernünftig, das Kind in den Blick zu nehmen und nicht nur die Leistung.
Das gilt für die Lehrer und das gilt für die Eltern. Eltern müssen sich nicht einen
Rechtsbeistand holen, sondern sie sollen sich die Zeit für Gespräche mit ihren Kindern
nehmen, um diese Dinge zu klären.
Sprecherin:
Heide Ruhnau, mittlerweile pensionierte Grundschullehrerin, hat nur selten Erfahrungen mit
renitenten Eltern machen müssen. Sie führt das zurück auf ihre Art von De-Eskalationsstrategie.
O-Ton Heide Ruhnau:
Sagen wir mal, ich würde eine Nachricht überbringen: ihr Kind entspricht nicht meinen
Erwartungen, entspricht nicht Ihren Erwartungen, dann heißt das doch, wir haben vielleicht
ein bisschen zu viel Zeit vertan und es wäre doch eigentlich sehr vernünftig, wenn die Lehrer
sich so verhalten und durch ihre Offenheit und ihre Gespräche die Eltern informieren über den
Stand der Kinder und dadurch gar nicht diese unheilvollen Überbringer irgendwelcher
Nachrichten sind. Da habe ich bisher keine ganz schlechten Erfahrungen gemacht, weil ich
hoffe, dass ich das früh genug angebahnt habe, das Gespräch und von daher wird es auch
kein böses Erwachen bei den Eltern geben.
Sprecherin:
Im schwierigen Fahrwasser ist diplomatisches Geschick vonnöten, wirklich voraussagen lässt sich
Schulerfolg nicht, und mit einem guten Leben hat dieser sowieso wenig zu tun. Und trotzdem geht für
manche „Helikoptereltern“ die Welt unter, wenn ihr Kind keine Gymnasialempfehlung bekommt.
O-Ton Heide Ruhnau:
Es erweisen sich ja auch bei den Schülerinnen und Schülern Entwicklungen, in denen wir
nicht drinstecken, und die wir auch nicht vorhersagen können. Ich habe versucht, die ganz
negativen Dinge rauszuhalten und die Eltern insofern mit ins Boot zu nehmen, damit sie
verstehen, was ihr Kind betrifft und was auch den Leistungsanspruch der Schule betrifft.
Sprecherin:
Große Strategie-Künstler beim Überbringen schlechter Nachrichten sind Pressesprecher. Wie
verkauft man Steuerhöhungen an die Wähler? Wie den Erhalt von Militärforschungsgeldern an die
Öffentlichkeit? Wie Super-Boni für Vorstandsmitglieder oder auch ständige Zugverspätungen?
Pressesprecher müssen frühzeitig lernen, Nebelkerzen zu zünden, der Wahrheit ein schickes
Mäntelchen umzuhängen, kurz: schlechte Nachrichten möglichst gut rüberzubringen.
Sprecher:
Anders als beim interessegeleitete Überbringen von schlechten Nachrichten durch
arbeitgeberabhängige Sprecher sind Medien aufgefordert, die Öffentlichkeit „objektiv“ zu informieren.
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Die so genannte vierte Gewalt soll kontrollieren und aufklären, so der Anspruch. Und überbringt
zumeist schlechte Nachrichten.
O-Ton Bernhard Pörksen:
Medien verbreiten schlechte Nachrichten. Man kann sagen: schlechte Nachrichten sind für
das Mediensystem gute Nachrichten, bad news are good news.
Sprecherin:
Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler an der Uni Tübingen
O-Ton Bernhard Pörksen:
Menschen interessieren sich für, Medien interessieren sich für das Abweichende, für die
Negativität, in jedem Fall für den Extremwert. Aber es gibt natürlich eine Tendenz gerade in
Zeiten sinkender Glaubwürdigkeit, in Zeiten der Medienkritik, in Zeiten einer Debatte über die
Objektivität und Wahrheitsfähigkeit von Medien, Medien pauschal zu verdächtigen und ihnen
vorzuwerfen, sie brächten ja nur schlechte Nachrichten, sie verzerrten die Wirklichkeit.
Sprecherin:
Viele machen die Presse zum Sündenbock. Da kommt wieder die Bestrafung des Boten für eine
Botschaft ins Spiel.
O-Ton Bernhard Pörksen:
Die Überbringer schlechter Nachrichten sind in besonderer Weise gefährdet, warum ist das
so? Na gut, man möchte ja die Bosheit der Botschaft oder ihre diffamierende Aura in
irgendeiner Form abwehren. Aber was tut man dann mit dem Botschafter? Man diskreditiert
ihn, man betreibt Rufmord, man verdächtigt ihn, er sei nicht objektiv, er diene nicht der
Wahrheit, sondern fremden manipulativen Interessen.
Sprecherin:
Sicher sind Medien große Beeinflussungsapparate, mitunter skandalisieren sie und sie vertreten
Meinungen. Die Zeiten, in denen man den Tagesschau- Sprecher Karl-Heinz Köpcke für den
Pressesprecher der Regierung hätte halten können, sind längst vorbei. Für Politiker und
Politsprecher existiert eine Authentizitäts-und Klartextfalle, ein klassisches Dilemma.
O-Ton Bernhard Pörksen:
Politik soll klar sprechen, aber wenn sie es tut, wird sie angegriffen. Das wissen natürlich
Politiker, das wissen Politsprecher. Also flüchten sie sich hinter eine Fassadensprache, hinter
eine unangreifbare Sprache, um irgendwie ein Thema, das unangenehm ist, zu entsorgen.
Sprecherin:
Die Medienvertreter fassen natürlich nach, das ist ihre Aufgabe. Sie attackieren die
Fassadensprache und werden dann wahlweise als larmoyant, negativistisch, verräterisch oder
narzisstisch angegriffen. Sie müssen als Sündenbock herhalten. Abhilfe schafft der Bürger als
Journalist: der Blogger, Tweeter, Youtuber. Es wird „geleaked“ und „geliked“ tausendfach.
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Da sieht Bernhard Pörksen ein großes Wachstumspotential. Im Kampf um das knappe Gut
Aufmerksamkeit, das sich möglichst in klingende Münze verwandeln soll, in Wählerstimmen oder
Konsum, steht der „citizen journalism“ gut da.
O-Ton Bernhard Pörksen:
Er wird sich weiter ausdifferenzieren, professionalisieren. Es wird die Stars geben, es wird die
Sternchen geben. Aus meiner Sicht schiebtsich heute neben die 4. Gewalt des klassischen
Journalismus die 5. Gewalt der vernetzten Vielen. Diese vernetzten Vielen recherchieren
selbst, sie setzen ihre eigenen Themen, sie bestimmen zunehmend das Tempo der
klassischen Berichterstattung, sie beherrschen aber auch das grausame Mobbingspektakel.
Dies sind Rollenmuster und Aktionsmuster der vernetzten Vielen, die im digitalen Zeitalter zur
5. Gewalt geworden sind.
O-Ton Dr. Andreas Knoblich:
Wenn man eine gute Nachricht überbringen kann, ist das –wie soll ich sagen – die
Entschädigung für die schlechten, bzw. die emotionale Reaktion des Patienten ist das, was
entschädigt, zu sagen, dass das Ganze vielleicht ein bösartiger Tumor ist, aber es eben ganz
früh festgestellt wurde, dass alle zusätzlichen Informationen, die der Pathologe liefern kann,
darauf hindeuten, dass eine Streuung nicht zu erwarten ist, das sind natürlich dann die
Informationen, die den Patienten freuen oder noch günstiger, dass eben der initial vermutete
Krebsverdacht sich bei der pathologischen Untersuchung nicht bestätigt hat.
O-Ton Gabi Kern:
Zum Glück gibt es in der Bibel und auch in der alttestamentlichen Prophetie zahlreiche frohe
Botschaften und auch die Gerichtsprophetie zielt doch letzten Endes immer wieder dahin,
dass Gott das Heil mit seinen Menschen auch durchsetzen möchte, auch wenn die Menschen
es ihm oft genug auch sehr schwer machen.
O-Ton Frank Spinnraths:
In der Regel ist ja, wenn irgendwas gut läuft, die Polizei nicht erforderlich. Aber, ich hab es
tatsächlich mal erlebt, dass in Düsseldorf das Verkehrschaos ausbrach und eine Dame mich
ansprach, dass ihre Tochter gerade auf dem Rücksitz des Autos dabei ist, ein Kind auf die
Welt zu bringen und ich überlegte, ob ich einen Rettungswagen rufen soll oder ob ich – ich
war damals noch Motorradfahrer bei der Polizei – das Auto mit Blaulicht und Martinshorn in
die nächste Klinik lotsen soll, das habe ich dann auch gemacht und wir waren kaum in der
Klinik angekommen, da kam das kleine Mädchen zur Welt. Und das war ein schönes
Erlebnis, vergleichbar mit einer schönen Nachricht.
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