SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 18.08.1962: Francois Truffaut interviewt Alfred Hitchcock Von Stephan Krass Sendung: 18.08.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autor: Die Leitfrage des mehrtägigen Gesprächsmarathons zwischen dem Altmeister des „Suspense" Alfred Hitchcock und dem Shooting Star des jungen französischen Kinos Francois Truffaut hat längst Kultstatus erlangt. „Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock?" fragte Truffaut in diesem auf 50 Stunden und 500 Fragen angelegten Interview ganz einfach, und nirgendwo sonst hat Hitchcock über die Betriebsgeheimnisse seiner Filmkunst mehr verraten als in diesem Gespräch. Mit der Akribie eines Sammlers verpflichtete der damals 30jährige Francois Truffaut den von ihm verehrten 63jährigen Alfred Hitchcock auf ein strikt chronologisches Procedere, in dem auf der Basis von Standardfragen Film für Film abgehandelt wurde. Beide waren klug genug zu wissen, dass in den Brechungen dieser Regel, in den Assoziationen und Abschweifungen, der besondere Reiz dieses Verfahrens liegt. „Wie Ödipus das Orakel" habe er ihn befragen wollen, hatte Truffaut später im Vorwort zu seinem Bestseller bemerkt und dabei auch jenes äußere Ritual beschrieben, in dem sich die Begegnungen realisieren konnten. „Jeden Morgen", holte uns Hitchcock im Beverly Hills Hotel ab und nahm uns mit in sein Büro in den Universal Studios. Alle drei (die Übersetzerin Helen Scott eingeschlossen) mit einem Krawattenmikrophon ausgestattet, im Nebenzimmer ein Toningenieur, der das Gespräch aufnahm, so unterhielten wir uns jeden Tag ohne Unterbrechung von neun Uhr morgens bis sechs Uhr abends. Anfangs begegnet Truffaut einem anregenden Causeur und selbstsicheren Anekdoten-Erzähler. Am Ende weiß Truffaut, dass er einen „verwundbaren, gefühlsbetonten Menschen" vor sich hat, „der die Empfindungen, die er dem Publikum mitteilen möchte, selbst tief und physisch spürt. Dieser Mann" - so Truffaut - „der besser als irgendein anderer die Angst gefilmt hat, ist selbst furchtsam, und ich vermute, dass sein Erfolg damit zusammenhängt." Wie visualisiert man Angst? Hitchcock gibt dafür in diesem Gespräch ein Beispiel. Es handelt von einem Mann, der sich an einem Ort wiederfindet, wo ihm der Tod droht. Wie das gemeinhin bis in seine Tage inszeniert wurde, schildert Hitchcock so: „Eine finstere Nacht an einer engen Kreuzung in der Stadt. Das Opfer steht im Lichtkegel einer Laterne. Das Pflaster ist noch feucht vom letzten Regen. Langsam nähert sich eine schwarze Limousine usw. Ich habe mich gefragt," so Hitchcock weiter, „was das genaue Gegenteil einer solchen Szene wäre. Eine völlig verlassene Ebene in hellem Sonnenschein, keine Musik, keine schwarzen Katzen, kein geheimnisvolles Gesicht hinter einem schwarzen Fenster." Hitchcock schildert hier die Ausgangssituation zu einer seiner berühmtesten Suspense - Szenen. Cary Grant steht an einer einsamen Straßenkreuzung, er ist auf der Flucht und man trachtet ihm nach dem Leben. Die Landschaft dehnt sich topfeben. Eine verlassene Bushaltestelle ist die einzige topographische Erhebung weit und breit. Und dann hört Cary Grant plötzlich ein langsam näherkommendes Brummen, sieht die Umrisse eines tieffliegenden Flugzeugs und weiß: die Jagd hat begonnen. „North by Northwest" von 1959, „Der unsichtbare Dritte" „Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock?" Am 18. August 1962 konnten die Teilnehmer des Gesprächs-Marathons in den Universal Studios in Hollywood ihre Krawattenmikrophone abnehmen und 52 besprochene Tonbänder in Empfang nehmen. Vier Jahre hat Truffaut dieses Interview der 500 Fragen bearbeitet, bevor es 1966 erstmals auf Französisch als Buch erschien. 1
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