TÜRKEI 16. Januar 2017 2017 fing für die Türkei schlecht an: Terror, neue Entlassungen und politische Polarisierung belasten die Gesellschaft; Vertrauensverlust und ausländische Kapitalabzüge belasten die Wirtschaft. Wir erwarten eine leichte Rezession in diesem Jahr. Ein erstarkender US-Dollar und teureres Öl verschärfen die Lage. So fällt die Lira von einem Allzeittief zum nächsten – und das dürfte zunächst noch weitergehen. Türkische Lira – ein langer Abstieg 1.5 2.0 2.5 3.0 3.5 4.0 Jan 13 Jul 13 Jan 14 Jul 14 Jan 15 Jul 15 Jan 16 Jul 16 Jan 17 Kurs für 1 US-Dollar. Invertierte Achse. Quelle: Bloomberg. Die Türkei ist ein klassischer Emerging Market: Eine wachsende, konsumhungrige Mittelschicht sorgt mangels genug heimischer Ersparnisse und ausreichender inländischer Produktion für eine Finanzierungs- und Importlücke, die durch das Ausland gedeckt werden muss. Auch ihren Erdölbedarf muss die Türkei mit Importen decken. Dazu schwächelt der Tourismus, eine zentrale Deviseneinnahmequelle. So ist der Türkei ein gefährlich hohes Defizit in ihrer Leistungsbilanz angewachsen: fast 5 % des BIP. Das türkische Leistungsbilanzdefizit macht die Konjunktur abhängig von der globalen Liquiditätslage, vor allem von der USGeldpolitik – und damit verwundbar gegenüber Stimmungsschwankungen und Kapitalabzügen der Investoren. Vor diesem Hintergrund sorgen negative politische Schlagzeilen immer wieder für Wirbel an den Finanzmärkten. Die Lira fällt und fällt. Leider spricht einiges dafür, dass der Konjunktur- und Währungswirbel vorerst weitergehen wird. Hier unsere Argumente: 1. Der US-Dollar steigt weiter. Die US-Fed wird allein 2017 wohl drei Mal die Zinsen anheben, denn die Inflation steigt und die Arbeitslosigkeit ist gering. Dazu kommt Trumps Wirtschaftspolitik, von der sich die Märkte etwas höheres US-Wachstum als zuvor erwarten. Alles zusammen bedeutet: Der US-Dollar wird stärker – und damit die Lira unter Druck setzen. 2. Der Ölpreis steigt weiter. Die OPEC und Russland haben sich auf die Reduktion ihrer Fördermengen geeinigt. Auch wenn Fracking in den USA der geringeren Produktion entgegenwirkt, steigt der Ölpreis – und verteuert damit die Energie- rechnung der Türkei. Und die muss auch wieder in nun viel teureren US-Dollar bezahlt werden. 3. Der Umbau zur auf Erdogan maßgeschneiderten Präsidialrepublik birgt Gefahren. Präsident Erdogan will seine Macht mit einer Verfassungsänderung juristisch zementieren. Dafür braucht er die Stimmen der nationalistische Partei MHP. Diese will dafür ein härteres Vorgehen gegen die kurdische Opposition. Das wiederum wird den Konflikt zwischen dem Militär und der PKK anheizen. Dazu kommt anhaltende Terrorgefahr durch den IS, die wiederum durch Ankaras Syrienpolitik gefüttert wird. Parallel gehen die „Säuberungen“ gegen alle mögliche „Opposition“, ebenso wie die allgemeine Spaltung der Gesellschaft in pro oder kontra Erdogan weiter. Die Folge: Unternehmer, Investoren, Bürger und auch Touristen verlieren ihr Vertrauen – und investieren weniger bzw. geben weniger aus. 4. Die Beziehungen zwischen Ankara und Brüssel bröckeln. Es ist gut möglich, dass Erdogan ein Referendum zur Wiedereinführung der Todesstrafe durchführen lässt. Aber: Kommt die Todesstrafe, endet wohl der Beitrittsprozess für die EU. Allein schon die EU-Beitrittsperspektive stützt Fortschritt in Wirtschaft wie Gesellschaft. Diese Stütze fiele dann weg. 5. Die Notenbank wird nicht liefern, was die Märkte erwarten. Die türkische Notenbank könnte die Zinsen (aktuell: 8 bis 8,5 %) massiv anheben, um die Kapitalflucht zu stoppen. Doch der politische Druck, die Zinsen flach zu halten, ist – wie es aussieht – zu hoch. Und das geldpolitische Kleinklein der Notenbank (u.a. Änderungen der Reservevorschriften für Banken und Unternehmen) wird den Lira-Verfall nicht stoppen. Fazit: Die türkische Wirtschaft ist in unseren Augen auf Rezessionskurs. Immer mehr ausländisches Kapital wird sich zurückziehen, das Leistungsbilanzdefizit wird sich gesundschrumpfen; entsprechend wird die Lira weiter an Wert verlieren. Ein Kurs von etwa 3,8 bis 3,9 Lira pro US-Dollar bis zur Jahresmitte ist wahrscheinlich; auch die 4er-Marke könnte durchbrochen werden. Ende 2017 sollte etwas Ruhe zurückgekehrt sein. Doch der Wechselkurs wird noch sehr lange über 3 Lira pro Dollar liegen. Prognosen 2016 2017 2018 BIP 1,6 -0,1 0,9 Inflation 7,8 9,3 9,2 Arbeitslosigkeit 11,0 12,5 12,0 Haushalt -2,1 -2,7 -2,6 Leistungsbilanz -4,8 -2,5 -2,8 In % gegenüber Vorjahr, Haushalt und Leistungsbilanz in % des BIP. Quelle: Berenberg. Türkei | 16. Januar 2017 1/2 IMPRESSUM Berenberg Makro erscheint zu folgenden Themen: Makro-Team Hamburg Konjunktur und Geldpolitik Währungen Rohstoffe Emerging Markets ► Osteuropa Trends Dr. Holger Schmieding | Chefvolkswirt +49 40 350 60-8021 | [email protected] Wolf-Fabian Hungerland +49 40 350 60-8165 | [email protected] www.berenberg.de/publikationen Cornelia Koller +49 40 350 60-198 | [email protected] Wolfgang Pflüger +49 40 350 60-416 | [email protected] Dr. Jörn Quitzau +49 40 350 60-113 | [email protected] Wichtige Hinweise: Dieses Dokument stellt keine Finanzanalyse im Sinne des § 34b WpHG, keine Anlageberatung, Anlageempfehlung oder Aufforderung zum Kauf von Finanzinstrumenten dar. Es ersetzt keine rechtliche, steuerliche und finanzielle Beratung. Die in diesem Dokument enthaltenen Aussagen basieren auf allgemein zugänglichen Quellen und berücksichtigen den Stand bis zum Tag vor der Veröffentlichung. Nachträglich eintretende Änderungen können nicht berücksichtigt werden. Joh. 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