Stärkung der Schwerbehindertenvertretung Sinziger Schlossgespräche am Dienstag, 19. Juli 2016 Rede von Uwe Schummer MdB „Zu Beginn der Diskussion über die Stärkung der Schwerbehindertenvertretungen gab es, über alle Fraktionsgrenzen hinweg, auch kritische Meinungen. So wurde mir gesagt, zur Inklusion gehöre, dass der Sonderstatus der Schwerbehindertenvertreter endet, und deren Aufgabe in den Betriebs- oder den Personalrat übertragen werde. Diese vertreten alle Arbeitnehmer und so laufe auch die Inklusion. Eine andere Position, die aus der Wirtschaft, aber auch aus Teilen der Arbeitnehmerschaft kam, warnte vor einem "zweiten Betriebsrat". - Es ist ein Verdienst der politischen Debatte, und hierbei auch der Kölner Erklärung, die nicht nur qualitativ sondern auch quantitativ viel bewegt hat; dass diese Kritik verstummt ist. Schwerbehindertenvertretungen haben eine eigene Philosophie. Sie stehen nicht im klassischen Konflikt Kapital und Arbeit, wie es beim Betriebsrat mitschwingt; sie kümmern sich um das wichtigste Potential der Unternehmen, den Mitarbeiter. Sie sichern Innovation und Produktivität. Sie belasten nicht, sie entlasten die Unternehmen. Jährlich kommen 15.000 psychisch behinderte Arbeitnehmer in Werkstätten. Sie kommen vom ersten Arbeitsmarkt. Allein dies verursacht eine Kostendynamik in der Eingliederungshilfe von jährlich etwa 250 Mio.€. 42,4% aller Frühverrentungen sind psychische Erkrankungen; der wirtschaftliche Verlust geht in die Milliarden. Schwerbehindertenvertreter sind die soziale Kompetenz in den Unternehmen und Verwaltungen, die mit betrieblichem Gesundheitsmanagement, Frühwarnsysteme und betriebliche Eingliederung nach chronischen Erkrankungen das Potential der Beschäftigten sichern. Ein Beispiel ist die Schwerbehindertenvertretung, die ich bei VW in Salzgitter besucht habe. Dort wurde für einen LKW-Dieselmotor eine neue Produktionsstrasse gebaut. Ein Drittel der Arbeitnehmer sind anerkannt Schwerbehindert, ein Drittel sind älter als 50 Jahre, ein Drittel sind unter 50 und ohne eine Schwerbehinderung. Jeder Beschäftigte hat einen Chip mit seinen Daten, so dass sich der Arbeitsplatz, der Kran, die Werkzeuge um den Arbeitnehmer herum einstellen. Größe, Gewicht und technische Antworten auf körperliche Einschränkungen. Die Produktionsstraße hat 37 statt 32 Mio.€ gekostet; doch die Mehrkosten sind nach wenigen Jahren kompensiert. Weniger Fehlzeiten, geringere Krankheitskosten, höhere Produktivität, längere produktive Arbeitszeit. Im Anschluss haben mir die Vertrauensleute gezeigt, wo ältere schwerbehinderte Arbeitnehmer früher eingesetzt wurden. Eine große Lagerhalle, in der Schrauben sortiert und Kästen verwaltet wurden. Heute bleiben sie in der produktiven Beschäftigung. Deshalb ist es gut, dass wir endlich einen Gesetzentwurf haben, an dem wir uns parlamentarisch abarbeiten können. Für mich gibt es hierbei drei Leitsätze: Gib uns mehr Zeit. Der Beratungsbedarf, gerade bei den Mitarbeitern, die noch nicht schwerbehindert sind, die Gesundheitsprävention, Humanisierung der Arbeitswelt, Rechtsfragen; es wird immer umfassender und zeitraubender. Deshalb ist es gut, dass im Referentenentwurf Freistellungen massiv verbessert werden. Einerseits durch die Absenkung von 200 auf 100 schwerbehinderte Mitarbeiter; aber auch mit der Regelung, bei Bedarf eine Verwaltungskraft für die bürokratischen Arbeiten bereitzustellen. Vertrauensleute sollen nah bei den Menschen arbeiten und beraten, von Verwaltungstätigkeiten entlastet werden. Lass uns nicht allein. Schwerbehindertenvertreter sollen mehr im Team arbeiten können. Deshalb wollen wir die Aufwertung der Stellvertreter. Qualifizierung, Teamarbeit werden immer wichtiger. Die Zeit des Einzelkämpfers ist vorbei. Themen sollen auch untereinander aufgeteilt werden können. Auch dieser Ansatz ist im Gesetzentwurf vorgesehen. Schwierig wird es beim dritten Leitsatz: Nimm uns ernst. Die festgeschriebenen Informationsrechte mit Leben zu füllen. Mehr Verbindlichkeit zu schaffen. Mein Problem: Der Begriff der "Unwirksamkeitsklausel" ist politisch verbrannt. Nicht nur in der Wirtschaft, auch im Parlament. Was wir suchen ist eine elegante, nicht zu bürokratische Formulierung. Eine betriebliche Regelung, über die eine Schwerbehindertenvertretung nach Gesetz vorab informiert werden muss, sollte bei Nichtbeachtung solange ruhen, bis der Fehler geheilt wurde. Vielleicht ist eine Wirksamkeitsklausel, der richtige Ansatz. Dieses Thema werden wir sicher im parlamentarischen Verfahren behandeln. Ihnen danke ich für die engagierte Arbeit.“
© Copyright 2024 ExpyDoc