19. Juli 2016

REGION
Südostschweiz | Dienstag, 19. Juli 2016
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nungsbedürftig gilt. Ein Auto überholt
uns mit hoher Geschwindigkeit links,
eines auf dem Pannenstreifen rechts.
«Beim Fahren muss man schon extrem
konzentriert und auf der Hut sein. Al­
les bewegt sich. Auf einmal kommt ein
Auto aus einer Ecke heraus, oder Hun­
de und Füchse überqueren die Stras­
se», erklärt Maduz.
Manchmal sei es zum Lachen,
manchmal aber einfach auch nur zum
Heulen. Vor allem das Kreiselfahren ist
im Kosovo eine Herausforderung. Das
Auto, das sich bereits im Kreisel befin­
det, hat nicht zwingend Vortritt. Aber
mit Augenkontakt Herstellen und ent­
sprechenden Handzeichen geht es
dann jeweils.
Wir sind mittlerweile im Norden
des Kosovos angelangt. Dieser Teil
unterscheidet sich vom Rest der Bal­
kanrepublik, da er von der serbischen
Regierung unterstützt wird. Die Leute
hier sympathisieren mit Serbien. Un­
verkennbar an den Autokennzeichen.
Das kosovarische wird oft entfernt und
von Hand ein serbisches aufgemalt.
Der mittlere und der südliche Teil des
Landes hingegen solidarisieren ganz
klar mit Albanien.
Letzte Station: Die Soldaten Prisca Maduz und Claudio Weber laden die Post im Hauptquartier in Pristina aus dem Transporter aus.
Einmal mit der Post durch
den Kosovo und zurück
Prisca Maduz ist bei der Swisscoy im Kosovo für die Post und den Transport verantwortlich. Dreimal in der
Woche macht sie die Soldaten mit der Überbringung von Grüssen und Päckli aus der Heimat glücklich.
Der Strassenverkehr in der Balkanrepublik ist sehr gewöhnungsbedürftig.
von Paul Hösli (Text und Bilder)
D
ie Sonne über dem Feld­
lager in Prizren ist aufge­
gangen. Fast keine Wolke
ist am Himmel zu sehen,
erneut kündigt sich im Ko­
sovo ein Tag jenseits der 30­Grad­Marke
an. Soldatin Prisca Maduz hat ihre Müt­
ze und die Sonnenbrille aufgesetzt. «Wir
sollten los, es ist schon nach 7Uhr.»
Swisscoy
Schweizer Soldaten
im Kosovo
suedostschweiz.ch/dossier
Der dunkelgrüne Transporter mit dem
unverkennbaren gelben Logo der Post
ist startbereit und mit Paketen und
Briefen aus der Heimat beladen, die
nach ihrem Bestimmungsort sortiert
sind. «Die Soldaten freuen sich immer,
mich zu sehen, denn ich bringe ihnen
ein Stück Heimat in den Kosovo», sagt
die in Zermatt wohnhafte Matterin mit
ihrem ansteckenden Lachen.
Der Postdienst verteilt aber nicht
nur Briefe und Pakete. Auch Ge­
brauchsgegenstände wie etwa Toilet­
tenpapier und Küchenrollen oder
Utensilien, welche im Feldlager in Priz­
ren repariert wurden, werden in die
anderen Camps geliefert.
Um pünktlich auf die etwa 300 Kilo­
meter lange Tour durch den ganzen
Kosovo zu gehen, wurden die Pakete
und Briefe bereits einen Tag zuvor im
Postbüro, welches im Warehouse unter­
gebracht ist, kontrolliert und sortiert.
Nicht mit auf die Tour darf das Päck­
chen, aus dem ein eigenartiger, unan­
genehmer Geruch entweicht. «Ich ha­
be den Empfänger informiert, damit er
es so schnell wie möglich hier abholen
kommt. Vermutlich ist da ein Käse
oder so drin», erklärt Maduz.
Wenigstens hat das Paket den Weg
in den Kosovo gefunden. Andere blei­
ben aus verschiedenen Gründen be­
reits am Zoll hängen. Was sonst in den
Paketen drin ist, weiss sie nicht. «Ich
schaue ja nicht rein», sagt sie mit
einem Schmunzeln. Persönliche Sa­
chen wie Bücher, Gebrauchsgegenstän­
de oder Esswaren seien aber üblich.
Stellvertretung für den Pöstler
Eigentlich ist Prisca Maduz für den
Transport verantwortlich, die Chauf­
feurin ist aber auch die Stellvertretung
für den Pöstler, welcher derzeit Ferien
hat. «Das ist kein grosser Unterschied,
ich helfe auch sonst mit beim Sortie­
ren, Beladen und Ausliefern.» Sie ge­
niesse es aber, einmal auf der anderen
Seite zu stehen. So könne sie das Land
als Beifahrerin besser kennenlernen
und habe auch Zeit, um über die Hei­
mat nachzudenken. Privates und wie
es den Lieben zu Hause so gehe. Drei­
mal in der Woche macht sie diese Tour.
«Speziell am Montag gefällt es mir
sehr. Da sind wir noch früher unter­
wegs, und ich erlebe mit, wie der Koso­
vo erwacht und geniesse jeweils den
schönen Sonnenaufgang.»
Wir müssen plötzlich abrupt ab­
bremsen. Ein Welpe tummelt sich auf
der Strasse. Einem hinter uns fahren­
den Lastwagen scheint dies egal zu
sein. Er brettert an uns vorbei und ver­
passt den Hund nur knapp. «Tiere ha­
«Die Soldaten freuen
sich immer, mich
zu sehen, denn
ich bringe ihnen
ein Stück Heimat
in den Kosovo».»
Prisca Maduz
Swisscoy-Soldat im Kosovo
ben es im Kosovo nicht einfach. Das gilt
wohl auch für diesen scheinbar her­
renlosen Welpen», erläutert Fach­
offizier Franziska Walt, unsere Begleite­
rin und Ansprechperson während des
Kosovo­Aufenthalts.
Der erste Stopp in Malisheva steht
an. Die Post und die reparierten Sa­
chen werden den Soldaten im orts­
ansässigen LMT­(Liaison­ and Monito­
ring­Team­)Haus übergeben. Nach der
Begrüssung, der Übergabe und ein we­
nig Small Talk geht es aber bereits wie­
der weiter. Oft stehen drei oder noch
mehr identisch aussehende Häuser am
Strassenrand. «Für jeden Sohn eines,
das ist hier so üblich», klärt Walt auf. In
dieser Region des Kosovos haben es die
Frauen nicht so einfach. Arrangierte
Hochzeiten stehen an der Tagesord­
nung, die Frauen dürfen kaum das
Haus für einen gemeinsamen Kaffee
verlassen. Der Mann hat das Sagen.
«Wenn man hier eine Frau fragt, wie
viele Geschwister sie habe, und sie
dann sagt drei, dann sind lediglich die
Brüder gemeint», erläutert Franziska
Walt. Durchaus möglich, dass die Frau
noch zwei Schwestern habe.
In den Ballungszentren wie Pristina
oder Prizren hingegen präsentiert sich
ein vollkommen anderes Bild. Die vie­
len jungen Frauen auf den Strassen
sind selbstbewusst, kleiden sich tren­
dig westlich und geniessen die schö­
nen Seiten des Lebens.
Aufgemaltes Nummernschild
Der Militärflugplatz in Slatina bei Pri­
stina, die Basis für die Helikopter, ist
unser zweiter Stopp. Das übliche Proze­
dere: Pass und Nato­Marschbefehl zei­
gen, die Autounterseite wird mit Spie­
geln nach Sprengstoff oder Ähnlichem
kontrolliert. Post abliefern, ein kurzer
Schwatz, und weiter geht es. Der Zeit­
plan muss eingehalten werden.
«Schau, hier vorne, genau solche
Beispiele meine ich!», entfährt es Pris­
ca Maduz plötzlich. Augenscheinlich
wird klar, weshalb der Strassenverkehr
im Kosovo als gefährlich und gewöh­
Skeptisch: Im Warehouse wird die Post sortiert und kontrolliert. Mit diesem Paket ist aber im wahrsten Sinne des Wortes etwas faul.
«Das ist das Tolle an
meiner Arbeit hier.
Ich lerne alle Camps
und somit auch
viele Leute kennen.
Wir stehen vor den Toren der Militär­
basis in Novo Selo. Hier ist es uns
strengstens verboten zu fotografieren
oder zu filmen, geschweige denn, das
von den Dänen bewachte Camp zu be­
treten. Während Prisca Maduz und der
Fahrer, Soldat Claudio Weber, die Post
den ansässigen Schweizer Soldaten
überbringen, bleibt uns nichts anderes
übrig als zu warten.
Wenigstens spendet der Militärjeep
ein bisschen Schatten, denn die Tem­
peratur kratzt erneut an der 40­Grad­
Marke. Das Positive: Wir bekommen
ein bisschen Farbe ins Gesicht.
Endlich ein Glarner
Nach 20 Minuten Pause geht die Fahrt
durch den Kosovo weiter zum letzten
Stopp. Auf der relativ neu gebauten
Autobahn in Richtung Pristina sehen
wir auch immer wieder Autos mit
Schweizer Kennzeichen. Aargauer, Zür­
cher, Berner, Basler, Schwyzer – aber
keine Glarner. «Habe ich noch keine ge­
sehen bis jetzt», sagt Franziska Walt.
Unlängst später überholt uns ein
Auto. Und siehe da: ein GL­Kontroll­
schild. Die Freude ist natürlich gross.
Auch darüber, dass die Schweizer im Ko­
sovo einen ausgezeichneten Ruf genies­
sen und sehr beliebt sind. Oft winken
uns Autofahrer oder Kinder auf dem
Rücksitz mit einem Lachen zu. Der Res­
pekt gegenüber den Schweizer Swiss­
coy­Soldaten ist gross, der Dank an die
Helfer aus der Schweiz oft noch grösser.
Der letzte Halt unserer Tour steht
an, bevor es zurück ins Feldlager nach
Prizren geht. Das Hauptquartier in
Pristina, auch Camp Film City ge­
nannt. Post entladen und entgegen­
nehmen, Routine für Prisca Maduz.
«Das ist das Tolle an meiner Arbeit
hier. Ich lerne alle Camps und somit
auch viele Leute kennen. Das gefällt
mir sehr», erklärt Maduz.
Nach einem gemeinsamen Mittages­
sen im Camp trennen sich unsere Wege.
Prisca Maduz kehrt mit der eingesam­
melten Post ins Feldlager nach Prizren
zurück, um für den Rest des Tages die
Poststelle zu betreiben. Wir besuchen
ein Liaison­ und Monitoring­Team in
Prizren, unserer temporären und mitt­
lerweile lieb gewonnenen Heimat.
* Alle Berichte zum Schweizer KFOR­Einsatz
müssen vor der Publikation von Kommuni­
kationsverantwortlichen des eidgenössischen
Departementes für Verteidigung, Bevölkerungs­
schutz und Sport (VBS) autorisiert werden.
In einer nächsten Ausgabe wird in der
«Südostschweiz» noch ein Interview mit
Prisca Maduz erscheinen.