Ahmed Al-hafedh

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Tandem
Ahmed Al-hafedh
Irakischer Psychotherapeut behandelt in Potsdam Flüchtlinge wie
Pegida-Anhänger
Von Igal Avidan
Sendung: Freitag, 15. Juli 2016, 10.05 Uhr
Redaktion: Rudolf Linßen
Regie: Igal Avidan
Produktion: SWR 2016
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
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AHMED AL-HAFEDH
OT 1:
Pogida-Demo:
-“Wir sind das Volk, wir sind das Volk“
-Die etwa 600 Gegendemonstranten kamen überwiegend aus dem linken Spektrum.
Von hier kamen auch die ersten gewaltsamen Ausbrüche. So flogen vereinzelt Böller,
meistens in Richtung Polizei.“ (Trillerpfeifen, Böller)
AUTOR:
Anfang Januar erreichten die wöchentlichen Aufmärsche der Pegida, der
„Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, zum ersten Mal
auch (die Stadt) Potsdam bei Berlin. Auf dem Bassin-Platz trafen rund 300
selbsternannte „Retter des Abendlandes“ auf rund eintausend Gegendemonstranten.
Die Stimmung war aufgeheizt. Die Pegida-Demonstranten – überwiegend Männer ließen ihre Wut heraus – auf Polizisten und Flüchtlinge, jeder nach seinem
Bildungsstand und Alkoholpegel.
OT 2:
Pogida-Demo:
„Geht mal arbeiten, ihr Halunken! Geht mal arbeiten, ihr Pisser! Drecksgesindel, man
muss euch alle abknallen!... Ich bin hier geboren, könnt ihr ruhig filmen, ist mir
scheißegal! Ich habe die Schnauze voll von diesem Staat! (1:58) Wenn die Ausländer
hierherkommen, denkt daran: Hier ist Deutschland und hier regiert das deutsche Volk
und nicht der Kommunismus! (2:08)
Ich weiß ja nicht, was auf uns zukommt und was das für Menschen sind, die hierher
kommen, und dass sie nicht hierherkommen, weil sie hier arbeiten wollen oder weil
sie geflohen sind sieht man schon daran, dass es nur junge Männer sind.“ (2:18)
AUTOR:
Gewalttätig wurden in jener Nacht jedoch linke Gegendemonstranten. Sie griffen
Busse der Pegida-Anhänger und Polizisten an.
OT 3:
Bericht-Pogida-Demo:
„Fröhlich:
Kann sein, dass jetzt die Polizei die Teilnehmer geschlossen (Bum!) Immer wieder
Böllerwürfe auch mitten in die Journalistengruppe eben rein. Wir beobachten die
Lage, ob es zu Ausschreitungen kommt... Die Polizei ist hier mit starken Kräften und
versuchen die Lager voneinander zu trennen.“
AUTOR:
Diese Eskalation erlebte Alexander Fröhlich, Redakteur der Potsdamer Neusten
Nachrichten oder PNN, der die „Abendspaziergänge“ seit Januar mit seinem
Smartphone festhält:
2
OT 4: Fröhlich
„Da gab’s nicht genug Polizei und da war die Antifa ziemlich aggressiv und auch die
angegriffen mit Flaschenwürfen und (???) bis vor wenige Zentimeter vor meinem
Kopf ist eine Bierflasche geflogen. So eine Bierflasche abzukriegen, die geworfen
wurde, ist glaube ich nicht sehr lustig und gefährlich auch.“
O-TON Musik:
2. Epidemic Sound- Understated Acoustics, Track 11
AUTOR:
Eine ganz andere, friedliche Stimmung herrscht hingegen in der Praxis „Via Propria“,
Italienisch für „der eigene Weg“. Diese befindet sich in einem rosafarbenen
klassizistischen Stadthaus in der Potsdamer Innenstadt.
OT 5:
Gong (4012)
AUTOR:
Mit diesem heilende Klang läutet der Potsdamer Therapeut Ahmed Al-hafedh jede
Sitzung in seiner Praxis ein. Mit diesem Ton lässt er jede Therapiestunde ausklingen.
Die Gewalt in der friedlichen, bürgerlichen Stadt von 170.000-Einwohnern
erschreckte Al-hafedh sehr. Kurz vor der nächsten Demo der Pogida – so nennt sich
der lokale Ableger – ergriff er zwei Maßnahmen:
OT 6: Al-hafedh
„und da habe ich meine Gruppentherapie abgesagt, weil die Sicherheitslage nicht
mehr gewährleistet war und die Pogida-Veranstalter hatten angekündigt, dass sie mit
tausend Leuten marschieren würden. Und ich fand das alles sehr erschreckend: Ich
wohne auch hier in der Innenstadt… Und zu dem Zeitpunkt habe ich gedacht: ‚OK,
es wäre an der Zeit, dass ich hier etwas beitrage zu diesem Thema, weil ich wusste,
ich habe sowohl Flüchtlinge, die ich behandle, als auch Pegida-Anhänger.“
AUTOR:
Der Therapeut Ahmed Al-hafedh gab der PNN ein Interview, das zum Stadtgespräch
wurde. Denn darin erzählte er, er behandle seit ein-zwei Jahren rund zehn Anhänger
und Sympathisanten der Abendlandretter von der Pogida. Al-Hafedh zeigte im
Zeitungsgespräch sogar Verständnis für ihre Sorgen - als Moslem!
OT 25: Al-hafedh
„Die Leute, die zu mir kommen, sind Menschen wie Sie und ich, die im Prinzip nie
fremdenfeindlich in der Form gewesen sind. Sie haben vielleicht irgendwo eine Form
von Ausländern-Distanz gehabt… Aber nie sind diese Menschen in dieser Richtung
auffällig geworden vor dieser Flüchtlingskrise.“
OT 7:
Musik:Ishraq _ Illumination _ Iluminación, Track 7
3
AUTOR:
Ahmed Al-hafedh wurde 1975 in Bagdad geboren. Sein Vater Mahdi al-hafedh war
ein kommunistischer Aktivist und Wirtschaftsexperte, der argwöhnisch die blutigen
Säuberungen der regierenden Baath-Partei beobachtete. Ausgeführt wurden sie von
Saddam Hussein, damals noch irakischer Vizepräsident und Chef des Ministeriums
für Staatssicherheit. Bereits 1978, ein Jahr vor Saddam Husseins Putsch, reiste
Mahdi al-hafedh mit seiner Familie in die Schweiz und 1983 weiter nach Wien, wo er
als Wirtschaftsexperte für die Vereinten Nationen tätig war.
OT 8: Al-hafedh
„Ich glaube, es wäre vor allem gefährlich gewesen, wahrscheinlich für meinen Vater,
weil Saddam in den ersten Jahren seiner Amtszeit… gerade Politiker und
Intellektuelle und Künstler ermordet hat. Insofern wäre mein Vater möglicherweise
eine Zielscheibe geworden. Was mit uns passiert wäre… auch das hätte natürlich
ganz schief gehen können, weil man häufig in dieser Zeit auch die Söhne von
möglicherweise gefährlichen Gegnern auch ermordet hat.“
AUTOR:
Trotz dieser Gefahr, sieht sich Ahmed Al-hafedh nicht als Flüchtling. Denn seine
Familie reiste legal ein, sein Vater war gut vernetzt und hatte rechtzeitig eine
Wohnung und ein Auto organisiert. In Wien besuchte Ahmed die private französische
Schule zusammen mit Kindern aus gutsituierten Familien und Diplomatenkindern.
Nach dem Abitur studierte er an der amerikanischen Universität Wirtschaft und BWL,
bis er bei einem Psychologie-Kurs zu seiner Berufung fand. In Beirut schrieb er 2003
seine Magisterarbeit, eine umfangreiche Studie über die Zufriedenheit der Iraker mit
den US-Truppen.
Nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 trennten sich die Wege von Mahdi und
Ahmed al-hafedh. Der Vater kehrte nach Bagdad zurück.
OT 9: Al-hafedh
„Mein Vater war im Irak Planungsminister in der Übergangsregierung. Nach dem Fall
von Saddam ist mein Vater in den Irak zurückgekehrt und war, ich glaube,… ab 2004
in dieser Übergangsregierung… also aktuell ist er im Parlament, unabhängiger.“
AUTOR:
Der Sohn Ahmed Al-Hafedh ließ sich 2005 endgültig in Deutschland nieder.
OT 10: Al-hafedh
„Nach Michendorf, das ist hier in der Nähe von Potsdam und da wohnt mein Bruder
seit längerer Zeit und das war für mich eine mögliche Plattform, um meine
Psychotherapie-Fortbildung zu machen… Ich habe meine Frau 2007
kennengelernt… Ich habe sie genauer gesagt, habe ich sie in Michendorf
kennengelernt, weil sie dort ein Blumengeschäft hatte und ich wohnte in der Nähe
und dann bin ich da stehengeblieben.“
AUTOR:
Der Weg in die Praxis „Via Propria“ führt über die zweistöckigen Backstein-Häuser
des Holländischen Viertels, die Souvenirläden, Boutiquen, Restaurants und
Immobilienbüros beherbergen.
4
Man biegt in eine Allee ein, deren Mittelstreifen sich Radfahrer und Fußgänger
zwischen den Grünstreifen teilen.
OT 12: Klingel-ATMO
OT 13:
„Sie können Ihre Sachen hinten ablegen. Möchten Sie was schon vorab etwas
trinken? Soll ich etwas vorbereiten? Tee oder Kaffee?“
AUTOR:
Seit fünf Jahren betreibt Ahmed Al-hafedh, ein freundlicher und sanft anmutender 40Jähriger, seine Praxis. Im Warteraum blickt man auf zwei massive Holztische, einen
orientalischen Teppich und ein großes Foto von Möwen am Strand. Klangschale und
Klöppel ruhen auf einem kleinen Kissen.
OT 5: Gong
AUTOR:
Im kleinen Gesprächsraum stelle ich das Glas Wasser auf einen massiven
Holzstamm neben eine Sanduhr. Auf meinem Stuhl sitzen regelmäßig zehn PogidaAnhänger oder Sympathisanten. Einige von ihnen erzählten Ahmed Al-hafedh, dass
sie an Pogida-Demonstrationen teilnehmen, andere wiederum, dass sie das machen
würden, jedoch in der liberalen Stadt Potsdam soziale und wirtschaftliche Nachteile
befürchteten. Einzelne wiederum ließen in den Sitzungen ihrem Rassismus freien
Lauf:
OT 14: Al-hafedh
„Es gab Situationen, wo jemand begann wirklich… zu schimpfen über
Charaktereigenschaften oder Attribute von Menschen aus dem Mittleren Osten oder
… vornehmlich aus Afrika, und steigerte sich da hinein… ‚Die sind doch alle ekelhaft,
die waschen sich nicht‘…Dann habe ich eine Grenze gezeigt.“
AUTOR:
Aber warum schenken Menschen, die das Abendland vor der „muslimischen
Invasion“ retten wollen, ausgerechnet einem arabisch-muslimischen Therapeuten ihr
tiefstes Vertrauen?
OT 15: Al-hafedh
„Sie nehmen mich vielleicht als Institution eher wahr, denn sie sagen: Das ist ein
Psychotherapeut, ein Fachmann, und er spricht gut Deutsch und alles andere rückt in
den Hintergrund. So kommt mir das vor.
Es gab schon den einen oder anderen in den letzten Jahren, der mal gesagt hat, sie
fühlen sich von deutschen Therapeuten nicht so verstanden… Das ist sehr
merkwürdig, ja… Aber auf der anderen Seite, gibt es diese Ebene zum Beispiel unter
Pegida-Anhängern, die sagen, ‚unsere Regierung vertritt nicht unsere Interessen‘.
Das ist also vielleicht eine inhaltliche Parallele, die da drin steckt vielleicht.“
5
AUTOR:
Die Verteidiger des Abendlandes legen sehr viel Wert auf den Schutz ihrer
Heimatküche. Beim Landesparteitag der AfD in Berlin im April zum Beispiel erhielten
diejenigen Redner am meisten Beifall, so der Tagesspiegel, die gegen die
Verbannung des Schweinefleisches aus der Kita auf Initiative muslimischer Eltern
wetterten. Nach deren Kriterien scheint der irakische Moslem Ahmed Al-hafedh voll
integriert:
OT 16: Al-hafedh
„Ich erlebe das immer wieder, dass die Leute mich vorsichtig fragen, ob ich denn
Schweinefleisch überhaupt esse, ob das ok ist usw. Was sagen Sie? Das ich
Schweinefleisch esse, dass ich damit ganz konform bin, dass ich damit keine
Schwierigkeiten habe.“
AUTOR:
Ahmed Al-hafedhs Schwiegerfamilie akzeptiert den freundlichen und kulinarisch
integrierten Moslem ohne Wenn und Aber, wie folgende Geschichte zeigt. Für eine
kurze Zeit vertrat er seine erkrankte Frau und übernahm von ihr die eingehenden
Anrufe im Büro ihres Vaters und die Organisation seiner Termine.
OT 17: Al-hafedh
„Und später mal… hat sich eine Kundin beschwert und hat gesagt: ‚Ich habe da mit
irgendeinem Ausländer gesprochen‘. Und mein Schwiegervater hat sich darüber
geärgert und hat diese Kundin dann auch sozusagen wieder dorthin platziert, wo sie
hingehört, wie er sagte, weil er hat gesagt, der Chamudi – das ist mein Spitzname…
– der ist nicht ‚irgendein Ausländer‘.“
AUTOR:
Ahmed Al-hafedh ist herzlich, aufmerksam und kooperativ. Könnte es sein, dass der
gut ausgebildete Psychotherapeut für manche rassistische Bekannte oder gar
Freunde der Lieblingsausländer ist?
OT 18: Al-hafedh
„Also ich sehe mich nicht gerne als Lieblingsausländer, das ist ein gefährlicher
Status, glaube ich. Aber Sie haben Recht, ich glaube, manche fremdenfeindliche
Menschen in der Vergangenheit, wenn sie über mich gesprochen haben, dann haben
sie gesagt, ‚Ja, aber Leute wie er sind ok‘. Das habe ich nicht gerne gehört. Davon
habe ich mich innerlich distanziert natürlich“.
AUTOR:
Kann sein, dass sogar Pegida-Anhänger bewusst einen arabisch-muslimisch
Therapeuten ausgesucht haben, um dadurch ihre Islamfeindlichkeit oder ihren
Rassismus zu kaschieren?
OT 19: Al-hafedh
„Das kann sein, dass sich manche damit schmücken und das politisch einsetzen, um
etwas nach außen zu beweisen. Das kann durchaus sein… Es gab ja auch diese
Berichterstattung hier in Potsdam, dass die Pogida-Demonstranten hinterher am
Bahnhof zu sichten waren und beim Vietnamesen Nudeln gegessen haben und
damit gezeigt haben, dass sie eigentlich mit Ausländern (lacht) klar kommen.“
6
AUTOR:
So viel Kalkül, so viel Einsicht erwartet Ahmed Al-hafedh von Pegida-Demonstranten
oder Sympathisanten eher nicht.
OT 20: Al-hafedh
„Und übrigens so ähnlich wie diejenigen, die zu mir hierher in die Praxis kommen und
sich dann ganz freizügig über Ausländer beklagen und beschimpfen zum Teil, die
dann offensichtlich dann vergessen, dass ich Araber bin, dass ich Iraker bin.“
O-TON Musik:
Bein Elnakhil _ Amid the Palm Trees _ Entre las Palmeras, Track 2
AUTOR:
Ahmed Al-hafedh zieht eine ganz klare Grenze zwischen rechtspopulistischen
Politikern, die gegen Ausländer, Flüchtlinge und Muslime hetzen und ihren
Anhängern. Zur ersten Gruppe zählt er Rechtsradikale, Neonazis und Menschen mit
einer kriminellen Vergangenheit wie Pegida-Initiator Lutz Bachmann (und PogidaChef Christian Müller). Solche Politiker beschreibt der Psychotherapeut als
narzisstisch bis dissozial. Er attestiert ihnen einen gravierenden Empathiemangel
gepaart mit einer paranoiden und hochaggressiven Haltung, die im Fall der Pegida
auf Ausländer fokussiert ist.
OT 21: Al-hafedh
„Ich mache keinen großen Unterschied zwischen der Pegida-Leitung… und
Menschen… und Menschen, die in der Leitung rechtspopulistischer Parteien sind –
AfD, FPÖ… Front National…
Auf der einen Seite haben wir diejenigen, die… diese Welle des Hasses und der
Grenzen-Schließung… vollziehen möchten. Sie tun das aber in Wirklichkeit nicht aus
rein sachlichen Gründen, denn… dann würden wir dieses ganze Packet an
Verurteilungen, an Assoziationen mit Nationalsozialismus, mit Rassismus und
sonstigen nicht haben.“
AUTOR:
Ahmed Al-hafedh zeigt Verständnis für die Ängste und Sorgen seiner Patienten vor
einer Flüchtlingswelle und vor integrationsresistenten Ausländern. Denn ähnliche
Ängste teilen auch seine Freunde:
OT 23: Al-hafedh
„Wir haben eigentlich… sozialschicht übergreifend… viele Menschen, die
Schwierigkeiten darin sehen, dass so viele Flüchtlinge aufgenommen werden… viele
Menschen, die sich bedroht fühlen durch den Terrorismus und durch die Aufnahme
von Flüchtlingen – die Assoziation ist eigentlich keine schwierige. Und das ist für
mich eine nachvollziehbare Angst. (2:48) Ich kenne auch Araber, die Angst davor
haben, dass noch mehr Araber nach Deutschland kommen. Sie sagen: Könnte die
deutsche Regierung wirklich so limitiert sein, dass sie die Gefahr nicht sehen wolle,
dass man über die Aufnahme von Flüchtlingen auch Terroristen mit hinein
bekommen könnte?“
7
AUTOR:
Aber wer sind die Potsdamer, die an den wöchentlichen Pogida-Aufmärschen
teilnehmen – in letzter Zeit waren es nur noch 50?
OT 24: Fröhlich
„Es ist jetzt nicht die Oberschicht… vielleicht ein-zwei Ausreißer, Mittelschicht auch
nicht, es ist schon das unterste Drittel… sozial, was dort hingeht.“
AUTOR:
Diese Aussage trifft nicht auf Ahmed Al-hafedhs „Pegida-Patienten“ zu, die fast alle
männlich sind und solche Aufmärsche meiden. Nach sozialen Kriterien kann der
Psychotherapeut kein solches Grundprofil erstellen. Ahmed Al-hafedh insistiert, dass
kaum einer von ihnen Rassist sei.
Um seinen anonymen „Pegida-Patienten“ ein Gesicht zu geben, erstellte Ahmed Alhafedh (auf meine Bitte hin) fünf entsprechenden Profile.
Da ist zum Beispiel der relativ junge Polizist Frank, der Angst vor Gewalt von
Flüchtlingen hat und zugleich in Flüchtlingsheimen gefährliche Konflikte schlichten
muss.
OT 26: Al-hafedh
„Es ist vielmehr, dass der Polizist… die verzerrte Assoziation macht zwischen
Ausländern oder Flüchtlingen und Gewalt… Es ist nun ja mal nicht von der Hand zu
weisen, dass sehr viel Gewalt auch von Flüchtlingen in bestimmten
Flüchtlingsheimen ausgeht. Das darf man auch nicht mit Korrektheit oder mit Ethik
vertuschen, ja.“
AUTOR:
Auf „meinem“ Stuhl im Behandlungsraum sitzt regelmäßig auch Franz, der vor der
Rente steht und Angst um seine Existenz hat. Denn er muss sich als Selbstständiger
weiter finanzieren, weil der Staat ihm nur ein Minimum an Renten- und
Sozialversicherungsbeiträgen gewährt.
Auch der Manager Wolfgang, der wirtschaftlich denkt, sitzt regelmäßig hier. So wie
ich, blickte er dann auf das gleiche abstrakte, große Bild und sagte dem
Therapeuten:
Wolfgang ist pragmatisch im Umgang mit rechtspopulistischen Parteien.
OT 27: Al-hafedh
„Sie identifizieren sich mit einem Teil des des Inhalts und mit einem Teil der
Protagonisten dieser Parteien und schenken dem anderen, sagen wir mal,
diskriminierenden Teil nicht so viel Aufmerksamkeit… Ich denke, das sind
typischerweise Neo-Liberale… Sie priorisieren in ihrem Leben den wirtschaftlichen
Fortschritt… Vor allem sind solche Leute, weil sie Wirtschaftsexperten sind, sind sie
ziemlich angenervt von der Tatsache, dass die Perspektive so aussieht, dass sie
noch mehr soziale Beiträge leisten sollten.“
8
AUTOR:
Sabine gehört ebenfalls zu Al-hafedhs „Pegida-Patienten“. Die Ärztin sieht das
ohnehin knappe Budget des Gesundheitssystems durch die starke Zuwanderung
bedroht.
OT 28: Al-hafedh
„Im Vergleich zu anderen, die in finanzieller Knappheit leben, ist diese Ärztin zum
Beispiel eigentlich eher aus Prinzip… gegen die zunehmende… Aufnahme von
Flüchtlingen, und sie sieht darin auch ein Versagen der Regierung.“
AUTOR:
Schließlich der Handwerker Manfred. Er ist tief verschuldet und muss daher als
Rentner weiter arbeiten. Manfred steht hier für eine ganze Gruppe von Deutschen:
OT 29: Al-hafedh
„Ich glaube, dass das, was diese Gruppe tatsächlich auch stark kategorisiert, ist eine
fehlende multi-kulturelle Erfahrung und eine leichtere Manipulationsmöglichkeit, die
von den Medien oder von den Politikern getätigt werden kann… weil sie beschränkt
gebildet sind.“
AUTOR:
Niemand kommt zur Therapie, um sich von seiner Islamophobie kurieren zu lassen,
sagt Ahmed Al-hafedh. Seine Patienten kommen wegen existenzieller Probleme,
Depressionen oder Krisen in der Ehe. Gibt es jedoch eine seelische Krankheit, die
bei seinen Pegida-Patienten besonders ausgeprägt ist?
OT 30: Al-hafedh
„Meines Erachtens, und das ist bei allen der Fall, sehe ich die Kernursache in allen
Fällen entweder in einer Angst oder in einem Gefühl des Mangels. Und in den
meisten Fällen treffen beide zu…
Die primäre Rolle… hat etwas mit einer psychischen Dynamik zu tun… dass ein
Mensch sich schwer damit tut, seine Bedürfnisse zu vertreten und daher
beispielsweise oft das Gefühl hat, dass er oder sie zu kurz kommt. Das Zu-kurzkommen entspringt einer Überangepasstheit im sozialen Umfeld… Das hat damit zu
tun, dass ein Mensch gelernt hat, seine Bedürfnisse zurückzunehmen, sich
bescheiden zu zeigen, sich sogar dafür zu schämen etwas einzufordern.“
AUTOR:
Der gewöhnliche Pegida-Patient sucht nach Anerkennung, Wertschätzung, Liebe
und sogar Versorgung. So einer würde zur Therapie hungrig kommen. Er würde aber
eher versuchen seinen Hunger auszuhalten oder für sich selbst zu sorgen, sogar als
Al-hafedh ihm einige Snacks anbietet
OT 31: Al-hafedh
„Ich würde sagen,… dass viele Menschen zu mir kommen mit einer SelbstwertStörung, die dahinter steht,… In diesem Fall würde ich sagen, dass die meisten
Patienten, die zu mir kommen, unter einer Selbstwertstörung in irgendeiner Form
leiden.“
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AUTOR:
Kein Patient kehrte aufgrund einer solchen ein- bis zweijährigen Therapie der Pegida
den Rücken. Politische Gespräche führt Al-hafedh mit ihnen ohnehin nicht. Aber
durch die Behandlung konnte Ahmed Al-hafedh einigen Patienten ihre Ängste
nehmen. Das sei für ihn auch eine politische Arbeit, aber eine ganz andere als die
seines Vaters:
OT 32: Al-hafedh
„Man kann sozusagen auch politischen Einfluss nehmen über andere Medien…und
mir ist es ein Anliegen, dafür zu sorgen, dass das sogenannte ‚Bewusstsein-Niveau‘
auf der Welt größer wird, damit Menschen mündiger und autonomer werden, damit
solche Manipulationen und Verzerrungen nicht mehr stattfinden können.“
AUTOR:
Wenn Patienten ihn zur Flüchtlingsthematik fragen würden, würde Ahmed Al-hafedh
ihnen empfehlen, gegen die Regierung in Berlin zu demonstrieren, aber keinesfalls
für oder mit der Pegida.
OT 33: Al-hafedh
„Ich kann das nachvollziehen, dass da es Zweifel sind, dass da es Ängste sind, dass
da nicht empathisch damit umgegangen wird. Aber dann sollte das nicht dazu führen,
dass man mit der Pegida demonstriert…
Dafür sind ja die Köpfe, die dahinter stecken viel zu gefährlich. Das gleiche gilt für die
AfD. Das ist ja ein Wolf in Schafpelz“.
AUTOR:
Auf seinem Tisch im Behandlungsraum, direkt vor dem Messing-Räuchergefäß, dem
Foto seiner drei Kinder und dem abstrakten großen Bild, das sie mit ihrer Mutter,
Ahmeds Frau malten, ruht ein silberner Kopf, dessen Gesicht in allen vier
Himmelsrichtungen schaut. Es ist kein Politiker, es ist Buddha. Dass liegt daran,
OT 34: Al-hafedh
„dass ich regelmäßig meditiere, seit 20 Jahren und dass ich sehr viel Wert darauf
lege, bewusst in meinem Leben zu sein… und wenn es mir nicht gelingt, dann kehre
ich darauf zurück,… auf diesen Glauben, dass es eine Kraft gibt, die uns schützt und
die uns umhüllt und die religions- und nationsübergreifend ist. Ich glaube an den
Menschen als solches und ich glaube an die Liebe.“
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