SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Tandem Ahmed Al-hafedh Irakischer Psychotherapeut behandelt in Potsdam Flüchtlinge wie Pegida-Anhänger Von Igal Avidan Sendung: Freitag, 15. Juli 2016, 10.05 Uhr Redaktion: Rudolf Linßen Regie: Igal Avidan Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Tandem können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Tandem sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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Die Pegida-Demonstranten – überwiegend Männer ließen ihre Wut heraus – auf Polizisten und Flüchtlinge, jeder nach seinem Bildungsstand und Alkoholpegel. OT 2: Pogida-Demo: „Geht mal arbeiten, ihr Halunken! Geht mal arbeiten, ihr Pisser! Drecksgesindel, man muss euch alle abknallen!... Ich bin hier geboren, könnt ihr ruhig filmen, ist mir scheißegal! Ich habe die Schnauze voll von diesem Staat! (1:58) Wenn die Ausländer hierherkommen, denkt daran: Hier ist Deutschland und hier regiert das deutsche Volk und nicht der Kommunismus! (2:08) Ich weiß ja nicht, was auf uns zukommt und was das für Menschen sind, die hierher kommen, und dass sie nicht hierherkommen, weil sie hier arbeiten wollen oder weil sie geflohen sind sieht man schon daran, dass es nur junge Männer sind.“ (2:18) AUTOR: Gewalttätig wurden in jener Nacht jedoch linke Gegendemonstranten. Sie griffen Busse der Pegida-Anhänger und Polizisten an. OT 3: Bericht-Pogida-Demo: „Fröhlich: Kann sein, dass jetzt die Polizei die Teilnehmer geschlossen (Bum!) Immer wieder Böllerwürfe auch mitten in die Journalistengruppe eben rein. Wir beobachten die Lage, ob es zu Ausschreitungen kommt... Die Polizei ist hier mit starken Kräften und versuchen die Lager voneinander zu trennen.“ AUTOR: Diese Eskalation erlebte Alexander Fröhlich, Redakteur der Potsdamer Neusten Nachrichten oder PNN, der die „Abendspaziergänge“ seit Januar mit seinem Smartphone festhält: 2 OT 4: Fröhlich „Da gab’s nicht genug Polizei und da war die Antifa ziemlich aggressiv und auch die angegriffen mit Flaschenwürfen und (???) bis vor wenige Zentimeter vor meinem Kopf ist eine Bierflasche geflogen. So eine Bierflasche abzukriegen, die geworfen wurde, ist glaube ich nicht sehr lustig und gefährlich auch.“ O-TON Musik: 2. Epidemic Sound- Understated Acoustics, Track 11 AUTOR: Eine ganz andere, friedliche Stimmung herrscht hingegen in der Praxis „Via Propria“, Italienisch für „der eigene Weg“. Diese befindet sich in einem rosafarbenen klassizistischen Stadthaus in der Potsdamer Innenstadt. OT 5: Gong (4012) AUTOR: Mit diesem heilende Klang läutet der Potsdamer Therapeut Ahmed Al-hafedh jede Sitzung in seiner Praxis ein. Mit diesem Ton lässt er jede Therapiestunde ausklingen. Die Gewalt in der friedlichen, bürgerlichen Stadt von 170.000-Einwohnern erschreckte Al-hafedh sehr. Kurz vor der nächsten Demo der Pogida – so nennt sich der lokale Ableger – ergriff er zwei Maßnahmen: OT 6: Al-hafedh „und da habe ich meine Gruppentherapie abgesagt, weil die Sicherheitslage nicht mehr gewährleistet war und die Pogida-Veranstalter hatten angekündigt, dass sie mit tausend Leuten marschieren würden. Und ich fand das alles sehr erschreckend: Ich wohne auch hier in der Innenstadt… Und zu dem Zeitpunkt habe ich gedacht: ‚OK, es wäre an der Zeit, dass ich hier etwas beitrage zu diesem Thema, weil ich wusste, ich habe sowohl Flüchtlinge, die ich behandle, als auch Pegida-Anhänger.“ AUTOR: Der Therapeut Ahmed Al-hafedh gab der PNN ein Interview, das zum Stadtgespräch wurde. Denn darin erzählte er, er behandle seit ein-zwei Jahren rund zehn Anhänger und Sympathisanten der Abendlandretter von der Pogida. Al-Hafedh zeigte im Zeitungsgespräch sogar Verständnis für ihre Sorgen - als Moslem! OT 25: Al-hafedh „Die Leute, die zu mir kommen, sind Menschen wie Sie und ich, die im Prinzip nie fremdenfeindlich in der Form gewesen sind. Sie haben vielleicht irgendwo eine Form von Ausländern-Distanz gehabt… Aber nie sind diese Menschen in dieser Richtung auffällig geworden vor dieser Flüchtlingskrise.“ OT 7: Musik:Ishraq _ Illumination _ Iluminación, Track 7 3 AUTOR: Ahmed Al-hafedh wurde 1975 in Bagdad geboren. Sein Vater Mahdi al-hafedh war ein kommunistischer Aktivist und Wirtschaftsexperte, der argwöhnisch die blutigen Säuberungen der regierenden Baath-Partei beobachtete. Ausgeführt wurden sie von Saddam Hussein, damals noch irakischer Vizepräsident und Chef des Ministeriums für Staatssicherheit. Bereits 1978, ein Jahr vor Saddam Husseins Putsch, reiste Mahdi al-hafedh mit seiner Familie in die Schweiz und 1983 weiter nach Wien, wo er als Wirtschaftsexperte für die Vereinten Nationen tätig war. OT 8: Al-hafedh „Ich glaube, es wäre vor allem gefährlich gewesen, wahrscheinlich für meinen Vater, weil Saddam in den ersten Jahren seiner Amtszeit… gerade Politiker und Intellektuelle und Künstler ermordet hat. Insofern wäre mein Vater möglicherweise eine Zielscheibe geworden. Was mit uns passiert wäre… auch das hätte natürlich ganz schief gehen können, weil man häufig in dieser Zeit auch die Söhne von möglicherweise gefährlichen Gegnern auch ermordet hat.“ AUTOR: Trotz dieser Gefahr, sieht sich Ahmed Al-hafedh nicht als Flüchtling. Denn seine Familie reiste legal ein, sein Vater war gut vernetzt und hatte rechtzeitig eine Wohnung und ein Auto organisiert. In Wien besuchte Ahmed die private französische Schule zusammen mit Kindern aus gutsituierten Familien und Diplomatenkindern. Nach dem Abitur studierte er an der amerikanischen Universität Wirtschaft und BWL, bis er bei einem Psychologie-Kurs zu seiner Berufung fand. In Beirut schrieb er 2003 seine Magisterarbeit, eine umfangreiche Studie über die Zufriedenheit der Iraker mit den US-Truppen. Nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 trennten sich die Wege von Mahdi und Ahmed al-hafedh. Der Vater kehrte nach Bagdad zurück. OT 9: Al-hafedh „Mein Vater war im Irak Planungsminister in der Übergangsregierung. Nach dem Fall von Saddam ist mein Vater in den Irak zurückgekehrt und war, ich glaube,… ab 2004 in dieser Übergangsregierung… also aktuell ist er im Parlament, unabhängiger.“ AUTOR: Der Sohn Ahmed Al-Hafedh ließ sich 2005 endgültig in Deutschland nieder. OT 10: Al-hafedh „Nach Michendorf, das ist hier in der Nähe von Potsdam und da wohnt mein Bruder seit längerer Zeit und das war für mich eine mögliche Plattform, um meine Psychotherapie-Fortbildung zu machen… Ich habe meine Frau 2007 kennengelernt… Ich habe sie genauer gesagt, habe ich sie in Michendorf kennengelernt, weil sie dort ein Blumengeschäft hatte und ich wohnte in der Nähe und dann bin ich da stehengeblieben.“ AUTOR: Der Weg in die Praxis „Via Propria“ führt über die zweistöckigen Backstein-Häuser des Holländischen Viertels, die Souvenirläden, Boutiquen, Restaurants und Immobilienbüros beherbergen. 4 Man biegt in eine Allee ein, deren Mittelstreifen sich Radfahrer und Fußgänger zwischen den Grünstreifen teilen. OT 12: Klingel-ATMO OT 13: „Sie können Ihre Sachen hinten ablegen. Möchten Sie was schon vorab etwas trinken? Soll ich etwas vorbereiten? Tee oder Kaffee?“ AUTOR: Seit fünf Jahren betreibt Ahmed Al-hafedh, ein freundlicher und sanft anmutender 40Jähriger, seine Praxis. Im Warteraum blickt man auf zwei massive Holztische, einen orientalischen Teppich und ein großes Foto von Möwen am Strand. Klangschale und Klöppel ruhen auf einem kleinen Kissen. OT 5: Gong AUTOR: Im kleinen Gesprächsraum stelle ich das Glas Wasser auf einen massiven Holzstamm neben eine Sanduhr. Auf meinem Stuhl sitzen regelmäßig zehn PogidaAnhänger oder Sympathisanten. Einige von ihnen erzählten Ahmed Al-hafedh, dass sie an Pogida-Demonstrationen teilnehmen, andere wiederum, dass sie das machen würden, jedoch in der liberalen Stadt Potsdam soziale und wirtschaftliche Nachteile befürchteten. Einzelne wiederum ließen in den Sitzungen ihrem Rassismus freien Lauf: OT 14: Al-hafedh „Es gab Situationen, wo jemand begann wirklich… zu schimpfen über Charaktereigenschaften oder Attribute von Menschen aus dem Mittleren Osten oder … vornehmlich aus Afrika, und steigerte sich da hinein… ‚Die sind doch alle ekelhaft, die waschen sich nicht‘…Dann habe ich eine Grenze gezeigt.“ AUTOR: Aber warum schenken Menschen, die das Abendland vor der „muslimischen Invasion“ retten wollen, ausgerechnet einem arabisch-muslimischen Therapeuten ihr tiefstes Vertrauen? OT 15: Al-hafedh „Sie nehmen mich vielleicht als Institution eher wahr, denn sie sagen: Das ist ein Psychotherapeut, ein Fachmann, und er spricht gut Deutsch und alles andere rückt in den Hintergrund. So kommt mir das vor. Es gab schon den einen oder anderen in den letzten Jahren, der mal gesagt hat, sie fühlen sich von deutschen Therapeuten nicht so verstanden… Das ist sehr merkwürdig, ja… Aber auf der anderen Seite, gibt es diese Ebene zum Beispiel unter Pegida-Anhängern, die sagen, ‚unsere Regierung vertritt nicht unsere Interessen‘. Das ist also vielleicht eine inhaltliche Parallele, die da drin steckt vielleicht.“ 5 AUTOR: Die Verteidiger des Abendlandes legen sehr viel Wert auf den Schutz ihrer Heimatküche. Beim Landesparteitag der AfD in Berlin im April zum Beispiel erhielten diejenigen Redner am meisten Beifall, so der Tagesspiegel, die gegen die Verbannung des Schweinefleisches aus der Kita auf Initiative muslimischer Eltern wetterten. Nach deren Kriterien scheint der irakische Moslem Ahmed Al-hafedh voll integriert: OT 16: Al-hafedh „Ich erlebe das immer wieder, dass die Leute mich vorsichtig fragen, ob ich denn Schweinefleisch überhaupt esse, ob das ok ist usw. Was sagen Sie? Das ich Schweinefleisch esse, dass ich damit ganz konform bin, dass ich damit keine Schwierigkeiten habe.“ AUTOR: Ahmed Al-hafedhs Schwiegerfamilie akzeptiert den freundlichen und kulinarisch integrierten Moslem ohne Wenn und Aber, wie folgende Geschichte zeigt. Für eine kurze Zeit vertrat er seine erkrankte Frau und übernahm von ihr die eingehenden Anrufe im Büro ihres Vaters und die Organisation seiner Termine. OT 17: Al-hafedh „Und später mal… hat sich eine Kundin beschwert und hat gesagt: ‚Ich habe da mit irgendeinem Ausländer gesprochen‘. Und mein Schwiegervater hat sich darüber geärgert und hat diese Kundin dann auch sozusagen wieder dorthin platziert, wo sie hingehört, wie er sagte, weil er hat gesagt, der Chamudi – das ist mein Spitzname… – der ist nicht ‚irgendein Ausländer‘.“ AUTOR: Ahmed Al-hafedh ist herzlich, aufmerksam und kooperativ. Könnte es sein, dass der gut ausgebildete Psychotherapeut für manche rassistische Bekannte oder gar Freunde der Lieblingsausländer ist? OT 18: Al-hafedh „Also ich sehe mich nicht gerne als Lieblingsausländer, das ist ein gefährlicher Status, glaube ich. Aber Sie haben Recht, ich glaube, manche fremdenfeindliche Menschen in der Vergangenheit, wenn sie über mich gesprochen haben, dann haben sie gesagt, ‚Ja, aber Leute wie er sind ok‘. Das habe ich nicht gerne gehört. Davon habe ich mich innerlich distanziert natürlich“. AUTOR: Kann sein, dass sogar Pegida-Anhänger bewusst einen arabisch-muslimisch Therapeuten ausgesucht haben, um dadurch ihre Islamfeindlichkeit oder ihren Rassismus zu kaschieren? OT 19: Al-hafedh „Das kann sein, dass sich manche damit schmücken und das politisch einsetzen, um etwas nach außen zu beweisen. Das kann durchaus sein… Es gab ja auch diese Berichterstattung hier in Potsdam, dass die Pogida-Demonstranten hinterher am Bahnhof zu sichten waren und beim Vietnamesen Nudeln gegessen haben und damit gezeigt haben, dass sie eigentlich mit Ausländern (lacht) klar kommen.“ 6 AUTOR: So viel Kalkül, so viel Einsicht erwartet Ahmed Al-hafedh von Pegida-Demonstranten oder Sympathisanten eher nicht. OT 20: Al-hafedh „Und übrigens so ähnlich wie diejenigen, die zu mir hierher in die Praxis kommen und sich dann ganz freizügig über Ausländer beklagen und beschimpfen zum Teil, die dann offensichtlich dann vergessen, dass ich Araber bin, dass ich Iraker bin.“ O-TON Musik: Bein Elnakhil _ Amid the Palm Trees _ Entre las Palmeras, Track 2 AUTOR: Ahmed Al-hafedh zieht eine ganz klare Grenze zwischen rechtspopulistischen Politikern, die gegen Ausländer, Flüchtlinge und Muslime hetzen und ihren Anhängern. Zur ersten Gruppe zählt er Rechtsradikale, Neonazis und Menschen mit einer kriminellen Vergangenheit wie Pegida-Initiator Lutz Bachmann (und PogidaChef Christian Müller). Solche Politiker beschreibt der Psychotherapeut als narzisstisch bis dissozial. Er attestiert ihnen einen gravierenden Empathiemangel gepaart mit einer paranoiden und hochaggressiven Haltung, die im Fall der Pegida auf Ausländer fokussiert ist. OT 21: Al-hafedh „Ich mache keinen großen Unterschied zwischen der Pegida-Leitung… und Menschen… und Menschen, die in der Leitung rechtspopulistischer Parteien sind – AfD, FPÖ… Front National… Auf der einen Seite haben wir diejenigen, die… diese Welle des Hasses und der Grenzen-Schließung… vollziehen möchten. Sie tun das aber in Wirklichkeit nicht aus rein sachlichen Gründen, denn… dann würden wir dieses ganze Packet an Verurteilungen, an Assoziationen mit Nationalsozialismus, mit Rassismus und sonstigen nicht haben.“ AUTOR: Ahmed Al-hafedh zeigt Verständnis für die Ängste und Sorgen seiner Patienten vor einer Flüchtlingswelle und vor integrationsresistenten Ausländern. Denn ähnliche Ängste teilen auch seine Freunde: OT 23: Al-hafedh „Wir haben eigentlich… sozialschicht übergreifend… viele Menschen, die Schwierigkeiten darin sehen, dass so viele Flüchtlinge aufgenommen werden… viele Menschen, die sich bedroht fühlen durch den Terrorismus und durch die Aufnahme von Flüchtlingen – die Assoziation ist eigentlich keine schwierige. Und das ist für mich eine nachvollziehbare Angst. (2:48) Ich kenne auch Araber, die Angst davor haben, dass noch mehr Araber nach Deutschland kommen. Sie sagen: Könnte die deutsche Regierung wirklich so limitiert sein, dass sie die Gefahr nicht sehen wolle, dass man über die Aufnahme von Flüchtlingen auch Terroristen mit hinein bekommen könnte?“ 7 AUTOR: Aber wer sind die Potsdamer, die an den wöchentlichen Pogida-Aufmärschen teilnehmen – in letzter Zeit waren es nur noch 50? OT 24: Fröhlich „Es ist jetzt nicht die Oberschicht… vielleicht ein-zwei Ausreißer, Mittelschicht auch nicht, es ist schon das unterste Drittel… sozial, was dort hingeht.“ AUTOR: Diese Aussage trifft nicht auf Ahmed Al-hafedhs „Pegida-Patienten“ zu, die fast alle männlich sind und solche Aufmärsche meiden. Nach sozialen Kriterien kann der Psychotherapeut kein solches Grundprofil erstellen. Ahmed Al-hafedh insistiert, dass kaum einer von ihnen Rassist sei. Um seinen anonymen „Pegida-Patienten“ ein Gesicht zu geben, erstellte Ahmed Alhafedh (auf meine Bitte hin) fünf entsprechenden Profile. Da ist zum Beispiel der relativ junge Polizist Frank, der Angst vor Gewalt von Flüchtlingen hat und zugleich in Flüchtlingsheimen gefährliche Konflikte schlichten muss. OT 26: Al-hafedh „Es ist vielmehr, dass der Polizist… die verzerrte Assoziation macht zwischen Ausländern oder Flüchtlingen und Gewalt… Es ist nun ja mal nicht von der Hand zu weisen, dass sehr viel Gewalt auch von Flüchtlingen in bestimmten Flüchtlingsheimen ausgeht. Das darf man auch nicht mit Korrektheit oder mit Ethik vertuschen, ja.“ AUTOR: Auf „meinem“ Stuhl im Behandlungsraum sitzt regelmäßig auch Franz, der vor der Rente steht und Angst um seine Existenz hat. Denn er muss sich als Selbstständiger weiter finanzieren, weil der Staat ihm nur ein Minimum an Renten- und Sozialversicherungsbeiträgen gewährt. Auch der Manager Wolfgang, der wirtschaftlich denkt, sitzt regelmäßig hier. So wie ich, blickte er dann auf das gleiche abstrakte, große Bild und sagte dem Therapeuten: Wolfgang ist pragmatisch im Umgang mit rechtspopulistischen Parteien. OT 27: Al-hafedh „Sie identifizieren sich mit einem Teil des des Inhalts und mit einem Teil der Protagonisten dieser Parteien und schenken dem anderen, sagen wir mal, diskriminierenden Teil nicht so viel Aufmerksamkeit… Ich denke, das sind typischerweise Neo-Liberale… Sie priorisieren in ihrem Leben den wirtschaftlichen Fortschritt… Vor allem sind solche Leute, weil sie Wirtschaftsexperten sind, sind sie ziemlich angenervt von der Tatsache, dass die Perspektive so aussieht, dass sie noch mehr soziale Beiträge leisten sollten.“ 8 AUTOR: Sabine gehört ebenfalls zu Al-hafedhs „Pegida-Patienten“. Die Ärztin sieht das ohnehin knappe Budget des Gesundheitssystems durch die starke Zuwanderung bedroht. OT 28: Al-hafedh „Im Vergleich zu anderen, die in finanzieller Knappheit leben, ist diese Ärztin zum Beispiel eigentlich eher aus Prinzip… gegen die zunehmende… Aufnahme von Flüchtlingen, und sie sieht darin auch ein Versagen der Regierung.“ AUTOR: Schließlich der Handwerker Manfred. Er ist tief verschuldet und muss daher als Rentner weiter arbeiten. Manfred steht hier für eine ganze Gruppe von Deutschen: OT 29: Al-hafedh „Ich glaube, dass das, was diese Gruppe tatsächlich auch stark kategorisiert, ist eine fehlende multi-kulturelle Erfahrung und eine leichtere Manipulationsmöglichkeit, die von den Medien oder von den Politikern getätigt werden kann… weil sie beschränkt gebildet sind.“ AUTOR: Niemand kommt zur Therapie, um sich von seiner Islamophobie kurieren zu lassen, sagt Ahmed Al-hafedh. Seine Patienten kommen wegen existenzieller Probleme, Depressionen oder Krisen in der Ehe. Gibt es jedoch eine seelische Krankheit, die bei seinen Pegida-Patienten besonders ausgeprägt ist? OT 30: Al-hafedh „Meines Erachtens, und das ist bei allen der Fall, sehe ich die Kernursache in allen Fällen entweder in einer Angst oder in einem Gefühl des Mangels. Und in den meisten Fällen treffen beide zu… Die primäre Rolle… hat etwas mit einer psychischen Dynamik zu tun… dass ein Mensch sich schwer damit tut, seine Bedürfnisse zu vertreten und daher beispielsweise oft das Gefühl hat, dass er oder sie zu kurz kommt. Das Zu-kurzkommen entspringt einer Überangepasstheit im sozialen Umfeld… Das hat damit zu tun, dass ein Mensch gelernt hat, seine Bedürfnisse zurückzunehmen, sich bescheiden zu zeigen, sich sogar dafür zu schämen etwas einzufordern.“ AUTOR: Der gewöhnliche Pegida-Patient sucht nach Anerkennung, Wertschätzung, Liebe und sogar Versorgung. So einer würde zur Therapie hungrig kommen. Er würde aber eher versuchen seinen Hunger auszuhalten oder für sich selbst zu sorgen, sogar als Al-hafedh ihm einige Snacks anbietet OT 31: Al-hafedh „Ich würde sagen,… dass viele Menschen zu mir kommen mit einer SelbstwertStörung, die dahinter steht,… In diesem Fall würde ich sagen, dass die meisten Patienten, die zu mir kommen, unter einer Selbstwertstörung in irgendeiner Form leiden.“ 9 AUTOR: Kein Patient kehrte aufgrund einer solchen ein- bis zweijährigen Therapie der Pegida den Rücken. Politische Gespräche führt Al-hafedh mit ihnen ohnehin nicht. Aber durch die Behandlung konnte Ahmed Al-hafedh einigen Patienten ihre Ängste nehmen. Das sei für ihn auch eine politische Arbeit, aber eine ganz andere als die seines Vaters: OT 32: Al-hafedh „Man kann sozusagen auch politischen Einfluss nehmen über andere Medien…und mir ist es ein Anliegen, dafür zu sorgen, dass das sogenannte ‚Bewusstsein-Niveau‘ auf der Welt größer wird, damit Menschen mündiger und autonomer werden, damit solche Manipulationen und Verzerrungen nicht mehr stattfinden können.“ AUTOR: Wenn Patienten ihn zur Flüchtlingsthematik fragen würden, würde Ahmed Al-hafedh ihnen empfehlen, gegen die Regierung in Berlin zu demonstrieren, aber keinesfalls für oder mit der Pegida. OT 33: Al-hafedh „Ich kann das nachvollziehen, dass da es Zweifel sind, dass da es Ängste sind, dass da nicht empathisch damit umgegangen wird. Aber dann sollte das nicht dazu führen, dass man mit der Pegida demonstriert… Dafür sind ja die Köpfe, die dahinter stecken viel zu gefährlich. Das gleiche gilt für die AfD. Das ist ja ein Wolf in Schafpelz“. AUTOR: Auf seinem Tisch im Behandlungsraum, direkt vor dem Messing-Räuchergefäß, dem Foto seiner drei Kinder und dem abstrakten großen Bild, das sie mit ihrer Mutter, Ahmeds Frau malten, ruht ein silberner Kopf, dessen Gesicht in allen vier Himmelsrichtungen schaut. Es ist kein Politiker, es ist Buddha. Dass liegt daran, OT 34: Al-hafedh „dass ich regelmäßig meditiere, seit 20 Jahren und dass ich sehr viel Wert darauf lege, bewusst in meinem Leben zu sein… und wenn es mir nicht gelingt, dann kehre ich darauf zurück,… auf diesen Glauben, dass es eine Kraft gibt, die uns schützt und die uns umhüllt und die religions- und nationsübergreifend ist. Ich glaube an den Menschen als solches und ich glaube an die Liebe.“ 10
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