Enorme Variabilität im Transfusionsbedarf

SERIE
Patient Blood Management, 3. Teil*
Enorme Variabilität im Transfusionsbedarf
Handlungsbedarf in Österreich
Patienten, denen Fremdblut transfundiert wurde, haben einen schlechtere Prognose als jene, die kein
Fremdblut erhalten haben. Benchmark-Vergleiche bei definierten Eingriffen zeigen, dass in Österreich
der Blutverlust zwischen den einzelnen Häusern um den Faktor 3, der Transfusionsbedarf um den
Faktor 7 bis 17 schwankt. klinik sprach mit Univ.-Prof. Dr. Hans Gombotz, Leiter der Abteilung für
Anästhesie und operative Intensivmedizin, AKH Linz, über die Ergebnisse der österreichischen Benchmark-Studien und die Möglichkeiten von Patient Blood Management.
Susanne Hinger
Was ist die Rationale für Patient Blood
Management?
Prim. Gombotz: Erstens sind das die
enormen, durch nichts zu erklärenden regionalen Unterschiede im Blutverbrauch.
So zeigt die österreichische BenchmarkStudie eine hohe Variabilität zwischen den
untersuchten Häusern sowohl beim Blutverlust als auch bei der Transfusionsrate.
Kein Mensch kann erklären, warum bei
vergleichbarem Operationsergebnis in einem Haus bis zu 7- bis 17-mal mehr transfundiert wird als in einem anderen Haus –
und das für ein und dieselbe Indikation.
Zweitens wissen wir, dass der Krankheitsverlauf nach Transfusionen, wenn diese
nicht indiziert sind, schlechter ist. Und
drittens kommt die Kostenfrage dazu. Die
Kosten, die für Blut und Blutderivate bezahlt werden, machen z.B. am AKH Linz
etwa 20% des Medikamentenbudgets aus.
Und nicht zuletzt stehen wir in den nächs-
ten Jahren vor gewaltigen Engpässen,
die einen sorgsamen Umgang mit der
Ressource Blut erforderlich machen.
Es gibt also eine Reihe von Argumenten
für Patient Blood Management.
Gibt es Studien, die einen schlechteren
Outcome nach Transfusionen zeigen?
Ja, es gibt eine Vielzahl von Studien, die
zeigen, dass transfundierte Patienten einen schlechteren Outcome haben (höhere
Rate an Myokardinfarkten, mehr Infektionen, längere ICU-Liegedauer, generell
längere Aufenthaltsdauer etc.).
Sie sprechen von einem schlechteren
Outcome bei Transfusionen, die nicht
indiziert sind. Wie oft sind Transfusionen nicht indiziert?
Natürlich gibt es Situationen, in denen
man transfundieren muss. Wahrscheinlich
sind das unter der Vorraussetzung, dass
Abb. 1: Hohe Variabilität in der Transfusionsrate in der Benchmark-Studie I [1]
Schwankungen von 12–87% bei Kniegelenksersatzoperationen
(1.401 THR-Patienten transfundiert)
Patient Blood
Management angewendet wird,
nur 5–10% der
jetzt transfundierten chirurgischen Patienten.
Was genau will Univ.-Prof. Dr.
Patient Blood Hans Gombotz
Management?
Patient Blood Management bei elektiven Eingriffen stützt sich auf drei Säulen: erstens die Optimierung der präoperativen Erythrozytenmasse, wobei der
Behandlung einer präoperativen Anämie, mit dem Ziel, ein normales Blutbild vor dem elektiven Eingriff zu erreichen, besondere Bedeutung zukommt,
zweitens die Minimierung von Blutungen und des Blutverlustes während der
Operation und drittens die Erhöhung
der Anämietoleranz. Ich bin aber überzeugt, dass man mit dem Konzept des
Patient Blood Managements, d.h. wenn
all diese Faktoren ausgeschöpft sind, in
der elektiven Chirurgie bis zu 90% aller
Transfusionen vermeiden kann.
90%
80%
Transfusionsrate
70%
60%
Reduktionspotenzial
50%
40%
30%
20%
10%
0%
15
12
13
16
9
3
1
7
Center No.
2
11
4
6
5
8
14
10
90% der Transfusionen könnten vermieden werden. Ab wann, ab welchem
Hb sind Transfusionen denn indiziert?
Wir sind bislang in den Transfusionsrichtlinien zu sehr von den Produkten
ausgegangen. Welches Produkt wird
wann gegeben, ab welchem Hämoglobinwert besteht Transfusionspflicht etc.
Im Patient Blood Management geht es
nicht um einzelne Werte, hier steht die
perioperative Behandlung der Patienten
im Mittelpunkt, und die von den Gesellschaften empfohlenen Transfusionstrigger werden in den meisten Fällen nicht
4
erreicht.
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Patient Blood Management, 3. Teil*
4 Nach welchen Kriterien entscheidet
dann der Arzt, wenn es keine Grenzwerte gibt?
Der Hb-Wert ist von Interesse, aber nur
als ein Stein im Mosaik. Entscheidend ist
der klinische Zustand des Patienten, dazu
zählen der Blutdruck, der Kreislauf, das
subjektive Empfinden des Patienten etc.
Mit diesem individuellen Vorgehen kann
man auch in einem Hb-Bereich von 6–8
noch ohne Transfusion agieren. Natürlich
kommt irgendwann der Punkt, an dem
transfundiert werden muss, doch liegt dieser wahrscheinlich weit tiefer als derzeit
praktiziert.
Aus der Benchmark-Studie I wissen wir,
dass der niedrigste gemessene Hb-Wert
bei allen in der Studie erfassten Patienten,
die transfundiert wurden, bei 9 lag! Meiner Meinung nach gibt es jedoch wenige
Gründe, bei einem Hb-Wert von über 8
überhaupt zu transfundieren, eng wird es
natürlich bei einem Hb-Wert von 6.
Aber im Grunde wollen wir mit unserem
Konzept ja gar nicht dorthin kommen,
denn genau diese Situationen wollen wir a
priori vermeiden!
Patient Blood Management soll also
vermeiden, dass Patienten überhaupt
kritische Hb-Werte erreichen?
Ja, es geht darum, bei elektiven Eingriffen die Anämie schon präoperativ zu behandeln. Wir wissen das aus eigenen Daten. Bei Patienten, bei denen die Anämie
präoperativ, d.h. 3–4 Wochen vor dem
Eingriff, behandelt wurde, mussten nur
10% transfundiert werden gegenüber
100% in der Gruppe, bei denen die Anämie nicht behandelt wurde. Und bemerkenswerterweise war der Entlassungs-Hb
in der Gruppe mit Patient Blood Management höher als in der unbehandelten
und transfundierten Gruppe.
Wie erklärt sich das? Warum erreichen
Patienten mit präoperativer Anämiekorrektur einen höheren Hb-Wert?
Das Problem liegt darin, dass aufgrund
einer – oft auch nur leichten – Anämie die
postoperative Blutbildung schlechter ist.
Viele Patienten werden daher auch erst
postoperativ transfundiert. Mit der
Abb. 2: Prävalenz der Anämie in
der Österreichischen BenchmarkStudie [1]
40%
30%
3-Säulen-Strategie für modernes
Patient Blood Management
20%
10%
n
Behandlung der präoperativen Anämie
n
Minimierung des Blutverlustes während
der Operation
n
Erhöhung der Anämietoleranz, Berücksichtigung der individuellen Sauerstoffkapazität
0%
CABG
HCOC
THR
TKR
THR (totaler Hüftgelenksersatz), TKR (Kniegelenksersatz), HECOG (Hemikolektomie), CABG
(aortokoronare Bypass-Operation)
Die Daten: Österreich im Vergleich
Verglichen mit anderen europäischen
Ländern wird in Österreich mehr Blut
verbraucht. Mit einem jährlichen Verbrauch von 50 Fremdbluttransfusionen
pro 1.000 Einwohner liegen wir im
Spitzenfeld, im Vergleich dazu verbraucht Norwegen nur 34, Großbritannien 35 und die Niederlande 40 Transfusionen.
Im Jahr 2002 hat der Strukturfonds
(nunmehr Bundesgesundheitsagentur)
eine Benchmark-Studie in Auftrag gegeben, die den Verbrauch von Blutkomponenten bei ausgewählten elektiven
chirurgischen Eingriffen in österreichischen Spitälern untersuchte. Diese Studie, deren Ergebnisse 2007 von Gombotz et al. im Journal Transfusion publiziert wurden [1], war als prospektive
multizentrische Beobachtungsstudie
konzipiert.
Untersucht wurde der Blutverbrauch bei
folgenden elektiven chirurgischen Ein-
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griffen: totaler Hüft- bzw. Kniegelenksersatz (THR, TKR), Hemikolektomie
(HECOG) und aortokoronare BypassOperation (CABG). Österreich wurde
in drei Regionen unterteilt (West, Ost
und Mitte). Pro Region und Indikation
wurden Spitäler zufällig ausgewählt,
sodass insgesamt 18 Häuser teilnahmen. Erfasst wurden ausschließlich klinische Routinedaten. Die anonymisierten Ergebnisse zeigen eine hohe Variabilität zwischen den untersuchten Häusern mit Schwankungen sowohl im
Blutverlust (bis zum Dreifachen!) als
auch erst recht in der Transfusionsrate.
So schwankte der Anteil an Patienten,
die Transfusionen erhielten, bei Hüftersatzoperationen von 16–85% und bei
Knieersatzoperationen von 12–87%.
Risikofaktor: präoperative Anämie
Besonders bemerkenswert war, dass etwa 20% der Patienten in dieser Studie
bereits präoperativ als anämisch einzustufen waren. Der Blutbedarf war, was
nicht verwundert, in dieser Patientengruppe überproportional groß. Für jene
20% bereits präoperativ anämischen Patienten mussten 40% der Blutkonserven
verwendet werden.
Benchmark-Studie II
Ob seit der 1. Benchmark-Studie eine
Veränderung bewirkt werden konnte,
wurde nun in einer Folgestudie untersucht. An dieser Folgestudie haben 17
der 18 Krankenhäuser der seinerzeitigen Studie sowie 6 neue Häuser teilgenommen. Darüber hinaus wurde die
Studie auch um zusätzliche Indikationen (Intensivstation, hämatoonkologische Ambulanz) erweitert.
Die Ergebnisse der Benchmark-Studie
II werden am 9. März präsentiert.
[1] Hans Gombotz et al., Blood use in elective surgery: the Austrian benchmark study; Transfusion 2007; 47:1468–1480
Wie groß ist in Österreich der Handlungsbedarf hinsichtlich präoperativer
Korrektur der Anämie?
Der Handlungsbedarf ist enorm! Sowohl
die Benchmark-Studie I als auch die Folgestudie II zeigen, dass in mehr als 93%
der Fälle eine präoperativ bestehende
Anämie nicht behandelt wird und dass
diese Patienten anämisch zur (elektiven!)
OP kommen. Entscheidend ist es, den Patienten, sobald die OP-Indikation besteht,
der präoperativen Ambulanz vorzustellen.
Wie sollte nun präoperativ bei elektiven Eingriffen vorgegangen werden?
Patienten sollten mindestens 3–4 Wochen
vor der Operation in der präoperativen
Ambulanz auf ihre Transfusionswahrscheinlichkeit getestet werden. Im Falle
eines ermittelten Transfusionsbedarfes
muss die Anämie abgeklärt werden. In
über 30% der Fälle ist die Ursache eine
einfache Eisenmangel-Anämie, die sehr
leicht mit Eisensubstitution zu behandeln
ist. Ist die Anämie die Folge einer chronischen Erkrankung (Niere, Polyarthritis
etc.), muss diese mit Erythropoetinen in
Kombination mit Eisen behandelt werden.
Schwere komplexe Anämien werden natürlich hämatologisch abgeklärt.
Wie erfolgt die Behandlung der einfachen Eisenmangel-Anämie? Wie viel
Zeit braucht man dazu?
In der Regel ist eine einzige i. v. Eisen-Gabe 3–4 Wochen vor der Operation ausreichend. Besteht mehr als 4 Wochen Zeit,
kann die Substitution auch oral erfolgen.
Bei rechtzeitiger Vorstellung in der präoperativen Ambulanz können auch andere präoperativ bestehende Erkrankungen behandelt werden (etwa Herz-Insuffizienz, Diabetes etc.), um Patienten in einem optimierten Zustand zur Operation zu bringen.
Welche Zielwerte werden mit der präoperativen Korrektur angestrebt?
Es geht um eine Anhebung in den Normbereich, das bedeutet in jedem Fall ein
Hb-Wert von unter 15, bei Frauen in der
Regel ein Hb-Wert um die 12, bei Männern von 13. Der eigentliche Effekt be-
Abb. 3: Outcome-Daten: mit/ohne Patient Blood Management
In einer Studie zu CABG (Aaortokoronare Bypass-Operation)
mit PBM
(n = 586)
ohne PBM
(n = 586)
p-Wert
% transfundiert
10,6%
42,5%
< 0,0001
Mortalität
0,8%
2,5%
0,02
Schwere Komplikationen
11,1%
18,7%
0,0002
Moskowitz et al. Ann Thorac Surg 2010; 90:451–9
*Serie Modernes Patient Blood Management
Wissenschaftliche Beratung: MR Dr. Johann Kurz
Bereits erschienen:
n Teil 1: „Patient Blood Management: Der Patient im Mittelpunkt“
(Susanne Hinger, Johann Kurz)
n Teil 2: „Grundzüge des Eisenstoffwechsels“ (Gerhard Lanzer)
Blutverlust und überlegtes Nutzen von Kompensationsmechanismen“
(Arno Schiferer, Michael Hiesmayr)
Weitere geplante Themen:
n Präoperative Korrektur der Anämie (Christian Cebulla)
n Minimierung des chirurgischen Blutverlustes
n Ermittlung des individuellen Transfusionstriggers
n Was wurde bereits erreicht: Erfolge und ausgewählte Projekte
n Strategien in ausgewählten Bundesländern
in klinik 5/2010
in klinik 6/2010
in
in
in
in
in
klinik 2/2011
klinik 3/2011
klinik 4/2011
klinik 5/2011
klinik 6/2011
© iChip - Fotolia.com
präoperativen Korrektur der Anämie erhöht sich auch die postoperative Regenerationsfähigkeit.
steht aber darin, dass der Eisenspeicher
wieder aufgefüllt wird.
Auch bei großen Blutverlusten sollte mit
Eisen kompensiert werden: Dabei werden
150 mg Fe pro 1 g Hb-Abfall gegeben.
Die Minimierung des Blutverlustes ist
die zweite Säule im Patient Blood
Management, worum geht es hier?
Hier geht es sowohl um die chirurgischen
als auch um die pharmakologischen Möglichkeiten. Neben der chirurgischen Technik und der Art der Anästhesie (z.B. weniger Vasodilation unter Regional-Anästhesie) geht es auch um das Vermeiden von
Hypothermie oder die Hochlagerung des
OP-Feldes etc. Auch pharmakologische
Maßnahmen sind von Relevanz (z.B.
Cyklokapron® in der Herzchirurgie).
Worum geht es bei der dritten Säule?
Hier geht es um die Erhöhung der Anämietoleranz des Patienten – das gelingt
unter anderem durch eine Verbesserung
der kardiovaskulären Situation – und um
eine Berücksichtigung des individuellen
Sauerstoffbedarfs des Patienten. Tatsächlich konnte eine Verbesserung des Sauerstofftransportes mit transfundiertem Blut
und eine damit verbundene Anhebung des
Sauerstoffverbrauchs in nur wenigen
Studien nachgewiesen werden. Bei den
3 Säulen des Patient Blood Management
geht es darum, alle 3 Risken – nämlich
das Anämierisiko, das Blutverlustrisiko
und das Transfusionsrisiko – zu minimieren. Ich gehe davon aus, dass sich diese
drei Risken nicht nur addieren, sondern
vermutlich sogar potenzieren.
n
Vielen Dank für das Gespräch!
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