Perioperative management of patient`s blood: Blood

MEDIZINREPORT
PERIOPERATIVES PATIENTENBLUT-MANAGEMENT
Blutsparende Therapie der Anämie
Blutkonserven sind teuer und vor allem knapp. Durch ein interdisziplinäres Management
der Anämie kann Blut effizienter genutzt werden, als es häufig geschieht, auch
mit einfachen Mitteln. Dadurch sinken Verbrauch und Kosten von Blutpräparaten.
schluss der entsprechenden Anämiebehandlung verschoben werden
(5). Durch eine präoperative Anämiekorrektur in enger Zusammenarbeit mit Hausärzten konnte in einer englischen Studie die Inzidenz
einer präoperativen Anämie am
OP-Tag von 26 Prozent auf zehn
Prozent sowie das Risiko für eine
intraoperative Fremdbluttransfusion von 26 Prozent auf 13 Prozent
gesenkt werden (6).
In Deutschenland werden vor allem die Kosten der intravenösen
Eisentherapie, die Trennung von
ambulanter und stationärer Versorgung und die potenzielle zeitliche
Verschiebung des operativen Eingriffs als Argumente gegen die präoperative Behandlung der Anämie
in die Diskussion gebracht. So ist
die Frage ungeklärt, wer im deut-
schen Gesundheitswesen für eine optimale Vorbereitung des Patienten vor der Operation, insbesondere bei einem Hochrisikoeingriff, medizinisch verantwortlich
ist und wer die Kosten einer Therapie tragen muss – der Hausarzt, der
einweisende Arzt, der Chirurg, der
Anästhesist/Intensivmediziner oder
das Krankenhaus? Neben den Kosten- und Budgetaspekten könnte
sich die präoperative Anämiebehandlung im Vergleich zur Fremdbluttransfusion auch darüber hinaus lohnen: für den Patienten
selbst aufgrund von weniger transfusionsassoziierten Risiken und
Nebenwirkungen und besseren Heilungsverläufen; für die Klinik aufgrund von Patientenrekrutierung
und Marketing; für die Allgemeinheit wegen der Blutkonserven-
ie Gabe von Erythrozytenkonzentraten wird weltweit
sehr unterschiedlich gehandhabt.
Deutschland liegt mit circa 57
transfundierten Erythrozytenkonzentraten (EK) pro 1 000 Einwohner weltweit an der Spitze beim
Verbrauch. Zum Vergleich: In den
Niederlanden werden 34 EK/1 000
Einwohner transfundiert, in Australien und Großbritannien sind es 36,
in der Schweiz 41 und in Norwegen
42/1 000 Einwohner (1, 2). Blutkonserven aber werden aufgrund
medizinischer, gesellschaftlicher und
ökonomischer Veränderungen zu
einer zunehmend knappen Ressource. Ein möglicher Lösungsansatz ist
das multidisziplinäre PatientenblutManagement (engl. Patient Blood
Management [PBM]). Dessen Umsetzung wird seit 2011 von der
Weltgesundheitsorganisation (WHO)
gefordert (3).
GRAFIK
Präoperative Anämie häufig
Algorithmus zur präoperativen Anämiediagnostik und -therapie an der Universität Frankfurt
D
A 626
Quelle: www.patientbloodmanagement.de
Entsprechend den Kriterien der
WHO besteht eine Anämie dann,
wenn der Hämoglobinwert bei
Frauen unter 12 g/dl und bei Männern unter 13 g/dl liegt. Musallam
et al. berichten in einer Gesamtkohorte von 227 425 stationären Patienten von einer Prävalenz der präoperativen Anämie von 30 Prozent
(4). Im Krankenhaus ist die präoperative Anämie einer der stärksten
Prädiktoren für die Gabe von EK
während oder nach einer Operation. Darüber hinaus ist eine präoperative Anämie auch als eigenständiger und unabhängiger Risikofaktor
für das Auftreten von postoperativen Komplikationen und einer erhöhten postoperativen Sterblichkeit einzustufen (4). Prinzipiell
sollte jede Anämie nach Möglichkeit präoperativ abgeklärt und nicht
dringliche Eingriffe bis zum AbDeutsches Ärzteblatt | Jg. 112 | Heft 14 | 3. April 2015
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knappheit und schnelleren Rehabilitation. Das Universitätsklinikum Frankfurt am Main hat exemplarisch einen Algorithmus zur präoperativen Anämiediagnostik und
-therapie erstellt (Grafik).
Iatrogen ausgelöste Anämien
Perioperative Blutentnahmen und
interventionelle Prozeduren können
eine iatrogene Anämie zur Folge
haben (7). So kann zum Beispiel
bei intensivpflichtigen Patienten
einzig durch Blutlaborkontrollen
ein Blutverlust von bis zu 600 ml
pro Woche auftreten (eigene Daten). Eine aktuelle Hochrechnung
gibt allein für die westliche Welt
unter Berücksichtigung der aktuellen Standards von Laborblutentnahmen einen jährlichen Verlust von
25 Millionen Liter Blut an, der
unweigerlich zur hospital-aquired
anaemia führt (8). Durch Verkleinerung der Blutentnahmeröhrchen
sowie tägliche strenge Indikationsstellung können die Abnahmemengen und unnötige Blutverluste deutlich reduziert werden, ohne dass die
diagnostische Qualität leidet (9).
Technische Hilfsmittel wie die
maschinelle Autotransfusion (MAT)
haben sowohl intra- als auch postoperativ große Bedeutung. Ab einem geschätzten intraoperativen
Blutverlust von einem Liter wird die
Aufbereitung von Wundblut als
sinnvoll erachtet und reduziert nachweislich den Verbrauch an Fremdblutkonserven (10). Ebenso könnte
der Einsatz von MAT auch bei Tumorpatienten nach vorheriger Bestrahlung des Wundbluts (11) oder
durch den Einsatz von speziellen
leukozytendepletierenden Filtern (12)
erwogen werden.
Die adäquate und sorgfältige chirurgische Blutstillung ist elementar
für die Prophylaxe und die effiziente Therapie perioperativer Blutungen. Daneben sind physiologische
Rahmenbedingungen wie pH > 7,1,
ionisiertes Calcium > 1,2 mmol/l
und Temperatur > 36 °C Basisvoraussetzungen für eine optimale
Blutgerinnung (Hämostase) (13).
Bei dem geringsten Verdacht auf eine Hyperfibrinolyse sollte eine medikamentöse antihyperfibrinolytische Therapie, beispielsweise mit
A 628
Tranexamsäure, gestartet werden
(14). Aber auch die zellulär vermittelte (primäre) Hämostase kann beispielsweise mittels Vasopressinanaloga (Desmopressin) verbessert
werden (15). Auf diese Basistherapie muss jede weitere Therapie aufbauen, wobei insbesondere die algorithmus-basierte Therapie blutender Patienten ein effektives und
ökonomisches Management erlaubt.
Primäres Ziel bei einer Koagulopathie muss die kausale Therapie der
Ursache und nicht die symptomatische Therapie mittels Fremdblutersatz sein.
Die Praxis vor allem der EKTransfusionen ist in verschiedenen
Ländern und Krankenhäusern äußerst variabel. Das lässt die Schlussfolgerungen zu, dass Unsicherheit
hinsichtlich der adäquaten Indikationsstellung besteht und dass allogene Blutprodukte transfundiert werden, die gegebenenfalls nicht benötigt werden (2, 16). Diese große
Variabilität in der gängigen Transfusionspraxis ist umso überraschender, da in Deutschland klare Empfehlungen für den Umgang mit Blutprodukten durch die QuerschnittsLeitlinien der Bundesärztekammer
ausgesprochen wurden (11). Diese
empfehlen die Berücksichtigung der
Hämoglobin-Konzentration, Kompensationsfähigkeit und Risikofaktoren des Patienten.
Als potenzielle Risiken von EK
sind transfusionsassoziierte Übertragungen von Bakterien, Viren, Parasiten oder Prionen und nicht immunologisch vermittelte unerwünschte
Arzneimittelwirkungen wie transfusionsassoziierte Volumenüberladung,
Hypothermie, Hyperkaliämie, Citratüberladung und Transfusionshämosiderose bekannt (17). Außerdem stellen Transfusionen von zellulären
Blutpräparaten als „Transplantation
des flüssigen Organs Blut“ eine immunologische Herausforderung für
den Empfänger dar – trotz Blutgruppenkompatibilität. Zu den immunologisch vermittelten Risiken gehören:
● allergische Transfusionsreaktion
● febrile nicht-hämolytische
Transfusionsreaktion
● transfusionsassoziierte akute
Lungeninsuffizienz
●
hämolytische Transfusionsreaktion
● transfusionsassoziierte Graftversus-Host-Erkankung
● transfusionsassoziierte Immunmodulation (18–22).
Welche Langzeitbedeutung der
transfusionsassoziierten Immunmodulation zukommt, ist derzeit Gegenstand klinischer Untersuchungen.
Letzten Endes sollten EK wie andere Medikamente mit einem relevanten
Nebenwirkungsspektrum ausschließlich rational und medizinisch indiziert
verabreicht werden. Beispielsweise
konnte durch die Nutzung eines EDVgestützten Anforderungssystems für
allogene EK mit einem leitlinienbasierten programmierten Entscheidungsalgorithmus und einer Dokumentation des jeweiligen Transfusionstriggers in Stanford (USA) der
Anteil an nicht-leitlinienkonformen
Erythozytengaben zwischen 2009
und 2012 von 66 Prozent auf unter
30 Prozent aller Transfusionen gesenkt und die Gesamtmenge an EK
um 24 Prozent reduziert werden (23).
Evidenzbasierte Konzepte
Das Hauptaugenmerk eines multimodalen PBM liegt darauf, patienteneigene Ressourcen zu schonen
und zu stärken. Dies kann durch die
Erkennung und Therapie einer Anämie, akribische Minimierung des
perioperativen Blutverlustes, restriktive diagnostische Blutentnahmen, evidenzbasierte Gerinnungsund Hämotherapiekonzepte sowie
leitliniengerechte rationale Indikationsstellung von EK erreicht werden. Die Auswirkungen eines PBMKonzeptes an deutschen Kliniken
wird aktuell wissenschaftlich multi▄
zentrisch untersucht (24).
Prof. Dr. med. Patrick Meybohm
Prof. Dr. Dr. med. Kai Zacharowski
Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin
und Schmerztherapie, Universitätsklinikum
Frankfurt am Main
Dr. med. Markus Müller
Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie, DRK-Blutspendedienst BadenWürttemberg – Hessen gemeinnützige GmbH,
Frankfurt am Main
@
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1415
oder über QR-Code
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LITERATURVERZEICHNIS HEFT 14/2015, ZU:
PERIOPERATIVES PATIENTENBLUT-MANAGEMENT
Blutsparende Therapie der Anämie
Blutkonserven sind teuer und vor allem knapp. Durch ein interdisziplinäres Management der Anämie kann Blut effizienter genutzt werden, als es häufig geschieht, auch
mit einfachen Mitteln. Dadurch sinken Verbrauch und Kosten von Blutpräparaten.
LITERATUR
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A3
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