Editorial mehr einem anderen Geld aus, wenn er dafür keinen Zins oder gar einen Negativzins aufgebrummt bekommt. Es ist interessant, dass sich immer mehr Freunde mit den zwanziger und dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts befassen, als sich das Geld im Zuge einer Hyper inflation auflöste. Lähmend schön Brexit in Südfrankreich. Jordans Angriff auf den Franken. Spiegel gegen die Demokratie. Von Roger Köppel N L etzten Freitag nahm ich in Südfrankreich an einer Debatte über den Brexit teil. Auf dem Podium sass unter anderem die linksfranzösische Exministerin Elisabeth Guigou, die mit dem uneinnehmbaren Selbstvertrauen einer Frau, die Frankreichs höchste Schulen besuchte und ausserdem noch immer sehr schön ist, den EU-Ausstieg der Briten für eine Verrücktheit erklärte. Es fiel mir schwer, den Unsinn ihrer Argumentation zu zerzausen, weil mich Guigou lähmend an die französische Leinwandgöttin Mireille Darc erinnerte, die während der siebziger Jahre als Film- und Lebenspartnerin Alain Delons meine sehnsüchtigsten Jungteenager-Träume beherrschte («Ein Mädchen wie das Meer»). Dann aber äusserte die Sozialistin mit säuerlicher Miene den Satz, der wie kein anderer die Arroganz, die Verblendung und die kaum in Worte zu fassende Anmassung des real existierenden Europäismus heutiger Prägung ausdrückte: «Die EU ist unverzichtbar, weil sie die europäischen Grundwerte verkörpert, also Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie.» Ich war verblüfft, mit welcher Selbstverständlichkeit Frau Guigou eine derartige Ungeheuerlichkeit aussprechen konnte. Kein Staat, keine Behörde, keine Agentur hat den Alleinvertretungs anspruch für europäische Werte. Es sind die Bewohner Europas und die Vielfalt ihrer Länder, die , wenn schon, diese Werte tragen. Wer es sehen will, der sieht: Die heutige EU ist zu einer Bedrohung jener Werte geworden, die sie hochzuhalten glaubt. Demokratie und Rechtsstaat verwildern in der EU, wegen der EU. Die EU missachtet laufend ihre Regeln und trifft Entscheidungen, zu denen die Bürger nie befragt wurden: Euro, Staatsverschuldung, Asyl, Griechenlandhilfe, Sicherung der Aussengrenzen. Nichts wollte die ehemalige französische Spitzenpolitikerin von solchen Einwänden hören. Die Panzerdivisionen ihrer Ideologie versperrten den Blick auf die Wirklichkeit. Die heutige EU hat wenig, der Brexit aber sehr viel mit «europäischen Grundwerten» wie Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung zu tun. B ei einem Mittagessen unterhalte ich mich mit einem erfahrenen, erfolgreichen Bankier. Abgesehen davon, dass er den Brexit wie ich erfreulich findet («Die EU ist Wahnsinn»), teilen wir auch die Sorgen über die Zukunft des Schweizer Frankens. Macht Nationalbankpräsident Thomas Jordan unsere Währung kaputt? Weltwoche Nr. 27.16 Bild: Nathan Beck «Der Rechtsstaat verwildert in der EU.» Es ist doch krank, dass immer noch mehr Mil liarden gedruckt werden, um eine Aufwertung zu verhindern. Ich bin kein Nationalbanker, aber ich weiss, dass es nicht gut kommt, wenn ein starkes Land, das eine starke Währung hat, die eigene Währung laufend schwächt. Wann ist der Punkt erreicht, an dem der Franken unkontrollierbar absackt? Was bedeutet der gewaltige Verlust an Kaufkraft, den Jordan den Schweizern beschert? Dazu kommen noch die Negativzinsen, dieses Krebsgeschwür der Wirtschaft, dieses Gift, das unsere Sparguthaben auffrisst. Im Volkswirtschaftsunterricht habe ich gelernt, dass die Wirtschaft von Zinsen lebt. Die einen leihen den andern Geld aus, um dafür Zinsen zu bekommen. Es leiht doch keiner Qualität ist nicht unser Anspruch, sondern eine Selbstverständlichkeit. Ihre Privatklinik für Chirurgie und individuellen Service. pyramide.ch Spitze für Sie. ach dem Volksentscheid der Briten, der anders herausgekommen ist als erwünscht, wird in der EU umgehend der Ruf nach einem Verbot von Volksentscheiden laut. Allen voran: Das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel, einst selbst erklärtes «Sturmgeschütz der Demokratie», macht sich heute für die Einschränkung derselben stark. Unter dem Titel «Plebiszit des Grauens» giftet das Blatt in seiner jüngsten Ausgabe gegen die direkte Demokratie. «In der komplexen Welt des 21. Jahrhunderts» müsse man «das politische Kerngeschäft gewählten Vertretern» überlassen – die dann zum Beispiel an den Stimmbürgern vorbei die Unheilswährung Euro einführen oder die Landesgrenzen öffnen für Völkerwanderungen aus Afrika und dem Nahen Osten. Das einstige Oppositionsblatt Der Spiegel ist zum schreibenden Arm des Establishments geworden. Spiegel des Widersinns. S chon wieder muss ich mir das wirtschaftshistorisch falsche Lob der bilateralen Ver träge anhören. Bei einer «Arena»-Sendung, an der ich teilnehmen durfte, behauptete ein unter dem Brexit leidender Student, ohne die Bilateralen wäre die Schweiz in den neunziger Jahren verarmt. Es ist nicht zu fassen, mit was für Bildungslücken unsere Jugend in die Hochschulen surft. Zu den Tatsachen: Anfang der neunziger Jahre rutschte die Schweiz nach einer Überhitzung mit Immobilienblase in die Rezession. Die Zinsen explodierten, Firmen gingen ein. Die Wirtschaft lahmte heftig, gleichzeitig wurde der Staat aufgebläht. FDP-Nationalrat Ueli Bremi forderte: «Wir müssen wieder früher aufstehen.» Das Nein der Schweiz zum EWR im Dezember 1992 schleuderte die Polit-Elite gänzlich ins Elend: Ein schwarzer Tag, hiess es trotzig aus Bern, man werde die EU bald, auf Knien kriechend, um einen Beitritt bitten et cetera. Es kam anders. Bereits 1996 erholte sich die Wirtschaft. Ich erlebte es als junger Chefredaktor. Plötzlich sprudelten wieder die Inserate. Die Budgetkürzungen liessen nach. Der Aufschwung wurde nur kurzzeitig durch das Platzen der Dotcom-Blase unterbrochen, dann ging es fröhlich weiter bis zum Crash von 2008. Mit den Bilateralen hatte dieser Aufschwung bis zum Abschwung nichts, rein gar nichts zu tun. Die EU-Abkommen traten nach einer Volksabstimmung erst ab 2002 gestaffelt in Kraft. Es ist Geschichtsklitterung, die Erholung der Wirtschaft in den Neunzigern mit Verträgen zu erklären, die es damals gar nicht gab. 5
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