Arbeitsrecht Juni 2016

ARBEITSRECHT
JUNI 2016
Variable Vergütung und Sonderzahlungen im Arbeitsverhältnis, insbesondere Anrechnung von Sonderzahlungen auf den gesetzlichen Mindestlohn
(Bundesarbeitsgericht, 25.05.2016, Az. 5 AZR 135/16)
Variable Vergütungssysteme gehören heute zum Alltag
in den meisten Unternehmen. Ziel ist es, den Mitarbeiter
auf gewisse messbare oder beurteilbare Kriterien des
Unternehmens, der Organisationseinheit oder der eigenen Person auszurichten und Vergütungssysteme zu
flexibilisieren. Außerdem kann die Eigenverantwortung
von Mitarbeitern gestärkt werden.
In rechtlicher Hinsicht gibt es jedoch einige Punkte zu
beachten. So hat erst neulich das Landesarbeitsgericht
München (03.03.2016, Az. 3 Sa 985/15) entschieden,
dass im Rahmen einer Zielvereinbarung, welche sich
nach der individuellen Leistung des Arbeitnehmers richtet, der Arbeitgeber bei der Beurteilung dieser Leistung
nicht willkürlich entscheiden darf.
1. Zielvereinbarung und Freiwilligkeitsvorbehalt
Eine Zielvereinbarung ist eine vertragliche Nebenabrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, mit der
festgelegt wird, dass bestimmte erwünschte Zustände
(Ziele) innerhalb eines bestimmten Zeitraums (z. B. Kalenderjahr) erreicht werden sollen. In der Praxis werden
dazu quantitative und qualitative Ziele vereinbart.
Quantitative Ziele sind Umsatzvorgaben, Deckungsbeiträge oder Auftragseingänge. Hierbei ist es meist auf
der Grundlage betriebswirtschaftlicher Zahlen leicht,
festzustellen, in welchem Grad die Ziele erreicht wurden. Dagegen kann bei qualitativen Zielen die Zielerreichung nicht ohne Weiteres an betriebswirtschaftlichen
Größen abgelesen werden. Geregelt werden kann im
Rahmen einer qualitativen Zielvereinbarung z. B. die
berufliche Entwicklung des Arbeitnehmers oder eines
von ihm geleiteten Teams bzw. welche Fortbildungen
der einzelne Arbeitnehmer zu absolvieren hat.
Grundsätzlich besteht bei Zielerreichung ein Anspruch
auf die Zielerreichungsprämie. Daher wird in der Praxis
regelmäßig vereinbart, dass der Arbeitnehmer je nach
dem Grad der Zielerreichung am Ende der vereinbarten
Periode einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung hat.
Gern wird von Arbeitgebern im Rahmen einer solchen
Zielvereinbarung ein Freiwilligkeitsvorbehalt mit aufgenommen. Damit will der Arbeitgeber vermeiden, dass
auf die vereinbarte Zielvereinbarung ein Rechtsanspruch besteht. Solche Zielvereinbarungen, die unter
Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt wurden, sind jedoch
nach der Rechtsprechung dann unwirksam, wenn es
sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass
ein Freiwilligkeitsvorbehalt in einer Zielvereinbarungsregelung aufgrund der daraus folgenden Unklarheit unwirksam ist, da dem Arbeitnehmer einerseits ein Anspruch auf Bonus bei Zielerreichung zugesagt, zugleich
aber mit einem Freiwilligkeitsvorbehalt abgesprochen
wurde (24.10.2007, Az. 10 AZR 825/06).
Am Ende der für die Zielerreichung vereinbarten Zeit
kann oftmals auch Streit über die Frage entstehen, in
welchem Umfang die Ziele realisiert wurden. Um solch
einen Streit zu vermeiden, sollte im Zusammenhang mit
der Zielvereinbarung geregelt werden, wer über die
Frage des Zielerreichungsgrades zu urteilen hat. Dies
wird in aller Regel der Arbeitgeber selbst sein.
Zu beachten ist auch, dass auf den Abschluss einer
Zielvereinbarung nur dann ein Anspruch besteht, wenn
im Arbeitsvertrag, einer ergänzenden Zusatzvereinbarung oder einer Dienstvereinbarung geregelt ist, dass
die Arbeitsvertragsparteien verpflichtet sind, immer erneute Zielvereinbarungen abzuschließen. Ist solch eine
Vereinbarung nicht getroffen, kann eine Zielvereinbarung eine einmalige Angelegenheit bleiben. Nach Ablauf der für die Zielvereinbarung vereinbarten Zeit besteht dann arbeitnehmerseitig kein Anspruch auf Abschluss einer Folgevereinbarung. Ist jedoch eine solche
Zielvereinbarung tatsächlich vereinbart, ist zu beachten,
dass dem Arbeitnehmer im Falle der Verweigerung einer Folgevereinbarung ein Schadenersatzanspruch zusteht (BAG, 12.12.2007, Az. 10 AZR 97/07). Der Arbeitgeber soll auch verpflichtet sein, dem Arbeitnehmer
realistische Zielvorgaben zu setzen.
2. Zuschläge und Sonderzahlungen
Über die Vereinbarung von Zielen hinaus gibt es noch
eine Reihe anderer variabler Vergütungsbestandteile,
z.B. in Form von Zuschlägen für Mehrarbeit oder für Arbeiten an Sonn- und Feiertagen sowie Nachtarbeit.
Insbesondere kommen hier aber auch Sonderzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld in Betracht. Bei
solchen Gratifikationen sollte darauf geachtet werden,
dass sie unter Freiwilligkeitsvorbehalt gezahlt werden.
Soll zusätzlich geregelt werden, dass die jeweilige Auszahlung von einem im Auszahlungszeitpunkt ungekündigten Arbeitsverhältnis abhängig gemacht wird, so ist
dies nach bestehender Rechtsprechung nur möglich,
wenn vereinbart wurde, dass solche Zahlungen nur in
der Erwartung zukünftiger Betriebstreue erfolgen.
3. Mindestlohn und Sonderzahlungen
Vom Arbeitgeber gezahlte Zulagen oder Zuschläge
werden als Bestandteile des Mindestlohns berücksichtigt, wenn ihre Berücksichtigung das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der Gegenleistung, die er dafür hält, nicht verändert. Berücksichtigungsfähig sind danach Zulagen und Zuschläge, mit
denen lediglich die regelmäßige und dauerhaft vertraglich geschuldete Arbeitsleistung vergütet wird.
Über die Anrechnungsfähigkeit von Weihnachts- und
Urlaubsgeld hatte aktuell das BAG zu entscheiden
(25.05.2016, Az. 5 AZR 135/16 - PM Nr. 24/16):
a) Sachverhalt
Das Arbeitsverhältnis der in Vollzeit beschäftigten Klägerin bestimmte sich nach einem schriftlichen Arbeitsvertrag, der neben einem Monatsgehalt besondere
Lohnzuschläge sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld
vorsah. Im Dezember 2014 schloss die Beklagte mit
dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über die
Auszahlung der Jahressonderzahlungen. Seit Januar
2015 zahlte die Beklagte der Klägerin monatlich neben
dem Bruttogehalt von 1.391,36 € je 1/12 des Urlaubsund Weihnachtsgelds, in Summe 1.507,30 € brutto.
Die Klägerin hatte geltend gemacht, ihr Monatsgehalt
und die Jahressonderzahlungen müssten ebenso wie
die vertraglich zugesagten Zuschläge für Mehr-,
Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit auf der Basis des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 € brutto/Stunde geleistet werden. Das ArbG hatte die Klage abgewiesen.
Das LAG hatte der Klägerin Nachtarbeitszuschläge in
Höhe von 0,80 € brutto zugesprochen und im Übrigen
die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
b) Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin blieb erfolglos. Die Klägerin
hat aufgrund des Mindestlohngesetzes keinen Anspruch auf erhöhtes Monatsgehalt, erhöhte Jahressonderzahlungen sowie erhöhte Lohnzuschläge. Der gesetzliche Mindestlohn tritt als eigenständiger Anspruch
neben die bisherigen Anspruchsgrundlagen, verändert
diese aber nicht. Der nach den tatsächlich geleisteten
Arbeitsstunden bemessene Mindestlohnanspruch der
Klägerin für den Zeitraum Januar bis November 2015 ist
erfüllt, denn auch den vorbehaltlos und unwiderruflich in
jedem Kalendermonat zu 1/12 geleisteten Jahressonderzahlungen kommt Erfüllungswirkung zu.
Der Arbeitgeber schuldet den gesetzlichen Mindestlohn
für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde. Er erfüllt
den Anspruch durch die im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis als Gegenleistung für Arbeit erbrachten Entgeltzahlungen, soweit diese dem Arbeitnehmer
endgültig verbleiben. Die Erfüllungswirkung fehlt nur
solchen Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht
auf tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen
Zweckbestimmung (z. B. § 6 Abs. 5 ArbZG) beruhen.
Praxishinweis
Die Anzahl an variablen Vergütungsbestandteilen im
Rahmen des Lohngefüges ist groß. Für die Arbeitgeber
ergeben sich somit eine ganze Reihe von Vergütungsmodellen, die dazu dienen können, Mitarbeiter zu binden und langfristig zu motivieren.
Allerdings sollten die jeweiligen Vergütungsbestandteile
und Systeme dabei mit Bedacht und nach einem genauen Konzept vereinbart werden, damit die Verwirklichung von Unternehmenszielen und die Motivation der
Mitarbeiter in Einklang gebracht werden.