Eberhard Diepgen und Wolfgang Wieland über Berlins Flüchtlingspolitik – Seite 10 Völlig von der Rille: Die Stolperfalle am Gleisdreieck– Seite 9 Heimweh nach Russland: Star-Dirigent Tugan Sokhiev verlässt Berlin – Kultur, Seite 15 Facebook, Twitter, Instagram: Wie die Unis sich ihren Studenten annähern – Seiten 8+17 BERLIN, MONTAG, 27. JUNI 2016 / 72. JAHRGANG / NR. 22 800 WWW.TAGESSPIEGEL.DE BERLIN / BRANDENBURG 1,50 €, AUSWÄRTS 2,00 €, AUSLAND 2,20 € Die EU und London Endlich souverän Hilflos und uneinig Von Albrecht Meier E Foto: Stephane Mahe/Reuters Nach einem nie gefährdeten 3:0 gegen die Slowakei steht Deutschland im Viertelfinale der Europameisterschaft. Es war die bisher stärkste Leistung der Nationalelf im Turnier. Jubeln durften auch die Anhänger des Gastgebers. Frankreich drehte das Spiel und gewann gegen Irland mit 2:1. Alles zur EM – Seiten 21–26 Brexit nährt Angst vor neuer Euro-Krise Deutsche Bank warnt vor Herabstufung südeuropäischer Staaten / Linksruck und wohl weiter Stillstand nach Wahl in Spanien Berlin - Der Brexit könnte nach der Ansicht von Experten die Euro-Krise wieder verschärfen. „Ratingagenturen könnten nun durchaus wieder anfangen, Staaten abzuwerten“, sagte Ulrich Stephan, Chefanlagestratege der Deutschen Bank, dem Tagesspiegel. Davon dürfte neben Großbritannien vor allem Südeuropa betroffen sein. „Das kann dann schnell eine Abwärtsspirale auslösen. Denn im nächsten Schritt könnten auch die Banken in diesen Ländern unter Druck geraten.“ Am Ende könnte die Europäische Zentral- Die Briten votieren für den Brexit. Naht das Ende Europas? „Ende“ ist ein großes Wort. Aber mit dem Votum haben die Briten sozusagen das dicke Ende der europäischen Wurst abgeschnitten. Die EU verliert die letzte Wachstumswirtschaft unter den Großen, den Finanzplatz London, eine Stimme für den freien Markt, die einzige Macht neben (vielleicht) Paris, die militärisch handeln kann und will. „Klein-England, darf ich Ihnen Klein-Europa vorstellen?“ Noch törichter als der Brexit ist die Parole: „Lassen wir die doch abhauen.“ Europa wird weder stark noch einig sein. Diese historische Tragödie droht, die EU zum Wurmfortsatz Eurasiens zu machen. Putin freut sich, Amerika verliert den Respekt. Warum wählen Menschen, die verunsichert sind, die Unsicherheit? WmdW gibt zu, dass er das genaue Gegenteil erwartet hatte: In der Wahlkabine, im Moment der Wahrheit, würden die Briten gegen das Abenteuer votieren. Journalisten und Anlageberater sind eben keine Wahrsager. Deshalb kühlt WmdW sein Mütchen an den Briten: Was ist los mit euch? Ihr wart doch in Europa für rationales, interessengeleitetes Denken zuständig, anders als die Germanen, von denen Heine sang: „Franzosen und Russen gehört das Land / Das Meer gehört den Briten / Wir aber Vier Fragen an Josef Joffe Was macht die Welt? gestimmt, etwas mehr als 48 Prozent für den EU-Verbleib. Vor allem junge pro-europäische Briten machen sich nun für ein zweites Referendum stark. Bei einer entsprechenden Online-Petition wuchs die Zahl der digitalen Unterschriften stetig – bis zum Sonntagabend auf mehr als drei Millionen. Nach dem politischen Erdbeben, welches das Referendum ausgelöst hat, befindet sich auch die Politik in der EU im Krisenmodus. An diesem Montag will Angela Merkel (CDU) in Berlin zunächst mit Frankreichs Staatschef François Hollande, Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi und EU-Ratschef Donald Tusk die ihm überhaupt? „Lahmen Enten“ gelingt im letzten Jahr der Amtszeit selten Großes, erst recht nicht, wenn sie per Dekret am Kongress vorbeiregieren, wie es Obama getan hat. Die Entscheidung des Obersten Gerichts ist seine ärgste Niederlage. Sie zeigt, dass die Gewaltenteilung in Amerika funktioniert. Zwar ist sie ein schwerer Schlag gegen vier Millionen Illegale im Land. Aber sie ist auch tröstlich, warnt sie doch Trump, so er denn Präsident wird: Er werde nicht den Imperator spielen können, der im Wahlkampf andauernd von verfassungsfeindlichen Initiativen faselt. besitzen im Luftreich des Traums / Die Herrschaft unbestritten.“ Früher haben die Briten ein Weltreich beherrscht; jetzt suchen sie ihr Glück in „Little England“. Stimmt in einem zweiten Referendum für eure und Europas Größe! Ein letztes Wort zum „Säbelrasseln“ der Nato ... Die Russen rasseln nicht nur mit dem Säbel, sie schwingen ihn auch (Krim, Südost-Ukraine). In ihren sorgfältig begrenzten Manövern „rasselt“ die Nato mit dem Taschenmesser. Was in den bedachten Steinmeier gefahren ist, bleibt ein Rätsel. Er weiß sehr wohl, wer provoziert und wer vorsichtig pariert. Er hat nicht nur die Chefin desavouiert, sondern auch das Bündnis, das 70 Jahre lang Europas Sicherheit garantiert. Als Stratege und Diplomat kriegt das Rumpelstilzchen ein „ungenügend“. Obama erleidet eine Schlappe mit seiner Reform der Einwanderung: Was gelingt — Josef Joffe ist Herausgeber der „Zeit“. Fragen: mal Eine Tragödie befürchten, Trump warnen und sich über Steinmeier wundern Lage sondieren, bevor die Kanzlerin am Dienstag im Bundestag eine Regierungserklärung zum Brexit hält. Mit dem britischen Votum beschäftigt sich ab Dienstag auch ein EU-Gipfel. Unterdessen droht Spanien nach der Parlamentswahl vom Sonntag weiter politischer Stillstand. Die konservative Volkspartei von Ministerpräsident Mariano Rajoy gewinnt laut Prognosen, wird aber wohl erneut Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Koalitionspartner haben. Zweitstärkste Kraft ist das Linksbündnis Unidos Podemos, das zwar prinzipiell europafreundlich ist, die praktizierte Sparund Austeritätspolitik aber ablehnt. C INDEX LUSTIG, LISTIG, LÄSTIG . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Das Portal Realsatire will den Irrsinn der Welt versammeln. IN HÖCHSTER GEFAHR . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Umweltschützer leben riskant. Ganz besonders in Brasilien, den Philippinen und dem Kongo. ........................................... 2 Sonne, Wolken, Regen: Die kommenden Tage werden recht unbeständig. 22 / 16 So bleibt es wohl auch fürs Erste. Die ganz heißen Tage sind vorbei. TAGESTIPPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 MEDIEN/TV-PROGRAMM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 IMPRESSUM & ADRESSEN . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 [email protected] TEL. REDAKTION . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 0 TEL. ABO-SERVICE . . . . . . (030) 29021 - 500 TEL. SHOP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 520 TEL. TICKETS . . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 521 ISSN 1865-2263 10026 4 190662 202006 D ZUM THEMA 쮿 Wem die Stunde schlägt Wer führt die Briten in die Zukunft? ...... 2 쮿 Das gespaltene Königreich Großbritannien nach dem Referendum . . 3 쮿 Alles meine Schuld Tilman Remme kannte Ukips Gründer . 4 ........... 6 쮿 „Eine Abwärtsspirale ist möglich“ Die Sorgen der Deutschen Bank 쮿 Ab auf die Insel Was David Cameron jetzt tun sollte ..... 8 쮿 „Der Brexit ist ein Desaster“ Folgen für die Wissenschaft ............... 17 Gröhe verteidigt Arzneitests an Demenzkranken EINE SAISON ZUM VERGESSEN . . . 18 Vor dem Turnierstart in Wimbledon sucht der verletzungsgeplagte Roger Federer seine Form. WETTER C D Foto: Promo bank (EZB) gezwungen sein, ihr Anleihekaufprogramm zu verlängern. Auch Arbeitgeber- und Industrieverbände aus Frankreich und Deutschland teilen die Ansicht, dass Europa nach dem Brexit-Votum vor großen Turbulenzen steht. Jetzt gehe es darum, die „besonderen europäischen Kräfte zu mobilisieren“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und des französischen Unternehmerverbands Medef. Knapp 52 Prozent der britischen Wähler hatten am Donnerstag für den Brexit Von Albrecht Meier und Carla Neuhaus Berlin - Vor der fraktionsoffenen Bundestagsabstimmung über die Ausweitung von Arzneiversuchen an Demenzkranken in der nächsten Woche hat Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) seine umstrittenen Pläne nochmals vehement verteidigt. Zur Würde des Menschen gehöre auch sein Selbstbestimmungsrecht, sagte Gröhe dem Tagesspiegel. „Es sollte erlaubt sein, dass Menschen im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte in Studien einwilligen, die später nicht ihnen selbst, womöglich aber ihren Kindern nutzen – etwa im Fall einer vererbbaren Krankheit.“ Und aus der Sicht der akademischen Forschungseiensolche Studien „zwingend erforderlich, um die Behandlung von Demenzkranken weiter zu verbessern“. Der CDU-Politiker versicherte, dass Deutschland auch mit der geplanten Ausweitung „eine der weitaus strengsten Regelungen in Europa“ haben werde. Er gehe davon aus, dass der nun nachgebesserte Entwurf „bei vielen Abgeordneten Zustimmung findet“. raw — Seite 5 s wird ein „Dinner for 28“, aber es wird eines der letzten Abendessen von David Cameron in Brüssel sein. Am Dienstag wird der britische Premier zu vorgerückter Stunde beim EU-Gipfel noch dabei sein. Am folgenden Tag, bei einem informellen Treffen der 27 Staatsund Regierungschefs, wird dann ohne ihn darüber beraten, wie es in Europa weitergehen soll. Kann es überhaupt weitergehen? Angesichts des Brexit, der – und da gibt es nichts zu beschönigen – einer Amputation der EU gleichkommt, steht die Zukunft Europas auf dem Spiel. Die ersten Antworten zur Rettung der EU aus der Rezepteküche zum politischen Schnellverzehr wirken so hilflos wie floskelhaft – wie etwa die richtige und dennoch hohl klingende Forderung, dass Europa endlich „besser funktionieren“ müsse. Mit Blick auf Großbritannien steht aber immerhin eines schon mal fest: Auf Cameron kommt es nicht mehr an. Seit dem Brexit-Votum ist er ein politischer Zombie. Statt mit Cameron beim Abendessen über den Brexit zu diskutieren, sollten sich die übrigen 27 Staatsund Regierungschefs lieber vom Anführer der Austritts-Befürworter, Boris Johnson, erklären lassen, wie er sich die Scheidung von der EU vorstellt. Allerdings herrscht auch auf dem Kontinent keine Klarheit darüber, wie denn nun mit London zu verfahren sei. Da gibt es EU-Spitzenpolitiker wie den Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Europaparlamentspräsident Martin Schulz, welche die Briten am liebsten zum schnellen Beginn des Austrittsverfahrens zwingen würden – wenn sie denn eine Handhabe hätten. Konzilianter zeigt sich Angela Merkel. Es wäre nicht überraschend, wenn die Kanzlerin eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen würde: Wenn ein Brexit zu neuen Handelshemmnissen in der derzeitigen EU führen würde, wäre auch die deutsche Wirtschaft betroffen. Großbritanniens (Noch-)EU-Partner sollten sich allerdings darauf einstellen, dass Boris Johnson sein perfides Referendums-Spiel möglicherweise noch gar nicht zu Ende gespielt hat. Londons Ex-Bürgermeister, dies ist die zweite Erkenntnis im Brexit-Drama, ist die bloße Trennung von der verteufelten EU gar nicht so wichtig. Entscheidend ist für ihn ein möglichst guter Deal bei den Scheidungsverhandlungen. Johnson spekuliert – vielleicht auf Neuverhandlungen mit der EU, vielleicht auf ein zweites Referendum. Das ähnelt dem Gebaren des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras im vergangenen Jahr, der Verhandlungen mit den EU-Partnern bis zur Beinahe-Pleite endlos in die Länge zog. Weil Großbritannien mehr Gewicht hat als Griechenland, wähnen sich Johnson und seine Brexit-Freunde in einer starken Position. Allerdings sollten sich Merkel und ihre EU-Partner nicht auf eine derartige Zockerei einlassen. Sicher, politisch hängt nicht viel davon ab, ob der britische Scheidungsantrag beim EU-Gipfel gestellt wird oder erst etwas später. Aber dennoch müssen die Briten den Kontinentaleuropäern schon in absehbarer Zeit sagen, was sie eigentlich wollen. Falls Merkel und Co. ihnen aber noch eine Extrawurst braten sollten, um sie zum Bleiben zu bewegen, dann könnte das schlechte britische Referendums-Beispiel auch anderswo schnell Schule machen. Wenn sich jeder EU-Staat demnächst per Volksabstimmung Sonderrechte und Ausstiegsklauseln sichern würde, wäre die Europäische Union endgültig erledigt. ANZEIGE 01 2314 / $ %## * * 56 47889 '( )& $ *+ $ ,- . /' ' ,8- '*;- < ! * 88 < ,8 = = <*- > =- *( ,*<58*- *558 ( :*( 86 ?' 3; *6- @ - A(* * *6- & B 56 *-< ( :- # B ' *- B :*5 " CD E<() 0 '-8 F- :- 4(8G * * 56 4788 '88 ! *- - H* - : H; 0. $ &# ( **-I ( :- ' *- 0 !"# $! !"" % ## !#& '( )* **( ! # ! + !## " , &&! # $* # !# -( . /*
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