Impressionen von der Juni-SVV

Impressionen von der Juni-SVV
Zunächst einmal: Es ist sehr erfreulich, dass unsere Bürger mobil werden und den
Stadtverordneten in der Einwohnerfragestunde auf die Pelle rücken. Das hätte ich
mir, als Rückenstärkung bei manchen Entscheidungen, viel öfter gewünscht. Diesmal
bedrängten viele Eltern die SVV wegen der immer noch nicht vollständig
ausgemerzten Ungerechtigkeiten in Sachen Kita-Beitragserhöhung. Außerdem kamen
Bewohner des Packhofs und der umliegenden Straßen, um ungeklärte Fragen zur
Bebauung dieses Areals zu stellen. Was die Bedenken der Bürger zum Thema
Packhof betrifft, so sei auf meine – politisch durchaus unkorrekten – Eindrücke von
der Diskussion in Versform am Ende dieses Beitrags verwiesen, die nächste Woche in
der Sommer-Ausgabe unserer linken Stadtzeitung "Havelbrandung" erscheinen.
Bei den Protesten zu den Kita-Beiträgen liegt die Sache etwas komplizierter. Die
beschlossene und kräftig nachgebesserte Beitragsordnung hat ja den Status einer
Empfehlung an die Träger – indem sich diese jetzt besser daran halten, kommen
manchmal höhere, aber durchaus auch manchmal niedrigere Beiträge zustande. Von
letzteren redet natürlich niemand. Statt dessen werden die ganz großen Geschütze
aufgefahren: Erstens, unsere Havelstadt vergreise, weil nicht genug für die Kinder
getan werde. Natürlich wäre es wünschenswert, mehr zu tun, und vor allem an
anderer Stelle. Dass die Summen, die unsere Stadt für Hilfen zur Erziehung ausgibt,
stetig wachsen, weist auf gesellschaftliche Missstände hin, für die eine simple
Beitragsdiskussion zu kurz greift. Zweitens, anderswo gebe es den beitragsfreien
Kita-Platz. Stimmt, aber das ist eine Entscheidung des jeweiligen Bundeslandes, nicht
einzelner Kommunen. Drittens, die LINKE als Partei der sozial Schwachen dürfe bei
solchem Schweinkram nicht mitmachen. Stimmt theoretisch, aber greif mal einer
hochverschuldeten Stadt ohne genehmigten Haushalt in die Tasche. Dies war leider
auch die Stunde der Demagogen. Fast war ich geneigt, in den Chor einzustimmen:
"Als Mutter zweier Halbwaisen..." Jedenfalls kamen aus mehreren Fraktionen (CDU,
AfD, FDP) die Ansagen, dass sie schon immer gegen eine Gebührenerhöhung der
Kita-Beiträge waren. Die LINKEN gaben zu bedenken, dass Bildungsminister
Baaske (SPD) keine Anstalten mache, den Kita-Besuch gebührenfrei zu stellen, die
SPD konterte, dass Sozialministerin Golze (LINKE) da auch nicht viel tue. Am Ende
versicherte die Verwaltung, dass sie die Einzelfälle von ungerechter
Gebührenerhöhung noch einmal prüfen werde, und der Fraktionsvorsitzende der
LINKEN, René Kretzschmar, bot den Eltern ein Diskussionsforum an.
Dass man ein einmal beschlossenes Maßnahmepaket nicht ohne Not erneut
aufschnüren sollte, zeigte die Diskussion um die zwei neu eingerichteten
Sozialarbeiterstellen. Erinnern wir uns: Diese Stellen waren zunächst gar nicht
vorgesehen, weil dafür keine Landesförderung in Anspruch genommen werden kann.
Die Stadtverordneten haben bei Teilen der Verwaltung eine mühsame
Überzeugungsarbeit leisten müssen. Nun steht die Finanzierung dieser Stellen, von
denen eine sofort, die andere im nächsten Jahr greifen soll. Der Jugendhilfeausschuss
hat einen Kriterienkatalog erarbeitet, dem gemäß die Reihenfolge der
Stellenbesetzung nach Dringlichkeit ermittelt werden kann. Nach diesem noch nicht
ganz ausdiskutierten Katalog wären die beiden OSZ mit je einer halben Stelle zuerst
zu bedienen und nicht die beiden Gymnasien, wie das ein bereits von der SVV
gefasster Beschluss vorsieht. Diesen Beschluss in Frage zu stellen hätte allerdings
auch bedeutet, den Besetzungsprozess hinauszuzögern, vielleicht bis in den Herbst
hinein. Die andere Variante, es bei dem einmal gefassten Beschluss zu belassen und
die OSZ im nächsten Jahr zu bedenken, würde eine umgehende Realisierung
zunächst einer Stelle ermöglichen. Wie belastend der Abwägungsprozess für viele
Stadtverordnete war, zeigen die vielen (9) Enthaltungen; letztendlich wurde der
Antrag, den Vergabebeschluss noch einmal aufzuheben, aber doch mit 21 Stimmen
abgelehnt.
Einen Zwischenbericht zu dem Plan, die BAS für die Nachnutzung und Pflege des
Marienbergs einzusetzen, nahmen die Stadtverordneten mehrheitlich zustimmend,
aber doch mit vielen kritischen Nachfragen zur Kenntnis. So mahnten Matthias
Pietschmann (Fraktion DIE LINKE) und Daniel Keip (SPD) eine genauere
Kostenschätzung und Qualitätsbeschreibung an. Die Meinung von Herbert Nowotny
(FDP), das Ganze sei ein "ordnungspolitischer Sündenfall", blieb als Einzelmeinung
stehen.
An dieser SVV fiel auf, dass besonders viele Anfragen an die Verwaltung gestellt
wurden (und von dieser in teilweise umfänglichen Statements beantwortet werden
mussten). SPD und LINKE kamen auf je 9 Anfragen, die Grünen auf 5, die CDU auf
4. Von uns LINKEN wurden z.B. Auskünfte eingeholt zum Ausstieg der Stadtwerke
aus dem Atomstrom, zur Verlandung des Gördensees, zu Möglichkeiten der
Freizeitgestaltung für Kinder und Jugendliche, zu Aufwendungen für Kunst im
öffentlichen Raum.
Anstelle eines P.S.
Die Packhof-Moritat
frei nach Goethes Erlkönig
Wer schreitet so spät durch Nacht und Wind
und will zur Bürgerversammlung geschwind?
Ein Packhofbewohner, ihm wird nicht mehr warm,
er hat den Bebauungsplan unter dem Arm.
Mein Bürger, was birgst du so bang dein Gesicht?
Siehst, Meisterin, du die Risiken nicht?
Eine Blechlawine nebst Feinstaub-Schweif.
Bleib ruhig, das ist nur ein Nebelstreif.
Du lieber Bürger, komm folge mir,
ein tolles Kongresshotel bauen wir hier,
eine Wellness-Oase am Havelstrand.
Undine lockt, ganz ohne Gewand.
Ach, Meisterin, nein, ich will das nicht,
auch wenn man mir blühende Landschaft verspricht,
ich bleibe nicht ruhig und denke mit Graus,
an den Schulweg der Kinder und wieder nach Haus.
Mein Bürger, ich weiß gar nicht, was du hast.
Meine Pläne haben doch immer gepasst.
Die Experten haben gerechnet fein
und lullen bald alle Bedenken ein.
Ich glaub dir nicht, Meisterin, hör auf mein Wort,
des Nachts wird der Packhof ein düsterer Ort,
am Tag der Verkehr sich lärmend staut,
kein Fahrrad sich mehr auf die Straße traut.
Mein Bürger, mich reizt die Hotel-Gestalt.
Sei willig, denn ich bin die Staatsgewalt.
Ich will das Hotel und mit etwas Glück
wird dies für die Stadt mein Meisterstück.
Und mit etwas Pech, sagt der Bürger schlicht,
funktionieren die Packhof-Träume nicht.
Das Hotel mag dümpeln mit Mühe und Not,
doch für unsereins ist der Packhof tot.
Dr. Uta Sändig