hr1-Zuspruch, Mittwoch, 22. Juni 2016 Pia Arnold-Rammé, Katholische Kirche Frankfurt Vom Saulus zum Paulus Was interessiert mich mein Geschwätz von vorgestern? Manchmal trifft das meine Erfahrungen ziemlich gut: das, was mir vor einiger Zeit noch voll einsichtig war, überzeugt mich nun überhaupt nicht mehr. Zum Beispiel, dass elektronische Kalender ganz toll sind oder umgekehrt: Oliven und Gorgonzola mir ganz und gar nicht schmecken. Mit einmal bin ich genau vom Gegenteil überzeugt. Und das sind ja nur banale Alltagserlebnisse. Das gibt es aber auch bei grundsätzlicheren Fragen, z.B. in der Politik: Eben noch war man erbitterter Gegner im Wahlkampf und plötzlich ist man gut Freund in einer Koalition. Solche 180 Grad-Drehungen: die haben manchmal einen seltsamen Geschmack, aber sie können eben auch dafür stehen: Veränderungen zum Guten sind möglich! Konversion – Umwandlung, Bekehrung kann man so was auch nennen. In der katholischen Kirche gibt es dafür einen besonderen Heiligen, den Apostel Paulus. Vor seinem Einsatz für das Christentum hat er die Christen bekämpft und getötet. Da hieß er noch Saulus. Durch ein Erlebnis vor den Toren der Stadt Damaskus wird er gewandelt, bekehrt. Drei Tage ist er erst einmal völlig verunsichert. Dann aber lässt er sich taufen und wird zum großen Verkünder des Christentums. Und nennt sich ab dann Paulus. Solche Erlebnisse rühren mich an, aber sie bleiben mir doch auch seltsam fremd: kann ich innerhalb von drei Tagen quasi mein Leben völlig verändern? Heute noch bin ich völlig überzeugt - und morgen schon sehe ich es ganz anders? Wenn ich auf mein Leben schaue, dann sind diese plötzlichen Bekehrungen eher selten, mal abgesehen von den banalen Dingen des Alltags. Veränderungen von Einstellungen und Lebensweisen geschehen eher langsam. Oft sehe ich erst im Rückblick, was geschehen ist. Trotzdem gefällt mir die Geschichte des Paulus. Für mich macht sie deutlich: Menschen können sich ändern. Niemand muss immer so bleiben, wie er oder sie nun mal ist. Ich kann mich ändern, auch wenn ich es manchmal selbst nicht glauben will. Wer A sagt, muss eben nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war. Diese Chance des Neubeginns, des Umdenkens und Anders-Machens: die will ich mir selbst und anderen nicht nehmen. Das weitet den Blick auf mich selbst und meine Überzeugungen, aber auch auf andere. Es eröffnet neue Perspektiven im Umgang miteinander und lässt Raum für unerwartete Wendungen. Vom Saulus zum Paulus eben!
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