70 Jahre BZ: Rede von Chefredakteur Thomas Hauser Die Zeitungen stehen vor einer Renaissance. Nein, das ist jetzt nicht meine Zusammenfassung des heute Gehörten. Dieser Überzeugung war der Zukunftsforscher Matthias Horx vor einigen Wochen beim European Newspaper Congress in Wien. Er hat dafür Gründe genannt, sogar überzeugendere als den, dass auf jeden Trend ein Gegentrend folge. Nun will ich nicht über die Zuverlässigkeit von Zukunftsforschung reden. Eher darüber, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit dieser Hoffnungsballon steigt und nicht platzt. Denn natürlich ist dies unser Ziel als Medienhaus. Abschließende Antworten kann es derzeit nicht geben. Deshalb müssen wir nach den richtigen Fragen suchen. Denn wer nicht richtig fragt, kann auch keine richtigen Antworten erhalten. An drei Fragen will ich mich heute versuchen. Das sind nur drei von vielen. Aber das verlegerische Credo, das Herr Dr. Hodeige und Herr Poppen gerade verkündet haben, muss ich nicht wiederholen. Wir wollen ja schließlich noch feiern. Und erinnern wir uns: Wir können derzeit nicht wissen, wo diese Entwicklung hinführt. Das kann lähmen, aber auch den Gedanken Raum geben. Meine erste Frage habe ich bei Matthias Horx geliehen: Ist Zellulose die Seele eines Printmediums? Natürlich nicht, werden Sie antworten es sei denn, Sie sind Drucker. Oder genießen es als Leserin oder Leser, täglich eine Zeitung in der Hand zu halten, die beim Umblättern raschelt, ihren eigenen Geruch hat, einen Anfang und ein Ende. Und in dem die Dinge optisch ansprechend geordnet sind, nach Ressort und Wichtigkeit. Aber da reden wir über Komfort oder Gewohnheiten. Die sind nicht zu unterschätzen. Die Seele eines Printmedium steckt jedoch in seinen Inhalten, in dem, was Journalisten für Sie zusammengestellt und aufbereitet haben. Das aber kann überall funktionieren, egal ob gedruckt oder digital. Einspruch, höre ich da aus der neuen rechten Ecke: Das ist Bevormundung - als ob die Selektion durch die Algorithmen von Google, Facebook und Co objektiv wäre. Ganz zu schweigen von der Propaganda und den Verschwörungstheorien rechter Heilslehrer. Aber ich will nicht dem modern gewordenen „Whataboutismus“ erliegen – der Masche also, Vorwürfe mit Gegenvorwürfen zu kontern. Die Gefahr der Bevormundung besteht. Dann nämlich, wenn Journalisten ihre Dienstleistungsfunktion missbrauchen, aus dem unübersehbaren Grundrauschen das herauszufiltern, was ihre Leserinnen und Leser mutmaßlich interessiert oder was sie interessieren muss, um sich in dieser Gesellschaft zurechtzufinden. Oder wenn sie ihr Handwerk nicht sauber beherrschen. Dieser Selektionsprozess kann nicht objektiv sein. Da sind schließlich Menschen am Werk. Deshalb muss er professionell und transparent erfolgen. Vielleicht haben wir uns da auf unserer Glaubwürdigkeit etwas ausgeruht und das Vertrauen in uns zu selbstverständlich vorausgesetzt. Vielleicht haben einige von uns sich auch zu wichtig genommen. Klar auch Journalisten können Marken sein, mehr oder weniger Followers haben, wie das Neudeutsch heißt. Die deutsche Übersetzung „Anhänger“ lässt aber ahnen, wohin das führen kann. Zum Jünger oder Hasser ist da - gerade im Internet - nur ein schmaler Grat. Nein, Journalismus ist ein Angebot keine Indoktrinierung. Er soll Leserinnen und Leser in die Lage versetzen, sich selbst eine Meinung zu bilden. Dazu muss die Medienlandschaft plural sein, es bedarf aber auch einer Binnenpluralität in den Medien. Das gelingt oft, nicht immer. Wir sollten aber dem Drang widerstehen, der haltlosen, fundamentalen Medienkritik der aufkommenden reaktionären Internationalen (bei Nationalisten eigentlich ein Widerspruch in sich) den Schein einer heilen Welt entgegensetzen zu wollen. Wir würden in ihre Falle gehen. Die deutsche Medienlandschaft ist vielfältiger, unabhängiger und lebendiger als es von Rechtsaußen tönt. Aber sie ist auch nicht makellos. Darüber müssen wir reden, daran müssen wir arbeiten. Das bringt mich zu meiner zweiten Frage: Was ist Qualität? Die nämlich reklamiert jedes Medium für sich, definiert jeder aber anders. Warum das so ist, zeigt der Blick in die Welt der Technik. Dort heißt es, Qualität heißt, der Norm entsprechen. Die Frage ist also nicht, was ist Qualität, sondern wer definiert die Norm? Da war die Welt für uns Journalisten früher bequemer als heute. Zunächst sind Medien Tendenzbetriebe und diese Tendenz wird nach Recht und Gesetz vom Verleger definiert. In der Praxis erschöpfte sich dieses Recht früher meist auf die Einstellung und Entlassung von Chefredakteuren und das Formulieren von Anhängen zum Arbeitsvertrag. Dafür gibt es gute Gründe, die auszuführen jetzt zu weit führen würde. Wo Verleger darüber hinausgingen, führte das regelmäßig zu branchenweiter Empörung gegen diesen Eingriff in die innere Pressefreiheit. Anzeigenkunden und Leser drohten zwar ab und zu mit Boykott oder Abbestellung, Politiker versuchten Einfluss auf Verleger und Redakteure zu nehmen, die Finanzsituation der meisten Verlage war aber so, dass sie darauf gelassen reagieren konnten. Das heißt, Journalisten konnten weitgehend selbst definieren, was sie für Qualität hielten. Dies führte auch zu der wichtigen Erkenntnis, dass Journalisten umso unabhängiger arbeiten können, je besser es ihren Verlagen geht. Das ist vorbei. Heute wollen da viele mitreden, stehen wir als Medien unter einem verschärften Begründungszwang. Nicht nur wegen des Internet. Zunächst einmal deshalb, weil die ökonomische Basis erodiert und damit der Druck auf die Verlage wächst. Das heißt, Verleger und Geschäftsführer müssen vermehrt nach neuen Wegen suchen, wie sie das Geld erwirtschaften, das guter Journalismus nun einmal kostet. Auch wenn viele heute meinen, der sei kostenlos zu haben. Das weckt Begehrlichkeiten. Nicht genug: Auch Journalisten werden – vor allem im Internet - zu Händlern ihrer Arbeit. Das war früher allenfalls im Boulevard oder bei den Kiosk-Medien üblich. Das birgt Chancen und Gefahren gleichermaßen und verändert den Journalismus. Durch das Internet beschleunigt sich zudem unsere Arbeit – bis hin zum Echtzeitjournalismus, einem Widerspruch in sich selbst. In Echtzeit kann seriös allenfalls dokumentiert werden. Journalismus setzt erfassen, hinterfragen – also recherchieren -, einordnen und bewerten voraus. Das braucht Zeit. Zeit, die wir oft nicht haben, uns aber nehmen müssen, gerade in einer Welt, in der Krisen und Katastrophen sich türmen und die Probleme so komplex geworden sind, dass einfache Antworten zwar zur Verführung von Vielen taugen, nicht aber zur Lösung der Probleme. Die mediale Wirklichkeit macht ein weiteres Risiko greifbar. Journalistischer Anspruch muss sein, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Wenn aber schlechte Nachrichten und Katastrophen dominieren, entsteht die Gefahr einer medialen Hysterisierung der Welt, droht der Blick auf mögliche Lösungsansätze verstellt zu werden. Dass wir diese Gefahr leider auch befördern, statt ihr – wo möglich - entgegenzuarbeiten, macht die Sache nicht besser. Denn dieser mediale Eindruck kann dazu beitragen, subjektive Wahrnehmungen zu überzeichnen, ohnehin vorhandene Ängste zu verstärken und schafft Raum für jene, die als schreckliche Vereinfacher mit scheinbaren Lösungen hausieren gehen. Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen. Die meisten Menschen fühlen einen rasanten Anstieg an Gewaltkriminalität, obschon die tatsächlichen Zahlen zurückgehen. Unsere Berichterstattung wirkt im einzelnen Kriminalfall verstärkend, bei der Präsentation der Kriminalitätsstatistik aber beruhigend. Das verwirrt. Verstärkt wird diese Tendenz womöglich noch dadurch, dass wir heute nicht mehr mit, sondern in den Medien leben. Das birgt die Gefahr, dass Realität und Fiktion in unseren Köpfen verschwimmen. Da Kausalitäten zu behaupten, wäre zu einfach, aber jeden Einfluss in Abrede zu stellen auch. Das führt mich zu meiner dritten und für heute letzten Frage: Ist der Journalismus auf der Höhe der Zeit? Dort nämlich ist unser Platz, auch wenn wir nicht Moden hinterherlaufen sollten. Die öffentlich vermittelte Eigenwahrnehmung schwankt zwischen Trotz und Kleinmut. Das lässt zumindest auf Verunsicherung schließen. Dafür gibt es Gründe. Die Veränderung der Medienlandschaft und der Mediennutzung hat alte Gewissheiten und auskömmliche Geschäftsmodelle zerstört und die eher bequeme Beziehung zwischen Journalist und Leser erschüttert. Mit der Kritik von Politikern, Verlegern und Anzeigenkunden haben wir gelernt umzugehen, auch mit überzogenen Angriffen. Aber die Radikalisierung und Emotionalisierung von Teilen der Leserschaft hat uns auf dem falschen Fuß erwischt. Wie geht man mit Menschen um, die nicht diskutieren, sondern Recht haben wollen? Die nicht einmal in Erwägung ziehen, dass der andere vielleicht auch rechthaben könnte? Die Suche nach Antworten auf diese Frage teilen wir freilich mit Politik und Gesellschaft. Wir alle haben uns auf dauerhaft schönes Wetter in unserer Demokratie verlassen und heraufziehende Gewitter als Gefahr nur für andere Gesellschaften abgetan. Wir sollten uns aber nicht kleiner machen als wir sind. Ansgar Fürst, der diese Redaktion 25 Jahre leitete, hat unseren Typ von Regionalzeitung als historische Leistung der Alliierten gewürdigt, die als kulturelles Erbe geschützt werden müsste. Durch sie und mit ihr konnte Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg die Demokratie einüben und entwickeln. Die Zeiten ändern sich. Und unser bester Schutz ist, dieses Erbe zu leben, nicht rückwärtsgewandt, sondern bezogen auf die heutige Zeit. Professionelle Medien müssen regionaler Marktplatz der unterschiedlichen Erfahrungen, Vorlieben, Sichtweisen und Meinungen sein und so den demokratischen Diskurs befördern. Sie müssen unabhängig, unaufgeregt aber sorgfältig ihr Handwerk ausüben. Und sie brauchen eine Haltung. Wobei die nicht mit Missionierung verwechselt werden darf. Aber die universell gültigen Werte der Freiheit stehen nicht zu Disposition. Toleranz muss denen verweigert werden, die sie bekämpfen. Und nicht nur die Medien müssen darauf beharren, dass Meinungen wohlfeil sind, so lange sie nicht mit Argumenten unterfüttert werden. Bei alledem müssen sie die richtige Balance zwischen Tempo und Entschleunigung finden. Die Kollegen, die nach dem Krieg von der alten Frankfurter Zeitung nach Freiburg kamen, haben uns da Vieles vorgelebt. Ihre Herausforderungen waren andere, ihre Arbeitsbedingungen eher schlechter. Aber sie wussten, dass Frieden und Freiheit nicht selbstverständlich sind und was wir verlieren, wenn beides fehlt. Sie wussten auch, dass Demokratie zwar durch ihre Feinde gefährdet wird, aber vor allem durch einen Mangel an Demokraten. Wenn wir uns auf dieser Basis den neuen Herausforderungen stellen, ist mir um unsere Zukunft nicht bange. Dann werden wir uns auch in den Irrgärten der Google-Optimierung, der Like- und Klickfixierung oder gegen behauptete Wirklichkeit durch massenhaftes Teilen unbelegter Gerüchte behaupten. Dann werden wir auch in Zukunft unsere Leserinnen und Leser finden. Und diese werden uns dann auch weiterhin für unsere Dienstleistung honorieren. Ob gedruckt oder digital ist dann nicht mehr so wichtig. Das wird anstrengend, aber wann war der Journalistenberuf das nicht? Dass unsere Verleger und Geschäftsführer, aber auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Sie als kritische Leserinnen und Leser diesen fordernden Weg mitgehen, und sich das Murren in Grenzen hält, ist alles andere als selbstverständlich. Ganz herzlichen Dank deshalb dafür. Vielen Dank auch für Ihre Aufmerksamkeit
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