Hi, Rahim, wie geht`s?

noch an Liebe“. Es war vor vier Jahren, Barack Obama
war mittlerweile Präsident, die Folter in Guantanamo war
offiziell abgeschafft, und die Haftbedingungen waren gelockert worden, da beschloss Afghani, trotz seiner Gefangenschaft nicht länger allein zu bleiben.
Eine Meldung und ihre Geschichte Wie ein
Die Insassen von Camp Delta haben keinen freien Zugang
Guantanamo-Häftling
zum Internet, also bat Afghani seinen Anwalt, ihn bei
im Internet die Liebe sucht
Match.com, einer der größten Datingseiten überhaupt, anzumelden. Die Match-Kontaktbörsen haben Millionen
Abonnenten, verteilt über fünf Kontinente.
enn es Nacht wird über Camp Delta und die Ein„Rahims Bitte klang verrückt“, sagt Carlos Warner, aber
samkeit im Hochsicherheitstrakt ihn nicht schlafen
sie habe gegen keine Geschäftsbedingungen und gegen kein
lässt, legt sich Muhammad Rahim al-Afghani auf
Gesetz verstoßen. Er eröffnete in dessen Namen bald ein
den Boden seiner Zelle und blättert in den Botschaften
Konto, machte beim nächsten Haftbesuch ein Handyporträt
von Singlefrauen aus aller Welt. Mehr als 2000 haben ihm
von seinem Mandanten und lud es auf die Seite. Als Wohngeschrieben, Hausfrauen und Berufstätige, Studentinnen
ort gab er „Guantánamo Bay, Cuba“ an, gleich darunter
und Mütter. Afghani hat ihre Nachrichten gesammelt und
schrieb er: „Currently detained but ready to mingle“, derzeit
auf drei Stapeln sortiert: auf dem ersten die der Ungläubiinhaftiert, aber bereit, sich auszutauschen.
gen, auf dem zweiten die der Unattraktiven, auf dem dritten
Warner machte Afghani
nur jene, deren Absenderinwenig Hoffnung, dass sich
nen er vielleicht eines Tages,
auch nur eine einzige Frau
wenn er jemals wieder freimelden würde. Aber kaum
kommen sollte, heiraten würwar das Profil eine Nacht
de, nach islamischem Recht.
Muhammad Rahim al-Aflang online, landeten drei
ghani ist 45 Jahre alt, ein
Nachrichten in seinem PostMann mit langem Bart und
fach. Eine Supermarktangedicht gewachsenen Augenstellte aus Miami, Florida,
brauen. Er sitzt seit acht
schrieb: „Hi, du hast schöne
Jahren als Häftling in GuanAugen!“ Eine Kunststudentanamo, weggesperrt hinter
tin aus Augusta, Georgia,
hohen Mauern. Das Verteifragte: „Hi, Rahim, wie
digungsministerium
der
geht’s?“ Eine alleinstehende
USA stuft ihn als gefährMutter aus San Diego, Kalilichen Terroristen ein, als
fornien, schickte ihm einen
Kämpfer der Qaida, aber im
Smiley und ein Herz.
Internet, auf seinem Profil„Das war nur der Anbild bei der Onlinepartnerfang“, sagt Warner. Er sambörse Match.com, sieht Afmelte bald jeden Tag Botghani aus wie ein freundlich
schaften für Afghani. Viele
lächelnder Junggeselle.
bezeichneten
ihn
als
Afghani
Afghani darf in Camp
„hübsch“ und „attraktiv“,
Delta nicht mit Journalisten
die meisten interessierten
sprechen. Er darf nur einmal
sich ernsthaft für sein
am Tag, für einen kurzen
Schicksal. Warner druckte
Hofgang an Ketten, seine
alle Nachrichten aus und
Zelle verlassen. Aber sein
schickte sie an jedem MoAnwalt Carlos Warner, ein
natsende in einem Umschlag
Von der Website Mirror.co.uk
Strafverteidiger aus Ohio, erseiner Kanzlei nach Kuba.
zählt Afghanis Geschichte
Afghani, unruhig wartend,
am Telefon.
las die Briefe und sendete seine Antworten zurück an seiEs war im Jahr 2008, George W. Bush war noch Präsinen Anwalt, handgeschrieben, zur Eingabe bei Match.com.
dent der Vereinigten Staaten, sagt Warner, als der USEr bevorzuge Frauen mit Humor. Gern tausche er sich
amerikanische Geheimdienst Afghani nach Guantanamo
über amerikanische Politik und Popkultur aus und mache
brachte, als wahrscheinlich letzten bekannt gewordenen
Witze über Figuren wie Kim Kardashian oder Donald
Terrorverdächtigen überhaupt. Afghani, Angaben der CIA
Trump. Er suche Damen, sagt sein Anwalt, die ihn ablenzufolge unverheiratet, stammt aus Afghanistan, aus einem
ken und unterhalten. Frauen, die nur Guantanamo intekleinen Dorf in der Nähe von Kabul. In den Akten des
ressiere, so der Anwalt, hätten dagegen keine Chance.
Pentagons steht, er sei von dort in den „Heiligen Krieg“
So geht es seit vier Jahren, bis heute. Muhammad Ragezogen, an der Seite Osama Bin Ladens, aber angeklagt
him al-Afghani, sagt Warner, erlaube sich mittlerweile,
wurde er bis heute nicht.
nur noch auf ausgewählte Kontaktanfragen einzugehen.
Carlos Warner, sein Anwalt, sagt, Afghani sei ein Ge„Er weiß, er ist ein begehrter Mann.“ Die Richtige habe
fangener wie die meisten in Guantanamo, willkürlich verAfghani dabei noch immer nicht gefunden. Er schreibe
schleppt und zu Unrecht inhaftiert. Warner betreut noch
gerade mit 13 Frauen gleichzeitig und könne sich kaum
elf weitere Insassen auf Kuba. Wie Afghani haben auch
entscheiden. Vielleicht, sagt sein Anwalt, werde er das
die anderen Häftlinge Jahre der Isolation und Folter hinter
nie müssen. In Guantanamo, an Ketten, bliebe er für
sich, und keiner von ihnen, sagt Warner, „glaubt heute
Claas Relotius
immer ungebunden.
Hi, Rahim, wie geht’s?
DPA PICTURE-ALLIANCE
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DER SPIEGEL 22 / 2016